Feuer aus allen Rohren
Am nächsten Tag zeigte sich die Leitmedien-Funktion der Süddeutschen – doch nicht alle mochten ihr in der Stoßrichtung folgen. Die Bild-Zeitung titelte zwar genüsslich »Krebs-Angst – So stark strahlt ihr Handy«, und die taz ging mit »Neue Hinweise auf Gefahren durch Mobilfunk« vorsichtig mit. Aber die dpa versorgte ihre Kunden mit der beruhigenden Meldung »Große Studie findet keinen Beweis für Krebs durch Handys«, die Welt sah »keine sicheren Hinweise«, für die Berliner Zeitung war »Krebs durch Handys nicht nachgewiesen«, der Tagesspiegel schlagzeilte entschieden »Nicht mit Krebs verbunden«.Am schärfsten widersprachen Spiegel und Stern in ihren Online-Auftritten noch am Tag der SZ-Veröffentlichung. »Brutal-Bullshit der Ultra-Hardcore-Klasse« schrieb Christoph Koch, Ressortleiter Wissenschaft und Medizin beim Stern, offenbar in einer Stunde höchster Erregung. Gegen den »zusammengefieselten Argumentationsfaden« und die »Teflon-Tricks aus der ersten Woche Volontariat« des »Kollegen Schrader« brachte er die Kernaussage der Wissenschaftler selbst in Stellung: »We found no evidence of increased risk of glioma related to regular mobile phone use«, stand in ihrem Aufsatz. Koch weiter: »Hat Christopher Schrader ein Intelligenz-, Bildungs- oder Verständnisproblem? Ich weiß: Nein. Hat er sich dumm gestellt? Ich glaube, so muss es sein. Operative Gründe: Ein weißes Loch auf Seite eins.« Außerdem sei die Studie auch noch 14 Tage alt gewesen; seit dem 17. Januar stand sie online.
War die Süddeutsche also komplett durchgedreht, als sie etwas anderes als die Forscher selbst behauptete? Schrader erzählt: »Ich habe mir die Studie durchgelesen und die Zahlen angeschaut, und da war eine signifikante Zahl. Und zwar genau dort, wo sich ein Krebsbefall nach biologischer Plausibilität zuerst zeigen würde.« Einige Monate zuvor, ergänzt er, habe eine andere Studie für den gleichen Sachverhalt ebenfalls signifikante Zahlen ergeben. »Mein Anliegen war zu sagen: Leute, schaut hin, diese Zahl ist womöglich wichtig, zeigt mindestens aber eine neue Qualität der Daten.« Wie die Wissenschaftler ihre Ergebnisse interpretieren, sei zweitrangig. »Wichtiger war die Zahl, und die Zahl hat eine Aussage. Welche, darüber kann man streiten. Aber so platt wie die Kritiker meines Artikels kann man das nicht wegdiskutieren.«
An der Diskussion um die Aufmacher-Überschrift, an der sich viele Kritiker stießen, möchte sich Schrader nicht beteiligen. Doch es ist klar, dass nicht er, sondern die Chefredaktion sie zu verantworten hat. Ebenso klar ist, dass auf der Eins andere Gesetze gelten als auf der Wissenschaftsseite: Hier braucht man Griffiges, Eindeutiges. Es sei Schrader selbst nicht wohl dabei gewesen, »teilweise fanatischen Mobilfunkgegnern in die Hände gespielt zu haben. Aber nur weil mir deren Auffassungen nicht sympathisch sind, kann ich ja nicht einfach entsprechende Informationen unterdrücken.«
Wissenschaftlich kompetent
Apropos Informationsunterdrückung: In keinem der Artikel über die Studie wurde erwähnt, dass sie unter anderem vom Mobile Manufacturers‘ Forum (MMF) und der GMS Association finanziert wurde. Hinter diesen Vereinigungen verbergen sich die Großen der Mobilfunkindustrie: Nokia, Siemens, Motorola, Sony Ericsson, Vodafone, T-Mobile – und womöglich beförderte dies ja die Vorsicht der Forscher bei der Deutung ihrer Ergebnisse. Insofern handelte die Süddeutsche wissenschaftsjournalistisch kompetenter als ihre Kritiker, indem sie die Studiendaten eigenständig interpretierte. Das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) reagierte jedenfalls weit weniger harsch als die Medienkonkurrenz: »Die jetzt veröffentlichten Ergebnisse«, so die Pressemitteilung am Tag des SZ-Titels, »bestätigen den vom BfS vertretenen Vorsorge-gedanken beim Gebrauch von Handys.«