48% gegen Mobilfunkmasten - Unternehmerverband Bitkom alarmiert

Bitkom fordert Bundesregierung auf, Bürgerinitiativen zu widerlegen und zu bändigen.
Berlin 20. April 2020. In einer Presseerklärung fordert der Unternehmerverband Bitkom von der Bundesregierung eine Aufklärungskampagne, um die Bevölkerung von der Unbedenklichkeit der Mobilfunkstrahlung und des 5G-Ausbaus zu überzeugen. Der anhaltende Widerstand soll gebrochen werden.
Ärzte demonstrieren in Stuttgart gegen 5GFoto: Julian Rettig - diagnose:funk

Denn der Widerstand ist groß, zu groß, so beklagt Bitkom. Denn das ergaben die Ergebnisse einer repräsentativen Studie, die Bitkom in Auftrag gegeben hatte:

  • "Jeweils fast jeder Zweite fürchtet Funkmasten als Quelle elektromagnetischer Strahlung und will sofort eine Bürgerinitiative gründen, wenn in der Nähe seines Wohnsitzes eine solche Anlage errichtet würde."
  • "Während sich die eine Hälfte (48 Prozent) für die Errichtung von Funkmasten ausspricht, sind ebenso viele (48 Prozent) dagegen. Viele machen sich Sorgen um die Gesundheit. Knapp jeder Zweite (45 Prozent) fürchtet elektromagnetische Felder von Funkmasten."
  • "Das Thema treibt die Mehrheit um: 46 Prozent erklären, sich mit elektromagnetischer Strahlung bereits beschäftigt zu haben, weitere 22 Prozent nach eigenem Bekunden sogar intensiv."

Das behindert ein Milliardengeschäft. Um diese scheinbar irrationalen Ängste abzubauen, fordert der Bitkom-Präsident Achim Berg, dass Industrie und Bundesregierung eine gemeinsame Aufklärungskampage starten: 

  • „Die Menschen müssen in die Lage versetzt werden, sich ein eigenes Bild über die Wirkungen von Mobilfunk zu machen." (Bitkom Präsident A. Berg)

Zustimmung von diagnose:funk! Ja, die Menschen sollen sich ein eigenes Bild machen. Die deutsche Industrie hat bei solchen Vorhaben allerdings eine Tradition. Ob beim Diesel, Glyphosat, Risiken der Atomkraft oder Pestiziden, die Aufklärung ihrer PR-Abteilungen diente immer der Verschleierung der Risiken und versuchte, unabhänge Forschung zu verhindern.

Tausende Studien - wo sind sie?

Bereits in der Presseerklärung verrät der Bitkom-Präsident, dass für die Durchsetzung der Geschäftsmodelle Internet der Dinge und autonomes Fahren eine Desinformationskampagne in dieser Tradition gestartet werden soll:

Bitkom-Präsident Berg verbreitet Fake-News

So startet Herr Berg gleich mit einer ersten Fake News. Es gibt weder tausende Studien zum Mobilfunk, und schon gar nicht tausende, die die Gefahrlosigkeit nachweisen. Gegenwärtig dokumentiert das EMF-Portal (Referenzdatenbank der Bundesregierung und WHO) ca.1.600 Arbeiten zu den Frequenzen des Mobilfunks. Davon zeigen nach unserer 15-jährigen Auswertung ca. 900 zellverändernde Wirkungen durch Mobilfunkstrahlung. Die Auswertung dieser Datenbank durch diagnose:funk ist auf www.EMFdata.org dokumentiert. Dort sind gegenwärtig mehr als 500 Studien eingestellt.

Senderstudien bis 2012Quelle: Quelle: Dr. Gerd Oberfeld

(Grafik mit Klick vergrößern!)

 

Die Studienlage

Zu den direkten Auswirkungen von Mobilfunksendeanlagen sind auf der Datenbank EMFData 32 Studien eingestellt, die negative gesundheitliche Wirkungen zeigen. Der Leser kann sich >>> hier selbst vergewissern. Beispielhaft ist ein Ergebnis der Studie von Alazawi (2011):

  • „Die meisten gesundheitliche Beschwerden wie z.B. Übelkeit, Kopfschmerzen, Schwindel, Reizbarkeit, Unbehagen, Nervosität, depressive Anzeichen, Schlafstörung, Gedächtnisstörung und verminderte Libido wurden statistisch signifikant häufiger von Personen berichtet, die in einem Abstand bis zu 300 m zu einer Basisstation gewohnt hatten, im Vergleich zu Personen, die in einer Entfernung von mehr als 300 m zu einer Basisstation gelebt hatten. Die Autoren schlugen vor, dass Mobilfunk-Basisstationen in einer Entfernung von nicht weniger als 300 m zu Wohnungen aufgestellt werden sollten, um die Exposition der Bewohner zu minimieren.“ (EMF-Portal)

Was zeigt die vorliegende Studienlage, gut belegt durch viele neue Reviews? [1]

Sowohl zu krebsauslösenden als auch krebspromovierenden Wirkungen hat sich gerade in den letzten fünf Jahren die Studienlage enorm weiterentwickelt und weitgehend geklärt, vor allem durch die Ergebnisse der US-amerikanischen NTP-Studie, der italienischen Ramazzini-Studie und der Studien der österreichischen Unfallversicherung AUVA, den beiden ATHEM-Reports. Alle vier Studien weisen nach, dass Mobilfunk­strahlung DNA-Strangbrüche und Krebs auslösen kann. Das wird zusätzlich erhärtet durch die Ergebnisse der epidemiologischen Studien u.a. der schwedischen Gruppe um Prof. Lennart Hardell. [2] Und wir haben eine umfangreiche Studienlage, die z.B. Spermien- und Embryoschädigungen, [3]  EEG-Veränderungen und Schlafstörungen nachweist. 

Und auch zu LTE (4G) und 5G können wir Aussagen machen. LTE wurde eingeführt, ohne dass diese Frequenz auf ihre Risiken getestet wurde, ebenso wie jetzt 5G. Die ersten Studien, die jetzt dazu vorliegen, zeigen das Risikopotential, sowohl von 4G (sie Besprechungen erster LTE-Studien im ElektrosmogReport) als auch der geplanten 5G-Frequenzen (Artikel Forschungsstand 5G).

Bitkom fordert die Bundesregierung vehement dazu auf, eine "breite Kommunikationskampagne" zu starten, "um die Menschen in allen Regionen zu erreichen und um unseriösen Quellen mit faktenbasierten Informationen entgegenzutreten." Wir sind gespannt, mit welchen neuen Argumenten nun versucht werden soll, die bestehende Studienlage zu verfälschen.

Verschwörungstheorien aus der EU!?

Doch die 48 % der Verbraucher:innen, die besorgt sind, die sich vielleicht mit der Studienlage beschäftigt haben und industriellen Entwarnungen nicht mehr glauben, so Berg, sind zu einem eigenen Urteil nicht fähig: „Nicht nur in Deutschland gehen zu viele Verbraucher den Verschwörungstheoretikern auf den Leim.“

Nun, es ist uns neu, dass Verschwörungstheorien eine solide, faktenbasierte wissenschaftliche Basis haben. Uns ist auch neu, dass EU-Grundsatzabteilungen eine Keimzelle von Verschwörungstheorien sind. Zwei Expertisen für die EU (Blackman 2019 und Karaboytcheva 2020) warnen vor den Risiken der 5G-Einführung. [4]

So heißt es in einem Briefing für EU-Parlamentarier vom Februar 2020:

  • „Folglich kann 5G zwar leistungs­mäßig schwach sein, aber seine konstante künstliche Impuls­strahlung kann sich auswirken. Zusammen mit der Art und Dauer der Exposition scheinen Eigenschaften des 5G-Signals wie das Pulsieren die biologischen und gesundheitlichen Auswir­kungen der Exposition zu verstärken, einschließlich der DNA-Schäden, die als Ursache für Krebs angesehen werden. DNA-Schäden werden auch mit dem Rückgang der Fortpflanzungs­fähigkeit und neurodegenerativen Krankheiten in Verbindung gebracht ... Die jüngste wissenschaftliche Literatur zeigt, dass kontinuierliche drahtlose Strahlung biologische Auswirkungen zu haben scheint, insbesondere wenn man die besonderen Eigenschaften von 5G berücksichtigt: die Kombination von Millimeterwellen, eine höhere Frequenz, die Anzahl der Sender und die Anzahl der Verbindungen. Verschiedene Studien deuten darauf hin, dass 5G die Gesundheit von Menschen, Pflanzen, Tieren, Insekten und Mikroben beeinträchtigen würde – und da 5G eine noch nicht getestete Technologie ist, wäre ein vorsichtiger Ansatz angebracht.“

Dem ist nichts hinzuzufügen. Also Herr Berg:

  • „Die Menschen müssen in die Lage versetzt werden, sich ein eigenes Bild über die Wirkungen von Mobilfunk zu machen."

Wir sind dabei!

Übrigens:Zu den Alternativen für eine strahlungsminimierte Mobilfunkversorgung hat diagnose:funk ein ganzes Paket an Vorschlägen. In unseren Ratgebern und Brennpunkten kann man diese nachlesen (s.u.).

__________________________________________________________________________

Quellenangaben

[1] Reviews:

Belpommes D et al. (2018): Thermal and non-thermal health effects of low intensity non-ionizing radiation: An international perspective; Environmental Pollution 242 (2018) 643e658

Bortkiewicz A et al: (2016): Mobile Phone use and risk for intracranial tumors and salivary gland tumors - a meta-analysis, International Journal of Occupational Medicine and Environmental Health 2017;30(1):27 – 43

Carlberg M, Hardell L (2017): Evaluation of Mobile Phone and Cordless Phone Use and Glioma Risk Using the Bradford Hill Viewpoints from 1965 on Association or Causation, Review Article BioMed Research International, Volume 2017, Article ID 9218486

Kocaman A et al. (2018): Genotoxic and carcinogenic effects of nonionizing electromagnetic fields, Environmental Research 163 (2018) 71–79

Miller AB, Sears M, Hardell L, Oremus M and Soskolne CL(2019): Risks to health and well-being from radio-frequency radiation emitted by cell phones and other wireless devices. Front. Public Health 7:223. doi:10.3389/fpubh.2019.00223

Prasad M et al. (2017): Mobile phone use and risk of brain tumours: a systematic review of association between study quality, source of funding,and research outcomes. Neurol Sci 2017, 38 (5): 797-810

Saliev T (2018): Biological effects of non-ionizing electromagnetic fields: Two sides of a coin, In: Progress in Biophysics and Molecular Biology, (2018) 1-12

[2] Studien zum Krebspotential:

NTP (2018a): NTP Technical Report on the toxicology an carcinogenesis in Hsd: Sprague Dawley SD Rats exposed to whole-body radio frequency radiation at a Frequency (900 MHz) an modulations (GSM an CDMA) used by cellphones, https://ntp.niehs.nih.gov/ntp/about_ntp/trpanel/2018/march/tr595peerdraft.pdf

NTP (2018b): NTP Technical Report on the toxicology an carcinogenesis in B6C3F1/N MICE exposed to whole-body radio frequency radiation at a Frequency (1,900 MHz) and modulations (GSM AND CDMA) used by cellphones, https://ntp.niehs.nih.gov/ntp/about_ntp/trpanel/2018/march/tr596peerdraft.pdf

Falcioni et al.(2018): Report of final results regarding brain and heart tumors in Sprague-Dawley rats exposed from prenatal life until natural death to mobile phone radiofrequency field representative of a 1.8 GHz GSM base station environmental emission. Environmental Research, https://doi.org/10.1016/j.envres.2018.01.037

ATHEM-2 (2016): Untersuchung athermischer Wirkungen elektromagnetischer Felder im Mobilfunkbereich, AUVA Report-Nr.70; Hrsg. Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, Osterreich

[3] Reviews zur Fertilität:

Jessica A. Adams, Tamara S. Galloway, Debapriya Mondal, Sandro C. Esteves, Fiona Mathews (2014): Effect of mobile telephones on sperm quality: A systematic review and meta-analysis. Environment International 70 (2014) 106–11

 Agarwal A, Singh A, Hamada A, Kesari K; Cell Phones and Male Infertility (2011): A Review of Recent Innovations in Technology and Consequences. Review, Int Braz J Urol 2011; 37 (4): 432 - 454

Behari J, Rajamani P (2012): Electromagnetic Field Exposure Effects (ELF-EMF and RFR)  on Fertility and Reproduction , BioInitiative Report Section 18

Bellieni CV, MD, Pinto I (2012): Fetal and Neonatal Effects of EMF , BioInitiative Report Section 19

British Columbia Centre for Disease Control (BCCDC), Environmental Health Services; Vancouver, Canada, National Collaborating Centre for Environmental Health (NCCEH), Vancouver, Canada (2013): Radiofrequency Toolkit for Environmental Health Practitioners

Dama MS, Bhat MN (2013): Mobile phones affect multiple sperm quality traits: a meta-analysis, [v1; ref status: indexed, http://f1000r.es/ny]; F1000Research 2013, 2:40 (doi: 10.12688/f1000research.2-40.v1)

Desai NR, Kesari KK, Agarwal A (2009): Review - Pathophysiology of cell phone radiation: oxidative stress and carcinogenesis with focus on male reproductive system. Reproductive Biologie and Endocrinology 2009, 7: 114; Deutsche Übersetzung: Pathophysiologie der Mobilfunkstrahlung: Oxidativer Stress und Karzinogenese mit dem Studienschwerpunkt auf dem männlichen Fortpflanzungssystem.  Erschienen in: umwelt-medizin-gesellschaft 3/2010

Schmitz-Feuerhake I (2011): Strahlenfolgen Fertilitätsstörungen beim Mann durch ionisierende Strahlung und Mikrowellen,  Strahlentelex Nr. 594-595 / 2011

Voigt H (2011): Unfruchtbarkeit beim Mann als mögliche Folge der Nutzung von Mobiltelefonen,  EMF-Monitor, 5/2011, S.5-7

Gye MC, Park CJ (2012): Effect of electromagnetic field exposure on the reproductive system  Clin Exp Reprod Med 2012;39(1):1-9

Mämpel W, Pflugbeil S, Schmitz R, Schmitz-Feuerhake I (2012): Unterschätzte Gesundheitsgefahren durch Radioaktivität am Beispiel der Radarsoldaten; Berichte des Otto-Hug Strahleninstitutes, 2015, Nr. 25; Gesellschaft für Strahlenschutz e.V. , Deutschland

La Vignera S, Condorelli RA, Vicari E, D'Agata R, Calogero AE (2012): Effects of the Exposure to Mobile Minireview Phones on Male Reproduction: A Review of the Literature, Journal of Andrology, Vol. 33, No. 3, May/June 2012

[4] EPRS | European Parliamentary Research Service. Autor: Miroslava Karaboytcheva Members' Research Service PE 646.172, February 2020: "Briefing. Effects of 5G wireless communication on human health"

Blackman C, Forge S. 5G Deployment (2019): State of Play in Europe, USA, and Asia. Study for the Committee on Industry, Research and Energy, Policy Department for Economic, Scientific and Quality of Life Policies, European Parliament, Luxembourg, 2019.

 

 

Publikation zum Thema

November 2022Format: A5Seitenanzahl: 90 Veröffentlicht am: 01.11.2022 Bestellnr.: 102Sprache: DeutschHerausgeber: diagnose:funk | Titelfoto: contrastwerkstatt - stock.adobe.com

Mobilfunk, 5G-Risiken, Alternativen

Einführung in die Auseinandersetzungen um eine strahlende Technologie
Autor:
Jörn Gutbier & Peter Hensinger
Inhalt:
Viele Menschen setzen sich durch den Protest gegen 5G zum ersten Mal mit den Risiken der Mobilfunkstrahlung auseinander. Jetzt gibt es mit diesem Ratgeber eine Broschüre, die alles Wissenswerte darstellt. Für jeden, der aktiv ist eine Pflichtlektüre. Ist diese Technologie gesundheitsschädlich? Sollten wir Vorsorge betreiben? Wie könnte diese aussehen? Gibt es Alternativen? Der vorliegende Ratgeber will diese Fragen beantworten und bietet mit vielen Quellenangaben die Grundlage, sich selbständig weiter zu informieren. Leseprobe zum Download.
Format: A4Seitenanzahl: 8 Veröffentlicht am: 18.03.2015 Bestellnr.: 229Sprache: Deutsch

Weniger Strahlung - mehr Daten

Intelligente Mobilfunkversorgung in St. Gallen
Autor:
diagnose:funk
Inhalt:
Ist es möglich, die Strahlenbelastung wesentlich zu begrenzen, Wohnungen zu schützen und in Zukunft in Innenstädten und Wohngebieten auf Mobilfunksendemasten zu verzichten? Und besser mobil zu kommunizieren als vorher? Der Praxisbeweis dafür ist da. Politiker, BUND- und Diagnose-Funk Vorstände waren auf Einladung der Stadtverwaltung in St. Gallen. Lesen Sie den Bericht über das Projekt "St. Gallen - Wireless" im neuen Brennpunkt.
Ja, ich möchte etwas spenden!