Gerichtshof stärkt Rechte der Kommunen

Vorsorgeorientierte Bauleitplanung in Bayern
Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes (BayVGH) vom 23.11.2010 zur Zulässigkeit einer vorsorgeorientierten kommunalen Bauleitplanung. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Die unterlegene Partei hat Revision beim Bundesverwaltungsgericht eingelegt.

Urteil des 1. Senats vom 23. November 2010(VG München, Entscheidung vom 29. April 2010, Az.: M 11 K 09.1759)

Orientierungssatz:

Mobilfunkanlagen können aus Gründen des vorbeugenden Gesundheitsschutzes sowie der Gestaltung des Ortsbildes planerisch aus allen Wohngebieten ausgeschlossen werden. Die Gefährdungen durch die von Mobilfunkbasisstationen herrührende Strahlenbelastung ist nicht dem Bereich der rechtlich irrelevanten Immissionsbefürchtung, sondern dem vorsorgerelevanten Risikoniveau zuzuordnen.

Die Rechtsgrundlage für den Ausschluss fernmeldetechnischer Nebenanlagen nach § 14 Abs. 2 BauNVO findet sich im unmittelbar anwendbaren § 1 Abs. 6 Nr. 1 BauNVO

Ein verfahrensfreies Vorhaben wird von einer erst während seiner Ausführung in Kraft tretenden Veränderungssperre erfasst, weil es keine gegenteilige gesetzliche Regelung gibt. Der sich hieraus ergebende Interessenkonflikt zwischen der durch Art. 14 GG geschützten Rechtsposition des Bauherrn und der durch Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG geschützten Planungshoheit der Gemeinde kann durch Einbeziehung von § 14 Abs. 2 BauGB ausgeglichen werden. Wirkt sich die Veränderungssperre unverhältnismäßig aus, weil der Bauherr nicht mit ihrem Inkrafttreten rechnen und sie folglich auch nicht bei seinen Dispositionen berücksichtigen musste, und weil sein Vertrauen auf das Fortbestehen der bei der Vorbereitung des Bauvorhabens und bei Beginn der Bauausführung gegebene Rechtslage schutzwürdiger ist als der mit der Veränderungssperre verfolgte Sicherungszweck, kann er eine Ausnahme von der Veränderungssperre auf der Grundlage von § 14 Abs. 2 Satz 1 BauGB beanspruchen.

Hauptpunkte:

Errichtung einer verfahrensfreien Mobilfunkanlage; Einstellung der Bauarbeiten;
Vorhaben im bauplanungsrechtlichen Sinn;
Änderung der Rechtslage durch Inkrafttreten einer Veränderungssperre nach Beginn der Bauausführung, aber vor Fertigstellung des Vorhabens;
Wirksamkeit der Veränderungssperre;
Standortplanung für Mobilfunkanlagen;
immissionsschutzrechtliche Vorsorgeplanung; Sicherungsfähigkeit der Planung;
Erkennbarkeit des Planungsziels;
Rechtfertigung durch Belange des vorbeugenden Gesundheitsschutzes; Negativplanung (verneint);
Ausschluss von Mobilfunkanlagen in Baugebieten als fernmeldetechnische Nebenanlagen und als gewerbliche Hauptanlagen;
Wirkung einer Veränderungssperre gegenüber verfahrensfreien Vorhaben;
unechte Rückwirkung (tatbestandliche Rückanknüpfung); Vertrauensschutz des Bauherrn;
Abwägung zwischen dem Bauherrninteresse und dem Interesse der Gemeinde.

Leitsätze:

1. Einer kommunalen Planung, die Mobilfunkanlagen in Wohngebieten ausschließen möchte, soweit deren Versorgung mit Mobilfunkleistungen von anderen Standorten im Gemeindegebiet aus sichergestellt werden kann, fehlt die städtebauliche Rechtfertigung nicht deswegen, weil sie sich ausschließlich auf rechtlich irrelevante „Immissionsbefürchtungen“ stützen würde.

2. Die ausnahmsweise Zulässigkeit von fernmeldetechnischen Nebenanlagen gemäß § 14 Abs. 2 BauNVO kann in den Baugebieten gemäß §§ 2 bis 9 BauNVO auf der Grundlage von § 1 Abs. 6 Nr. 1 BauNVO ausgeschlossen werden.

3. Ein bauplanungsrechtlich relevantes verfahrensfreies Vorhaben wird auch dann von einer Veränderungssperre erfasst, wenn diese erst während der Bauausführung in Kraft tritt. Werden die rechtlich geschützten Interessen des Bauherrn hierdurch unverhältnismäßig beeinträchtigt, kann er die Zulassung einer Ausnahme von der Veränderungssperre (§ 14 Abs. 2 BauGB) beanspruchen.

Artikel veröffentlicht:
23.11.2010
Autor:
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) vom 23.11.2010

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