1. Vorwort

Digitalisierung: Klimakiller, Überwachung, Elektrosmog

„Ein wirtschaftliches Interesse darf nicht mehr zählen als das Interesse der Menschen, körperlich unversehrt zu bleiben. Das geht ganz klar aus unserem Grundgesetz hervor, dass das Recht auf körperliche Unversehrtheit ein Grundrecht ist, während das Recht auf Geldverdienen kein Grundrecht ist.“

Prof. Armin Grunwald, Leiter des Büros für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag [1]

Das Tempo der Digitalisierung der Gesellschaft ist atemberaubend: Im Jahr 1993 wurde das erste GSM-Netz eingerichtet. 2006 gab es schon 85 Millionen Handyverträge in Deutschland, 2007 kam das Smartphone auf den Markt und veränderte das gesellschaftliche Zusammenleben. 2018 gab es 88 000 Sendemasten und der explodierende Datenaustausch führt bis heute zu immer neuen Sendeanlagen. Die gesundheitlichen Risiken der elektromagnetischen Felder (EMF), die von den Sendeanlagen und den Endgeräten erzeugt werden, waren und sind den Herstellern bekannt. Von Anfang an gab es Bürgerinitiativen, die protestierten. Es gibt eine große Bürgerbewegung, die seit dem Jahr 2000 in Deutschland mehr als 1.500 Bürgerinitiativen hervorgebracht hat. Dieser Widerstand ist auf der Homepage von diagnose:funk dokumentiert. Auch in der Schweiz und Österreich, ja weltweit, gibt es aktiven Widerstand.

Seit der letzten Auflage unseres Ratgebers im Jahr 2016 hat sich die Studienlage enorm weiterentwickelt: Alle Befürchtungen über Gesundheitsrisiken durch elektromagnetische Felder (EMF) wurden durch groß angelegte Studien bestätigt. Hierbei sind insbesondere die Nachweise des Krebspotentials zu erwähnen. Ebenso hat sich die Technik rasant weiterentwickelt. Mit der neuen, fünften Mobilfunkgeneration 5G steht eine Echtzeit-Technik bereit, die es ermöglicht, alle Produktions- und Lebensvorgänge zu digitalisieren. Ein lückenloses Breitbandnetz (Glasfaser), aber vor allem 5G, sind dafür die Hauptschlagadern. Die 5G- und Smart-City-Pläne sollten mit einem großen Fortschrittsenthusiasmus durchgesetzt werden. Doch auch hier ist eine neue Protestbewegung entstanden, die ständig wächst. Diese Protestbewegung richtet sich gegen die Folgen des digitalen Umbaus der Gesellschaft. Und sie fordert bessere, alternative Möglichkeiten der Kommunikation, so zum Beispiel die Strahlenminimierung oder die optische Kommunikation, die auf einer revolutionären Lichttechnik basiert und ständig weiterentwickelt wird.

Von Seiten der Politik wird jedoch großer Druck aufgebaut, die digitale Transformation durchzusetzen. Das Vorsorgeprinzip wird außer Kraft gesetzt. Mit neuen Verordnungen soll den Kommunen jede Mitsprachemöglichkeit beim Aufbau von Sendeanlagen genommen werden. „Mehr Tempo bei der Digitalisierung“, ein Ohrwurm, ob Tagesschau, Print-Leitmedien, Linke, Grüne, CDU, SPD, FDP, alle sind sich einig: Dem Bürger, der dieses Vorgehen kritisch hinterfragt, wird unterstellt, er lebe in der „Kreidezeit“ und er wolle zurück zur Rauchzeichen-Kommunikation. Ja, fast mystisch klingt es: Die Digitalisierung sei der Schlüssel zur Lösung ökologischer Probleme, insbesondere für mehr Energieeffizienz, z.B. für eine vernetzte, schadstoffarme Mobilität durch intelligente Steuerungen und letztendlich für die Erreichung der Klimaziele. „Smart City Charta – Digitale Transformation in den Kommunen nachhaltig gestalten“, so lautet programmatisch der Titel der Broschüre des Bundesministeriums für Umwelt. Vordringlichste Aufgabe sei es, die Infrastrukturen für den Datenaustausch mit Breitband, der Mobilfunkfrequenz 5G und WLAN zu schaffen. In der Summe ist dies wohl derzeit das teuerste Milliardenprojekt der Bundesregierung. Was und wer sind die Triebkräfte?

Ein kurzer Rückblick: Die letzten 100 Jahre waren davon geprägt, dass der Staat und die Industrie die Infrastruktur für den Siegeszug des Autos bauten. Städte wurden dafür in großem Umfang verändert, um nicht zu sagen verschandelt, und die Landschaft wurde zunehmend mit Straßen versiegelt. Wir erleben jetzt mit der geplanten Smart City eine Fortsetzung der Denaturalisierung unserer gesamten Umwelt in einem noch nie da gewesenen Ausmaß. Es werden Milliardensubventionen für die 5G-Infrastruktur, für die Autoindustrie, diesmal für das autonome Fahren, bereitgestellt. Zum Feinstaub und den Stickoxiden kommt der Elektrosmog hinzu. Die 5G-Sende-Infrastruktur soll auch die Vermarktung von Milliarden neuer vernetzter Haushaltsgeräte, des sog. Internets der Dinge, beschleunigen. Die Digitalisierung der Kommunen dient also neuen Geschäfts- und Politikmodellen, ohne jegliche Risiko-Folgenabschätzung. Mit Smart City und Smart Country sind die datengesteuerten, total überwachten Städte und Landkreise gemeint. Das bedeutet, in Echtzeit immer zu wissen, was jeder Bürger denkt und tut, zu wissen, wo er sich gerade befindet und ob er sich evtl. eines Vergehens schuldig macht, sei es auch „nur“, wenn er bei Rot über die Ampel geht.

Dieser Planung einer Smart City wurde von Digitalcourage e.V. im Jahr 2018 der Big Brother Award (Preis für antidemokratische Überwachung) verliehen, für den Weg in die Totalüberwachung. Auch die Bundeswehr will 5G für das in Echtzeit vernetzte Schlachtfeld. Der zuständige Staatssekretär forderte auf einer Bundeswehrtagung: „Die Anforderungen der Sicherheitsbehörden müssen bei der anstehenden Vergabe weiterer Frequenzbänder ihre Umsetzung finden. Die Frequenzen sind die Macht der Zukunft.“ [2]

Über diese Hintergründe und die Folgen der digitalen Transformation findet allerdings so gut wie keine gesellschaftliche Debatte statt. Digitalisierung gilt als der Fortschritt schlechthin. Die FDP bringt es in einer rücksichtslosen Formulierung auf den Punkt: Digital First. Bedenken Second (Digitales zuerst, Bedenken danach). Wir laufen Gefahr, noch mehr und noch verhängnisvollere Fehler zu begehen, die im Vergleich zur Automobilisierung gemacht wurden. Das hat weit reichende Folgen für die gesamte Umwelt, für unsere Demokratie, unser Bildungswesen und für die Entwicklung des Individuums, das immer mehr Einschränkungen erfahren wird.

Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) fragt in einer besorgten Stellungnahme: „Eine große technische Revolution ist im Gang. Wie wird sie das Zusammenleben der Menschheit auf diesem Planeten verändern? Welchen Zielen wird sie dienen? Welche Chancen und Risiken bringt sie mit sich? Wem wird sie Macht verleihen oder nehmen? Wie kann sie genutzt werden, um die großen Menschheitsherausforderungen zu lösen?“ [3] Die Antwort des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung ist alarmierend:

„Die Digitalisierung entfaltet ihre disruptive (also zerstörerische) Kraft mit großer Geschwindigkeit und globaler Reichweite, während ihre Regulierung größtenteils nacheilend erfolgt.“ und

Ohne aktive politische Gestaltung wird der digitale Wandel den Ressourcen- und Energieverbrauch, sowie die Schädigung von Umwelt und Klima, weiter beschleunigen.[4]

Klare Worte! Denn so, wie es derzeit nahezu unreguliert ablaufe, so der Wissenschaftliche Beirat, bestehe die Gefahr einer Steigerung des Energie- und Ressourcenverbrauchs und die Gefahr der Gefährdung der Freiheit durch BigData (Sammlung von Daten) und Überwachung. Die Digitalisierung als Geschäftsmodell der Industrie löst in keiner Weise die Probleme der Menschheit, schon gar nicht das Problem des Klimawandels, sondern ist Teil des Problems. Ja, so der WBGU (Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung. Globale Umweltveränderungen), die Digitalisierung sei sogar ein Brandbeschleuniger der Klimakatastrophe. Dadurch gefährde, so der WBGU die Digitalisierung „sogar (den) schieren Fortbestand des Anthropos (des Menschen) auf der Erde. Nur wenn es gelingt, die digitalen Umbrüche in Richtung Nachhaltigkeit auszurichten, kann die Nachhaltigkeitstransformation gelingen. Digitalisierung droht ansonsten als Brandbeschleuniger von Wachstumsmustern zu wirken, die die planetarischen Leitplanken durchbrechen.“ Darüber fordert der WBGU eine breite gesellschaftliche Debatte. Doch bis jetzt wird diese Debatte mit der Öffentlichkeit nicht wirklich geführt.

Zu all diesen Risiken hat diagnose:funk Einzelanalysen publiziert. Der vorliegende Ratgeber konzentriert sich auf die Folgen der Strahlenbelastung. Und, machen Sie sich bewusst: Die persönliche und die wissenschaftliche Beschäftigung mit Strahlung hat nichts mit Esoterik zu tun. Wir haben dafür ein Bundesamt, das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS). Das BfS sollte und müsste jede Frequenz bezüglich ihrer Auswirkungen untersuchen. Doch hier versagt das BfS und agiert in der Regel wie ein Sprachrohr der Industrie. Nur der betroffene Bürger hat noch ein Interesse an der Wahrheit. Das schreibt der Soziologe Ulrich Beck in seinem Buch „Weltrisikogesellschaft“. Deshalb bekommen Organisationen wie diagnose:funk eine immer größere Bedeutung. Diagnose:funk deckt auf, was es an Risiken gibt und dokumentiert auf der Datenbank www.EMFData.org Forschungsergebnisse. Die Themen sind umfassend.

Auf den nachfolgenden Seiten erhalten Sie einen Gesamtüberblick, welchen Risiken wir ausgesetzt werden, welche Alternativen es gibt und warum organisierter Widerstand notwendig ist. Drehen wir den Spieß des FDP-Spruches doch einfach um: Gesundheit First. Digital Second (Gesundheit zuerst, danach das Digitale).

                                                          Jörn Gutbier und Peter Hensinger, im November 2019

 

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Die Digitalisierung der Kommunen dient neuen Geschäfts- und Politikmodellen, ohne jegliche Risiko-Folgen-abschätzung.

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