diagnose:funk: Das wird vom Bundesamt für Strahlenschutz und der Mobilfunkindustrie vehement in Abrede gestellt.
Ulrich Warnke: Solange ich das BfS in seinen Statements beobachte – und das sind viele Jahrzehnte –, wird „auf Zeit gespielt“. Immer wieder heißt es dort, die bisherige Forschung ist nicht ausreichend beweiskräftig. Aber Wissenschaft sollte nicht nur gründlich, sondern auch redlich sein. Dazu gehören auch die Erfahrungen von Fachleuten. Es gibt ja auch das Recht auf Vorsorge, wo nicht alles bis ins Detail bewiesen sein muss. So wird es ja auch im Medizinbereich gemacht.
Wir haben in den 70er-Jahren in Laborversuchen das Verhalten der Bienen in künstlich aufgebauten elektrischen Feldern untersucht und gefilmt. Schon bei 50-Hertz-Wechselfeldern mit Feldstärken von 110 Volt pro Meter werden die Bienen in ihrer Behausung sehr unruhig. Bei weit höheren Feldstärken erhöht sich die Temperatur im jeweiligen Volk stark. Ihr Verteidigungsverhalten, das die Natur bei ihnen gegen Fremde entwickelt hat, beginnt sich gegen die eigenen Individuen zu kehren. Sie erkennen sich nicht mehr und stechen sich gegenseitig ab, auch die Königin kann davon betroffen sein. Nach einigen Tagen reißen sie ihre Brut aus den Zellen. Neue Brut wird nicht mehr angelegt. Honig und Pollen werden verbraucht und nicht mehr eingetragen. Dann verkleben sie das Einflugloch mit Propolis, um den vermeintlichen „Feind“ auszuschließen. Schließlich „verbrausen“ sie wegen Überhitzung. Am Ende steht letztlich der Tod des ganzen Stockes. Das sind die extremsten abnormen Verhaltensweisen, die sich unter dem Einfluss des elektrischen Feldes zeigen. Es gibt eine ganze Reihe von Störungsindikatoren, die weit schwächer ausfallen.
In anderen wissenschaftlichen Arbeitsgruppen und von Praktikern wurden aber auch die Wirkungen der elektromagnetischen Strahlung von DECT-Funktelefonen und von Basisstationen getestet. Dabei stellte man deutliche Unterschiede in der Gewichtsentwicklung, aber auch beim Heimfindevermögen und bei anderen typischen Verhaltensmerkmalen von dauerbestrahlten im Gegensatz zu nichtbestrahlten Bienenvölkern fest.
diagnose:funk: Uns wird immer entgegengehalten, wenn die Theorie von Warnke stimmen würde, dürfte es in Großstädten bei der Antennendichte gar keine Bienen geben, doch gerade die Imkerei in Großstädten hat erfolgreich zugenommen.
Ulrich Warnke: Ja – das Argument wird auch vom BfS verbreitet: „In Großstädten, die besonders gut mit Mobilfunk versorgt sind, breiten sich Bienen zunehmend aus und gedeihen besser als in landwirtschaftlich intensiv genutzten Gebieten.“ Das ist insofern irritierend, da das Bundesamt hinsichtlich Schädigungen von Bienen durch Mobilfunk alle bisherigen Erfahrungen als ‚nicht ausreichend wissenschaftlich erbracht‘ ablehnt. Wenn es aber um Abwiegelung von Schädigungen geht, verwendet es selbst gerade derartige Erfahrungen, obwohl es bisher keine wissenschaftliche Untersuchung dazu gibt.
Dennoch ist die geschilderte Erfahrung von Stadtbienen real vorhanden und sie ist mit ausreichendem Wissen über Bienenverhalten auch erklärbar: Bienen sind nämlich bestens dressierbar, d. h. sie lernen exzellent. Das ist seit 1914 durch den Verhaltensforscher Karl von Frisch bekannt. Durch das hervorragende Lernvermögen können bestimmte Störfaktoren der Umgebung, solange sie in einer permanenten und nicht übermächtigen Größe einwirken, quasi „herausgerechnet“ werden. Auch bei anderen Organismen verliert sich die Perzeption geringer Reize bei Dauereinwirkung durch Gewöhnung, aber bei vielen Insekten ist Gewöhnung und Lernen nicht so ausgeprägt wie bei Bienen oder Hummeln. Wie gut das Lernen gelingt, hängt bei Bienen hauptsächlich vom Lernerfolg ab. Der Erfolg dieses Lernens ist bei Bienen aber laut wissenschaftlichen Experimenten von der Größe der Belohnung abhängig: je mehr Belohnung, desto besser das Gedächtnis. Die Belohnung der Biene besteht in der Tracht, also im Vorhandensein von blühenden Blüten mit viel Nektar. Gerade in Städten fällt die Belohnung besonders üppig aus: keine Monokultur, ungenutzte blühende Wiesen, hohe Artenvielfalt in Parks, Vorgärten, Schrebergärten, Hinterhöfen und Balkonen. Damit zusammenhängend gibt es Blüten in allen Monaten des Sommers. Und dadurch, dass Städte etwas wärmer (2-3°C) sind, ist die Blühfähigkeit der Arten im Jahreswechsel auch noch verlängert. Unter diesen Umständen legt die Königin auch noch besonders viele befruchtete Eier, was zu reichhaltiger Arbeiterin-Brut führt. Die gute Ausbeute an Nektar und Pollen steigert nachweislich die Effektivität des Immunsystems der Bienen, was einen Schutz gegen die erwähnten Krankheiten bietet.
Der Wissenschaftler Jürgen Trautz weiß: Bienen auf dem Land verhungern manchmal sogar im Sommer. Das Stadtmilieu kommt also der Trachteinbringung und Gesundheit und damit der Lernleistung zugute: Sommerbienen haben nur eine Lebenserwartung von maximal 6 Wochen (die Winterbiene 6 Monate), wovon etwa 2 Wochen für den Innendienst und 2-4 Wochen für das Sammeln von Nektar und Pollen absolviert werden. In dieser kurzen Zeit ist das Lernen der unnatürlichen physikalischen Umweltparameter innerhalb der Stadt in Relation zu den natürlichen Orientierungen also besonders effektiv.
Das ändert sich allerdings, wenn a) Bienen allgemein oder speziell gestresst sind und wenn b) die reizenden Umweltparameter nicht gleichbleibend einwirken, sondern sich in relativ kurzen Intervallen mit relativ hohen Amplituden ändern. Wanderimker sind besonders davon betroffen, wie man bei den amerikanischen Imkern, die ihr Geld mit Bestäubungsprämien verdienen, sieht. Aber genauso schwierig wird es für eine gestresste Biene, wenn der physikalische Störreiz wie die magnetische Komponente und elektromagnetische Amplituden andauernd ihre Charakteristik ändern. Ein effektives Lernen ist damit unmöglich.
Handystrahlung am Bienenstock im An-Aus-Modus verhindert Honigproduktion, Polleneintrag und Brut. Außerdem entsteht eine Orientierungslosigkeit bei Arbeiterbienen. So ist inzwischen auch bekannt: plötzlich auftretende energetische Sonnenwinde beeinflussen das Erdmagnetfeld so stark, dass das Rückkehrverhalten der Biene zur Behausung, also ihre Orientierung beim Heimflug stark gestört ist. Die Sammelbienen gehen stärker verloren als an magnetisch ruhigen Tagen.
diagnose:funk: Eines der Argumente für die Harmlosigkeit technischer Strahlen verweist darauf, dass es auch in der Natur elektromagnetische Felder gibt.
Ulrich Warnke: Stimmt. Pflanze, Tier und Mensch sind ja in diese Felder hinein evolutioniert worden. Dabei vergisst man aber vor allem zweierlei: Erstens übersteigt die Leistungsflussdichte des Kommunikationsfunks – also von Mobilfunk, Radio, TV, Radar und Satellitenkommunikation – diejenige der natürlichen Strahlung bei weitem. Sie können es selbst nachrechnen: Die Leistungsflussdichte der natürlichen Strahlung an der Erdoberfläche in dem hier interessierenden Frequenzbereich liegt etwa bei einem Tausendstel Mikrowatt pro Quadratmeter. Der heute typische technisch aufgebaute Strahlungspegel in den Städten hingegen beträgt etwa 10.000 Mikrowatt pro Quadratmeter. Wir bewegen uns also auf einer Ebene der Strahlungsintensität, die gegenüber der natürlichen um das Zehnmillionen- bis Milliardenfache höher liegt. Hier setzt mein zweiter Einwand an: Man vernachlässigt die Dauer solcher Einwirkungen, also die energetische Dosis (Amplitude x Zeitdauer). In der Evolution waren die Lebewesen zeitweise ebenfalls sehr starken elektrischen Feldern ausgesetzt, statischen wie niederfrequenten. Aber eben immer nur zeitweise. Man spricht deshalb bei rhythmischer Wiederholung auch von Zeitgebern. Mit den höheren Feldstärken und Leistungsflussdichten waren immer auch besondere Ereignisse verknüpft, die alarmierend wirkten (z. B. Gewitter). Und mit dem Erd-, dem Ionosphären- und dem kosmischen Feld bewegten wir uns schon immer auch in magnetischen Feldern. Doch noch nie gab es auf Dauer vergleichbar vielfältige Überlagerungen verschiedener Felder hohen Leistungsniveaus und vielfältiger Frequenzen aus unterschiedlichen Quellen wie im Fall der technisch erzeugten Felder.
diagnose:funk: Dies erklärt aber noch immer nicht den Mechanismus, durch den die Existenz der künstlichen Felder biologischen Wesen schaden kann. Wie muss man sich diese Wirkung vorstellen?
Ulrich Warnke: Sie beruht gerade darauf, dass sich das Leben gleichsam „umhüllt" mit natürlichen elektromagnetischen Feldern entwickelt hat. Eine Million bis eine Milliarde Jahre hatten die Lebewesen in ihrer stammesgeschichtlichen Entwicklung Zeit, sich den magnetischen und elektromagnetischen Bedingungen auf der Erde anzupassen. Aber mehr noch. Die Organismen „lernten" es, die verschiedenen Felder als Vermittler bzw. Träger einer Vielfalt von Informationen zu nutzen. Die Lebewesen haben eine Fülle von Sensoren, ja Organen dafür entwickelt. Wenn man so will, wurde ihr Lebensprozess zu einem ständigen „Navigieren in diesem Meer“ von Schwingungen und eben mit Hilfe dieses „Meeres“. Dabei ist Navigation hier nicht nur räumlich, sondern auch zeitlich und kommunikativ zu verstehen, letzteres sowohl zwischen als auch innerhalb der Individuen. Alles, was technisch jetzt erzeugt wird, gehört nicht in die Jahrmillionen-Anpassung und ist erst einmal unbekannt und als Stressoren einzustufen.
diagnose:funk: Können Sie das anschaulicher erläutern?
Ulrich Warnke: Zum Beispiel verfügen Lebewesen aller Organisationsstufen über einen magnetischen Sinn. Mit Hilfe magnetischer Felder (Änderungen >26 nT gegenüber Erdfeld von 30 000 nT) u. a. orientieren sich Bienen im Raum und in der Zeit. Sie finden damit ihre „Tracht“ und navigieren zurück zu ihrem Stock. Inzwischen weiß man, dass nachfolgende Tierarten sich ebenfalls mit Hilfe des Magnetfeldes orientieren:
- Protozoen, Algen, Bakterien,
- Weichtiere (Meeresschnecken), Würmer (z. B. Regenwürmer), Krebse und Langusten,
- Insekten (z. B. Strandfloh Asseln, Ameisen, australische Kompasstermiten, Bienen, Schmetterlinge, Mehlkäfer),
- Vögel (z. B. Zugvögel, Tauben),
- Fische (z. B. Haie, Rochen, Aal, Lachs, Forelle) und Robben, Reptilien (z. B. Schildkröten) Molch, Salamander,
- Säugetiere (z. B. Wale, Kühe, Fledermäuse, Graumulle und Blindmäuse).
Auch die passive Ortung elektrischer Felder und elektrischer Ströme ist weit verbreitet, wie bei Rochen, Haien, elektrischen Fischen, Vögeln, Bienen, Schnabeltieren und Salamander.
Alle technisch erzeugten unnatürlichen elektrischen, magnetischen und elektromagnetischen Felder sind mehr oder weniger subtile Störfaktoren für sämtliche Ökosysteme, die – verursacht durch zusätzliches Einwirken weiterer Noxen – nach und nach zusammenbrechen. Auch die Menschheit ist davon betroffen.
Diagnose- Funk e.V.: Lieber Herr Warnke, danke für das Interview und v.a. für Ihre Pionierarbeit zu elektromagnetischen Feldern und Bienen.