Bitkom besorgt über anhaltenden Widerstand gegen den Ausbau von Mobilfunkmasten

Der Smartphonemarkt boomt - ohne Beachtung der Umwelt- und Gesundheitsfolgen
Der Unternehmerverband der IT-Branche Bitkom veröffentlichte im Februar 2024 eine Umfrage zur Smartphonenutzung. Sie veranschaulicht, wie omnipotent inzwischen das Smartphone das Leben von über 80% der Bevölkerung organisiert, aber dass gleichzeitig die Sorge um die Gefährdung durch die Strahlenbelastung nicht zurückgegangen ist.
Folie: Bitkom

Smartphone organisiert die Gesellschaft

Die Pressemitteilung der Bitkom vom 22.02.2024 liefert aufschlussreiche Daten über die Digitalisierung der Gesellschaft und die Pläne der IT-Branche. Der Smartphoneboom beschert der Industrie massive Umsätze, die 2024 auf 38,9 Milliarden Euro wachsen (folgende Daten aus der Bitkom PM). 95% der 14-59-Jährigen haben ein Smartphone, 88% aller Deutschen nutzen es (Quelle Statista).

Die Zunahme der Smartphone-Apps auf 56 bei den 16-29-Jährigen zeigt, dass sie zunehmend das ganze Leben damit organisieren, einerseits weil es praktisch ist. Andererseits wird man zunehmend zur Nutzung eines Smartphone gezwungen, weil Vorgänge wie Banküberweisungen, Fahrkarten lösen oder kommunale Dienstleistungen oft ohne Smartphone nicht mehr möglich sind. „83 Prozent der Nutzerinnen und Nutzer können sich ein Leben ohne das Gerät nicht mehr vorstellen“, so die Bitkom. Analog zu leben, und damit ein Leben frei vom Zugriff der Datensammler und Überwacher, ist praktisch schon nicht mehr möglich.

Heribert Prantl, Bild Wikipedia

Recht auf analoges Leben

Heribert Prantl kommentiert diese Entwicklung in seinem Beitrag „Schnüffel Apps. Zur Freiheit gehört auch die Wahlfreiheit zwischen digitalem und analogem Leben“ (Südd. Ztg., 08.12.2023). Er fordert, dass der Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes  um das Recht auf analoges Leben erweitert wird: „Die Grund- und Daseinsfürsorge für einen Menschen darf nicht abhängig davon gemacht werden, dass er digitale Angebote nutzt.“  Er warnt vor dem Überwachungskapitalismus:

 

  • „Man muss ohne eine Überwachungsapparatur namens Smartphone Zugang zu seinen Grundrechten haben.“ 

Doch im Überwachungskapitalismus sind die Daten die Geschäftsgrundlage der IT-Branche, wie es Shoshana Zuboff, Autorin des Buches "Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus", in der LeMonde diplomatique analysiert. Die Bitkom ist deshalb auch sehr zufrieden mit der 24/7 Stunden Smartphonenutzung vieler Menschen. Sie hängen an der Nabelschnur der IT-Konzerne und liefern ihre Daten. Die psycho-sozialen Folgen der Dauernutzung wie Konsumrausch, Sucht, Einsamkeit und die vielfältige Schädigung der Kinder und Jugendlichen, wie sie im Buch von Silke Müller „Wir verlieren unsere Kinder“ und in der Leitlinie Bildschirmmedien beschrieben werden, haben in der profitorientierten Gedankenwelt keine Relevanz. Ebensowenig wie die Auswirkungen auf die Umwelt.

Mit Klick vergrößern!Statista

"Ist Surfen schmutziger als Fliegen?" (DIE ZEIT)

Bitkom fordert einen „Pakt für Planungs - und Genehmigungsbeschleunigung“ für ein aggressives Wachstum, das zur Klima- und Umweltzerstörung beitragen wird. Internet- und mobiles Videostreaming und immer mehr Geräte beschleunigen den Energie- und Ressourcenverbrauch, das dokumentieren wir in einer Artikelserie, selbst Leitmedien wie der Spiegel und die ZEIT warnen davor. Die Analysen des Umweltbundesamtes (2020), des WBGU (Wissenschaftlicher Beirat globale Umweltveränderungen der Bundesregierung, 2019) und des TAB-Berichtes des Bundestages „Energieverbrauch der IKT-Infrastruktur“ (2022), weisen nach, dass die Digitalisierung ein Brandbeschleuniger gegenwärtiger Umweltkrisen ist und fordern den Staat auf, regulierend einzugreifen. Diese Analysen scheinen schon wieder in den Schubladen verschwunden. Die Industrie plant nach dem Motto „Nach uns die Sintflut“ weiter ihre Geschäfte. Die Dividende muss stimmen.

Folie: Bitkom

Der Protest gegen den Antennenwildwuchs bleibt

Im Jahr 2024 werden in den Ausbau der mobilen Infrastruktur 2,4 Milliarden Euro gesteckt. Doch hier ist Unerwartetes geschehen. Bei einer 88%-igen Smartphonenutzung müsste man davon ausgehen, dass die Menschen den Ausbau der Infrastruktur bedenkenlos begrüßen. Die Bitkom ist besorgt, dass fast die Hälfte der Bevölkerung den Bau eines Mobilfunkmastes in ihrer Wohnnähe ablehnt und schreibt:

  • „So eindeutig das Bild bei dem Wunsch nach gutem Empfang und einer guten Netzabdeckung ist, so geteilt ist es bei der Frage, ob neue Funkmasten für den Ausbau des Mobilfunknetzes errichtet werden sollten. 56 Prozent der Bevölkerung sind insgesamt dafür – und 41 Prozent dagegen. Doch auch unter jenen Smartphone-Nutzerinnen und -Nutzern, die sich einen guten Empfang am Wohnort wünschen, wollen viele keine neuen Masten: 37 Prozent von ihnen sind dagegen. „Die Verbraucherinnen und Verbraucher wünschen sich zu Recht die besten, schnellsten und sichersten Netze. Es sollte aber jedem klar sein: Ohne Mobilfunkmasten kein fächendeckender Empfang“, sagt Haas. Dennoch gibt es in der Bevölkerung Vorbehalte: 58 Prozent wollen nicht in einem Haus wohnen, auf dem eine Funkantenne installiert ist. 33 Prozent befürworten zwar insgesamt den Mobilfunkausbau, wollen aber keinen Funkmast in der Nähe ihrer Wohnung. Zugleich geben 46 Prozent an, von Bürgerprotesten genervt zu sein, die den Bau von Funkmasten verhindern.“

Die 41% der Bürger, und das ist keine kleine Minderheit*, haben recht mit ihrer Ablehnung, denn die Studienlage zeigt immer eindeutiger, dass die Mobilfunkstrahlung gesundheitsschädlich ist. Darüber kann man sich in unserem Kompass Studienlage informieren. Dieses Ergebnis ist aber auch ein Eingeständnis, dass die von der Werbeagentur Scholz & Friends für die Bundesregierung organisierte Entwarnungskampagne „Deutschland spricht 5G“ die Bevölkerung nicht von der angeblichen Harmlosigkeit der Mobilfunkstrahlung überzeugen konnte. 

* z. Vgl: Bei der Sonntagsfrage Bundestagswahlen am 1.2.2024 hätten die SPD 16%, CDU/CSU 30%, Grüne 14%, FDP 4%, AfD 19%, Linke 3%, BSW 5%.

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Übersichtsarbeit (Review) von Balmori (2022): Studienlage zu Risiken vom Mobilfunk-Sendeanlagen

Daten aus dem Review von Balmori (2022)Grafik:diagnose:funk

Balmori A (2022): Belege für ein Gesundheitsrisiko durch Hochfrequenzstrahlung bei Menschen, die in der Nähe von Mobilfunk-Basisstationen leben: von der Mikrowellen-Krankheit zu Krebs (Evidence for a health risk by RF on humans living around mobile phone base stations: From radiofrequency sickness to cancer. Environmental Research 214, 113851)

Mehr zu dieser Studie auf: https://www.diagnose-funk.org/1891

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Schlussfolgerung der Bitkom: Entrechtung der Kommunen

Bitkom fordert als Reaktion auf den anhaltenden Protest in den Kommunen, den wir in unserer Presseschau dokumentieren, den Abbau der Rechte der Kommunen bei der Planung der Mobilfunk-Infrastruktur. 5G im unteren Frequenzbereich wurde aufgebaut ohne jegliche Technikfolgenabschätzung. Bitkom lobt, wie dabei „Politik und Wirtschaft an einem Strang“ gezogen hätten. Der Unternehmensverband fordert in der Pressemitteilung jetzt von der Bundesregierung einen „Pakt für Planungs - und Genehmigungsbeschleunigung“, in dem der Mobilfunk als „überrragendes öffentliches Interesse“ eingestuft wird und die Kommunen dazu verpflichtet werden, den „Mobilfunkausbau vor Ort (zu) unterstützen, indem sie für neue Standorte werben und etwaige Zweifel in der Bevölkerung ausräumen“. Das ist ein Frontalangriff auf die kommunale Autonomie und den Gesundheits- und Umweltschutz. Die Kommunen dürfen sich nicht für Wachstums- und Profitinteressen instrumentalisieren lassen.

Bürgerinitiative Cavertitz in AktionQuelle: cavertitz-gegen-5g.de

Nichts ist alternativlos: „Mehr Daten mit weniger Strahlung“

Was setzen wir dagegen? Der Staat und die Kommunen sind nicht die Büttel der Mobilfunkindustrie, sie müssen regulierend eingreifen. Die Konzepte einer Mobilfunkversorgung, die Prinzipien der Strahlenminimierung und ökologischen Nachhaltigkeit verfolgen, liegen auf dem Tisch und können vom Staat eingefordert werden. In unserem Homepageartikel „Roaming / Network-Sharing – ein Netz für Alle. Mehr Daten mit weniger Strahlung zum Schutz von Mensch und Natur“ sind die technischen Möglichkeiten und die Rechte der Kommunen dargelegt: Roaming, Trennung der Indoor- und Outdoorversorgung, Kleinzellennetze, lückenloser Glasfaserausbau in kommunaler Hand und strahlungsfreie Zonen, wie sie im TAB des Bundestages in Erwägung gezogen werden. 

Lesen Sie unsere informativen Homepageartikel zu den technischen Alternativen und den Rechten der Kommunen:

Publikation zum Thema

Januar 2022Format: A4Seitenanzahl: 12 Veröffentlicht am: 18.01.2022 Bestellnr.: 247Sprache: deutschHerausgeber: diagnose:funk

Wie die Telekommunikationsindustrie die Politik im Griff hat


Autor:
diagnose:funk
Inhalt:
diagnose:funk legt in diesem Brennpunkt eine Recherche zur Lobbyarbeit der Mobilfunkindustrie und BITKOM-Branche zur Digitalisierung vor, basierend auf der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE „Beziehungen von Telekommunikationsunternehmen zur Bundesregierung“ (Bundestagsdrucksache 18/9620, 13.09.2016). Sechs Grafiken verbildlichen die Verflechtungen. Politisch eingeordnet wird diese Analyse auf Grund eigener Erfahrungen mit Besuchen bei Bundestagsabgeordneten und dem neuen Buch „Lobbyland. Wie die Wirtschaft unsere Demokratie kauft“ (2021) des ehemaligen Dortmunder SPD-Abgeordneten Marco Bülow über seine 18-jährigen Erfahrungen im Bundestag und weiteren Literaturrecherchen.
diagnose:funk
Format: Din langSeitenanzahl: 10 Veröffentlicht am: 12.08.2022 Bestellnr.: 318Sprache: deutschHerausgeber: diagnose:funk

Mobilfunk, Sendeanlagen, Netzausbau. Kommunale Rechte zur Gesundheitsvorsorge wahrnehmen!


Autor:
diagnose:funk
Inhalt:
Ein Mobilfunkmast soll gebaut werden. Welche Risiken sind nachgewiesen? Was können Initiativen fordern? Welche Rechte haben Kommunen? Der bewährte Flyer zu den Risiken von Mobilfunksendeanlagen und den Handlungsmöglichkeiten der Kommunen ist komplett neu erstellt worden. Er fasst die wichtigsten Informationen kurz zusammen, auch für EntscheidungsträgerInnen in den Kommunen.
4. vollständig überarbeitete Auflage, 2021Format: A5Seitenanzahl: 96 Veröffentlicht am: 26.05.2021 Bestellnr.: 104Sprache: DeutschHerausgeber: diagnose:funk | Titelfoto: stock.adobe.com

Kommunale Handlungsfelder

Mobilfunk: Rechte der Kommunen - Gefahrenminimierung und Vorsorge auf kommunaler Ebene
Autor:
diagnose:funk | Dipl.-Ing. Jörn Gutbier
Inhalt:
Diese Broschüre gibt Auskunft, welche Möglichkeiten Gemeinden haben, in die Aufstellung von Mobilfunksendeanlagen steuernd einzugreifen. Es wird aufgezeigt, was Kommunen neben dem sog. Dialogverfahren mit den Betreibern noch alles tun können, um ihre Bürger:innen mit einem Vorsorge- und Minimierungskonzept vor der weiterhin unkontrolliert zunehmenden Verstrahlung unserer Lebenswelt zu schützen. Darüber hinaus wird auf Argumente eingegangen, die in der Mobilfunkdiskussion eine wichtige Rolle spielen: die Grenzwerte, der fehlende Versicherungsschutz der Betreiber, der Mobilfunkpakt der kommunalen Spitzenverbände, die Strahlungsausbreitung um Sendeanlagen, die Messung und Bewertung der Strahlungsstärke, der Diskurs um Sendeanlagen versus Endgeräte, Kleinzellennetze, alternative Technologien u.a.m. Die Kommune ist immer noch die einzige Ebene, auf der zur Zeit ein wichtiger Teil einer neuen, effektiven Art der Mobilfunkvorsorgepolitik zum Schutz der Menschen und der Umwelt eingeleitet und umgesetzt werden kann.
Artikel veröffentlicht:
25.02.2024
Autor:
diagnose:funk
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