Botanische Verwirrung in der österreichischen Mobilfunkzentrale

Das Forum Mobilkommunikation über die Studienlage zu Krebs
FMK Kronzeugin Aloe VeraAloe Vera, Bild Wikipedia

Die PR-Zentrale der österreichischen Mobilfunkindustrie, das FMK (Forum Mobilkommunikation) lässt im Bestreben, die Mobilfunkstrahlung gesund zu beten, kein Fettnäpfchen aus. Für den Beweis, dass Mobilfunkstrahlung nichts mit Krebs zu tun habe, hat sie als stumme Kronzeugin die Pflanze Aloe Vera gefunden. 

Der Anlass: Im Onlineportal www.heute.at äußerte sich am 10.04.2023 der Umweltmediziner Prof. Hans-Peter Hutter zu den Risiken von 5G und wies darauf hin, dass die WHO die Mobilfunkstrahlung als möglicherweise krebserregend in der Kategorie "2B" einstuft.[1] Das FMK reagierte am nächsten Tag. Hutter liege falsch, und als "Beweis" zauberte das FMK einen alten Textbaustein aus dem Hut: In „2B“ sei auch Aloe Vera. So harmlos wie diese Pflanze sei also auch die Strahlung. Ein ganz schöner Schmäh, der da aus der Wiener Mobilfunkzentrale kommt.

Amnesie oder Kalkül?

Im Jahr 2011 hat die IARC der WHO mit nur einer Gegenstimme nicht-ionisierende Strahlung als möglicherweise krebserregend (possibly carcinogenic) in "2B" eingestuft, >> hier zum Originaldokument.[2] FMK Chef Wagner nimmt sich wohl Donald Trump zum Vorbild: Einfach mal das faktenfreie Gegenteil behaupten. Die FMK schreibt:

  •  „Umweltmediziner Hans-Peter Hutter zitiert WHO in Bezug auf 5G Mobilfunk falsch", denn "5G ist „so gefährlich“ wie Aloe Vera ... Hutter meint weiters, die Studienlage sei nicht eindeutig – zumindest steht das so in dem Artikel, die Krebsforschungsagentur der WHO habe „Mobilfunkstrahlung als potenziell krebserregend eingestuft“. Das ist falsch ...“.

Dass diese Eingruppierung 2011 tatsächlich erfolgte, scheint die FMK zu verdrängen, sie schreibt dann weiter:

  • „Ganz abgesehen davon, dass die Studienlage eindeutig ist, wurden Funkfelder in die schwächste Klassifizierungsstufe „2B“ kategorisiert. Zur Einordnung: Damit erklärt die WHO aufgrund der umfangreichen Studienlage, dass Funkfelder sowohl hoher als auch niedriger Frequenz ganz allgemein (und damit auch Mobilfunk), so „krebserregend“ sind, wie beispielsweise Aloe Vera oder Ginkgo Biloba – diese beiden Agens finden sich ebenfalls in der schwächsten Kategorisierung „2B“.“[3]

Der Bluff der FMK: Nicht Aloe Vera wurde von der WHO  in „2B“ eingruppiert, sondern der Ganzblattextrakt. Die WHO schreibt im Monograf Aloe Vera Mono 108-1:

  • "Bei Versuchstieren gibt es genügend Belege für die Karzinogenität von Ganzblattextrakt aus Aloe Vera."[4] Ratten wurden zwei Jahre damit getränkt. Die WHO beruft sich dabei auf mehrere Studien, u.a. von Boudreau et al. 2012.[5]

 

Die Wunderwaffen der Mobilfunkindustrie gegen Krebs: Aloe Vera, Kaffee, Gurken und eingelegtes Gemüse

Nach der WHO-Eingruppierung im Jahr 2011 ließ die Mobilfunkindustrie ein Verharmlosungs-Wording von deutschen Risikoforschern ausarbeiten: Mobilfunkstrahlung sei so schädlich wie Kaffee, eingelegtes Gemüse (Mixed Pickles), Gurken und Aloe Vera, denn diese Produkte seien ja auch in „2B“ eingestuft. diagnose:funk hat diesen Bluff damals gleich aufgedeckt: nicht Kaffee, sondern Kaffeesäure, nicht Gemüse und Gurken, sondern Fermentierungsprozesse dieser Produkte wurden in die Krebskategorie aufgenommen. Solche Verwirrungsstrategien zur Entsorgung des Krebsrisikos sind bis heute Bestandteil der Kommunikation der Mobilfunkindustrie, das haben wir ausführlich in einem aktuellen Brennpunkt (s.u.) und in einer Artikelserie dokumentiert. 

Dem FMK-Chef Gregor Wagner möchte man für sein Aloe Vera-Argument zurufen: "Geäh, wos für an oldar Schmoarr´n. Hötsch lieaber die Pappn kolt´n". Oder akademischer: Si tacuisses philosophus mansisses.

In einem Video-Statement nahm Prof. Michael Kundi (Med. Uni Wien) zu dieser Verharmlosungs-Strategie prägnant Stellung.

 

diagnose:funk WEBINAR zu den Entwarnungsmethoden der Mobilfunkindustrie

 

Quellen

[1] www.heute.at berichtet am 10.04.2023: "Es gibt erhebliche Wissenslücken hinsichtlich der Auswirkungen von Millimeterwellen, die bei 5G verwendet werden", hält Umweltmediziner Hans-Peter Hutter im Gespräch mit "Heute" fest. Bereits 2018 mahnte Hutter zu einer so genannten Technologiefolgenabschätzung. Nicht nur hinsichtlich der Strahlung auf den Körper, sondern auch den Auswirkungen auf gesellschaftlicher und sozialer Ebene

Die Studienlage dazu ist nicht eindeutig. 2011 hat die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC), eine Organisation der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Mobilfunkstrahlung als potenziell krebserregend eingestuft.

"Das bedeutet nicht, dass jeder einen Gehirntumor bekommen wird, aber aus wissenschaftlicher Sicht ist Vorsicht angesagt", erklärt Hutter. "Man kann sich bei einer neuen Technologie nicht nur die Rosinen herauspicken und die negativen Seiten ignorieren. Wer hätte vor 20 Jahren absehen können, welche Auswirkungen das Smartphone und die sozialen Medien auf uns haben werden? Jetzt kämpfen wir mit den Folgen". 5G wird laut dem Experten die Folgen problematischer Verwendung noch weiter verschärfen – Stichwort Handysucht, Gaming-Sucht und damit einhergehend körperliche und psychische Probleme.“

https://www.heute.at/s/life-gesundheit-5g-in-oesterreich-so-gefaehrlich-ist-neue-technologie-100263449

[2] Dokumente bei diagnose:funk (2011): https://www.diagnose-funk.org/aktuelles/artikel-archiv/detail&newsid=929

Bericht 2011 in MicrowaveNews: https://microwavenews.com/news-center/iarc-cell-phone-radiation-possible-human-carcinogen

[3] https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20230411_OTS0033/fmk-reaktion-umweltmediziner-hans-peter-hutter-zitiert-who-in-bezug-auf-5g-mobilfunk-falsch

[4] Download: https://monographs.iarc.fr/wp-content/uploads/2018/06/mono108-01.pdf

[5] Download:https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC353712

Publikation zum Thema

diagnose:funk
Format: A4Seitenanzahl: 16 Veröffentlicht am: 12.01.2023 Bestellnr.: 250Sprache: DeutschHerausgeber: diagnose:funk

Die Auseinandersetzung um die Deutungshoheit zu Risiken der Mobilfunkstrahlung

Über Kampagnen eines Kartells von Industrie, Bundesamt für Strahlenschutz und ICNIRP
Autor:
diagnose:funk
Inhalt:
Ob Mobilfunkstrahlung gesundheitsschädlich ist oder nicht, darüber wird nicht nur eine Wissenschaftsdebatte über Ergebnisse der Forschung geführt. Bei dieser Debatte geht es auch und vor allem um Produktvermarktung, in diesem Fall um das Milliardengeschäft einer Schlüsselindustrie. Dieser brennpunkt dokumentiert die Auseinandersetzung. Im Jahr 2022 gab es vier Entwarnungskampagnen, basierend auf vier Studien mit der Botschaft: Mobilfunkstrahlung ist unbedenklich für die Gesundheit, ein Krebsrisiko besteht nicht. Das beweise die MOBI-Kids-Studie, die bisher weltweit größte Studie zu Hirntumoren und Kinder. Mit der UK-Million Women Studie liege auch der Beweis für Erwachsene vor. In einem von ICNIRP-Mitglied Prof. M. Röösli verfassten Artikel zu 5G in der Zeitschrift Aktuelle Kardiologie bekamen gezielt Mediziner diese Botschaft übermittelt. Abgeordneten des deutschen Bundestages wird vom deutschen Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) und dem Umweltministerium mitgeteilt, die STOA-Studie, die Schädigungen zu Krebs und Fertilität auswertet, sei unwissenschaftlich. Diagnose:funk nahm zu allen diesen Meldungen Stellung.
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