Bildungskatastrophe (IV): Prof. Spitzer zur Bildungskatastrophe: Digitalisierung in Kindergarten und Grundschule schadet der Entwicklung, Gesundheit und Bildung von Kindern

Die deutsche Bundesbildungsministerin kündigt die weitere Digitalisierung von KiTas und Schulen an, obwohl nahezu alle wissenschaftlichen Untersuchungen nachweisen, dass dies kontraproduktiv für das Lernen ist und Kinder und Jugendliche mehrfach schädigt. Der Psychologe und Neurowissenschaftler Prof. Manfred Spitzer hat dazu zwei Analysen vorgelegt, die zur Pflichtlektüre für alle Erziehenden werden sollten.
Nervenheilkunde, Thieme

Digitalisierung in Kindergarten und Grundschule schadet der Entwicklung, Gesundheit und Bildung von Kindern

Kommentar zum Gutachten der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission der KMK vom 19.9.2022

Manfred Spitzer

Download: https://www.thieme-connect.com/products/ejournals/abstract/10.1055/a-1826-8225

„Die Situation ist ernst“, schreibt Manfred Spitzer angesichts des Gutachtens „Digitalisierung im Bildungssystem: Handlungsempfehlungen von der Kita bis zur Hochschule“ (>>> Zusammenfassung) (>>> Langfassung) der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission (SWK) der Kultusminister-Konferenz vom 19.09.2022. Die SWK empfiehlt die Digitalisierung aller Erziehungsbereiche. Spitzer schreibt:

  •  „Die Autoren lassen mithin jegliche Kenntnis – gar nicht zu reden von kritischer Bewertung – der Gefahren digitaler Informationstechnik für die Gesundheit von Kindern vermissen. Sie bezeichnen ihre Sicht digitaler Medien – explizit in Abgrenzung zu mir und der BZgA – vielmehr als „deutlich positiv konnotiert“.“

In dem 189-seitigen SWK-Papier fordern die Autoren gleich zu Beginn „Elementarinformatik“ für Kitas und Grundschulen. Dort sei die „frühe digitale Medienbildung […] unterentwickelt“, woraus die Autoren „Handlungsbedarfe“ ableiten. Spitzer fragt: „Was ist von der Idee zu halten? Sollen unsere Kinder tatsächlich bereits in der Kita am Computer Informatik lernen? 16 Länderkultusminister und 16 Professoren können sich doch nicht irren. – Oder doch?“.

In seinem 16-seitigen Artikel weist Spitzer anhand der Studienlage nach:

  •  „Die internationale, evidenzbasierte, medizinische Fachliteratur zu den Auswirkungen des Umgangs von Kindern mit digitalen Bildschirmmedien hat mittlerweile die folgenden Fakten etabliert: Die mit Bildschirmen im Kindesalter verbrachte Zeit, d. h. das Ausmaß der Bildschirmzeit in Stunden/Tag, steht in einem negativen Zusammenhang mit der Gehirnentwicklung sowie der Entwicklung der kognitiven und psychosozialen Fähigkeiten. Die Bildschirmzeit wirkt sich kausal – wie experimentelle Studien und Längsschnittstudien zeigen – negativ auf die körperliche und seelische Gesundheit aus.“

Spitzer warnt vor einer Fortsetzung der Digitalisierung im Erziehungsbereich und schreibt, bezugnehmend auf die Forderung des Bundesrechnungshofes, den Digitalpakt für Digitale Bildung sofort zu stoppen:

  • „Wenn Deutschland jetzt nicht 6,5 Milliarden für weniger Bildung, mehr Lebensunzufriedenheit, Angst und Depression (kurzfristig) sowie mehr Herz- und Hirninfarkte, Erblindung und Demenz ab der Mitte des Jahrhunderts ausgibt, dann bliebe uns viel Leid und sehr viel Geld erspart. Wie gut, dass manche noch rechnen können.“

>>> Weitere Kritiken an der Digitalstrategie der Kultusministerkonferenz s. Downloads

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Prof. Manfred Spitzer, Wikipedia

"Man könnte an der derzeitigen Situation verzweifeln: Alle Länderkultusminister glauben den Bericht von Experten, denen die Gesundheit und die Bildung unserer Kinder offensichtlich wenig bedeutet, und fordern ein „weiter so“ für die Digitalisierung von Kindergärten und Grundschulen. Gleichzeitig nimmt die Leistungsfähigkeit deutscher Schüler immer mehr ab, was kein anderer als Peter-André Alt – Präsident der deutschen Hochschulrektorenkonferenz (HRK), in der 268 staatliche und staatlich anerkannte Hochschulen vertreten sind – im Sommer 2019 mit drastischen Worten wie folgt beschreibt: „Es gibt gravierende Mängel, was die Studierfähigkeit zahlreicher Abiturienten angeht. Wir leben in der Fiktion, dass mit dem Abitur die Voraussetzungen für das Studium erfüllt sind, [denn] die Studienanfänger erfüllen die Voraussetzungen deutlich schlechter als früher“, was insbesondere für Mathematik gelte. Aber auch was das Lesen anbelangt, „hat es offenbar eine erhebliche Verschlechterung innerhalb der letzten fünf Jahre gegeben,“ mahnt der Literaturwissenschaftler an [3]."

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Titel: Droemer-Verlag

Zehn Jahre Digitale Demenz. Vom Shitstorm zum Mainstream

Manfred Spitzer

Download: https://www.thieme-connect.com/products/ejournals/abstract/10.1055/a-1826-8006

In diesem Artikel stellt Manfred Spitzer dar, wie dutzende Studien seit 2012 die Thesen seines Buches "Digitale Demenz" bestätigen: "Im Sommer 2012 erschien meine Monografie Digitale Demenz und löste einen Sturm der Entrüstung aus. Noch nie hatte ich einen solchen Shitstorm erlebt. Wie könne man so etwas behaupten? Es gäbe keinerlei Daten, die einen Zusammenhang zwischen der Nutzung digitaler Medien und Demenz beweisen würden – sagten nicht nur Journalisten und Medienleute, sondern auch Psychologen und Neurowissenschaftler, zu denen ich mich ebenso zähle wie zu den Psychiatern, die das Buch zumeist nicht wirklich ernst nahmen und meinten, ich hätte mit der Verwendung des Begriffs der Demenz unsachlich diskutiert. Trotz einer großen Leserschaft (Spiegel Bestseller und Übersetzungen, nach Angaben des Verlags, in 17 Sprachen) und eines gewissen Interesses der Medien (Talkshows) hatte das Buch keinerlei Auswirkung auf die Nutzung digitaler Medien, die in den letzten 10 Jahren noch deutlich zugenommen hat.

Man könnte das Ganze als „Lebenserfahrung“ (so nennt man seine eher unschönen Erfahrungen, wie schon John Lennon formulierte) beiseite tun, wenn der Inhalt mittlerweile an Bedeutung verloren hätte. Im Gegensatz zur öffentlichen Diskussion – kaum noch jemand spricht davon – ist digitale Demenz jedoch aus wissenschaftlicher Sicht dabei, Mainstream zu werden."

Im Rückblick auf das Erscheinen des Buches "Digitale Demenz" im Jahr 2012 schreibt Prof. Spitzer über die Studienlage seit 2012:

  • "Den Autoren der hier referierten empirischen Studien, die letztlich aus der Medizin kommen, bin ich sehr dankbar, weil sie infolge methodischer Strenge sehr gut zeigen können, dass das, was seinerzeit noch eher hypothetisch aus der Grundlagenforschung abgeleitet war, mittlerweile vielfache Bestätigung erfahren konnte. Ich will hier keinesfalls im Sinne des bekannten Zitats „Und sie bewegt sich doch“ missverstanden werden. Rechthaberei ist eines der größten Menetekel unserer Zeit und hat in der Wissenschaft einfach keinen Platz. Das allerdings gilt auch immer für beide Seiten, denjenigen, der auf mögliche negative Entwicklungen hinweist aber auch für denjenigen, der diesen widerspricht."
Artikel veröffentlicht:
25.11.2022
Autor:
diagnose:funk / Thieme-Verlag
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