„5G – Revolution oder Gefahr?“ - Offener Brief zur WDR/Quarks-Sendung v. 24.04.21

Sehr geehrte Damen und Herren der Redaktion, Mitgestalter und des WDR-Rundfunkrats, die WDR/Quarks-Sendung v. 24.04.21 „5G – Revolution oder Gefahr?“ gibt Anlass nachzuspüren, inwieweit durch Verdrehungen, Falschaussagen und Verkürzungen bekannte Risiken der hochfrequenten elektromagnetischen Felder (HF-EMF) herabgewürdigt werden sollten. Die Redakteure und Verantwortlichen der Sendung werden aufgefordert, zu diesem offenen Brief Stellung zu beziehen und Richtigstellungen zu veröffentlichen. Auch soll diese Sendung beim Bundesamt für Strahlenschutz thematisiert werden, da dieses Amt offensichtlich involviert war (1). Aus der Fülle notwendiger Anmerkungen werden nachfolgend nur einige zentrale Aspekte in den Vordergrund gestellt.
Quarks: 5G - Revolution oder Gefahr? Quelle: WDR - ardmediathek.de (Screenshot)

Offener Brief zur WDR/Quarks-Sendung v. 24.04.21: „5G – Revolution oder Gefahr?“

Inhalt

1                Medienpolitisches Framing der Aussagen. 1

2                Einseitige Fokussierung auf Vorteile. 3

3                Nocebo-Effekt ohne Aussage. 4

4                Undifferenzierte Vermischung von Begriffen. 5

5                Falschaussagen zu wissenschaftlichen Erkenntnissen. 5

6                Relativierung klarer Erkenntnisse. 6

7               Irreführendes und ethisch fragwürdiges Experiment im Kernspintomografen. 7

7.1             Irreführende Fragestellung. 7

7.2             Einsatz völlig ungeeigneter Technik. 8

7.3             Vorsätzliche Gefährdung der Probandin. 8

8                Gesundheitliche Wirkungen unqualifiziert und selektiv dargestellt. 9

 

1  Medienpolitisches Framing der Aussagen

Bereits mit dem Titel der Sendung "Revolution oder Gefahr" wird ein sogenanntes "falsches Dilemma"[2], eine „falsche Dichotomie“ formuliert. Es wird unterschwellig suggeriert, es gäbe zu einer Streitfrage genau zwei bestimmte, angeblich zueinander entgegengesetzte Positionen; auch wenn es weitere Möglichkeiten gibt, die zu beiden angebotenen gar nicht in Widerspruch stehen. Zusätzlich wird in der gesamten Sendung das sogenannte "Framing"[3] eingesetzt, womit Ereignisse und Themen in ein Deutungsraster eingebettet werden. Komplexe Informationen werden dadurch selektiv und strukturiert aufbereitet, sodass eine bestimmte Problemdefinition, Ursachenzuschreibung, moralische Bewertung und/oder Handlungsempfehlung in der jeweiligen Thematik betont wird.

Auch wenn auf der einen Seite 5G für Industrie/Wirtschaft/Militär nützlich sein kann, stellen auf der anderen Seite Funktechnologien – nicht erst seit 5G – ein wissenschaftlich klar belegtes gesundheitliches Risiko dar. Die Sendung hinterlässt jedoch beim wenig bis uninformierten Zuschauer den Eindruck, es gäbe nur die Sichtweise, dass gesundheitliche Risiken und Wirkungen elektrischer, magnetischer und elektromagnetischer Felder lediglich aufgrund diffuser Ängste wahrgenommen würden und nicht tatsächlich existierten; der gleich eingangs verwendete Begriff „Einbildung“ drückt dies unmissverständlich aus. Sachlich informierten Zuschauern drängt sich damit der Eindruck einer manipulativen Zielrichtung auf. Die Sendung könnte auch als Werbefilm der Mobilfunkindustrie gelten.

Es wird (20:05) die begrenzende Frage gestellt „Wie soll 5G denn eigentlich schaden?“. Auch damit wird Framing eingesetzt, wenn die Fragestellung allein auf den Schadensbegriff begrenzt wird. Der gesamte Bereich von Risiko und Vorsorge, der bei der Anwendung des deutschen Gefahren- und Sicherheitsrechts mit einer Fülle von unterschiedlichen Maßnahmen zur Begrenzung von Risiken und Gefahren zu betrachten ist, wird so übergangen. Gerade die bei vielen gesundheitlichen Fragestellungen notwendigen Beurteilungen von Effekten, die noch keinen abschließenden wissenschaftlichen Beweis im engeren Sinn erlauben (Langzeitwirkungen, Betrachtung vulnerabler Gruppen etc.), bleiben so einfach ausgeblendet.

Deutlich wird dies mit der Aussage, „dass der Einfluss von Mobilfunkstrahlung und 5G auf unseren Körper nicht schädlich ist. Es besteht also keine Gefahr.“ Damit wird eine Fülle von Effekten ausgeblendet, die bisher deutliche Hinweise auf Risiken geben. Beispielsweise die Beeinflussung der Durchblutung des Gehirns, die Beeinträchtigung der Spermienqualität, eine Destabilisierung der Erbinformation sowie Auswirkungen auf die Expression von Genen, den programmierten Zelltod und oxidativen Zellstress (Schweizerische Eidgenossenschaft 2015: 4).[4] Damit bleibt die durch ständige Rechtsprechung herausgearbeitete „Besorgnis“ als europaweit und in Deutschland geltender Bewertungsmaßstab für die mögliche Einleitung von Maßnahmen zur Vorsorge vor Gefahren völlig außen vor.

Mehr als 3/4 der weltweit veröffentlichten Forschungsergebnisse stellt nachteilige Auswirkungen auf Menschen, Tiere und Umwelt fest (weit unterhalb thermischer Schäden). Die folgende Grafik enthält Forschungsarbeiten aus der anerkannten Datenbank Medline für den Zeitraum 1990-2017. Studien mit positiven Ergebnissen überwiegen massiv (Grafik von Flydal 2018, basierend auf Daten aus Lai 2017, andere Analysen von Forschungsdatenbanken zeigen etwa die gleichen Ergebnisse).

Studienergebnisse (Medline 1990-2017), basierend auf Daten von Lai 2017.Quelle: einarflydal.com

So ist dann die Aussage (22:15), dass „Fachleute“ keinen Grund darin sehen, eine neue Risikobewertung für 5G vorzunehmen, auch dadurch verbogen, dass nicht transparent gemacht wird, welche „Fachleute“ man hier meint. Diese Aussage zeigt den originären Wortlaut der Mobilfunkindustrie[5], die kein Interesse daran hat, dass sich an der derzeitigen Situation mangelnder Regulierung bei lediglich/ausschließlich an thermischen Effekten orientierten Grenzwerten etwas ändert. Verschwiegen werden die vielen Studien unabhängiger Wissenschaftler, die sehr wohl erhebliche Risiken und auch Gefahren sehen.

Letztlich ist unter Framing auch zu verstehen, dass sich die Betrachtung von Effekten lediglich auf bestätigte Studien bezieht (22:23). Mit „Bestätigung“ ist bei einer wissenschaftlichen Betrachtung meist gemeint, dass ein Ursache-Wirkung-Zusammenhang erklärbar und erkennbar vorliegt und alle Grauzonen wissenschaftlicher Erkenntnis, die eine begrenzte Validität aufweisen, deutliche Hinweise geben (u. a. Formulierungen) unter den Tisch gekehrt werden. Siehe zu diesem Komplex ausführlich bei Kühling (2020)[6].

2 Einseitige Fokussierung auf Vorteile

Wenn unter dem Thema „Revolution (der 5 G-Technik)“ für den davon kaum betroffenen Normalnutzer die Vorteile einer schnellen Datenübertragung suggeriert werden, jedoch der enorme Energieaufwand angesichts der aktuellen Diskussion zum Klimaschutz nicht erwähnt wird, so fragt man sich, warum die „Quarks“-Redaktion vor diesem sicherlich wichtigen 5G-Teilaspekt die Augen verschließt. Denn nach aktuellen Berechnungen sind ca. 3,8 TWh elektrische Energie zusätzlich zu den bisherigen Kommunikationstechniken nötig. Wo bleibt hier die hier notwendige Objektivität?

Typischer maximaler Stromverbrauch eines 5G-Standorts 2019 Quelle: Huawei - huawei.com

Auf die Besonderheit und Neuartigkeit des aktiven Beamforming beim Mobilfunk wird in der Sendung überhaupt nicht eingegangen. Es wird nicht einmal erwähnt, dass es gar nicht „das 5G“ gibt, sondern eine sehr hohe Variabilität bei den Frequenzen mit sehr unterschiedlichen Eindringtiefen und insbesondere zwei sehr unterschiedliche Hauptvarianten zum Einsatz kommen:

  • einerseits 5G mit aktivem Beamforming im Frequenzbereich 3,4 – 3,7 GHz (sehr leistungsfähig, hohe Datenraten, Bandbreiten bis 100 MHz, kurze Reichweite, bisher wenige Standorte) und
  • andererseits 5G ohne aktives Beamforming im Frequenzbereich unter 3 GHz (nur wenig leistungsfähiger als 4G und nur mäßig höhere Datenraten, Bandbreiten bis maximal 20 MHz, höhere Reichweiten, die weitaus überwiegende Mehrzahl der aktuell in Betrieb befindlichen Standorte).

Den Gepflogenheiten der deutschen Mobilfunkindustrie folgend wird dieser Unterschied, der sich im Übrigen auch für die Benutzer/Kunden in erheblichen Unterschieden der Übertragungsraten äußert, in der Sendung verschwiegen. In der Schweiz z. B. wird in der öffentlichen Diskussion klar differenziert zwischen „5G fast“ und „5G wide“. In der Sendung wird der zentrale Begriff „5G“, der – im Gegensatz zu 2G bis 4G – eine sehr hohe Variabilität in den technischen Eigenschaften aufweist, überhaupt nicht definiert, sondern völlig undifferenziert verwendet.

3 Nocebo-Effekt ohne Aussage

Das am Anfang dargestellte "Experiment" mit dem Funkmast in der Halle zeigt, dass es einen Nocebo-Effekt gibt, was allerdings schon lange vorher bekannt war. Die Tatsache, dass Furcht unsere Befindlichkeit beeinflusst, ist in der Psychologie bestens bekannt. Zu Wirkungen der Funkstrahlung kann aus dem "Experiment" daher überhaupt keine Aussage gewonnen werden. Das Framing ist klar: gesundheitliche Beschwerden gehen „ausschließlich“ auf den Nocebo-Effekt zurück. Durch einen manipulativ angelegten Versuchsaufbau wird versucht darzustellen, dass Wirkungen durch die Mobilfunkstrahlung auf bloßer Einbildung beruhen. Allein die Tatsache, dass ein dort aufgestellter Sendemast – auch wenn er nicht aktiv war – in der Wirklichkeit aufgrund einzuhaltender Personenschutzgrenzwerte in solcher Nähe hätte gar nicht betreten werden dürfen, zeigt, dass offensichtlich alle Mittel recht waren, dem Zuschauer unterschwellig zu suggerieren, dass die Sorge vor Funkstrahlung unbegründet sei. Zur Wirkung von Funkstrahlung kann aus dem Experiment keine Aussage gewonnen werden, da ja kein Funk eingesetzt wurde. Die den Probanden angekündigten möglichen Nebenwirkungen im „Versuch“ deuten auch generell auf ein ethisch problematisches Untersuchungsdesign. Ein wissenschaftlich halbwegs ehrbarer und kompetenter Versuch sieht anders aus.

Die klamaukhaft inszenierte Darstellung erinnert an einen ähnlich zweifelhaften Versuch von Landgrebe et al. (2008)[7], wo schon die bloße Vorstellung von einer Gefahr genauso im Gehirn ablesbare physiologische Reaktionen zeitigt, wie die Gefahr selbst. Die sich im Gehirn abbildenden Erregungsmuster wurden als "Beweis" für die "lediglich eingebildete Wirkung" auf Grund einer Angst- und Abwehrhaltung gegenüber dem Mobilfunk gewertet. Bei Aschermann (2014)[8] lässt sich näher nachlesen, wie die öffentliche Meinung über Elektrosensibilität in Wissenschaft und Presse geprägt wird.

Immerhin gibt es zahlreiche Untersuchungen, die zeigen, dass tatsächlich eine Reihe von Menschen empfindlich auf die ansonsten nicht über Sinneswahrnehmungen spürbaren Hochfrequenzwellen mit verschiedenen Effekten reagieren.[9] Wie müssen sich solche Menschen als in die lächerliche Ecke gestellt und abqualifiziert sehen bei einem solch dargestellten, hanebüchenen Klamauk? Allein aus ethisch-moralischen Gründen gehört dieser Sendung ein dicker „Daumen nach unten“ gezeigt. Dies im öffentlich-rechtlichen Fernsehen gesendet zu sehen, befremdet zutiefst.

4 Undifferenzierte Vermischung von Begriffen

Wenn Ralph Caspers ankündigt, „den Zuschauern die Geheimnisse der Welt enträtseln“ zu wollen, so darf man feststellen, dass hier genau das Gegenteil erfolgt. Die undifferenzierte Verwendung von Begriffen und eine selektive Darstellung einzelner Aussagen zeugt von bestenfalls nicht verstandenen Sachzusammenhängen, nährt jedoch bei fachlich Versierteren den Eindruck von bewusster Manipulation und Falschinformation:

  • So wird von „gepulster Mikrowellenstrahlung“ gesprochen, die auf „winzige elektrische Impulse“ im Organismus treffen. Wird hier mit dem begrifflichen Gleichklang (Puls) davon abgelenkt, dass technisch gepulste Felder eine ganz andere Signalcharakteristik besitzen und mit den elektrischen Impulsen des Gehirns nichts gemein haben? Und die zu erwartenden bioelektrischen Wechselwirkungen vielfältige Wirkungen erzeugen können? Wo bleibt die Aussage zu oft millionenfach höherer Feldstärke/Leistungsflussdichte der technischen Felder, die auf diese „winzigen Impulse“ im Organismus treffen? Man darf annehmen, dass der untersuchende Neurologe von den bioelektrischen Hintergründen/Zusammenhängen/Problemen der gepulsten Mikrowellenstrahlung und der entsprechenden Wirkungen auf Organismen keine Vorstellung besitzt.
  • Bei der Untersuchung mit Magnetresonanztomografie wird ständig verwischt, ob es um die veränderte „Gehirnaktivität“ geht, die man dort bildgebend messen kann, oder aber von „Nervenimpulsen“ als bioelektrische Aktivität die Rede ist und auch generell von „Gehirnbeeinflussung“. Man wird doch beispielsweise unterscheiden müssen zwischen der Beeinflussung der „Gehirnströme/Nervenimpulse“ und der „Gehirnaktivität“.

5 Falschaussagen zu wissenschaftlichen Erkenntnissen

Es wird die Aussage getroffen (22:50), es gäbe keine Hinweise, dass gepulste Mobilfunkstrahlung einen Effekt auf das menschliche Gehirn haben könnte. Auch gäbe es kaum Untersuchungen dazu, weil dies kompliziert zu messen sei. Dies ist eine offensichtliche Falschaussage, denn seit Jahrzehnten sind Effekte der Mobilfunkstrahlung auf Gehirnströme untersucht und wissenschaftlich überprüfbar nachgewiesen. Dies wird von maßgeblichen internationalen Fachinstitutionen[10] als wissenschaftlich valide anerkannt, wie dies in der österreichischen Technikfolgenabschätzung (ITA) [11] deutlich wird.

Auch die Drucksache des Deutschen Bundestages (19/18445) berichtet über Wirkungen hochfrequenter elektromagnetischer Felder von Handys auf Hirnströme im Bereich unterhalb der Grenzwerte. Wirkungen wurden mehrfach in vom BfS beauftragten Vorhaben dokumentiert (Untersuchungen an Probanden unter Exposition mit HF-EMF von Mobiltelefonen,[12] Probandenstudie zur Untersuchung des Einflusses der für TETRA genutzten Signalcharakteristik auf kognitive Funktionen,[13] Einfluss von HF-EMF auf die Gehirnaktivität, Schlaf und kognitive Leistungsfähigkeit älterer Frauen,[14] Einfluss von HF-EMF auf die Gehirnaktivität, Schlaf und kognitive Leistungsfähigkeit älterer Männer.[15] Zudem werden dort Hinweise auf einen Einfluss von HF-EMF auf den Stoffwechsel im Gehirn (Glukosemetabolismus, Sauerstoffverbrauch) u. v. a. m. benannt.

Hinsichtlich der genannten 4 „Schädigungstheorien“ wird in der Sendung behauptet, dass „keine andere Studie negative Effekte durch freie Radikale bestätigen konnte“. Gerade die Effekte auf Zellebene – zusammenfassend bezeichnet mit „oxidativem Zellstress“ – sind soweit untersucht und bekannt, dass hier inzwischen ein Wirkungsmodell abzuleiten ist, welches den Ursache-Wirkung-Zusammenhang beschreiben kann.[16]

Als Falschaussage darf auch angesehen werden (08:25), dass durch 5G die Strahlungsbelastung geringer sei. Denn erstens liegen dazu noch keinerlei Untersuchungen vor und zweitens darf nicht allein die Durchschnittsbelastung gesehen werden, sondern es kommt auf die biologisch wirksame Spitzenbelastung an. Es darf erwartet werden, dass durch das aktive Beamforming der 5G massive MIMO Antennen mit sehr scharfer Bündelung und vergleichsweise hoher Sendeleistung eine höhere Spitzenbelastung beim Nutzer entstehen kann, als dies bisher bei der üblichen Anwendung der Mobilfunktechnologie 2G bis 4G der Fall ist. Dies ist hinsichtlich der persönlichen Maximalbelastung (und deren gesundheitlicher Beurteilung) von Bedeutung.

6 Relativierung klarer Erkenntnisse

Im Rahmen der angesprochenen „Schädigungstheorien“ und der möglichen Krebsentstehung durch Mobilfunkstrahlung werden in der Sendung die großen NTP-Studien angesprochen. Einerseits wird der signifikante Anstieg von Herztumoren dadurch relativiert, dass an Krebs erkrankte Tiere auch länger leben, was undifferenziert den Eindruck hervorruft: „der Krebs ist nicht so schlimm, weil man ja länger lebt“. Allein diese Aussage ist aus gesundheitlicher und ethischer Sicht äußerst bedenklich. Andererseits wird durch den Hinweis auf eine Belastung der Versuchstiere „deutlich oberhalb der Grenzwerte“ suggeriert, dass diese Belastungssituation ja hier nicht zulässig sei und insofern die Ergebnisse aus dem Tierversuch nicht übertragbar seien. Gleichzeitig wird verschwiegen, dass ebensolche Untersuchungen in der Ramazzini-Studie (Falcioni et al. 2018)[17] die Ergebnisse der Krebsstudie des NTP bei niedrigen Feldstärken bestätigten. Auch wird nicht erwähnt, dass in einer üblichen vollständigen/gesundheitlichen Risikobewertung nach den (auch vom BfS anerkannten[18]) Bradford-Hill-Kriterien weitere Indizien zusammenzuführen sind. Hardell et al. (2018)[19] vergleichen in diesem Sinne die Ergebnisse der gefundenen Tumorarten im Tierversuch mit ebensolchen epidemiologischen Erkenntnissen beim Menschen und finden bei zwei Tumorarten darin einen eindeutigen Nachweis solcher Effekte („clear evidence“). Die kritisierten angeblichen methodischen Schwächen der Studien fallen auf die Sendung selbst zurück, da diese Darstellung selbst gravierende methodische Schwächen zeigt.

7 Irreführendes und ethisch fragwürdiges Experiment im Kernspintomografen

7.1 Irreführende Fragestellung

Zunächst hätte festgestellt werden müssen, welche Abläufe/Funktionen im Gehirn mit welchen Untersuchungs-/Messtechniken sicher und aussagefähig erfasst werden können. Um sodann zu überlegen, mit welcher Technik oder Untersuchungsmethode welche Fragestellung zu klären ist. Diese sachlich notwendige Unterscheidung fand jedoch nicht statt, weil offensichtlich keine Experten eingebunden wurden, die sich mit der Thematik ernsthaft auseinandergesetzt haben. Wenn im NMR dargestellt werden soll, dass Mobilfunkstrahlung keine Wirkung auf das Gehirn hat, offenbart sich hier das Nichtwissen. Denn eine entscheidende Fragestellung wäre, wie die gepulsten HF-EMF mit dem neuronalen Frequenzmuster interagieren und einen Einfluss auf das Gehirn ausüben. Grundsätzlich sind aktuelle elektrische Aktivitäten des Gehirns im NMR aber nicht darstellbar. Das statische NMR-Magnetfeld sorgt dafür, dass die EEG-Signale, nicht die Hirnaktivitäten „pathologisch“ verändert sind.

Unklar blieb auch, mit welcher 5G-Frequenz, Modulation und Feldstärke die Untersuchung durchgeführt wurde? Denn wenn zuvor gesagt wurde, dass die Frequenzen im hohen GHz-Bereich (Millimeterwellen) eigentlich nicht weiter in den Körper eindringen, so dürfte sich – nach einfacher Logik – auch kein Effekt bei Gehirnaktivitäten zeigen können? Derzeit sind die höheren Frequenzen in dem Bereich FR 2 (Frequency Range 2) über 20 Gigahertz ja überhaupt noch nicht versteigert und damit nicht im Einsatz.

Letztlich ist das ganze „Experiment“ fragwürdig und unbrauchbar, weil die erwartete Bildgebung mangels Zusammenhang mit einer konkreten Aufgabenstellung an die Probandin unter 5G-Einfluss ausbleiben musste. Eine lediglich eingestrahlte Frequenz (ohne gleichzeitige Aufgabenstellung für die Probandin) dürfte erwartungsgemäß ja keine Gehirnaktivität auslösen?

Wenn am Ende der Sendung gesagt wird, dass „sich das Gehirn durch Mobilfunkstrahlung nicht durcheinanderbringen lässt“ und man wissen wolle, „ob Mobilfunk uns in irgendeiner Weise beeinflusst, wir haben keinen Effekt gemessen erfreulicherweise“, dann ist dieses Ergebnis genau das Gegenteil einer Aufklärung der Zuschauerinnen und Zuschauer. Was ist von solch unqualifizierten Demonstrationen zu halten, wenn in ähnlicher Weise der technisch bedingte Mitspieler „WLAN“ betrachtet wird. WLAN ist ein mit 10 Hz pulsmoduliertes Hochfrequenzsignal, das bei Langzeitexposition Spuren auf dem Nervensystem hinterlässt, die dann nach (!) Exposition im EMG (Elektromyogramm) noch nachweisbar sind.[20] Störsignale auf dem Nervensystem sind demnach kein lokales Ereignis, sondern wirken auf den gesamten Körper mit individuellen Folgen, was unter allgemeiner, unspezifischer elektromagnetischer Empfindlichkeit einzuordnen ist, aber auch zu ernsthaften gesundheitlichen Schäden führen kann.

7.2 Einsatz völlig ungeeigneter Technik

In MRT-Geräten strahlt eine Hochfrequenzspule HF-Pulse in den Untersuchungsgegenstand ein. Wenn in dem jüngst veröffentlichten Entwurf zu den TREMF (Technischen Regeln zur Arbeitsschutzverordnung zu elektromagnetischen Feldern)[21] zur Gefährdungsbeurteilung steht, dass die Exposition sich nicht nur aus dem Magnetfeld, sondern auch aus dem eingestrahlten hochfrequenten Feld ergibt, so fragt sich überhaupt, was mit einem solchen Experiment bezweckt wird, wenn die eingesetzte Technik selbst massiv mit Hochfrequenz arbeitet (weit oberhalb der üblichen Personenschutz- und Arbeitsschutzgrenzwerte). Überprüft man den Effekt von Hochfrequenz mit einem Untersuchungssystem, das neben einem starken Gleichfeld auch noch selbst Hochfrequenz in erheblichem Maße erzeugt, so dürfte sich das Experiment als ad absurdum führen.

Oder ist das ganze Experiment von vornherein als „Fake“ inszeniert, wenn Herr Deppe sogar selbst eingesteht, der Effekt sei "nicht messbar" gewesen - möglicherweise eben wegen Überlagerung durch die Magnet- und Hochfrequenzfelder des MRT?

7.3 Vorsätzliche Gefährdung der Probandin

Letztlich stellt sich auch die Frage, wie es um die Fürsorgepflicht des WDR als Arbeitgeber für seine Mitarbeiterin steht , wenn diese für ein Experiment auf Micky-Maus-Niveau einer gesundheitlichen Gefährdung durch starke Felder unterzogen werden. Denn anders als bei einer MRT-Untersuchung zur medizinischen Diagnose steht hier der extrem hohen Feld-Exposition keinerlei diagnostischer oder therapeutischer Gewinn gegenüber, der das Expositionsrisiko rechtfertigen würde.

Laut Wikipedia[22] beträgt das magnetische Gleichfeld beim MRT typischerweise 1,5 Tesla (bei neueren Geräten sogar bis 3 Tesla und mehr). Der Personenschutzgrenzwert gemäß 26. BImSchV für magnetischer Gleichfelder von 500 µT für die allgemeine Bevölkerung wird also (bei einer Exposition von 1,5 T) um den Faktor 3.000 überschritten! Diesen Umstand mit der in der Sendung gezeigten Visualisierung dergestalt zu „verniedlichen“, zeugt von mangelnder Verantwortung.

Üblicherweise wird der Schutz der Allgemeinbevölkerung deutlich höher angesetzt als der Schutz am Arbeitsplatz (eingeschränkte Expositionszeiten, keine vulnerablen Bevölkerungsgruppen wie Kinder, Alte etc.). Schaut man auf den Schutz am Arbeitsplatz gemäß EMFV, gilt für den Arbeitsschutz eine Auslöseschwelle für die Exposition des Kopfes bei 2 T. Wurde die Probandin über diese Gefährdung überhaupt adäquat aufgeklärt? In dem jüngst veröffentlichten Entwurf zu den TREMF heißt es u.a.: „Insbesondere im Untersuchungsraum ist beim Betrieb der MR-Gerätedavon auszugehen, dass bei bestimmten Tätigkeiten die Expositionsgrenzwerte überschritten werden können. Dies kann zu einer Gefährdung von Sicherheit und Gesundheitsschutz der Beschäftigten bei der Arbeit führen, gegen die Schutzmaßnahmen auszuwählen und durchzuführen sind.“

8 Gesundheitliche Wirkungen unqualifiziert und selektiv dargestellt

Die Aussage, Strahlung dringe nicht in den Körper ein, ist bei den derzeit verwendeten Frequenzen – auch unter derzeitigen 5G-Anwendungen im weiten Frequenzbereich von 700 MHz bis 3,7 GHz – schlichtweg falsch. Gerade die in den Zellen wirksamen Schädigungsprozesse durch freiwerdende Radikale etc. bereiten den Wissenschaftlern Sorgen. Die Krebswirksamkeit und die krebsverstärkende Wirkung von HF-EMF sind im Tierversuch statistisch signifikant belegt und beim Menschen empirisch bestätigt.

Das zum Schluss der Sendung gezeigte Experiment ist nicht nur in hohem Maße fragwürdig, sondern erhebt durch professoralen Beistand sogar noch den Anspruch einer wissenschaftlichen Beweisführung für die angebliche Unwirksamkeit der Strahlung. Man gewinnt den Eindruck, dass der experimentierende Neurologe hinsichtlich der Erfassung biologischer Effekte des Mobilfunks auf den Körper nicht kompetent ist. Wo bleiben die vielen anderen Kenntnisse über direkte und mittelbare Wirkungen durch Handynutzung? So wurde der Einfluss von HF-EMF auf Gehirnaktivität, Schlaf und Kognition in insgesamt vier vom BfS initiierten Forschungsvorhaben an jungen, gesunden Männern sowie älteren Frauen und Männern untersucht. Dort wurden Veränderungen der Gehirnaktivität gefunden. Warum bleibt dies ungenannt? Auch gibt es Studien, die ein erhöhtes Risiko für Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern feststellten, die selbst das Handy nutzten, deren Mütter während der Schwangerschaft oder danach mit dem Handy telefonierten oder bei denen beides zutraf.

Verharmlosende Darstellungen mit griffigen Bildern nähren in der Bevölkerung ein Bewusstsein, was zu den immer stärker werdenden, wissenschaftlich belegbaren Erkenntnissen über Risiken und Gefahren im Widerspruch steht. Damit wird den jahrzehntelange Feststellungen und Erfahrungen bei anderen gefährlichen Umweltnoxen gefolgt, die den unhaltbaren Umgang mit Gefährdungen aufzeigen und belegen.[23] Informiertere Zuschauer:innen gewinnen den Eindruck, dass hier gezielt verfälschende Aussagen und Darstellungen genutzt werden, um von einem gravierenden gesundheitlichen und Umweltproblem abzulenken, damit der unbesonnenen Fortentwicklung Schwierigkeiten nicht entgegenstehen: „nach 5G kommt 6G/7G und so wird es immer weitergehen…“

Welch wissenschaftlich unhaltbare Sendung!

gez. Diagnose:funk (https://www.diagnose-funk.org/)

gez. Kompetenzinitiative (https://kompetenzinitiative.com/)

Mit den besten Grüßen

Wilfried Kühling

11.06.2021

Quellen:

[1]    Siehe: https://twitter.com/strahlenschutz, Eintrag vom 11.05.2021

[2]    Siehe z. B. Erläuterungen in Wikipedia

[3]    Ebda.

[4]    BAFU – Bundesamt für Umwelt, Schweizerische Eidgenossenschaft (2015): Mobilfunk: Weniger Strahlung trotz mehr Datenverkehr. [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/elektrosmog/dossiers/weniger-strahlung.html; 04.11.2020]

[5]    Siehe: https://www.sunrise.ch/content/dam/sunrise/residential/spotlight/2019/20191216_FSM_Mobilfunk_Stand%20des%20Wissens.pdf

[6]    Kühling, W. (2020): Wissenschaft verkehrt, oder: Wie Gesetzgebung und Vollzug wissenschaftliche Erkenntnisse missbrauchen. Dargestellt am Beispiel elektromagnetischer Felder. In: umwelt medizin gesellschaft 33 1/2020: 11-18.

[7]    Siehe: https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/18499479/

[8]    Aschermann C. (2014): Wie die öffentliche Meinung über Elektro­sen­si­bilität geprägt wird in Wissenschaft und Presse – Aktuelle Beispiele und Hintergründe. In: UMG 3/2014, S. 192-197. [https://kompetenzinitiative.com/gesellschaft/wie-die-oeffentliche-meinung-ueber-elektrosensibilitaet-gepraegt-wird-in-wissenschaft-und-presse/; 07.05.2021]

[9]    Siehe z. B. „Elektrohypersensibilität – Risiko für Individuum und Gesellschaft“, Heft 11 der Schriftenreihe der Kompetenzinitiative zum Schutz von Mensch, Umwelt und Demokratie e. V. "Wirkungen des Mobil- und Kommunikationsfunks" [https://kompetenzinitiative.com/wp-content/uploads/2019/08/KI_HEFT-11_Elektrohypersensibilit%C3%A4t_2018.pdf; 07.05.2021]

[10]   So z.B. ANSES (Agence nationale de sécurité sanitaire de l’alimentation, de l’environnement et du travail); SCENIHR (Scientific Committee on Emerging and Newly Identified Health Risks); ICNIRP (International Commission on Non-Ionizing Radiation Protection).

[11]   ITA – Institut für Technikfolgen-Abschätzung (ITA) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) (Hrsg.) (2020): 5G-Mobilfunk und Gesundheit – Die aktuelle Einschätzung des Evidenzstandes zu möglichen Gesundheitsrisiken von elektromagnetischen Feldern des Mobilfunks durch anerkannte wissenschaftliche Gremien. Wien. [http://epub.oeaw.ac.at/ita/ita-projektberichte/ITA-AIT-11.pdf; 20.01.2021].

[12]   Siehe: http://www.emf-forschungsprogramm.de/forschung/biologie/biologie_abges/bio_080.html

[13]   Siehe: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0221-2014090311644

[14]   Siehe: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0221-2019013117414

[15]   Siehe: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0221-2019101519604

[16]   Schuermann, D.; Mevissen, M. (2021): Manmade Electromagnetic Fields and Oxidative Stress - Biological Effects and Consequences for Health. Int. J. Mol. Sci. 2021, 22, 3772. [https://www.mdpi.com/1422-0067/22/7/3772/pdf].

[17]   Falcioni, L. et al. (2018): Report of final results regarding brain and heart tumors in Sprague-Dawley rats exposed from prenatal life until natural death to mobile phone radiofrequency field representative of a 1.8 GHz GSM base station environmental emission. Environmental Research 165: 496–503. [https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0013935118300367?via%3Dihub; 25.12.2019].

[18]   Strahlenschutzstandpunkt des Bundesamts für Strahlenschutz (BfS) „Verfahren zur Bewertung gesundheitsbezogene Risiken durch Strahlung am BfS“ vom Februar 2021. https://www.bfs.de/SharedDocs/Downloads/BfS/DE/broschueren/risikobewertung.html

[19]   Hardell, L.; Carlberg, M.; Hedendahl (2018): Kommentar zu technischen Berichten des National Toxicology Program (NTP) zu Untersuchungen über die Toxikologie und Karzinogenese bei einer Ganzkörperexposition von Ratten und Mäusen mit Mobiltelefonstrahlung. [https://www.emfdata.org/de/dokumentationen/detail?id=216; 03.01.2020].

[20]   von Klitzing L (2021): Artificial EMG by WLAN-Exposure. J Biostat Biometric App 6(1):101. http://www.annexpublishers.com/articles/JBIA/6101-Artificial-EMG-by-WLAN-Exposure.pdf

[21]   Siehe: https://www.baua.de/DE/Angebote/Rechtstexte-und-Technische-Regeln/Regelwerk/TREMF/_pdf/TREMF-MR.pdf?__blob=publicationFile&v=2

[22]   Siehe: https://de.wikipedia.org/wiki/Magnetresonanztomographie#Nachteile_der_MRT

[23]   EUA – Europäische Umweltagentur (2016): Späte Lehren aus frühen Warnungen: Wissenschaft, Vorsorge, Innovation. EUA-Bericht Nr. 1/2013, Kopenhagen.

Artikel veröffentlicht:
11.06.2021
Autor:
Prof. Wilfried Kühling / Kompetenzinitiative e.V. / diagnose:funk
Ja, ich möchte etwas spenden!