„Strahlende Aussichten“ - Beobachtungen zur umweltmedizinischen Bedeutung des Mobilfunks am Beispiel des chronischen Tinnitus
Wilhelm H.-J., Brachmann H.-M., Ogurlu, T.
HNO-Gemeinschaftspraxis und Kopfklinik Frankfurt,
D 60594 Frankfurt am Main, Dreieichstr. 59
Nach einem Vortrag 12.10.2002 auf der 12. Jahresversammlung der Sektion: „Allergologie und Umweltmedizin der Deutschen Gesellschaft für Hals-, Nasen-, Ohrenheilkunde“
Univ.-Klinik Mannheim (Dir.: Univ.-Prof. Dr. K. Hörmann)
Einführung:
Immer mehr Hinweise aus wissenschaftlichen Studien zeigen, dass durch gepulste hochfrequente elektromagnetische Felder, eingesetzt bei Mobilfunk D- und E-Netz sowie bei den DECT-Schnurlostelefonen, das Nerven- und Hormonsystem des Menschen beeinträchtigt oder Erbgutschäden bzw. Krebsentstehung begünstigt werden. Weiterhin wird von Verhaltensänderungen berichtet, von erhöhter Mikroperfusion, Änderungen des EEG sowie Auslösung von Krampfanfällen bei vorgeschädigtem ZNS.
Hierzu passt der im Januar 2002 vom Sozialministerium veröffentlichte Gesundheitsbericht, dass seit 1993 die zahl der Epilepsiebehandlungen in Hessen um die Hälfte zugenommen hat, ebenso die Zahl der psychiatrischen Behandlungen um 30%.
Gleiches beobachten wir im HNO-Bereich. Wir verzeichnen eine deutliche Zunahme der Diagnose chronischer Tinnitus in den letzten Jahren. Laut Erhebung der Deutschen Tinnitusliga von 1998 leiden ca. 3 Millionen Erwachsene an einem chronischen Ohrgeräusch. Goebel geht in einem Bericht 2002 davon aus, dass jährlich ca. 10 Millionen Deutsche an einem Ohrgeräusch neu erkranken, bei ca. 340.000 dies in eine therapiebedürftige chronische Form übergeht. 37 % dieser Patienten fühlen sich in ihrem persönlichen Bereich beeinträchtigt.
Des weiteren sind Hemmungen der Melatonin-Synthese und Aufhebung der zirkadianen Dynamik gefolgt von möglicherweise Depressionen und Beeinflussung der Lymphozytenproliferation durch hochfrequente elektromagnetische gepulste Felder bekannt. Ebenso kommt es zu Strukturveränderungen des Speichels, eine Beeinträchtigung der Blut-Hirn-Schranke sowie Abschwächung der Immunfunktion.
Fragestellung:
Da es sich bei den über Ohrgeräusche klagenden Patienten um immer jüngere Patienten handelt, denen kein Lärmtrauma zuzuordnen ist, müssen wir uns Gedanken machen, woher diese neue Beeinflussung in den letzten Jahren kommt. Insbesondere klagen Patienten nach dem Telefonieren mit einem Handy bzw. einem DECT-Telefon über starkes Aufwärmen der Ohrregion, Nackensteifigkeit und eine Verschlechterung der Geräusche nach einem zweiminütigen Telefonat. Dies führte bei diesen Patienten dazu, eine Fragebogenaktion zu starten mit dem Hintergrund, ob möglicherweise Handys, Schnurlostelefone bzw. Mobilfunkbasisstationen eventuell eine Rolle spielen können.
Patientenkollektiv:
An 175 Patienten mit chronischem, therapiebedürftigem Tinnitus (>3 Monate, vorbehandelt), je zur Hälfte Männer oder Frauen, wurde die Wahrscheinlichkeit der Beeinflussung eines chronischen Ohrgeräusches durch mobiles Telefonieren untersucht. Patienten mit otogener Ursache eines chronischen Tinnitus wurden von der Studie ausgeschlossen.
Lateralität (n=175): 42 % der Patienten klagten vorher über einen chronischen Tinnitus beidseits, 31 % rechts und 27 % links.
Etwa 10 % dieser Patienten wohnen in der Nähe einer Mobilfunkbasisstation bzw. einer Starkstromanlage. 23 % wissen nicht, ob sich in ihrer Wohnnähe so etwas befindet und 68 % gaben an, dass möglicherweise in ihrer Umgebung eine solche Anlage nicht existiert.
Symptome: Beim Telefonieren mit dem Handy bzw. mit dem DECT-Telefon klagten 46 % über eine Verschlechterung des Ohrgeräusches, unabhängig auf welchem Ohr der Tinnitus war bzw. auf welchem Ohr telefoniert wurde. 54 % verspürten ausserdem thermischen Einwirkungen wie z. B. ein erwärmtes Ohr, leichte Nackensteifigkeit, aber keine Veränderung des Tinnitus.
Therapieempfehlung: Nun wurde den Patienten empfohlen, ca. 1 Woche auf den Gebrauch des Handys bzw. des DECT-Telefons zu verzichten und während dieser Zeit keine medikamentöse Therapie durchzuführen. Freiwillig führten dies 80 Patienten durch.
Ergebnisse: In einer anschliessenden Nachuntersuchung zeigte sich, dass bei 66 % dieser 80 Patienten der Tinnitus ohne jegliche weitere Therapie subjektiv deutlich besser geworden war bzw. kaum noch wahrnehmbar war.
Zusammenfassung:
Hier vermuten wir medizinisch sicherlich Zusammenhänge, dass gepulste hochfrequente elektromagnetische Felder, wie beim mobilen Telefonieren genutzt, chronischen Tinnitus erzeugen oder verstärken können und somit eine negative Beeinflussung der Lebensqualität darstellen. Um dieses Phänomen wissenschaftlich zu untermauern, bedarf es weiterer, kontrollierter klinischer Studien.
Allein die hohe Anzahl an jährlichen Neuerkrankungen und in chronische Formen übergehende Ohrgeräusche stellen im Gesundheitswesen einen Wirtschaftlichkeitsfaktor dar, der nicht zu unterschätzen ist.
Vergessen sollte man auch nicht, dass es bei ca. 8 Millionen Schwerhörigen in der Bundesrepublik Deutschland, von denen viele Hörgeräteträger sind, in der Nähe von Mobilfunkbasisstationen zu erheblichen Rückkoppelungen und Störungen im Hörgerät und damit zu einer persönlichen Belastung kommen kann.
Für die Verfasser:
Prof. Dr. H.-J. Wilhelm, Kopfklinik Frankfurt L&W ZPL GmbH, Dreieichstr. 59, D 60594 Frankfurt/Main, Germany