Auswirkungen von „Elektrosmog“ und künstlicher Beleuchtung
Bei zahlreichen Tierarten gelang der Nachweis ihres Magnetsinns, weil ihre Orientierung im Erdmagnetfeld durch ein künstliches Magnetfeld gestört wurde. Daher ist die Frage naheliegend, ob menschengemachte elektromagnetische Felder – „Elektrosmog“ – Vögel auf ihrem Zug zwischen Winter- und Sommerquartieren irritieren können.
Durch absichtliches Hinzufügen von Radiofrequenz-elektromagnetischen Feldern (RF-EMF) im Inneren von geerdeten Hütten konnte experimentell gezeigt werden, dass Vögel auf Frequenzen zwischen etwa 100 Kilohertz und 5 Megahertz mit Fehlfunktion ihres Magnetkompasses reagieren [2,8,10]. Bei diesem Bereich sind die Übeltäter wahrscheinlich entweder AM-Radiosignale oder Felder, die von elektronischen Geräten erzeugt werden. Laut Sherrard und Ikeya können jedoch auch sehr niederfrequente elektromagnetische Felder (EMF), wie z.B. von Hochspannungsleitungen, Cryptochrom aktivieren [14,15]. Warnkes Analyse zufolge ist darüber hinaus anzunehmen, dass auch gepulste hochfrequente elektromagnetische Felder, wie Mobilfunk und z.B. digitales Fernsehen, durchaus in der Lage sein sollten, Cryptochrom zu aktivieren und damit den Magnetkompass zu „verstellen“ [9]. Zitat: „Es ist auch festzuhalten, dass saubere Sinuswellen als Trägerfrequenzen beim Mobil- und Kommunikationsfunk nicht vorhanden sind […]. Die Access- und Kontrollsignale liegen generell im kHz-Bereich. Informationsdaten werden über Amplitudenfrequenzen außer bei GSM in allen neueren Kommunikationsstrahlungen angewendet und liegen auch im niedrigen MHz-Bereich.“
Bianco legt nahe, dass Vögel möglicherweise gelernt haben, wann sie ihre aufgrund von magnetischen Sonnenstürmen gestörten Magnetkompasse ignorieren sollten [7]. Solche Stürme stören gelegentlich das Magnetfeld der Erde und erzeugen Strahlung mit Frequenzen von 20 kHz bis in den MHz-Bereich – ein Bereich, der den Frequenzen, die nachweislich den Magnetkompass von Vögeln stören, auffallend ähnlich ist. Der Magnetit-basierte Kompass ist störanfällig für starke Magnetpulse – diese können die Positionierung 10 Tage lang ausschalten, danach funktioniert der Kompass wieder normal [10]. Schwache Magnetfelder oder EMFs scheinen die Positionierung nicht oder nur geringfügig zu stören.
Nächtliche Lichtverschmutzung scheint doppelt problematisch: zum einen kann es die Wahrnehmung des Sternenhimmels stören, so dass der Sternenkompass ausfällt, des Weiteren kann zumindest Rotlicht auch noch den Magnetkompass in den Augen stören. Zitat Gauthreaux [4]: „Wenn rotes Licht den magnetischen Kompass stört, den Vögel während des Zuges benutzen, dann könnte dies ein zusätzlicher Faktor sein, der zum abweichenden Flugverhalten von Zugvögeln in der Nähe von Türmen mit roten Warnlichtarrays beiträgt. Das Fehlen von Kompassinformationen könnte der Grund dafür sein, dass Vögel eine gerade Flugbahn ändern, indem sie schweben, langsamer werden, die Richtung ändern oder kreisen. Wir wissen nicht, wie schnell sich rotes Licht auf den Kompass auswirkt oder ob die Vögel tatsächlich den magnetischen Kompass benutzen, sobald eine Richtung zu Beginn des Zugfluges gewählt wurde.“
Schlussfolgerungen
Die zunehmende Lichtverschmutzung der Städte lockt ziehende Vögel an, die dann oftmals mit Gebäuden kollidieren. Nächtliches Kunstlicht scheint den richtungsweisenden Magnetkompass stören zu können. Inwiefern Elektrosmog zusätzlich auch noch die Navigation von Zugvögeln über Städten stört, ist noch nicht in Feldexperimenten untersucht worden. Es scheint jedoch der Fall zu sein, dass brütende Vögel Mobilfunkmasten und Radar meiden [11,12].
Es ist nicht klar und verlangt dringend nach weiterer Forschung, ob Wildvögel durch Elektrosmog betroffen sind. Die Populationen von nächtlich ziehenden Singvögeln gehen zurück, aber dafür könnte es viele Ursachen geben, einschließlich der Jagd und des nächtlichen Kunstlichts. Die Störung des magnetischen Kompasses eines Vogels ist noch kein Grund zur Sorge; er könnte sich immer noch an der Sonne und den Sternen orientieren. Aber wenn der Himmel bewölkt ist, oder der Sternenhimmel durch Kunstlicht überleuchtet und diese anderen Anhaltspunkte somit verloren gehen, könnte ein fehlerhafter Magnetkompass zu einem größeren Hindernis werden.
Literatur:
1) Åkesson, S., & Bianco, G. (2017). Route simulations, compass mechanisms and long-distance migration flights in birds. Journal of Comparative Physiology A, 203(6-7), 475-490.
2) Mouritsen, H. (2018). Long-distance navigation and magnetoreception in migratory animals. Nature, 558(7708), 50-59.
3) Georgiou, Christos D (2010). „Oxidative stress-induced biological damage by low-level EMFs: mechanism of free radical pair electron spin-polarization and biochemical amplification“. In: Non-thermal effects and mechanisms of interaction between electromagnetic fields and living matter. Bologna (IT): Ramazzini institute, S. 63–113.
4) Gauthreaux Jr, S. A., Belser, C. G., Rich, C., & Longcore, T. (2006). Effects of artificial night lighting on migrating birds. Ecological consequences of artificial night lighting, 67-93.
5) Qin, S., Yin, H., Yang, C., Dou, Y., Liu, Z., Zhang, P., ... & Xie, C. (2016). A magnetic protein biocompass. Nature materials, 15(2), 217-226.
6) Xiao, D. W., Hu, W. H., Cai, Y., & Zhao, N. (2020). Magnetic Noise Enabled Biocompass. Physical review letters, 124(12), 128101.
7) Bianco, G., Ilieva, M., & Åkesson, S. (2019). Magnetic storms disrupt nocturnal migratory activity in songbirds. Biology letters, 15(3), 20180918.
8) Kobylkov, D., Wynn, J., Winklhofer, M., Chetverikova, R., Xu, J., Hiscock, H., ... & Mouritsen, H. (2019). Electromagnetic 0.1–100 kHz noise does not disrupt orientation in a night-migrating songbird implying a spin coherence lifetime of less than 10 µs. Journal of the Royal Society Interface, 16(161), 20190716. 9)
Warnke, Ulrich (2009). „Ein initialer Mechanismus zu Schädigungseffekten durch Magnetfelder bei gleichzeitig einwirkender Hochfrequenz des Mobil-und Kommunikationsfunks“. In: Umwelt, Medizin, Gesellschaft 22.3, S. 219–238.
10) Wiltschko, R., & Wiltschko, W. (2019). Magnetoreception in birds. Journal of the Royal Society Interface, 16(158), 20190295.
11) Everaert, J., & Bauwens, D. (2007). A possible effect of electromagnetic radiation from mobile phone basestations on the number of breeding house sparrows (Passer domesticus). Electromagnetic biology and medicine, 26(1), 63-72.
12) Reijt L,Mazgajski T, Kubacki R, Kieliszek J, Sobiczewska E, Szmigielski S (2007). Influence of radar radiation on breeding biology of tits (Parus sp). Electromagn Biol Med; 26:235–8.
13) Hsu, C.-Y.; Ko, F.-Y.; Li, C.-W.; Fann, K. & Lue, J.-T (2007). Magnetoreception System in Honeybees (Apis mellifera). PLoS ONE, 2, 395.
14) Sherrard, R. M., et al. (2018). Low-intensity electromagnetic fields induce human cryptochrome to modulate intracellular reactive oxygen species. PLoS biology, 16(10), e2006229.
15) Ikeya, N., & Woodward, J. R. (2021). Cellular autofluorescence is magnetic field sensitive. Proceedings of the National Academy of Sciences, 118(3).
16) Shaw, J. Et al. (2015). Magnetic particle-mediated magnetoreception. Journal of The Royal Society Interface, 12(110), 20150499.
Erstveröffentlichung des Artikels im >>> ElektrosmogReport 2021-1