Projekt Fennematt - Interview mit Eide Dücker

Genossenschaftliches und naturnahes Leben und Arbeiten in funkarmer Umgebung
diagnose:funk im Interview mit Eide Dücker, Initiator eines genossenschaftlichen Projekts auf der Fennematt in den Südvogesen - Gärtnerei, Gästebetrieb & Gemeinschaft. Der Gästebetrieb startet voraussichtlich im Juli 2020. Beteiligungen und Mitstreiter werden gesucht.
Fennematt am Südhang, Anfang April 2020Bild: diagnose:funk

Die Fragen stellte Jörn Gutbier von diagnose:funk:

Das erste, was ich über Dich erfahren habe, als wir uns nach der großen 5G-Aufklärungsveranstaltung in Kirchzarten im Oktober 2019 getroffen haben, war, dass Du früher mal eine Kletterhalle in Berlin betrieben hast. Jetzt erfahre ich noch, dass Du davor bei einem großen deutschen Textilhersteller in der internationalen Außenvertretung leitend tätig warst und Betriebswirtschaft in Deutschland und den USA studiert hast. Aktuell bist Du dabei, ein genossenschaftlich organisiertes Projekt für naturnahes Leben und Arbeiten in funkarmer Umgebung aufzubauen – warum?

Das war ein längerer Prozess. Ende der 1990er wurde mir klar, dass ich in meinem Job mit den Reisen um die ganze Welt und trotz vieler spannender Kontakte nicht mehr zufrieden war. Also habe ich mit meiner Begeisterung für das Klettern einen neuen Weg in die berufliche Selbstständigkeit gewagt. Der Aufbau einer Kletterhalle in Berlin war trotz Anlaufschwierigkeiten sehr erfolgreich. Aber auch hier musste ich bald feststellen, dass ich im städtischen Umfeld von Berlin zunehmend depressiv wurde, obwohl eigentlich alles perfekt war: ich hatte ein prosperierendes Unternehmen aufgebaut, eine Loft-Wohnung im Prenzlauer Berg, Kultur vor der Tür und stand mitten im Leben, aber es ging mir nicht gut.

Wie bist Du damit umgegangen?

Zurückblickend war ich seit 2002 in einem Burnout. So ab 2004 wurde mir in kleinen Schritten klar, meine intuitiven Wahrnehmungen annehmen und integrieren zu müssen, mich auf meinen spirituellen Weg einzulassen. So begann ich zu forschen, was ich brauche, um mich aus diesem Tief herauszuarbeiten und wieder in meine Kraft zu kommen. Ich bin mir selbst dankbar, mich immer wieder neu und konsequenter auf diesen Prozess einlassen zu können. Dieses Forschen hat mich zu vielen Orten, Methoden, Menschen und Erkenntnisprozessen geführt, die ich als Perlen bei mir tragen darf. Parallel nahm meine Sensibilität stetig zu.

Warum nun ein landwirtschaftlich orientiertes Projekt?

Das hat auch etwas mit meiner Herkunft zu tun. Ich bin ein Bauernkind und auf einem Landwirtschaftsbetrieb aufgewachsen. 2008 habe ich den Agrarrebell Sepp Holzer in Österreich besucht. Auf dem Krameterhof wird auf bis zu 1.400 m Höhe an steilen Hängen eine ökologische Landwirtschaft nach Permakultur-Prinzipien erfolgreich praktiziert. Von Sepp und seiner Familie habe ich dann über zwei Jahre lang in einer Ausbildungsgruppe viel Neues gelernt und an vielen verschiedenen Projekten in Europa mitgearbeitet, in Spanien, Portugal, Italien, der Schweiz, Deutschland.

Eines der elf Hochlandrinder zur WiesenbeweidungBild: diagnose:funk

Erläuterung zur Permakultur

  • Permakultur ist ursprünglich ein nachhaltiges Konzept für Landwirtschaft und Gartenbau, das darauf basiert, natürliche Ökosysteme und Kreisläufe in der Natur genau zu beobachten und nachzuahmen. Grundprinzip ist ein ökologisch, ökonomisch und sozial nachhaltiges Wirtschaften mit allen Ressourcen. Permakultur ist ein Denkprinzip, das mittlerweile auch in der Gestaltung sozialer Strukturen, Landschaftsplanung, Architektur, Stadtplanung und Energieversorgung Anwendung findet. https://de.wikipedia.org/wiki/Permakultur

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Nun initiierst Du so ein Projekt hier auf der Fennematt in den Südvogesen, warum?

Da ich ein Unternehmergeist bin wurde immer klarer, dass ich selber ein Projekt auf die Beine stellen muss, um genau das umsetzen zu können, was ich in mir fühle und vor meinem geistigen Auge sehe. Hier kann ich einen von vielen notwendigen Lösungsansätzen ins Leben bringen. Die Fennematt hat mich in 2010 „gefunden“. Ich war in die Vogesen gefahren, um mir dort - mal wieder - ein Gemeinschaftsprojekt anzuschauen. Dort bin ich über einen Kontakt auf den Verkauf der Fennematt hingewiesen worden, nachdem ich am Lagerfeuer berichtete, was mir vorschwebt. Ich bin gleich darauf hergefahren und es war sofort klar: Das ist mein Platz. Ein Gefühl von Heimat und tiefer Verbundenheit mit der offen atmenden Natur war präsent. Das war in der Qualität neu für mich.

Jetzt beinhaltet das Projekt noch ein paar Besonderheiten, die mit dem Thema von diagnose:funk zu tun haben. Der Ort hier ist funkarm und der gesamte Neubau ist mit einer geschirmten Elektroinstallation ausgeführt, es wird kein WLAN geben und jegliche Funkanwendungen sind untersagt. Wie kam es dazu. Ist das realistisch?

Es hat ja noch bis 2016 gedauert, bis ich das Objekt letztlich vollständig erwerben konnte. In der Zeit, mit dem Pendeln zwischen Berlin, der Schweiz und hier und anderen funkarmen und funkbelasteten Orten, wurde mir erst Stück für Stück bewusst, dass ich hochsensibel auf Funkstrahlung reagiere und diese Belastung ein Hauptgrund für meine „gesundheitlichen Probleme“ ist. Darum will ich das hier konsequent umsetzen. Ich brauche so einen sauberen Ort für mich, um mich zu erden und einen klaren Geist zu behalten. Und ich fühle, dass es viele Menschen gibt, die solche Orte mindestens zur Erholung aufsuchen werden.

Schon als ich 2000 die Kletterhalle in Berlin bauen wollte, haben mich viele für bekloppt erklärt. Und das zieht sich bei mir wie ein roter Faden durch. Sowie 2007, als ich das Café in der Kletterhalle vollständig auf Bio umgestellt habe und so weiter. Aber wenn ich mich nach einem langen, inneren Abwägungsprozess für etwas entschieden habe, dann ziehe ich es auch durch.

Das Projekt hat ein Investitionsvolumen von fast 6 Mio. Euro. Wie wurde das Projekt bis hierher finanziert und wer ist der Träger?

Vor dem Abbruch meiner Zelte in Berlin habe ich in einem mehrjährigen Prozess den Betrieb und die Halle mit Grundstück schlussendlich vernünftig abgeben können, und 2016 mit dem Vermögen der Berliner Immobilie die gemeinnützige almeide-Stiftung gegründet. Mit diesem Geld und einer Unterstützerin für das Projekt ist bisher alles aus privaten Geldern finanziert.

Durch meine Erfahrungen in Berlin war klar, dass ich dieses Projekt ohne Banken durchführen wollte. Das Projektbudget wird über eine Kostenmiete refinanziert (maximal 1,5% Zinsen plus langfristige Tilgung). Das Grundbuch ist nach wie vor unbelastet, und es gibt einen erfahrenen deutschsprachigen Notar, der das Projekt betreut. Was noch finanziert werden muss, sind Teilarbeiten im Innenausbau, Teile der Inneneinrichtung, die Fertigstellung der Außenanlagen mit Gewächshaus, Gärtnerhaus, Heulager und der Ausbau der landwirtschaftlichen Ateliers.

Wann geht das Projekt denn an den Start?

Aktuell fehlen noch 1,6 Mio. Euro, um alle ausstehenden Arbeiten fertigstellen zu können. Der Hausbetrieb soll Schritt für Schritt ab Juli anlaufen, wenn die meisten Zimmer und Studios, die Gemeinschafts- bzw. Seminarräume fertiggestellt sind und die Gemeinschaftsküche angeheizt werden kann.

Was sind die nächsten Schritte?

Das Gebäude ist so konzipiert, dass verschiedene Nutzungsformen möglich sind: Gästebetrieb mit Selbstversorgung für Einzelpersonen und/oder Gruppen und Seminare. Oder ein genossenschaftliches Wohnprojekt. Oder eine klassische Dauervermietung. Oder eine Mischung aus allem. Die Potenziale sind gemeinschaftliches Wohnen und Wirtschaften, ökologische Landwirtschaft und Gartenbau, Kunst und Kultur.

Gibt es eine Priorität?

Das steckt mitten in einem Prozess. Aktuell melden sich immer wieder Menschen. Und es geht darum eine Kerngruppe als Projektträger auf Augenhöhe zu finden, die dann die weiteren Strukturen zusammen formt.

Beteiligungen und Mitstreiter werden gesucht. Menschen können sich über eine finanzielle Beteiligung in das Projekt einbringen. Durch nachrangige oder grundbuchlich abgesicherte Darlehen oder über Schenkungsdarlehen an die gemeinnützige almeide-Stiftung in Hamburg.

Was die Fennematt nun braucht, sind Menschen, die sich mit ihren Fähigkeiten verantwortlich einbringen wollen und können, insbesondere für die Gärtnerei, die Landwirtschaft sowie die Verarbeitung, für die Vermarktung, für Seminare und für die Gemeinschaftsküche.

Woher nimmst Du die Kraft, so ein spezielles Projekt quasi allein aufzubauen?

Die Qualitäten aus weitgehender Funkfreiheit, die starke Energie des Ortes, die wilde Landschaft und der ökologische Neubau überzeugen mich immer wieder neu, dass ich an der richtigen Stelle arbeite. Und das, was bei mir hier heilend wirkt, wirkt bewusst oder unbewusst bei jedem Menschen der hier reinschaut. Daraus ergab sich mein Grundvertrauen, das Projekt „allein“ zu starten. Jetzt, wo das Haus fast fertig ist, kommen immer mehr Menschen auf uns zu. Und es wird immer konkreter, dass eine tragende Gruppe entstehen will.

Lieber Eide, ich bin schwer beeindruckt von diesem außergewöhnlichen Projekt. Ganz herzlichen Dank, dass ich hier sein durfte und dieses Interview mit Dir führen konnte.

April 2020

FERME - AUBERGE DE LA FENNEMATT, 68290 Dolleren, Elsass, Frankreich.
Eine Autostunde von Freiburg und Basel entfernt.
Kontakt:
Eide.Duecker@fennematt.info

Holzhaus in der Fennematt, mit Laubengang auf der Nordseite Foto: Eide Dücker

2010 stand die landwirtschaftliche Immobilie Fennematt im Elsaß zum Verkauf. Der vollständige Erwerb des Anwesens zog sich über 6 Jahre. Baubeginn war im Sommer 2017.

Umfangreiche Eingriffe in das 60 ha Gelände standen an erster Stelle. Die großen Wiesen- und Waldflächen wurden mit 3 km Holzzäunen zum Teil eingefriedet. Für die landwirtschaftliche Nutzung wurden Teiche angelegt, mehrere Quellen gefasst und acht große Terrassen (ca. 2 Hektar) an den Hängen angelegt. Die ökologische Landwirtschaft mit einer kleinen Herde schottischer Hochlandrinder und einem eigenständigen Gartenbaubetrieb wird nach Permakultur-Prinzipien betrieben.

Der ökologische Neubau liegt auf 900 m Höhe in einem stillen Seitental im Naturschutzgebiet. Auf rund 1.200 m² Geschossfläche entstehen: ein fengshui optimierter Massivholzbau (NurHolz) mit abgeschirmter Elektroinstallation, Internet nur per LAN-Kabel, Passivhausstandard, wohngesunden Baustoffen, eigener Pflanzenkläranlage, Quellwasser und Zisternen für Brauchwasser, Solarthermie, Pelletheizung, Grundofen.

Aktuell ist der Innenausbau mit Elektriker, Fliesenleger, Sanitär und Trockenbauern am Laufen. Soweit die Fertigstellung wie geplant weitergeht, soll das Objekt im Juli 2020 eröffnet werden.

Insbesondere für die Gärtnerei/Landwirtschaft, Seminare/Vermarktung und Verarbeitung/Küche werden noch tatfreudige und verantwortliche Mitgestalter gesucht.

 

Galerie-Bilder: diagnose-funk & Eide Düker

Artikel veröffentlicht:
01.05.2020
Artikel aktualisiert:
01.05.2020
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