Wien (OTS). Für große Empörung bei vielen Ärztinnen und Ärzten sorgt derzeit eine Broschüre der Arbeiterkammer, in der unter anderem die potenzielle gesundheitliche Gefährdung durch Mobilfunkstrahlen pauschal in Abrede gestellt und in einem Kontext mit Esoterik genannt beziehungsweise mit Mythen wie "Mondkälbern" verglichen wird.
Damit noch nicht genug: Der Stadtschulrat für Wien hat die Broschüre bereits an alle allgemein bildenden Pflichtschulen in Wien geschickt, mit dem "Ersuchen an die Damen und Herren Schulleiter/Schulleiterinnen, den Inhalt dieser Studie im Rahmen einer Konferenz zu thematisieren".
Wiener Schüler werden bewusst desinformiert
"Hier lassen sich die Arbeiterkammer und der Stadtschulrat vor den Karren der Mobilfunkindustrie spannen, indem deren Beschwichtigungsversuche hinsichtlich der möglichen Gesundheitsgefährdung durch Mobilfunkstrahlen unkritisch übernommen und an die Schüler kommuniziert werden", kritisiert der Referent für Umweltmedizin der Ärztekammer für Wien, Erik Huber.
Es sei "schlichtweg unverantwortlich", wenn Schüler in der Broschüre nun nachlesen könnten, dass Handystrahlen mit Hinweis auf die WHO "gar nicht gefährlich" seien. Tatsächlich beziehe sich die WHO in ihrer Aussage ausschließlich auf kurzfristige Effekte aufgrund von Erwärmung, die bei Handybenutzung tatsächlich zu vernachlässigen sei.
Demgegenüber stünden aber zunehmend Langzeitdaten von Handynutzern (mehr als zehn Jahre), die von einer Verdoppelung des Risikos, an einem Hirntumor zu erkranken, ausgehen, betont Huber.
Jugend muss stärker sensibilisiert werden
Jede Studie, die sich mit den gesundheitlichen Auswirkungen von Handystrahlen befasse und dabei weniger als zehn Jahre Handybelastung untersuche, sei von Grund auf unseriös. Denn gerade Krebserkrankungen hätten oft eine lange Latenzzeit, was bedeutet: "Es vergehen zumindest zehn bis 15 Jahre, bevor Krebserkrankungen ausbrechen, manchmal sogar bis zu 30 Jahre und mehr", so Huber (Bild).
Wer beispielsweise heute anfange, zu rauchen, müsse in fünf Jahren auch noch nicht damit rechnen, an Lungenkrebs zu erkranken. "Trotzdem erhalten Kinder keine Zigaretten in der Trafik - und das aus gutem Grund", argumentiert Huber. Daher sei es umso unverständlicher, dass im Gegenzug an Schulen behauptet werden dürfe, dass Mobilfunk keine schädigende Wirkung habe.
Aus ärztlicher Sicht müsse jedenfalls vor solchen Verharmlosungen nachhaltig gewarnt werden. Huber: "Wir als Ärzte haben den Vorsorgegedanken zu leben, und nicht der Gewinnmaximierung durch die Mobilfunkindustrie das Wort zu reden". Es müsse alles unternommen werden, vor allem die Jugend kritisch mit dem Thema zu konfrontieren. Die Verteilung von "Beschwichtigungsgazetten" an den Schulen sei jedenfalls kontraproduktiv: "Gerade Kinder und Jugendliche sind besonders schützenswert. Es darf nicht sein, dass eine von der Industrie geprägte Meinung als wissenschaftliche Evidenz an den Schulen - und das mit Wissen und Duldung des Stadtschulrates - verbreitet wird", so Huber.
(S E R V I C E - Die Wiener Ärztekammer hat Informationsmaterial zum Thema aufgelegt. Die Plakate "Strahlende Informationen: 10 medizinische Handy-Regeln" können in der Pressestelle der Ärztekammer für Wien kostenlos - auch für Schulen - unter Tel. 01/51501 - 1223 DW, E-Mail: pressestelle@aekwien.at, bestellt werden. Plakat-Download auf der Homepage der Ärztekammer für Wien: http://www.aekwien.at/media/Plakat_Handy.pdf.)