Prof. Manfred Spitzer: Digital 0.0.

Wider die postfaktische Bildungspolitik
Warum die "Digitale Erziehung" die Kinder und Jugendlichen schädigt, das weist Prof. Spitzer in der Auseinandersetzung mit der aktuellen Bildungspolitik und dem gescheiterten BYOD - Schulversuch (Bring Your Own Device) nach.
Prof. Manfred SpitzerFoto: Markus Koelle

Spitzer leitet die Analyse mit drastischen Vergleichen ein:

"Stellen Sie sich vor,

1. Deutschlands Chef-Feuerwehrmann empfiehlt Brandbeschleuniger zum Löschen, und

2. Deutschlands Chirurgen empfehlen neue Operationsmethoden, bei denen bisher alle Patienten verstorben sind. Man müsse eben nur noch die richtigen Konzepte für deren Anwendung erarbeiten, aber diese Kleinigkeiten sollten der Einführung der neuen Technologie jetzt sofort doch wirklich nicht im Wege stehen,

3. dass die deutsche Automobilindustrie den Führerschein für 3-Jährige fordert. Schließlich müsse man die Kleinen frühzeitig auf die neue Technologie der Fortbewegung vorbereiten. Deutschland sei nun einmal die Welt-Auto-Nation- Nummer 1 und da könne man sich nicht leisten, gegenüber anderen zurück zufallen,

4. dass die SPD vorschlägt, man solle die Unterschiede zwischen Arm und Reich vergrößern, ist schwer vorzustellen, aber versuchen Sie es bitte trotzdem,

5. dass die Vereinigung der deutschen Winzer und Bierbrauer durchgesetzt hat, dass im Land des Bieres und Weines die nachkommende Generation endlich schon in Kindergarten und Grundschule flächendeckend und verpflichtend ein Alkoholkompetenztraining erhält – beginnend mit einem halben Schnaps am Tag. Das müsse sein, denn wir wollen unseren Vorsprung im Knowhow nicht verlieren, liegen wir doch im europäischen Durchschnitt beim Schnaps-Ausschank in unseren Bildungseinrichtungen deutlich abgeschlagen im unteren Mittelfeld.

Sie können sich das nicht vorstellen? Dann lesen Sie weiter, denn genau dies ist in Deutschland Realität! – Nicht bei der Feuerwehr, den Chirurgen, im Auto- oder Weinbaubau, sondern nur beim wertvollsten, wichtigsten, uns allen am nächsten liegenden höchsten Gut, das wir überhaupt haben – unseren Kindern. Wir wissen, was ihnen gut tut und was nicht – aufgrund zahlreicher wissenschaftlicher Untersuchungen aus Medizin, Psychologie, Entwicklungspsychologie, Entwicklungsneurobiologie und kognitiver Neurowissenschaft. Junge Menschen brauchen Kontakt mit ihresgleichen, mit verständnis- und liebevollen Erwachsenen und mit der Natur. Den Umgang mit digitaler Informationstechnik hingegen – sei es in der Freizeit oder in Bildungseinrichtungen wie Kindertagesstätten und Schulen – brauchen sie nicht."

Nach der ausführlichen Analyse des Schädigungspotentials der "Digitalen Bildung" kommt Spitzer zu dem Schluss:

"Es wird Zeit, dass wir digitalen Hype durch belastbare Fakten ersetzen, auch und gerade wenn es um nichts weiter geht als die Gesundheit und die Bildung der nächsten Generation. Wir dürfen nicht wegschauen und diese Entwicklung nicht einfach so weiterlaufen lassen. Denn damit liefern wir unsere nächste Generation den Profitinteressen von Firmen wie Apple, Google, Microsoft, Facebook und Amazon aus. Das ist verantwortungslos, denn kein Profit der Welt ist wichtiger als unser höchstes Gut: unsere Kinder!"

Link zum ganzen Artikel aus der Fachzeitschrift Nervenheilkunde >>>

Artikel veröffentlicht:
24.05.2017
Quelle:
Fachzeitschrift Nervenheilkunde. Ausgabe 2017. Heft 4 2017 (199-302)
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