Fortschritt und Profit

Die mobile Kommunikationstechnologie hat unser Leben verändert. Millionen Menschen nutzen das mobile Internet mit ihren Handys, Smartphones, Tablets, Notebooks u.a. Trotzdem ist der Ausbau der Mobilfunktechnologie von Protesten und Kritiken begleitet. Fast 50 % der deutschen Bevölkerung sind inzwischen über die Risiken der Strahlenbelastung besorgt und in der Wissenschaft gibt es heftigste Kontroversen über Gesundheitsgefahren. Man kann inzwischen mit Sicherheit sagen, dass aufgrund der wissenschaftlichen Datenlage diese Sorgen nicht auf irrationaler Angst oder Technikfeindlichkeit beruhen. Politiker nehmen, so scheint es jedenfalls, in der Regel die Sorgen ernst, um dann zu überlegen, wie  man sie im Interesse der Industrie zerstreuen kann. Dieses Vorgehen hat beim Mobilfunk eine besondere Bedeutung, da fast jeder die strahlenden Geräte nutzt. Keine Technik außer der Elektrizität wurde seit Menschenge-denken in diesem Ausmaß zum ständigen Tages- und auch Nacht-Begleiter des Menschen.

Die Soziologin Annette Ohme-Reinicke schrieb 2001 in der Neuen Züricher Zeitung:

„Es sind von jeher drei große Fortschrittsvorstellungen, welche die Menschen von der Technik haben und die Technikeuphorien auslösten: Glück durch freie Bewegung, Freiheit durch grenzenlose Kommunikation und die Verlängerung des Lebens.“ [5]

Das „Glück der freien Bewegung“ brachten Automobil und Flugzeug, und die Euphorie überdeckte die Risiken. Die Industrie verschwieg sie, trotzdem werden heute die meisten Menschen die Kritik am Autoverkehr und seinen Folgen teilen und nicht wenige fordern Alternativen. Das Auto mutierte vom verinnerlichten Symbol des Fortschritts zu einem Symbol des Klimawandels, des CO2-Ausstoßes, des Landschaftsverbrauchs, der Lärmbelästigung und der Feinstaubbelastung. Ähnlich ist es beim Flugzeug: Die Kritik an den verheerenden Folgen der Billigflüge wird niemand als Technikfeindlich-keit abtun. Die Freiheit der grenzenlosen Kommunikation wurde durch das Internet und durch den Mobilfunk weiter verwirklicht. Dieses grandiose Freiheitsgefühl bekam einen Bruch, nachdem Edward Snowden enthüllte, wie Internet und Mobilfunk zur grenzenlosen Überwachung genutzt werden. Zunächst eine Revolution der Kommunikation, ein Aufbruch zu mehr Demokratie. Doch heute? Heute stellt sich diese Revolution als Freiheitsfalle heraus. Gegenwärtig findet die allmähliche Verwandlung der freien Kommunikation in ihr Gegenteil statt, bis hin zur totalen Kontrolle der Kommunikation, mit der Folge der Aufhebung der Privatsphäre durch Big Data-Systeme. Das Smartphone entpuppt sich immer mehr als Superwanze und Google, Facebook und WhatsApp als Plattformen der Geheimdienste zum Abgreifen von Daten. Die von Datenagenturen erstellten digitalen Profile sind für Industrie und Handel Auskunftsdateien für gläserne Konsumenten und Beschäftigte.

Kann man bei Technologien, die zwar technisch revolutionär sind, aber der Gesundheit und der Natur schaden, und dazu noch antidemokratisch eingesetzt werden, von Fortschritt sprechen?

Sicher nicht, denn sie werden zum Rückschritt, wenn sie nach dem Profitprinzip vermarktet und für Herrschaftswissen missbraucht werden. Es geht beim Mobilfunk um beides: Er ist erstens ein Instrument staatlicher Kontrolle und zweitens ein Milliardengeschäft. 2018 setzten die Informationstechnologien, die Telekommunikation und die Unterhaltungselektronik (ITK-Markt) in Deutschland insgesamt 166 Milliarden Euro um. Davon die Telekommunikation 66,6 Milliarden und die Informationstechnik 89,9 Milliarden. [6] Zum Vergleich: Der Inlandsumsatz der deutschen Automobilindustrie lag 2018 bei 149,6 Mrd. Euro. [7]

Im Jahr 2001 zahlte die Mobilfunkindustrie 50,8 Milliarden Euro für die UMTS-Lizenzen. Über die Telekom ist der Staat auch am Geschäft beteiligt, die Medien verdienen an den Werbeaufträgen mit und sind inzwischen selbst Hauptnutzer. Auf diese Weise entwickelte sich ein Verharmlosungs- und Schweigekartell. Wir haben bei der Mobilfunktechnologie eine Parallele zur Automobilindustrie. Die Abgasemissionen machen krank, auch das wurde lange verharmlost von den Herstellern und ihren Ingenieuren. Das Gleiche passiert nun mit den Elektrosmog-Emissionen des Mobilfunks, doch diese riecht, hört und sieht man nicht. Beide Emissionen (Automobil und Elektrosmog) sind von der International Agency for Research on Cancer (IARC) und der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in den Listen der Krebs erregenden Stoffe eingestuft.

Die Mobilfunk-Technologie basiert auf gepulster Mikrowellenstrahlung. Diese Mikrowellen-strahlung wurde eingeführt im vollen Wissen darum, dass ihre Emissionen schädlich sind. Sie werden auch als Elektrosmog bezeichnet. Aus der Militärforschung in den USA, der ehemaligen DDR und vor allem aus hunderten sowjetischen Forschungen wussten auch die deutschen Behörden um die Risiken. [8] Die Realität heute: Die mobilen Medien haben alle Gesellschaftsbereiche durchdrungen, ohne nennenswerten Verbraucherschutz. Viele Menschen fragten sich im Jahr 2001, warum die Wahnsinnssumme von 50 Milliarden Euro für die UMTS-Lizenzen an die Bundesregierung bezahlt wurde. Heute wissen wir: Diese Milliarden machten den Weg frei für den Mobilfunk. Unsere Gesundheit wurde verkauft. Genauso wie beim Automobil stellt sich heute nicht die Frage nach seiner Abschaffung, sondern es stellt sich die Frage nach der Minimierung der Risiken und nach intelligenten Lösungen/Entwicklungen von fortschrittlichen Alternativen.

 

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Kann man bei revolutionären Technologien, die der Gesundheit schaden, von Fortschritt sprechen?

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