2. Was aber können wir heute noch tun, nachdem der Mobilfunk unverzichtbar geworden ist, aber Bund und Land noch immer untätig bleiben?
Die Antwort lautet: Wir müssen uns selbst helfen durch Vorsorgemaßnahmen!
2.1 Aber der einzelne Nachbar und auch sonstige Betroffene haben keine rechtlichen Möglichkeiten, sich gegen die Gesundheitsgefahren durch einen Sender zu wehren. Denn bloße Vorsorge gilt als nicht einklagbar. Und allein mit einer Abschirmung kommt man gegen einen Sender auf dem Nachbardach auf Dauer nicht an.
Anders wäre es übrigens, wenn eine Straßenlaterne in Ihre Wohnung leuchtet: Dagegen können die Bewohner – sogar mit Aussicht auf Erfolg – klagen. Das zeigt die Fragwürdigkeit der heutigen Rechtsprechung zum Mobilfunk.
Muss man da also nicht sagen, beim Mobilfunk gilt letztlich bereits: Rette sich wer kann?
2.2 Meine Damen und Herren, diesem Notstand müssen die Gemeinden abhelfen.Die Gemeinden sind die einzigen, die Vorsorge bieten können und ein Klagerecht auf Durchsetzung ihrer Vorsorgemaßnahmen gegenüber Staat und Mobilfunkbetreibern haben. Nochmals: Die Gemeinden dürfen gegen Funkstrahlung vorsorgen und insoweit auch vor Gericht klagen!
2.3 Die Gemeinde kann ganz konkret dem Betreiber, der mitten im Ort einen Sender errichten will, einen Alternativstandort vorschlagen. Das ist hier in Forchheim anscheinend nicht geschehen. Das erlaubt aber § 7a der 26. Bundesimmissionsschutzverordnung (BImSchVO).
Und im Falle der Machbarkeit und (annähernden!) Gleichwertigkeit mit seiner Planung muss der Mobilfunkbetreiber diesen Alternativstandort akzeptieren – sofern auch noch die Frist zur Geltendmachung von der Gemeinde eingehalten wurde (In der Regel: 2 Monate).
2.4 Also mit anderen Worten: Man kann den Mobilfunkbetreiber in vielen Fällen zwingen, den Masten an einen anderen von der Gemeinde ausgesuchten Standort zu verlegen. Das dürfte besonders einfach in einer Gemeinde gehen, die zum ersten oder zweiten Mal – wie hier in Forchheim - eine Sendeanlage erhält. Denn dort ist die Anpassung an benachbarte Sendeanlagen sicherlich nicht schwierig, wenn überhaupt notwendig oder nach § 7a zu beachten.
2.5 All das gilt auch für genehmigungsfreie Sendeanlagen (bis 10 m) und rechtfertigt es, falls Genehmigungen erforderlich sind, das gemeindliche Einvernehmen zurückzuhalten (§ 36 I, 2 BauGB: anderweitiges Verfahren von städtebaulicher Bedeutung).
Wir kommen also zum Zwischenergebnis: Der vielfach gehörte Ausspruch von Bürgermeistern oder Gemeinderäten, man „könne nichts machen“, wenn sich Grundstückseigentümer und Betreiber einig seien, stimmt so nicht.
3. Was ist schließlich zu tun, wenn sich kein geeigneter Alternativstandort findet oder wenn damit das Mobilfunkproblem der Gemeinde nicht endgültig gelöst wäre, z.B. weil schon der nächste Betreiber mit weiteren Sendern wartet?
In diesem Falle muss die Gemeinde ihr Planungsrecht einsetzen und ein eigenes Mobilfunkkonzept entwickeln, das lokal bestimmte Mastenstandorte und Versorgungsflächen vorschreibt. Das hat das Bundesverwaltungsgericht 2012 als zulässig anerkannt,[9] denn die Gemeinden sind autonom und ‚allzuständig‘, wie gesagt wird. Unsere Verfassung garantiert das (Art. 28 II GG).
3.1. Die Gemeinden dürfen deshalb für ihre Einwohner durch eigene Vorsorge-Maßnahmen mehr Schutz vor dem Mobilfunk bieten als nur das Schutz-Minimum der Grenzwerte, die unstreitig keine Vorsorge beinhalten.[10]
3.2 Die Gemeinde darf nach der Rechtsprechung zur Strahlenverminderung bestimmte Wohngebiete gänzlich von Mobilfunkmasten frei halten. Und sie darf sogar mobilfunkfreie Zonen ausweisen. Letzteres ist auch vom Anwalt der Regierungsseite in einem Aufsatz (mit deutlicher Verstimmung) eingeräumt worden.[11]
(Dieses Recht wird durch § 1 Abs. 6 Nr. 7e BauGB gestützt, in dem davon die Rede ist, dass die Gemeinden bei ihrer Bauleitplanung die gänzliche Vermeidung von Emissionen im Blick zu halten hätten).[12]
3.3 Sie darf auch mobilfunkreduzierte Wohngebiete ausweisen. Denn um wirklich vorsorglich zu schützen, müsste die Mobilfunkversorgung darauf beschränkt bleiben, nur mobil außerhalb der Wohnungen im Freien genutzt zu werden - so wie es ursprünglich gedacht war. Was bedeutet das?
Alle Betreiber senden von ihren Masten nicht nur in die freie Landschaft, sondern gezielt und absichtlich durch die Hauswände hindurch in alle Wohnungen hinein, damit dort – trotz Schnurlostelefon- und WLAN-Mobilität - auch noch mit dem Handy direkt „mobil“ telefoniert werden kann.
3.4 Diese Überversorgung[13] führt dazu, dass alle Bewohner nicht nur beim Verlassen ihrer Wohnung außerhalb, sondern Tag und Nacht auch zu Hause innerhalb in ihren Wohn- und Schlafzimmern und selbst in ihrem Bett bestrahlt werden. Und zwar mit mehreren Netzen, die sie gar nicht alle nutzen.
3.5 Allein das führt zu jener unstreitig ‚ungeklärten’ Dauer- und Langzeitbelastung, die die Gesundheit beeinträchtigen könnte und die zur Vorsorge unbedingt vermieden werden müsste. Stattdessen werden – was niemand weiß oder beachtet - die Sendeleistungen in aller Regel bis zum 200-fachen, bei 5G voraussichtlich sogar 1000-fachen, aufgedreht, damit alle Hauswände durchdrungen werden.
4. Es gibt noch einen weiteren Grund, ein kommunales Mobilfunkkonzept aufzustellen, weil Bundesamt und Betreiber untätig bleiben. Das bisherige Versorgungskonzept der Mobilfunkbetreiber ist klimaschädlich. Warum?
4.1 Das liegt vor Allem an der soeben genannten Indoor-Versorgung. Es könnte bis zu 90% Sende-Energie gespart werden, wenn der Funk nicht mehr mit aufgedrehter Leistung durch die Wände aller Häuser – auch mehrfach hintereinander, durch Beton, metallene Fronten und isolierte Fensterscheiben hindurch! - ins Innere der Gebäude „hineingezwungen“ werden soll. Und bei Schlechtwetter (Starkregen und Schneefall) muss noch mehr aufgedreht werden, ohne dass - vor Allem bei 5G[14] - eine Garantie besteht, dass dann alle Häuser weiterhin im Inneren sicher versorgt sind.[15] 90% - das entspricht mehr als der Hälfte des Gesamtstromverbrauchs der Mobilfunkbetreiber - der zu 65% auf die Sender entfällt.[16]
4.2 Und alle Handys brauchen ebenfalls mehr Strom und Akkuladung, wenn sie die Wände nach draußen überwinden müssen. Das Versorgungskonzept eines Hausanschlusses durch die Hauswand an den Funk von Draußen, also diese sog. Indoor-Versorgung, ist damit ungeeignet und überholt. Das sagt ausdrücklich das Umweltbundesamt.[17] Diese Art der Versorgung in Konkurrenz zum Festnetz war auch nie so geplant und nie durch eine ausdrückliche parlamentarische Entscheidung gebilligt gewesen.
4.3 Die Indoor-Versorgung ist zudem heute auch schon praktisch überholt, d.h. zur ‚mobilen‘ Versorgung gar nicht mehr notwendig. Denn die Anbindung ans mobile Netz im Hausinnern erfolgt zumeist über Kabel und WLAN. Wer sie unbedingt direkt zum Masten wünscht, kann sie sich auch durch einen sog. Repeater ins Haus holen.
5. Wir halten also fest: Die eigentliche Vorsorge bei den Sendeanlagen und Versorgungskonzepten fehlt! Bund und Land bleiben untätig. Deshalb dürfen Gemeinden Vorsorge verlangen und eigene Konzepte entwickeln.
5.1 Wenn den Gemeinden auf der einen Seite solche Rechte zur Seite stehen, die einen besseren Schutz von Klima und Gesundheit ermöglichen können, besteht auf der anderen Seite auch eine gewisse Verpflichtung, aus Gründen der Daseinsvorsorge mindestens zu prüfen, ob von diesen Rechten für die Einwohnerschaft Gebrauch gemacht werden soll.
5.2 Ich bin daher der Auffassung, dass jede Gemeinde und insoweit auch jeder Gemeinderat verpflichtet ist, zu entscheiden, ob sie beim Mobilfunk etwas für das Klima tun wollen und ob sie vorsorglich ihre Bürgerinnen und Bürger durch ein Mobilfunk-Konzept - auch mit einem Bebauungsplan - besser schützen wollen als es die Grenzwerte vorgeben.
5.3 Die Alternative wäre, alle Einwohnerinnen und Einwohner weiterhin – entschuldigen Sie bitte die Formulierung! -„ohne Vorsorge im Elektrosmog sitzen zu lassen“. Ja, so drastisch muss man dies einmal sagen und zur Entscheidung stellen.
6. Zu guter Letzt zeigt sich heute auch ein Ansatz für einvernehmliche Regelungen, wie sie der Mobilfunkpakt ja anstreben wollte, nämlich für einen Mix mit einem Netz aus Glasfaser und Funk, der endlich ohne Indoor-Versorgung vereinbart werden könnte.
6.1. Ziel muss eine Anbindung aller Bewohner an das Internet über Glasfaser-Kabel – wie es die Telekom ja bis 2030 vorsieht - mit einer Selbstversorgung innerhalb des Hauses sein, wie bei Strom, Gas und Wasser.
6.2 Die Mobilfunkbetreiber stehen also – sofern sie nicht von sich aus ein neues Konzept wie vorgeschlagen umsetzen wollen - vor der Wahl:
a) Zusammenarbeit mit den Gemeinden unter Berücksichtigung eines gemeindlichen Konzepts und der viel beschworenen Selbstverpflichtung[18] für eine verträgliche Mobilfunkversorgung oder
b) die Einordnung in ein von der Gemeinde allein und einseitig durch Bebauungsplan verbindlich zur Vorsorge aufgestelltes Mobilfunkkonzept.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Bernd Irmfrid Budzinski
Richter am VG a.D.
Quellen
[1] Lloyds, Münchner Rück, zuletzt SwissRe: https://www.baulinks.de/webplugin/2014/1095.php4
[2] A. Balmori (2022): „Evidence for a health risk by RF on humans living around mobile phone base stations: From radiofrequency sickness to cancer“; https://www.sciencedirect.com/journal/environmental-research/ articles-in-press). Dafür können offenbar schon 30 bis 500 μW/qm genügen (so der Bioinitiative Report v. 7.1.2013; https:// bioinitiative.org/ conclusions/). Das sind ca. 0,1 bis 0,8 V/m, während „im Alltag“ bis um 10 V/m auftreten können (Grenzwerte in Deutschland 40 bis 60 V/m!). Das bestätigt auch die sog. Senderbaurichtlinie (https://www.diagnose-funk.org/aktuelles/artikel-archiv/detail&newsid =585).
[3] Tillmann 2010 und wiederholt 2015: Mäuse-Studie mit Krebspromotion auch schon beim halben Grenzwert (0,04 W/kg SAR): Lerchl A et al.: Tumor promotion by exposure to radiofrequency electromagnetic fields below exposure limits for humans. Biochem Biophys Res Commun 2015; 459 (4): 5 und eine Kontroll-Studie 2017 zeigte auch „klare DNA-Schäden“; https://doris.bfs.de/jspui/bitstream/urn:nbn:de:0221-2018011014465/3/BfS_2018_3615S82431.pdf
[4] Pearce et al (2019)"… to minimize negative health effects of cellular phone towers"; https://ehtrust.org/cindy-russell-md-to-the-city-of-pittsfield-council-members-on-cell-tower-radiation-health-impacts/
[5] Alain Privat (ursprünglich Institut INSERIM) 2011 im Film des frz Fernsehens „Ondes Mauvaises“ Min. 2/50 und 60; https://www.electrosensible.org/b2/index.php/videos-tv/france-3-hors-serie-mauvaises-ondes-de-s
[6] Pressemitteilung v. 21.8.2006; https://www.zeit-verlagsgruppe.de/pressemitteilung/aktuelle-umfrage-von-zeit-wissen-jeder-zweite-deutsche-furchtet-gesundheitsrisiken-durch-handystrahlung/ und ZEIT-Artikel: „Heiße Gespräche“; https://www.zeit.de/zeit-wissen/2006/05/Handy-Strahlung.xml/seite-2
[7] In der Schweiz sollten deshalb sogar die Grenzwerte erhöht werden, was das Parlament aber 2 Mal ablehnte!
[8] So die Präsidentin des BfS, Paulini, in der taz v. 26.11.2019 (https://taz.de/!5640565/): „Ja, tatsächlich sind wir bei Tumoren nicht auf der sicheren Seite, - auch wissen wir noch nicht, wie sich die Art, wie wir Strahlung ausgesetzt sind, durch 5G ändern wird.“
[9] BVerwG, Urt. vom 30.08.2012 – BVerwG 4 C 1.11 - ; Siehe dazu auch den diagnose:funk Ratgeber Kommunale Handlungsfelder unter: https://shop.diagnose-funk.org/Ratgeber-Heft-5-Kommunale-Handlungsfelder-48S-A5 „Ihre Auswirkungen sind dabei stets beachtlich, weil keineswegs schon ein einhelliger Konsens besteht, wonach es sich „lediglich um irrelevante Immissionsbefürchtungen“ handele.“
[10] „Bei der Ableitung der geltenden Grenzwerte, die die Grundlage der Standortbescheinigung bilden, hat das Vorsorgeprinzip keine Berücksichtigung gefunden.“ (S.18); Antwort der BReg v. 4.2.2002 auf die Anfrage der CDU/CSU-Fraktion; BT-Drucks.14/7958 und OVG Saarlouis: "bewußt nicht enthaltene Vorsorgekomponente"; https://dejure.org/dienste/vernetzung/rechtsprechung?Gericht=OVG%20Saarland&Datum= 17.10.2006&Aktenzeichen=2%20W%2019%2F06.
[11] RA Koch (Regelmäßiger Anwalt der BNetzA), „Die kommunale Angst vor dem Mobilfunk“, NVwZ 2013, 251/255: „vollständiger Ausschluss aus Gesundheitsgründen möglich“. Ebenso RA’in Hensel: „mobilfunkfreie Zonen zulässig“; IDUR-Schnellbrief Nr.181, S.67 ff., Nov./Dez. 2013.
[12] Der Gedanke der Vorsorge impliziert auch, 'möglichst' überhaupt keinem elektro-magnetischen Feld ausgesetzt zu werden (vgl. u.a. BVerwG, Gerichtsbescheid vom 21.09.2010 - 7 A 7.10 – : Bei der vorzunehmenden Abwägung zwischen dem Nutzen einer Exposition und deren Zumutbarkeit ist auch das „Interesse an jeglicher Verschonung vor elektro-magnetischen Feldern, auch wenn diese die Grenzwerte unterschreiten“, zu berücksichtigen.
[13] Zweifel darüber auch in Fachzeitschriften; vgl. etwa https://www.golem.de/news/netzwerke-warum-5g-nicht-das-bessere-wi-fi-ist-1912-145178.html?utm_source=pocket-newtab
[14] Huawei selbst räumt ein, dass 68% mehr Strom benötigt würde; https://carrier.huawei.com/~/media/CNBG/Downloads/ Spotlight/5g/5G-Power-White-Paper-en.pdf – Das halten Fachleute nicht für ausreichend! https://winfuture.de/news,110321.html
[15] Siehe die bemerkenswerten Testergebnisse in teltarif https://www.teltarif.de/5g-fixed-wireless-access-internet-zuhause-telefonica-o2/news/75579.html?page=2 : "Wird die Fensterscheibe gekippt, steigt der Signal-Pegel nochmals an" und ein Baum steht im Weg, aber 'nicht im Winter ohne Laub'!
[16] https://winfuture.de/news,110321.html und https://www.mobilegeeks.de/news/netz-trifft-nachhaltigkeit-was-5g-mit- erneuerbarer-energie-zu-tun-hat/
[17] Energie- und Ressourceneffizienz digitaler Infrastrukturen, Ergebnisse des Forschungsprojektes „Green Cloud-Computing“; https://www.umweltbundesamt.de/publikationen/energie-ressourceneffizienz-digitaler
[18] Bayerische Hinweise zu Mobilfunkanlagen v. 23.06.2020, Ziff. 6: „unbefristete Fortführung des bestehenden Pakts“ (von 2002).