ElektrosmogReport: Wissenschaftliche Rezension der Studie: Elektromagnetische Felder stören die Bestäubungsleistung der Honigbienen
von Alain Thill
Molina-Montenegro MA, Acuña-Rodríguez IS, Ballesteros GI, Baldelomar M, Torres-Díaz C, Broitman BR, Vázquez DP (2023): Electromagnetic fields disrupt the pollination service by honeybees. Science Advances. 2023 May 12;9(19):eadh1455. >>> Volltext der Studie
Die Bestäubung gehört zu den Ökosystemleistungen, die durch menschliche Aktivitäten bedroht sind. Der Zugang zu elektrischer Energie stieg von ca. 70 % der Weltbevölkerung Ende der 1990er Jahre auf heute ca. 90 %. Gleichzeitig sind wild lebende Organismen zunehmend elektromagnetischen Feldern (EMF) ausgesetzt. Bei Insekten können EMF die Entwicklung, das Überleben und die Navigation direkt beeinträchtigen. Honigbienen sind zunehmend künstlichen, niederfrequenten EMF (NF-EMF), z.B. von Hochspannungsleitungen, ausgesetzt.
Bisherige Studien haben sich nicht mit den Folgen der EMF-Exposition auf die Bestäubung und Fortpflanzung von Pflanzen befasst. Die vorliegende Studie verwendete eine Kombination aus Feld- und Laborexperimenten, um die Auswirkungen der von Hochspannungsmasten ausgehenden NF-EMF auf die Physiologie, das Verhalten und die Bestäubungsleistung der Honigbiene an Kalifornischem Mohn (Eschscholzia californica) zu erfassen. Bei den für diese Studie ausgewählten Türmen handelte es sich um Masten, die zur Aufhängung einer Hochspannungsfreileitung dienten, mit einem Energiespeicher im oberen Teil des Turms. Diese Geräte erzeugen ein EMF mit einem Spitzenwert von annähernd 10 μT, der zwischen 12 und 17 m vom Fuß des Turms zu verzeichnen ist und in 200 m Entfernung fast völlig verschwindet. Darüber hinaus wurden die Expressionslevels ausgewählter Kandidatengene, die an der antioxidativen Abwehr, der Futtersuche, dem räumlichen Lernen und der Magnetorezeption beteiligt sind, untersucht.
Studiendesign und Durchführung:
Die Studie wurde in Quinamavida, Chile, durchgeführt. E. californica ist eine mehrjährige, selbstinkompatible Pflanze, die hauptsächlich von Bienen der Gattungen Apis und Bombus bestäubt wird, wobei Honigbienen mit 88 % aller Besucher am häufigsten sind. Das Untersuchungsgebiet beherbergt Hochspannungsleitungen und -türme, die der Energieübertragung oder der Mobilfunkinfrastruktur dienen.
Zur Abschätzung der EMF-Intensität wurden Messungen (mit einem Tenmars TM191) von der Basis jedes Turms (n = 3) aus in alle Himmelsrichtungen durchgeführt. Um die Auswirkungen von EMF auf die Physiologie, den Stress und das Verhalten von Honigbienen sowohl unter Feld- als auch unter Laborbedingungen zu bewerten, wurden die unterschiedliche Synthese von Hitzeschockproteinen (Hsp70), und zwei Gruppen von Genen untersucht. Verhaltensgene: Futtersuche (For1), Hormonrezeptor 38 (HR38), Calcium/Calmodulin-abhängige Proteinkinase II (CaMKII), Cryptochrom (CRY2), EGR1, FTH1 und Vg; Stressreaktionsgene: HSP70, HSP40, Superoxiddismutase (SOD), Katalase (CAT), Glutathion-S-Transferase D1 (GstD1), TXNRD1 und GLOD4. Einzelne Bienen (n=72) wurden im Felde exponiert mithilfe kleiner Plastikkäfige, 36 in direkter Nähe der Hochspannungsmasten (~ 20 m), 36 weiter entfernt (~ 220 m Entfernung).
Diese Vorgehensweise wurde wiederholt an 3 aktiven Hochspannungsmasten sowie an 3 Kontrollmasten (außer Spannung). Die Exposition im Felde betrug jeweils 15 Minuten - die maximal beobachtete Zeitspanne, die Bienen beim Sammeln verbringen; anschließend wurden die Bienen in flüssigem Stickstoff konserviert und im Labor untersucht. Um mögliche Auswirkungen der Umweltbedingungen im Feld auszuschließen, wurden Honigbienen im Labor mit zwei speziell angefertigten Solenoiden (Zylinderspulen) exponiert, während 10 Sekunden (n=25) und 3 Minuten (n=25), entsprechend der minimalen und maximalen beobachteten Pollinationsdauer; zudem wurden 50 Bienen als Kontrollen verwendet.
Die Expression von HSP70 und die Menge des HSP70-Proteins wurden per ELISA bestimmt. Die relative Genexpression der Kandidatengene wurde durch Extraktion mittels TRIzol, Markierung mit einzelsträngigen cDNAs und anschließender Bestimmung mit qPCR durchgeführt. Die Auswirkung auf die Bestäubungsleistung wurde mit ausführlichen Beobachtungen im Felde ermittelt. Es wurden insgesamt 1080 Beobachtungszeiträume (von je 20 Minuten) für jede EMF-Bedingung (an-aus) durchgeführt. Während jedes Beobachtungszeitraums wurden alle Parzellen (3x3 Meter, 8 pro Tag) gleichzeitig von einem erfahrenen Team beobachtet. Die Beobachtungen wurden 2015 durchgeführt.
Ergebnisse:
Bei den für diese Studie ausgewählten Hochspannungstürmen handelt es sich um hohe Bauwerke (20 m Höhe), die eine Hochspannungsfreileitung tragen, mit einem Energiespeicher im oberen Teil des Turms. Im Felde, in der Nähe der Hochspannungsmasten, wurden durchschnittlich 7,3 μT gemessen. Die im Labor verwendete Zylinderspule erzielte ein Magnetfeld von 7,8 μT.
- Die Synthese des Stress-Biomarkerproteins Hitzeschockprotein 70 (Hsp70) war bei Honigbienen, die in der Nähe aktiver Hochspannungsmasten (10 bis 25 m) gehalten wurden, signifikant höher als bei Bienen in größerer Entfernung (210 bis 235 m). Die Expression von Hsp70 verdoppelte sich nach 5 Minuten bei den Bienen in der Nähe der aktiven Hochspannungsmasten.
- Für 12 der 14 bewerteten Gene wurde ein signifikanter Unterschied in der Expression zwischen nicht exponierten und exponierten Honigbienen festgestellt. Die meisten verhaltensbezogenen Gene schienen signifikant unterdrückt (sechs von sieben Genen), und die meisten Stressreaktionsgene waren durchweg überexprimiert (sechs von sieben Genen).
Bei den Honigbienen des Solenoid-Experiments war die durchschnittliche Hsp70-Konzentration um 52 % höher als bei den nicht exponierten Honigbienen und entsprach dem im Feld festgestellten Spitzenwert. Die Abundanz der Honigbienen änderte sich nicht signifikant mit der Entfernung zu den Masten.
- Allerdings war die Besuchshäufigkeit von Honigbienen an Blüten des Kalifornischen Mohns, die weit von der Basis aktiver Masten entfernt wachsen, um 16 % geringer als bei inaktiven Masten. Ebenso ging der Besuch von kalifornischem Mohn, der in der Nähe aktiver Türme wächst, stark zurück (~308 %).
Anschließend wurden die nachgelagerten ökologischen Auswirkungen durch Manipulation und Quantifizierung der Samenproduktion im Feld untersucht. Die negative Auswirkung der Nähe zu den Türmen auf die Pflanzenreproduktion war nur bei der natürlichen Bestäubung offensichtlich, jedoch nicht bei manueller Bestäubung per Pinsel.
In Bezug auf die Population von E. californica und die mit ihr verbundene Pflanzengemeinschaft wurde festgestellt, dass EMF die drei bewerteten räumlichen Muster signifikant beeinflussten: die Verteilung des Artenreichtums, die Gesamtabundanz und die relative Abundanz von E. californica, waren eng mit der Aktivität der Sendemasten verbunden.
Schlussfolgerungen:
Die Autoren konnten zeigen, dass das Vorhandensein von EMF unter Feldbedingungen die Bestäubungsleistung der Honigbienen erheblich beeinträchtigt, was auf einen mutmaßlichen molekularen Mechanismus zurückzuführen ist, der mit verhaltensbedingtem und physiologischem Stress zusammenhängt. Die Auswirkungen auf der Ebene der Organismen schlugen sich in einer geringeren Anzahl von Blütenbesuchen nieder, die die Samenproduktion verringerten, was wiederum zu einer geringeren Vielfalt und einem geringeren Pflanzenreichtum führte. Die negativen Auswirkungen, von Genen bis hin zu Pflanzengemeinschaften, hingen vor allem mit der Entfernung zur Quelle zusammen.
- Die Experimente zeigten, dass die Exposition von Honigbienen gegenüber EMF ihre Fähigkeiten zur Futtersuche beeinträchtigt, wahrscheinlich durch die Beeinflussung der magnetischen Navigation, des Lernens, der Kognition, des Flugverhaltens und der Futtersuche, wodurch die Bestäubungsleistung beeinträchtigt wird.
Bei den Blüten, die von Hand bestäubt wurden, wurden keine signifikanten Unterschiede in der Samenproduktion zwischen den Behandlungen festgestellt. Diese Ergebnisse deuten also darauf hin, dass eine Beeinträchtigung der Bestäubungsleistung die plausibelste Erklärung für den beobachteten Rückgang der Samenproduktion ist. Nichtsdestotrotz wären weitere Forschungsarbeiten unter Verwendung eines transkriptomischen/proteomischen und biochemischen Ansatzes erforderlich, um das Ausmaß der Auswirkungen von EMF auf Bestäuberinsekten aufzudecken. Dieses Wissen würde dazu beitragen, eine breitere Perspektive auf die noch unvorhersehbaren Folgen menschlicher Aktivitäten auf Tiere und Pflanzen zu erhalten. (AT)