15 Jahre Leitlinien Strahlenschutz: Vom Anspruch zur Anpassung

Über ein verschwundenes Papier des BfS
Im Jahr 2005 publizierte das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) die „Leitlinien Strahlenschutz“. Wir Mobilfunkkritiker waren erfreut, die Leitlinien versprachen, dass das BfS seinen Schutzauftrag ernsthaft wahrnehmen will. Doch die Leitlinien hatten eine schnelles Verfallsdatum. Nach einem Protestbrief des Umternehmerverbandes BITKOM (s. Downloads) waren sie bereits nach einem halben Jahr von der Homepage des BfS verschwunden, ohne Begründung. Seither gibt es keine neuen Leitlinien mehr. Mit dem Deutschen Mobilfunkforschungsprogramm (DMF) von 2008 wollte die Bundesregierung dann die Kritik einfangen und die Kritiker integrieren. Das gelang nicht, denn das DMF war eine Alibi-Inszenierung, bei der die entscheidenden Fragen nicht untersucht wurden (s. unter Downloads den Artikel im IT-Portal Golem).
Leitlinien StrahlenschutzQuelle: bfs.de

Die "Leitlinien Strahlenschutz" sind ein bedeutendes Dokument, in dem der damals beginnende Mobilfunkausbau für das mobile Internet kritisch reflektiert wird. In vorsichtigem wissenschaftlichen Beamtendeutsch wird darauf hingewiesen, dass man bisher fast nichts von staatlicher Seite zu den Auswirkungen der Mobilfunkstrahlung geforscht und keine Vorsorgeregelungen getroffen hat. Nichtwissen und fahrlässiger Umgang werden zugegeben und gegen plumpe Entwarnungen auf die brisante Situation hingewiesen: Die Hinweise auf Risiken könnten sich als richtig herausstellen, die Warnungen müssten ernst genommen werden, eine Vorsorgepolitik wird eingefordert. Nicht zufällig forderte der Bundesverband der Informationswirtschaft, BITKOM, umgehend die Rücknahme der Leitlinien. Das BfS gehorchte. Kurz zuvor hatte die Bundesregierung 50 Milliarden Euro für die UMTS-Lizenzen eingenommen und sich zur Förderung des Ausbaus verpflichtet. Seither ist die Arbeit des Bundesamtes für Strahlenschutz davon geprägt, auf alle Forschungsergebnisse, die Risiken nachweisen, mit Entwarnung zu reagieren. diagnose:funk fordert, dass auf Grund der Studienlage neue Leitlinien erarbeitet werden, unter Beteiligung der Umweltverbände und mobilfunkkritischer Organisationen.

Hier thematisch zusammengefasst einige Auszüge aus dem Kapitel B: Nichtionisierende Strahlung der "Leitlinien Strahlenschutz" (2005).

1. Es bestehen große Erkenntnislücken, es ist nicht geklärt, ob große Risiken bestehen. Vielleicht sind sie nur noch nicht erkannt. Es besteht Sorge, dass der Schutz der Bevölkerung aktuell nicht mehr gegeben ist.

  • „In Deutschland fehlt derzeit eine allgemeine Rechtgrundlage für den Strahlenschutz der Bevölkerung bei nichtionisierender Strahlung ... Die Folge ist, dass von wenigen Ausnahmen abgesehen, eine weitgehend unkontrollierte Exposition der Bevölkerung stattfindet.“ (S.44)
  • „Die Frage der Auswirkungen elektromagnetischer Emissionen auf die belebte Umwelt sind bislang nicht nur national, sondern auch international stark vernachlässigt worden ... Die wissenschaftlichen Grundlagen zu einer belastbaren Bewertung der möglichen Schädigung von Flora und Fauna sind allerdings bislang nicht systematisch erarbeitet.“ (S.46)
  • „Dem Schutz der Umwelt vor nichtionisierender Strahlung ist zukünftig verstärkt Aufmerksamkeit zu widmen. Durch gezielte Forschung ist zu klären, unter welchen Bedingungen eine Schädigung der Umwelt durch nichtionisierende Strahlung möglich ist. Im Rahmen von Umweltverträglichkeitsprüfungen sollten auch die möglichen Folgen der Immission elektromagnetischer Felder geprüft werden.“ (S.47)

2. Die Verharmlosung der Risiken wird als unethisch kritisiert. Die Gefahren dürfen nicht heruntergespielt werden.

  • „Relevant ist in Folge dessen zunehmend weniger die Regulation der Einzelnoxen (krankheitserregende Ursachen, d:f ), als vielmehr die Gesamtbelastung in Luft, Wasser etc. Andererseits sind wir heute konfrontiert mit einer breiten Einführung neuer Belastungen, ohne dass eine abschließende Abschätzung und Bewertung der Risiken möglich war (z.B. Mobilfunk).“(S.50)
  • „Die Argumentation, dass bestimmte niedrige Strahlenexpositionen hinnehmbar seien, weil sie niedrig seien, und nur einen Bruchteil der natürlichen Strahlenbelastung ausmachen, beruht auf dem aus der ethischen Diskussion bekannten naturalistischen Fehlschluss, indem sie ethische Schlussfolgerungen („hinnehmbar“) aus wissenschaftlichen Fakten ableitet. Ethische Folgerungen sind ethisch aus moralischen Werten zu begründen und können nicht aus naturwissenschaftlichen Fakten oder natürlichen Gegebenheiten gefolgert werden.Natürliche Risiken sind zwar häufig schwierig zu reduzieren, aber aus dieser Tatsache den Schluss zu ziehen, dass zusätzliche Risiken der gleichen Größenordnung oder geringerer Höhe deswegen zu akzeptieren seien, ist ethisch und logisch nicht zu begründen.“ (S.53)

4. Das potentielle Gesundheitsrisiko erfordert hier und jetzt eine Vorsorgepolitik.

  • „Der verantwortungsvolle Umgang mit Risiken setzt ganz allgemein voraus, dass neben die Abwehr von Gefahren durch das Ergreifen von Schutzmaßnahmen das Prinzip der Vorsorge als eigenständige Maßnahme tritt. Im Bereich niedriger Expositionen wie sie im Leben eines jeden allgegenwärtig sind, herrschen große Unsicherheiten über die tatsächlichen Risikofaktoren...Im Bereich der nichtionisierenden Strahlung gilt zwar ein durch eine Wirkungsschwelle charakteristisches Schadenseintrittskonzept. Aber auch hier gibt es Hinweise auf biologische Effekte unterhalb dieser Schwellen, deren gesundheitliche Relevanz derzeit noch nicht abschließend beurteilt werden kann.
  • Zwar sind die Energien nichtionisierender hochfrequenter elektromagnetischer Felder zu niedrig, um zur Krebsinduktion beizutragen. Es werden aber in der wissenschaftlichen Diskussion Mechanismen zur Krebspromotion diskutiert. Aus diesem Grund ist auch hier Vorsorge angezeigt, insbesondere bei Jugendlichen und Heranwachsenden, bei denen eine besondere Strahlenempfindlichkeit bisher nicht ausgeschlossen werden kann ... Die Vorsorge stellt beim Umgang mit Risiken neben der Gefahrenabwehr ein zweites wichtiges Prinzip dar, das dem Erhalt der Gesundheit dient und deshalb in den einschlägigen rechtlichen Regelungen als Strahlenschutzprinzip verankert werden sollte.“ (S.54)

 

Publikation zum Thema

Format: A4Seitenanzahl: 8 Veröffentlicht am: 12.04.2011 Bestellnr.: 209Sprache: Deutsch

4. Mobilfunkbericht der Bundesregierung

Wahrheitsgehalt des Deutschen Mobilfunkforschungsprogramms
Autor:
diagnose:funk
Inhalt:
Das Kernargument der Industrie und aller Behörden zur Abwehr jeglicher Kritik an der Mobilfunktechnologie sind - neben der Grenzwertfrage - die Ergebnisse des Deutschen Mobilfunkforschungsprogramms (DMF). Auf den Ergebnissen des DMF von 2008 fußt der „Vierte Bericht der Bundesregierung über die Forschungsergebnisse in Bezug auf die Emissionsminderungsmöglichkeiten der gesamten Mobilfunktechnologie und in Bezug auf gesundheitliche Auswirkungen vom 12. Januar 2011 (Drucksache 17/4408)“. Mit diesem Bericht der Bundesregierung wird wieder einmal begründet, warum an der bisherigen Mobilfunkpolitik festgehalten werden kann. Diagnose-Funk e.V. kritisiert diesen Bericht als ein Dokument staatlich organisierter Unverantwortlichkeit.
Artikel veröffentlicht:
10.01.2020
Autor:
diagnose:funk

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