Schweiz: Stellungnahme Ärzteverband zur Frequenzvergabe 5G - Millimeterwellen

Ärzte fordern umweltverträgliche Lösungen ein
Der Schweizer Bundesrat will die Lizenzen für neue, hohe Mobilfunkfrequenzen in den Bereichen 6 GHz, 26 GHz und 40 GHz – sogenannte Millimeterwellen – vergeben. Damit würde die eigentliche 5G-Technologie eingeführt, denn derzeit werden, wie auch in Deutschland, maximal 3,5 GHz genutzt. Dazu lässt das Bundesamt für Kommunikation (Bakom) ein öffentliches Konsultationsverfahren durchführen. Der Schweizer Verband Ärztinnen und Ärzte für Umweltschutz (AefU) verfasste bereits eine Stellungnahme.
Bundeshaus Bern, Wikipedia

Verband Ärztinnen und Ärzte für Umweltschutz (AefU) greifen in Debatte ein

In einer detaillierten Stellungnahme an das Bakom zum öffentlichen Konsultationsverfahren schreiben die Ärztinnen und Ärzte für Umweltschutz (AefU): «Wir sind sehr besorgt, was die Nutzung von Millimeterwellen zu großräumigen Kommunikationszwecken angeht». Die Ärzteorganisation setzt sich seit 1998 aktiv mit den gesundheitlichen Risiken der Mobilfunkstrahlung auseinander, zu 5G in einer Ausgabe ihrer Zeitschrift Oekoskop. Der Protest der letzten Jahre von Bürgerinitiativen, Kantonen und des Ärzteverbandes scheint teilweise in der Regierung angekommen zu sein. Das Online-Portal Infosperber schreibt:

  • „Vor vier Jahren forderten die Kantone Genf, Neuenburg und Jura mittels Standesinitiativen ein Moratorium für den Aufbau des 5G-Millimeterwellen-Netzes in der Schweiz «zum Schutz der Demokratie und zur Bekräftigung des Vorsorgeprinzips». Sie scheiterten im Parlament. Doch darauf musste der Bundesrat einen vor wenigen Monaten veröffentlichten Bericht über Millimeterwellen abliefern. Darin sagt er hauptsächlich, dass es diesmal mit rechten Dingen zugehen soll. Diesmal will der Bundesrat nämlich die «umweltrechtlichen Rahmenbedingungen» anpassen, bevor er die Frequenzen zur Nutzung vergibt. Zudem will er sichergehen, dass die Messvorschriften eingehalten werden. Beides heisst bloss: Es braucht zuerst eine Anpassung der Verordnung zum Schutz vor nicht-ionisierender Strahlung (NISV) durch den Bundesrat.“

AefU fordern die Anwendung des Vorsorgeprinzips und technisch sinnvolle Lösungen

Die Ärztinnen und Ärzte für Umwelt schreiben: «Millimeterwellen für die Kommunikationsnutzung sollten erst zugelassen werden, wenn eine verlässliche Risikobeurteilung möglich ist. Hierfür gilt es die Ergebnisse der angelaufenen Studien abzuwarten und in einer Gesamtschau zu bewerten.» Als weitere Kriterien für eine energiesparende, strahlungsminimierte und gesundheitsverträglichere Infrastruktur fordern sie den lückenlosen Ausbau von Glasfaser und die Trennung der Indoor- und Outdoorversorgung.

Im Gegensatz zu Deutschland, wo sich die Behörden jeglicher Debatte über die Risiken und Alternativen verweigern und stattdessen Verharmlosungskampagnen inszenieren, scheint in der Schweiz der Gedanke, dass Prozesse demokratisch ablaufen sollten, doch noch nicht verloren gegangen zu sein. Wir danken den Ärztinnen und Ärzte für Umweltschutz für ihre profunde Stellungnahme. Deutsche Ärzteorganisationen müssten sich fragen, warum sie zu diesen Problemen immer noch schweigen.

Quelle der Informationen: Pascal Sigg / 8.03.2024 www.infosperber.ch

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AefU-Logo

Basel, 26. Februar 2024

An: Bundesamt für Kommunikation, Sektion Netze und Dienste, Zukunftsstrasse 44 2501 Biel
 

 

Öffentliche Konsultation betreffend die Vergabe der ab 2029 verfügbaren Mobilfunkfrequenzen zur Erbringung von Fernmeldediensten in der Schweiz

 

 

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

Am 19. Dezember 2023 haben Sie eine öffentliche Konsultation zur Vergabe der ab 2019 verfügbaren Mobilfunkfrequenzen eröffnet, um die Bedürfnisse und Absichten der Mobilfunkbranche und weiterer Akteure für diese und weitere Frequenzen zu ermitteln. Explizit geben Sie im Rahmen der Konsultation interessierten Kreisen die Möglichkeit, sich auch zur Verwendung von sogenannten Millimeterwellen in den Bereichen 26 GHz und 40 GHz für den Mobilfunk zu äussern.

Unsere Stellungnahme fokussiert den vorsorglichen Gesundheitsschutz vor nichtionisierender Strahlung sowie Nachhaltigkeitsaspekte und die Verwendung von Millimeterwellen bei der Kommunikation.

Was die Digitalisierung des Gesundheitswesens angeht, so ist aus unserer Sicht der Nachhaltigkeit die Erschliessung aller Spitäler und Gesundheitseinrichtungen der Schweiz mit Glasfaser zu forcieren und gegenüber Funk zu priorisieren, um den hohen Datenkapazitätsansprüchen gerecht zu werden. Was das Angebot von Mobilfunk im Bereich der Rettungsdienste angeht, so verweisen wir auf die Expertise und Forderungen der Rettungsorganisationen.[1]

Vorsorglicher Gesundheitsschutz / Millimeterwellen

Wir Ärztinnen und Ärzte für Umweltschutz verfolgen seit der Vernehmlassung zur NISV im Jahr 1998 den Wissensstand zu nichtonisierender Strahlung, Umwelt und Gesundheit, auch was hochfrequente elektromagnetische Felder angeht, welche beim Mobilfunk zur Anwendung kommt.

  • Wir setzen uns nicht nur für einen restriktiveren Strahlenschutz für Mensch, Tier und Umwelt ein, sondern schlagen auch Lösungen vor, um einen solchen zu realisieren. So fordern wir seit Jahren eine zukunftstaugliche hybride Mobilfunkinfrastruktur mit Glasfaser als Basis, und möglichst kurzen Funkstrecken (WLAN, Femto-Zellen) mit getrennter Aussen- und Innenraumversorgung, anstatt den schnellen Ausbau einer überholten Netzstruktur für den Mobilfunk zu fördern.[2]

Dass die Vergabe neuer Mobilfunkfrequenzen im Jahr 2019 zur Nutzung des neuen Mobilfunkstandards 5G - insbesondere die Vergabe des Frequenzbands 3.5- 3.8 GHz - erfolgte, bevor umweltrechtliche Fragen geklärt waren, erzeugte mit Recht gesellschaftlichen Unwillen.

Wir begrüssen es sehr, dass der Bundesrat nun beabsichtigt, Millimeterwellen erst freizugeben, wenn die nötigen umweltrechtlichen Grundlagen, insbesondere auch im Bereich der nicht-ionisierenden Strahlung geschaffen sind.[3]

Wir sind sehr besorgt, was die Nutzung von Millimeterwellen zu grossräumigen Kommunikationszwecken angeht.[4] [5] [6]Aktuell sind Forschungen national[7] und international erst angelaufen.[8] Millimeterwellen für die Kommunikationsnutzung – ob konzessioniert oder nicht konzessioniert[9]- sollten erst zugelassen werden, wenn eine verlässliche Risikobeurteilung möglich ist. Hierfür gilt es, die Ergebnisse der angelaufenen Studien abzuwarten und in einer Gesamtschau zu bewerten.

Wir werden die Gelegenheit nutzen, uns bei zukünftigen Vernehmlassungen zu Anpassungen der Verordnung über nichtionisierende Strahlung (NISV) einzubringen, um unsere ärztliche Position der Vorsorge zu nichtionisierender Strahlung mit der Forderung nach einem restriktiveren Schutzes für Mensch, Tier und Umwelt darzulegen.

Nachhaltigkeit

Für uns Ärztinnen und Ärzte für Umweltschutz ist bei Informations- und Kommunikationstechnologien Nachhaltigkeit ein grosses Anliegen. Bei der Vergabe von Mobilfunkfrequenzen umfasst dies nicht nur den vorsorglichem Schutz von Mensch, Tier und Pflanzen vor schädlicher Strahlung, sondern auch Zukunftstauglichkeit, Energie- und essourcenfragen. In den stattgehabten Grenzwertdebatten stellten wir fest, dass die technische Diskussion sehr rudimentär und einseitig geführt wurde. Betreiber setzen

Wirtschaft und Politik aggressiv unter Druck, um Grenzwertregelungen fallen zu lassen, und so die Schweiz vor der vermeintlichen digitalen Steinzeit zu bewahren. Dies obwohl sowohl die Behörden in ihren Situatonsanalysen wie auch renommierte Techniker - wenn man diese aktiv danach fragte - diesen Weg als nicht nachhaltig bewerteten. Stattdessen liessen die Telekomanbieter nicht ab, in ihrer kurzsichtigen Planung unaufhörlich mehr Leistung auf der Einzelanlage einzufordern.

Das aktuelle Whitepaper[10] der südkoreanischen Telekomindustrie (TKSK) spricht in aller Deutlichkeit an, wie überhastet und ungeplant 5G ausgerollt wurde, geleitet von verführerischen Visionen und nicht belegten Annahmen, welche sich in keiner Weise erfüllten. Wenig erstaunlich, dass in der Schweiz der Bau des für modernen Mobilfunk notwendigen Glasfaserausbau vor lauter Visionennebel «vergessen» ging.

Dass die zentrale Frage, wie ein Netzwerk für 5G aussehen soll, welches zukunftstauglich ist und sowohl Nutz- als auch Schutzinteressen berücksichtigt, erst nach der Vergabe der Mobilfunkfrequenzen evaluiert wurde, war nun definitiv zu spät.[11] [12] Wären die vorliegenden Resultate schon bei der Vergabe bekannt gewesen, hätten sich viele Diskussionen erübrigt und der Fokus läge wohl in einer allgemeinen und nachhaltigen Optimierung der Netze und deren Nutzung.

  • Dass sich mit Funktechnologien keine Energie effizienten Systeme realisieren lassen, weil die physikalisch bedingten Verluste des Übertragungsmedium zu hoch sind im Vergleich zum Übertragungsmedium Glasfaser, wurde nun endlich im bundesrätlichen Bericht «Hochbreitbandversorgung der Schweiz»[13] klar kommuniziert. Nebst Kapazitätsüberlegungen waren eben auch diese energetischen Überlegungen ein Grund mehr, warum der Bundesrat sich für Glasfaser als DAS Übertragungsmedium für die Hochbreitbandversorgung der Schweizer Bevölkerung und damit für den flächendeckenden FTTH Ausbau ausspricht.

Wir erachten es als dringlich, nun endlich eine solide technische Diskussion zu führen. Konkret sollen vorgängig wie auch parallel mit den angekündigten umweltrechtlichen Abklärungen zu Millimeterwellen auch technische Abklärungen durchgeführt werden. Dabei soll geklärt werden, wie Millimeterwellen in Kommunikationsdiensten überhaupt voraussichtlich zur Anwendung kommen sollen,[14] welche Infrastrukturen hierfür nötig sind, und wie Schutz- und Nutzinteressen, inklusive Energiefragen, dabei berücksichtigt werden können.

Ziel dieser unabhängigen Evaluation soll es sein, bei der geplanten Neuvergabe der Mobilfunkfrequenzen Nachhaltigkeitskriterien bestmöglich berücksichtigen zu können und mit entsprechenden Vergabeauflagen einzubringen. Grundsätzlich wäre es sinnvoll, einen Teil des Erlöses der Versteigerung/ Konzessionen für die Finanzierung von kontinuierlicher medizinischer und biologischer Risikoforschung UND der Förderung innovativer nachhaltiger Technologien einzusetzen.

Wir danken Ihnen für die Berücksichtigung unserer Anliegen.

Dr. med. Bernhard Aufdereggen, Präsident AefU

Dr. med. Edith Steinert, Mitglied Vorstand AefU

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Quellen

[1] automatische Priorisierung der Nutzer von Notfallorganisatione bei einer Überlastung der bestehenden Breitbandnetzwerken, die Sicherstellung einer hohen Verfügbarkeit (Notstromversorgung) flächige Gebietsabdeckung

[2] Bericht Mobilfunk und Strahlung, 18.11.2019, herausgegeben von der Arbeitsgruppe Mobilfunk und Strahlung im Aufrag des UVEK; Kapitel 9.2.

[3] Bericht des Bundesrats vom 22.11.2023 “Mobilfunk im Millimeterwellenbereich» in Erfüllung des Postulates 21.3596, Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen SR, 10. Mai 2021

[4] Bericht Mobilfunk und Strahlung, 18.11.2019, herausgegeben von der Arbeitsgruppe Mobilfunk und Strahlung, im Aufrag des UVEK, Kapitel 5.5.2.; Kapitel 6.6.; Kapitel 10.4.1.

[5] Newsletter BERENIS Sonderausgabe Juli 2020; Newsletter 22 (Neufeld et al 2020), (Newsletter 26 , Vilagosh et al. 2020),Newsletter 32 (Lawler et al 2022)

[6] Health Council of the Netherlands Advisory report 02-09-2020 5G and health: background document to the advisory report 5G and health

[7] https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/elektrosmog/fachinformationen/forschung.html;

[8] https://www.emf-health-cluster.eu/about/; https://seawave-project.eu/; https://www.etainproject.eu/; https://projectgoliat.eu/; https://www.nextgem.eu/

[9] Für mobile Endgeräte und mobile Kleinstbasisstationen gelten einzig internationale Grenzwerte und europäische Normen. Es gibt in der Schweiz keine gesetzlichen Vorsorgegrenzwerte in der Schweiz. Auch gibt es kein Kontrollorgan in der CH, welches die Strahlung dieser Geräte kontrolliert (Interpellation 23.3905: Wer kontrolliert die Einhaltung der Strahlungsnormen (SAR-Werte) für Mobiltelefone und andere Endgeräte?)

[10] Telecom 6G White Paper: 5G Lesson learned, 6G Key Requirements, 6G Network Evolution, and 6G Spectrum. ICT Infra Version 1.0 (August 2023), SK telecom. https://newsroom-prd-data.s3.ap-northeast-2.amazonaws.com/wp-content/uploads/2023/11/SKT6G-White-PaperEng_v1.0_clean_20231129.pdf

[11] Bericht des Bundesrates vom 13. April 2022 „Nachhaltiges Mobilfunknetz“ in Erfüllung des Postulats 21.3596, Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen SR 10. Mai 2021; Final Report of Project CTT-954 „Assessment of varied mobile network topologies on human exposure, mobile communication quality and sustainability“, 14.9.2021;

[12] Castellanos G, Gheselle S, Martens L, Kuster N, Wout J, Deruyck M, Kuehn S (2022) Multi-objective optimisation of human exposure for various 5G networks topologies in Switzerland. Computer networks. 2022 Oct 22; 216: 109255. https://doi.org/10.1016/j.comnet.2022.109255.

[13] Bericht des Bundesrats vom 28. Juni 2023 «Hochbreitbandstrategie des Bundes» in Erfüllung des Postulates 21.3461, KVF-N, 27. April 2021

[14] Bericht Mobilfunk und Strahlung, 18.11.2019, herausgegeben von der Arbeitsgruppe Mobilfunk und Strahlung im Auftrag des UVEK, Kapitel 3.2.3.

Artikel veröffentlicht:
12.03.2024
Autor:
diagnose:funk / AefU
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