WBGU: Weckruf zur Digitalisierung

Kritik an fehlender gesellschaftlicher Debatte
Die Diskussion über die Folgen Digitalisierung ist nicht erwünscht. Das erleben Gemeinderäte und Bürgerinitiativen überall. Wer Fragen aufwirft, dem wird Fortschrittsfeindlichkeit unterstellt. Bürgermeister antworten mit Floskeln wie "Digitalisierung sei eben der Fortschritt" oder gar nicht.

Nun hat sich der "Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU)" mit dem Impulspapier "Digitalisierung: Worüber wir jetzt reden müssen" zu Wort gemeldet. Im Kern wird darin kritisiert, dass es weder eine gesellschaftliche Debatte noch eine Technikfolgenabschätzung gibt, sondern die Industrie den Takt vorgibt: "Eine Ausrichtung der globalen digitalen Revolution an den Nachhaltigkeitszielen der Agenda 2030 (Nachhaltigkeitsprogramm der UNO, Anm.df), ist kaum zu beobachten, auch wenn viele Akteure betonen, sie handelten zum Wohle der Menschheit. Die explizite und implizite Definition von Zielen der Digitalisierung findet bisher in einer unübersichtlichen Akteurslandschaft statt, die den Anforderungen demokratischer Legitimation oder staatliche Überprüfung kaum genügt."

Die Digitalisierung sei ´keine „Naturgewalt`, sondern eine von Menschen vorangetriebene Entwicklung. Sie kann und sollte daher gestaltet werden." Die Warnung des WBGU:

"Um die Auswirkungen der Digitalisierung in Einklang mit der Agenda 2030 zu bringen, ist eine politische bzw. gesellschaftliche Gestaltung notwendig. Die Digitalisierung entfaltet ihre disruptive Kraft mit großer Geschwindigkeit und globaler Reichweite, während ihre Regulierung größtenteils nacheilend erfolgt, zeitintensive Aushandlungsprozesse erfordert und überwiegend im nationalen Rahmen stattfindet. Eine demokratische Steuerung der Digitalisierung setzt zudem ein heute oft fehlendes systemisches Verständnis der Dynamiken, Chancen und Risiken der Digitalisierung seitens der politischen und gesellschaftlichen Akteure voraus. Derzeit ist nicht absehbar, ob unumkehrbare Wege eingeschlagen werden oder ob es Kipppunkte in der digitalen Entwicklung gibt, jenseits derer die Möglichkeiten einer demokratischen Gestaltung eingeschränkt sind.

> Wie kann mit dieser Ungleichzeitigkeit von technisch-ökonomischer Veränderung und Regierungshandeln umgegangen werden?

> Wie könnten Frühwarnsysteme für Kipppunkte aussehen?

> Wie kann eine Global Governance der Digitalisierung gelingen?"

Quelle: wbgu.de

Im Absatz "Wissen, Bildung und digitale Mündigkeit" wird der "Zugang aller Menschen zu Wissen, Bildung und Ausbildung" durch die Digitalisierung angesprochen und mit den Risiken konfrontiert:

"Auf der anderen Seite wächst die Gefahr der Manipulation oder selektiven Wahrnehmung von Fakten. Die Fähigkeit zum verantwortungsvollen Umgang mit digitalen Medien wird zu einer Schlüsselqualifikation der Zukunft."

Das ist eine Aufforderung, auch über die Folgen der "Digitalen Bildung", die ebenfalls ohne Debatte derzeit durchgesetzt werden soll, zu diskutieren. Was Erziehung zur Medienmündigkeit an Konzepten erfordert, darüber müsste in den Erziehungsverbänden endlich eine kritische Debatte beginnen. 

Denn so, wie es derzeit nahezu unreguliert ablaufe, so der WBGU, bestehe die Gefahr einer Steigerung des Energie- und Ressourcenverbrauchs, Gefährdung der Freiheit durch BigData und Überwachung. In seinem Redebeitrag sieht Prof. Dr. Dirk Messner, Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) und Direktor des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik vier "schiefe Ebenen": wachsende Ungleichheit, eine Machtkonzentration, Aufhebung der Privatsphäre und eine Überforderung der Regierungen.

Zitate aus den WBGU Gutachten

Zur  Digitalisierung hat sich der "Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU)" mit dem Impulspapier "Digitalisierung: Worüber wir jetzt reden müssen" und dem Gutachten "Unsere gemeinsame Zukunft" zu Wort gemeldet. Der WBGU kritisiert, dass es weder eine gesellschaftliche Debatte noch eine Technikfolgenabschätzung gibt, sondern die Industrie den Takt vorgibt: Der WBGU stellt fest, dass weder in Deutschland noch in der EU eine "Analyse der einschlägigen Chancen und Risiken ... existiert" (Zusammenfassung S.4), der "gestaltende Staat" (S. 6) fehlt, stattdessen "naive Fortschrittsfantasien" (S. 2) herrschen. Er schlägt Alternativen vor und fordert eine gesellschaftliche Debatte.

  • "Eine Ausrichtung der globalen digitalen Revolution an den Nachhaltigkeitszielen der Agenda 2030 (Nachhaltigkeitsprogramm der UNO, Anm.d:f), ist kaum zu beobachten, auch wenn viele Akteure betonen, sie handelten zum Wohle der Menschheit. Die explizite und implizite Definition von Zielen der Digitalisierung findet bisher in einer unübersichtlichen Akteurslandschaft statt, die den Anforderungen demokratischer Legitimation oder staatliche Überprüfung kaum genügt." Die Digitalisierung sei keine Naturgewalt,  sondern eine von Menschen vorangetriebene Entwicklung.
  • "Digitalisierung kann ohne klare Rahmenbedingungen als Brandbeschleuniger des steigenden Energie- und Ressourcenbedarfs sowie der Treibhausgasemissionen wirken. Wenn Milliarden neue Geräte in den kommenden Jahren vernetzt werden, wird die Energienachfrage von Datenzentren und Übertragungsdiensten steigen. Grundvoraussetzung, um die Potenziale der Digitalisierung für die Transformation der Energiesysteme und den Klimaschutz zu nutzen, sind daher effektive Klima- und energiepolitische Rahmenbedingungen, wie sie der WBGU in früheren Gutachten bereits ausgeführt hat (Zusammenfassung Handlungsempfehlungen,S.15)."
  • "Denn der WBGU dehnt den Analyseraum über seinen Kernkompetenzbereich hinaus aus, weil das künftige Schicksal der planetarischen Umwelt massiv vom Fortgang der digitalen Revolution abhängen wird. Er mischt sich in einen gesellschaftlichen Diskurs ein, der immer hektischer geführt wird, weil es um die globale Innovationsführerschaft im 21. Jahrhundert geht. Und er versucht, Antworten auf Kernfragen zu finden – Fragen nach der mittelfristigen Zukunft, ja sogar nach dem schieren Fortbestand des Anthropos auf der Erde. Nur wenn es gelingt, die digitalen Umbrüche in Richtung Nachhaltigkeit auszurichten, kann die Nachhaltigkeitstransformation gelingen. Digitalisierung droht ansonsten als Brandbeschleuniger von Wachstumsmustern zu wirken, die die planetarischen Leitplanken durchbrechen (Zusammenfassung, S. 1)."

 

Artikel veröffentlicht:
02.04.2019
Autor:
diagnose:funk

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