Österreichische Akademie der Wissenschaften zu Satelliten im All
„Digitalisierung, Vulnerabilität und (kritische) gesellschaftliche Infrastrukturen. Entwicklungsstand, Trends und zentrale Herausforderungen“
In einer bemerkenswerten Analyse beschreibt die ÖAW einen Digitalisierungshype, der Risiken ausklammert. In einem unkritischen Fortschrittshype winken staatliche Stellen Digitalisierungsprojekte ohne Technikfolgenabschätzung durch:
"Die Analyse zeigt teils erhebliche Ambivalenzen in der Digitalisierung gesellschaftlicher
Infrastrukturen, die in praktisch allen Infrastrukturbereichen in unterschiedlicher Form sichtbar werden. Weil in vielen Bereichen die digitale Wertschöpfung sehr stark im Fokus ist, erhöhen sich einige Probleme und Risiken teils drastisch – etwa im Haushalts- und Konsumbereich. Zentrale Problemfelder in allen Bereichen sind: mangelhafte Sicherheit, steigende ökonomische und technologische Abhängigkeiten, wachsende Informations- und Machtasymmetrien – und Beeinträchtigung der Grundrechte." (Zusammenfassung)
Satelliten-gesteuerte zivile Infrastrukturen
"Eng mit dieser Problematik verbunden ist das Entstehen neuer, relativ verborgener Abhängigkeiten durch erhöhten Vernetzungsgrad. Ein Beispiel für eine eher neue technologische Abhängigkeit, die weiter zunehmen wird, ist die stärkere Nutzung von Satellitensystemen in der Infrastruktur.
Bereits heute nutzen viele Anwendungen Satellitensysteme zur Navigation, Kommunikation, Erdbeobachtung sowie zur Synchronisation von Computernetzwerken. Das ist für den Bahn und Flugverkehr ebenso relevant wie für die präzise Steuerung des Stromnetzes (Umspannwerke werden etwa per Satellit synchronisiert); ebenso für die Abwicklung von Finanztransaktionen im Börsenhandel, die Koordinierung von Einsatzkräften im Katastrophenschutz oder im militärischen Bereich (Strauß/Krieger- Lamina 2017; BSI 2022a). Mit der weiteren Zunahme digital automatisierter Systeme werden auch Satellitensysteme als integrierte Steuerungskomponente wichtiger. Das betrifft beispielsweise die Transportlogistik sowie die Automatisierung von Fahrzeugsteuerungen in Pkws, Lkws, aber auch in automatisierten Transportschiffen (TB 2017; EUSPA 2022). Ein Problem ist wie so oft die Abhängigkeit von Technologiebetreibern.
Cyberattacken über Satelliten gefährden zivile Infrastrukturen
Welche Auswirkungen die Störung eines Satellitensystems auf Infrastrukturen haben kann, zeigt etwa der Angriff auf das US-Unternehmen Viasat kurz nach Beginn des Ukraine-Krieges im Februar 2022: Dessen Satellitennetz KA-SAT wurde gezielt gestört, wodurch der Betrieb mehrerer Tausend Windkraftanlagen in Deutschland beeinträchtigt wurde (Krempl 2022c; BSI 2022a). Der Angriff erfolgte nicht auf das Satellitensystem selbst, sondern auf das daran gekoppelte IT-Netz: Durch Schadsoftware („Wiper-Malware“) wurden die nötigen Breitbandmodems unbrauchbar gemacht. Es wird vermutet, dass der Angriff vor allem dem ukrainischen Militär galt – und dass die Auswirkungen in Deutschland also Kollateralschäden waren (Krempl 2022c; Spiegel 2022). Dieser Vorfall und die generelle Zunahme an Cyberangriffen hat die Sorge vor weiteren Ausfällen in der Industrie erhöht (Murphy/Fasse 2022). Zudem warnen Geheimdienste vor der wachsenden geopolitischen Problematik durch die Abhängigkeit von Satellitensystemen autokratischer Staaten wie China, dessen System Beidou als Konkurrenz zu GPS neben der Navigation unter anderem für das IoT, sowie in der Logistik oder für Steuerungssysteme von Zügen an Bedeutung gewinnen könnte (Wang/Qiu 2020; Spinsante/Stallo 2020; Corera 2022).
Satelliten als Kriegswaffe
Aber auch unabhängig von Angriffen und geopolitischen Spannungen kann die Abhängigkeit von Satellitenbetreibern problematisch sein, insbesondere, wenn diese über eine starke Machtstellung verfügen. Im Ukrainekrieg spielt etwa Elon Musks Unternehmen SpaceX mit seinem Satellitennetzwerk Starlink eine militärische Rolle, die aber von Seiten des Unternehmens spontan eingeschränkt werden kann (wie im Februar 2023 im Kontext eines eigenen „Friedensplans“ praktiziert).
Kontrolle des Internets der Dinge (IoT)
Dass ein nichtstaatlicher Akteur einen solchen Einfluss auf einen militärischen Konflikt ausüben kann, stellt eine neue Dimension dar. SpaceX ist mit derzeit über 2.400 Satelliten der weltweit größte Satellitenbetreiber und hat Anträge für weitere 30.000 Satelliten gestellt. Starlink betreibt vordergründig Satelliteninternet,
das aber künftig gerade für den Ausbau des IoT eine gewichtige Rolle spielen dürfte. Auch andere Technologiekonzerne wie zum Beispiel Amazons Tochterfirma Kuiper Systems planen verstärkt in private Satellitensysteme zu investieren. Hier zeichnet sich längerfristig bereits eine zunehmende Kommerzialisierung des Weltraums ab.
Europa mischt mit
In Europa wurde 2022 der Aufbau einer eigenen Satellitenkonstellation Iris² (Infrastructure for Resilience, Interconnection and Security by Satellites) beschlossen, um die starke Abhängigkeit zu Satellitensystemen von Drittstaaten zu verringern. Hierbei geht es sowohl um staatliche als auch wirtschaftliche Interessen. Iris² soll auch kommerziell nutzbar sein. Der Fahrplan zur Umsetzung des Systems bis 2027 gilt unter Experten als sehr ambitioniert (Lehner 2022; Sawall 2022).
Neben technologischen steigen auch ökonomische Abhängigkeiten in Infrastrukturbereichen. Die Plattformökonomie spielt hierbei eine mächtige Rolle, da sie sehr stark von Netzwerkeffekten profitiert und mit ihrer Marktmacht entsprechende Geschäftsmodelle durchsetzen kann. Diesbezüglich wird auch häufig der Begriff „digitales Ökosystem“ bemüht, hinter dem sich aber keine ökologischen, sondern ökonomische Ziele zur Erweiterung der Wertschöpfung verbergen. Im Kern ist Plattformökonomie eine neuartige Form des Outsourcings, die zu einer starken Zentralisierung von dienstleistungsrelevanten Daten führt. Plattformbetreiber bieten sich als Dienstleistungsvermittler zwischen Unternehmen und Endkunden an (vgl. Kenney et al. 2016; Srnicek 2017; Kirchner 2021). Plattformen werden dabei selbst zu einem zentralen Knotenpunkt einer digitalen Infrastruktur. So laufen verschiedene, anwendungsspezifische Daten- und Informationsströme über digitale Plattformen zusammen, die auch weiteren Geschäftsmodellen dienen können. Durch diese Form von Zentralisierung erlangen Plattformbetreiber eine sehr machtvolle Position mit starkem Einfluss auf die Funktionsfähigkeit von Infrastruktursystemen." (S.42 ff) (Zwischenüberschriften diagnose:funk)
Quelle: https://epub.oeaw.ac.at/ita/ita-projektberichte/ITA-pb-2023-01.pdf
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