Roaming / Network-Sharing – ein Netz für Alle

Mehr Daten mit weniger Strahlung zum Schutz von Mensch und Natur
Die Datenübertragung in den Mobilfunknetzen steigt jedes Jahr um circa 40%. Durch den Zubau von Sendeanlagen steigt auch die Belastung durch elektromagnetische Felder. „Mehr Daten mit weniger Strahlung“ - das kann mit Roaming erreicht werden. Die Kunden eines Anbieters könnten dann das Netz eines anderen nutzen, so wie wir das von Auslandsurlauben kennen. Mensch und Umwelt würden nicht mehr von derzeit bis zu 12 Netzen bestrahlt.
Antennenwildwuchs - Zwölffache Bestrahlung Bild:diagnose:funk

Ein neues Gutachten des DIW (Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung) beschäftigt sich mit einem Vorteil von Roaming. „Ein Netz für Alle“ wäre der Königsweg zur Strahlungsreduktion, zum Energiesparen und Resourcenschutz und für bessere Netze für alle Nutzer. Die Bundesnetzagentur könnte die Betreiber dazu verpflichten. Doch sie sperrt sich - aus Konkurrenzgründen. Die Politik will die flächendeckende Versorgung mit noch mehr Infrastruktur mit der Folge von noch mehr Verstrahlung regeln. Wozu diese Hochrüstung mit Sendeanlagen? Der Haupttreiber der steigenden Datenübertragung ist banal:  Video Streaming – also „Spaß ohne Limitierungen“, wie es sich auch der Chef von Telefonica Deutschland Markus Haas für seine Kunden wünscht.[1]

Das neoliberale Ausbaumodell nimmt keine Rücksicht auf Energie, Ressourcen und Gesundheit

Der Ausbau des auf digitaler Technologie basierenden Mobilfunks fiel in die Hochphase der Deregulierung gesellschaftlicher Infrastruktur der 90er Jahre. "Konkurrenz belebt das Geschäft!" - das war das Schlagwort der Zeit der ausufernden Privatisierungen, die bis heute weitergehen. Für den Aufbau der neu aufkommenden mobilen Kommunikation hieß das: Nicht mehr der Staat lässt eine flächendeckende Infrastruktur errichten und verwalten, wie es beim den Strom, Gas-, Wasser oder leitungsgebundenen Telefonnetzen der Fall war, sondern das wird Konzernen und privatisierten Staatsbetrieben überlassen. Dazu wurden Frequenzen lizenziert und den Unternehmen zugestanden, die dazugehörige Infrastruktur aufzubauen. Mit der erstmaligen Versteigerung von Mobilfunkfrequenzen für die UMTS-Technologie (die sog. dritte Mobilfunkgeneration 3G) im Jahr 2000 nahm der Staat 50 Milliarden Euro Lizenzgebühren ein. Damit wurde das neoliberale Modell des privaten Wettbewerbs über den Infrastrukturaufbau zementiert. Der Staat verpflichtete sich als Gegenleistung, den Ausbau zu fördern und vorhandene Regulierungen, nicht nur im Baurecht, weitestgehend abzubauen. Das war der Sündenfall. "Verkaufte Gesundheit" nannten wir diesen 50 Milliarden Deal, denn als weitere Gegenleistung begründeten nun die Behörden die Risikolosigkeit der Mobilfunkstrahlung. Schlagendstes Beispiel: Die klammheimliche ersatzlose Rücknahme der "Leitlinien Strahlenschutz" des Bundesamtes für Strahlenschutz nach Aufforderung der Industrie.

Heute agieren drei große Betreiber mit eigener Infrastruktur und mehreren parallelen Diensten (GSM 800/1800, LTE 700/800/1500/1800/2100/2600, 5G 700/800/1800/2000/2100/3600)[2]. Das heißt, auf dem Marktplatz einer Großstadt gibt es in der Regel bis zu einem dutzend Mobilfunkdienste, die ein dutzend Mal Energie verbrauchen und ein dutzend Mal die Menschen und die Umwelt mit einer gesundheitsschädlichen elektromagnetischen Energie bestrahlen/befelden.

BNA-Präsident Klaus Müller setzt immer noch auf WettbewerbFoto:Raimond Spekking (CC BY-SA 4.0 (via Wikimedia Commons)

Versagen der Bundesnetzagentur

Über all das wacht die Bundesnetzagentur (BNA). Sie vergibt die Frequenzen, setzt politische Vorgaben in privatwirtschaftliche Verträge um und überwacht, ob diese und die für den Mobilfunk geltenden Grenzwerte eingehalten werden. Dabei bleibt die BNA bei der neoliberalen Linie, mit einem Infrastrukturwettwerb das Mobilfunkangebot zu gestalten. Das stellte der Präsident Klaus Müller in der Pressemitteilung vom 23. Januar 2024 erneut klar:
 

 

"Die Förderung des Wettbewerbs ist ein wichtiges Ziel der Frequenzregulierung. (…) Mit dem Markteintritt von 1&1 als Mobilfunknetzbetreiber erwarten die Gutachter zudem, dass der Infrastrukturwettbewerb weiter verstärkt werde und sich hierdurch ein noch besseres Preis-Leistungs-Verhältnis über alle Kundensegmente hinweg einstellen könne.“ [3]

Nicht nur volkswirtschaftlich ist dieses Modell ein Unsinn ohnegleichen. Auch für den Endkunden ist dieses preistreibend, da die vielfach vorhandenen Netzinfrastrukturen, die alle quasi das Gleiche tun - riesige Überkapazitäten vorhalten (zumindest im ländlichen Raum), teure Ressourcen benötigen und ständig sehr viel Energie allein für die Signal-Bereitstellung verbrauchen!

________________________________________________________________________________

Deutschlandweit protestieren Initiativen gegen den AntennenwildwuchsFoto: Stuttgart, diagnose:funk

Wettbewerb über das Infrastrukturangebot muss aufhören

Bis heute ist der infrastrukturbasierte Wettbewerb das grundlegende Unterscheidungsmerkmale des Mobilfunks zu den ´alten` Infrastrukturen der Daseinsvorsorge wie Straßen, Strom, Wasser, Gas, Telekommunikation. Dort gibt nur eine Autobahn-Infrastruktur, die von jedem Auto, egal welcher Marke, befahren werden kann. Es gibt nur ein Stromkabel in jedes Haus, die von allen Stromanbietern genutzt werden kann. Und es gab nur eine Telefonleitungsinfrastruktur, über die jeder kommunizieren konnte. Heute sind das alte Fernsehkabel (KOAX) und Glasfaserkabel dazugekommen – wovon aber i.d.R. nur eines je Anschlussnehmer für die Kommunikation genutzt wird. Der Wettbewerb findet hier prioritär über den Preis und den Service statt Beim Mobilfunk werden aber Ressourcen und Energie verschwendet, weil jeder Betreiber im Konkurrenzkampf überall mit seinen Sendeanlagen vertreten sein will. Landschaft und die Städte werden verschandelt und zwangsweise die gesamte Lebenswelt mit gesundheitsschädlichen Mikrowellen bis in die Schlafzimmer der Menschen hinein verstrahlt.

_______________________________________________________________________________

Energie- und Ressourceneffizienz digitaler InfrastrukturenQuelle: UBA - umweltbundesamt.de

Umweltbundesamt fordert ein Netz für alle und die Priorität für Glasfaser

An dieser Wettbewerbs- und Wachstumslogik gibt es Kritik, vor allem angesichts der Klima- und Energiekrise. Das Umweltbundesamt (UBA) legte im September 2020 eine Analyse „Energie- und Ressourceneffizienz digitaler Infrastrukturen“ vor, in der Roaming gefordert wird [4]:

 


 

 

  • „Der Ausbau von Mobilfunknetzen soll schlank und ressourceneffizient erfolgen, mit reduzierter mehrfacher Funkabdeckung der gleichen Regionen durch unterschiedliche Anbieter. Dazu sollen für Mobilfunknetze einheitliche und faire Netznutzungsentgelte eingeführt werden, die ein nationales Roaming ermöglichen.“
  • „Wenn Mobilfunkbetreiber Standorte und Geräte gemeinsam nutzen, spart das Energie und Ressourcen, weil Technik nicht doppelt bereitgestellt und betrieben werden muss. Darüber hinaus verbessert es den Netzzugang für alle Nutzer*innen.“

Auch fordert das UBA den Verzicht auf die Innenversorgung durch Sendeanlagen und den Ausbau des Glasfasernetzes für die schnelle Internetanbindung der Haushalte und Betriebe. Die Trennung der Innen- und Außenversorgung gebietet nicht nur der Strahlenschutz, sondern spart auch Energie.

Das UBA-Gutachten lehnt die Innenversorgung durch Funk ab und fordert die Trennung der Indoor- und Outdoorversorgung:

  • "Der Mobilfunk ist für den Hausanschluss ungeeignet und aus Sicht des Umwelt- und Klimaschutzes nicht tragfähig (S.8)."Denn: "Die Übertragung von Daten in Mobilfunknetzen hat einen deutlich größeren ökologischen Fußabdruck als die in kabelgebundenen Breitbandnetzen (S.12)."

Die entscheidende Schlussfolgerung des UBA Gutachtens: Der Ausbau des Glasfasernetzes muss Priorität haben:

  • "Beim Breitbandausbau ist dem Ausbau von energieeffizienten Glasfasernetzen bis zum Endverbraucher klar der Vorzug gegenüber anderen Übertragungstechnologien zu geben."

Diese Aussage ist deswegen so wichtig, weil fast 80 % des Datenverkehrs auf den Mobilfunknetzen von Menschen angefordert wird, die sich Indoor aufhalten, also nicht auf den kommerziellen Mobilfunk über die Außenantennen angewiesen wären.

Fast alles, was für den Umbau der Mobilfunkinfrastruktur auf ´Ein Netz für Alle` regulatorisch notwendig ist, ist der Politik und der Bundesnetzagentur durch den Umgang mit der Infrastruktur der Stromnetze bekannt. Netzpolitik.org nimmt Bezug auf neueste Minischritte der BNA in diese Richtung und schreibt:

  • Grundsätzlich sind in der jüngst vom Bundestag verabschiedeten Novelle des Telekommunikationsgesetzes Regelungen vorgesehen, mit denen die Bundesnetzagentur künftig unter bestimmten Voraussetzungen Netzbetreiber zu Roaming verpflichten kann.“
Gruppenfoto der Verbraucherschutzministerkonferenz im Juni 2023. © Baden-Württemberg.deBild:Land Baden-Württemberg

Verbraucherschutzminister fordern nationales Roaming

Auf der Konferenz der Verbraucherschutzminister in Konstanz im Juni 2023 sprachen sich die Landes-Minister für ein verpflichtendes nationales Roaming auf Bundesebene aus. Sie wollen damit vor allem Versorgungslücken im ländlichen Raum schließen. Das ist zwar zu begrüßen, aber zunächst müssen alle Kommunen und der ländliche Raum lückenlos mit Glasfaserkabeln versorgt werden. diagnose:funk wendet sich derzeit an Bundestagesabgeordneten mit der Bitte, sich einzusetzen für

  • Die Verpflichtung aller Betreiber auf nationales Roaming.
  • Den lückenlosen Ausbau des Glasfasernetzes.
  • Die Förderung von energieeffizienten Projekten zur Trennung der Indoor- und Outdoorversorgung, die Wohnungen nicht durchstrahlen.
  • Die Förderung neuer Technologien wie OWC/VLC - Kommunikation mit Licht/Infrarot.

______________________________________________________________________________

Begriffserklärungen

Mobilfunk/-wettbewerb bedeutet aktuell getrennte Netze - jeder Betreiber hat sein eigenes physikalisches Netzinfrastruktur. KundInnen eines Mobilfunkanbieters haben nur dort Netzzugang, wo ihr Anbieter ein eigenes Netz aufgebaut hat. Nur die sog. Notruffunktion lässt es zu, dass ein Endgerät auch auf andere Netze zugreifen kann, sollte das Vertragsnetz mal nicht zur Verfügung stehen.

Roaming kennen wir aus dem Urlaub im Ausland: Egal, wohin ich in Europa fahre, ich habe immer ein verfügbares Netz, unabhängig vom eigenen Provider. Ursprünglich bezeichnete ‚Roaming‘ die Weiterleitung von Verkehren, die ein Teilnehmer in einem (üblicherweise im Ausland) besuchten Mobilfunknetz erzeugt, an das entsprechende Heimnetz des Teilnehmers. In den internationalen Regelungen wird demnach zwischen einem „Bewohner“ und einem „Besucher“ eines Ortes unterschieden. BewohnerInnen können nur Verträge mit Mobilfunkanbietern abschließen, die an ihrem Wohnort ein eigenes Netz aufgebaut haben. BesucherInnen jedoch können ihr Handy auch dort nutzen, wo es ein Mobilfunknetz irgendeines anderen Anbieters gibt.

Bei der Trennung der Indoor- und Outdoor-Versorgung werden Wohnungen und Betriebe über Glasfaser versorgt, Sendeanlagen beschränken sich auf die Versorgung von mobiler Kommunikation im Außenbereich. Weil damit Gebäude nicht mehr durchstrahlt werden müssen, kann die Sendeleistung reduziert werden. Im Mittel reden wir hier über Minimierungsfaktor 100 bis 300. Praktisch hieße dieses Konzept aber nicht, dass Mobilfunk im Innenbereich gar nicht mehr funktioniert, da die Übergänge immer fließend und die Dämpfungseigenschaften der Baumasse sehr unterschiedlich sind. Es bestünde aber keine Vorgabe mehr Mobilfunk von jedem Betreiber hochbitratig in so gut wie allen Gebäuden der Republik am Rande jeder Funkzelle anzubieten (aktuell wird von der BNA/der Politik verlangt, das in 98% aller Gebäude Indoor 100 MBit/s Übertragungsleistung von allen Betreibern möglich sein sollen). Hochbitratig bedeutet, dass die Empfangsleistung um 5 bis 6 Zehnerpotenzen höher liegen muss, als wenn nur ´Erreichbarkeit` gegeben sein müsste. Vgl. hierzu >>>. Hohe Empfangsleistung bedeutet hohe Feldstärken - Mensch und Umwelt werden unnötig stark bestrahlt/befeldet.

Network-Sharing ist technisch das gleiche wie Roaming. Das Endgerät mit der Vertrag eines Betreibers kann auf den Dienst eines anderen Betreiber zugreifen. International wird dies als MOCN-Sharing (Multi Operator Core Network) bezeichnet. Technische Elemente, die Signale erzeugen, verarbeiten, verstärken und steuern können werden gemeinsam verwendet.[5]

Ein Netz für Alle ist eine politische Forderung für die flächendeckende Umsetzung des Network-Sharing / Roaming innerhalb eines Landes. Das Ziel: Wo ein Mobilfunknetz zur Verfügung steht, hat ein Endgerätenutzer Zugang. Somit bräuchte nicht jeder Betreiber flächendeckend seine eigene physische Mobilfunkinfrastruktur aufbauen. Sehr viel der bereits gebauten Infrastruktur – vor allem im ländlichen Raum - wäre über Nacht überflüssig und könnte abgebaut, bzw. müsste nach dem Willen der Politik zur Flächendeckung, erst gar nicht errichtet werden und alle Bürger im Land hätten ein besseres Netz*. Auch die Deregulierungen der Landesbauordnung und die Entrechtung der Kommunen, wie sie z.Zt. erneut laufen, wären damit vollständig überflüssig.

* Beispielhaft hierfür ist der Zusammenschluss von Telefonica mit dem alten Mobilfunkbetreiber E-Plus. Zur Fusion der beiden Konzerne wurde damals mitgeteilt, dass damit ein Großteil der laufenden Basisstationen durch den Zusammenschluss nicht mehr gebraucht werden, weil diese die gleichen Flächen versorgen. E-Plus hatte zum Zeitpunkt der Fusion als drittgrößter Anbieter am Markt allein ca. 32.000 Basisstationen im Betrieb.

Für das dritte Quartal 2023 benennt das Statistische Bundesamt eine Zahl von 240.400 Basisstationen die in Deutschland von den drei Mobilfunkanbietern betrieben werden. Die Karten der Bundesnetzagentur zeigen, dass die drei großen Anbieter alle weitgehend das Gleiche in der Fläche versorgen und dies wiederum jeder mit mehreren Diensten macht. GSM-, LTE- und zunehmend 5G - Netze werden parallel betrieben.[6] Und in unabhängigen Untersuchungen zur Netzqualität wird festgehalten, dass die Unterschiede in der Netzqualität der drei Betreiber auch immer kleiner werden.[7] Das macht deutlich, welches Potenzial darin liegt, mit sehr viel weniger Sendeanalagen und nur noch leistungsfähigen Diensten wie LTE (Abschaltung von GSM) eine ausreichende, weitestgehend flächendeckende, strahlenminimierte Mobilfunkversorgung herzustellen.

Quellen

[1] 5G - Erst bauen – dann genehmigen. „…5G ist der wichtigste Baustein in der Digitalisierungsstrategie für das ganze Land ... Wir brauchen ein Netz, in dem jeder Spaß hat ohne Limitierungen...“ Telefonica Chef Markus Haas, Süddeutsche Zeitung, 18. Januar 2022

[2] Seit 2019 gibt es einen weiteren Anbieter der ´nur` drei Lizenzbänder ersteigert hat.

[3] https://www.bundesnetzagentur.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2024/20240123_MoFu.html?nn=659670

[4] https://www.umweltbundesamt.de/publikationen/energie-ressourceneffizienz-digitaler

diagnose:funk Artikelserie zu Digitalisierung & Energie- und Ressourcenverbrauch: https://www.diagnose-funk.org/1752

[5] Eine Übersicht über verschiedene (vorrangig in Europa) umgesetzte ‚Sharing‘-Varianten geben die in den Jahren 2014, 2016 und 2017 erstellten Studien von CMS, wobei die erste dieser Studien frei verfügbar ist. Dóra Petrányi, Chris Watson (CMS): „Network Sharing Study 2014”, September 2014: https://cms.law/en/DEU/Publication/CMS-Network-Sharing-Study-2014

[6] Vgl.: https://gigabitgrundbuch.bund.de/GIGA/DE/Breitbandatlas/Vollbild/start.html

[7] https://www.connect.de/vergleich/mobilfunknetztest-2024-bestes-handy-netz-connect-3204537.html

Artikel veröffentlicht:
25.01.2024
Autor:
diagnose:funk

Downloads

Ja, ich möchte etwas spenden!