Widerspruchsfrist für Antennen beachten

Radartechniker warnt in Zeitungs-Interview
Mobilfunk-Strahlen schaden der Gesundheit. Das wissen die Bürger:innen, und zu diesem Schluss kommt auch die überwiegende Mehrheit der wissenschaftlichen Untersuchungen zu diesem Thema. Trotzdem schafft es die Mobilfunkindustrie, Tausende neuer Antennen aufzustellen. Sie agiert dabei hart an der Grenze der Legalität, wie das Gespräch mit Jürg Zimmermann zeigt.

Achtung: Im Sommer wachsen die Antennen schneller

Die Finten der Mobilfunkindustrie machen uns krank

INTERVIEW

Christoph Pfluger: Wie geht es dem Widerstand gegen Elektrosmog nach der Publikation der UMTS-Studie der Uni Zürich?

Jürg Zimmermann: Die Entrüstung bei den Betroffenen ist riesig, weil die publizierten Resultate nicht die Realität wiedergeben. Die Menschen in der Umgebung von Antennen leiden tatsächlich. Zudem gibt es eine grosse Diskrepanz zwischen dem, was an der Medienkonferenz gesagt wurde, und dem, was die Medien dann daraus gemacht haben. Gesagt wurde, dass eine kurzfristige Bestrahlung das Wohlbefinden nicht beeinträchtige. In den Zeitungen stand dann, UMTS-Antennen seien ungefährlich und könnten jetzt errichtet werden.

Die Kritiker wurden kaum zitiert. Haben sie geschlafen und ihre Stellungnahmen erst Tage danach publiziert?

Keineswegs, aber die Umstände der Medienkonferenz waren einzigartig. Am Donnerstag vor Pfingsten erhielten die Medien die Einladung. Bis am Freitag musste man sich anmelden und am Dienstag nach Pfingsten fand die Medienkonferenz statt. Ein Security-Mann in Vollmontur stand am Eingang, zwei Mitarbeiter der Universität kontrollierten Presseausweise, ein absolut einzigartiger Vorgang, wie mir ein Journalist mit 30jähriger Berufserfahrung bestätigte. Ich verteilte den Teilnehmern eine dreiseitige Liste mit wissenschaftlichen Studien, die alle zeigen, dass gesundheitliche Effekte auch unterhalb der Grenzwerte nachweisbar sind. Die ganze Woche nach Pfingsten gab ich Interviews, auch für Radio DRS 1, nur zwei wurden gedruckt oder gesendet. In den letzten Jahren habe ich mehr als 300 Vorträge über Mobilfunk gehalten. Fast immer fragen mich die Leute hinterher: Warum steht das nicht in der Zeitung?

Warum steht es nicht in der Zeitung?

Weil die Mobilfunkindustrie effizientes Lobbying macht und den Zeitungen mit Inserateboykott droht. Zwei Verlagsmanager haben mir diesen Sachverhalt bestätigt. Druck wird auch auf Behörden und Wissenschafter ausgeübt. Ich kenne mehrere Professoren, die eingeschüchtert wurden.

Sie behaupten, die Studie diene vor allem den Auftraggebern. Warum?

Weil man mit Untersuchungen, bei denen man Versuchspersonen einer Strahlung aussetzt, am wenigsten Resultate erhält. Viel ergiebiger und realistischer wären epidemiologische Studien, bei denen die gesundheitlichen Effekte tatsächlicher Strahlendosen über einen längeren Zeitraum gemessen würden. Zudem waren die Probanden der Zürcher Studie fast 20 Jahre jünger als bei der holländischen Studie, die verifiziert werden sollte. Mit zunehmendem Alter steigt die Elektrosensibilität bekanntlich sehr stark an. Im weiteren wurden Leute mit Schlafstörungen ausgeschlossen. Seltsam mutet auch an, dass wir vier Probanden kennen, denen es kotzübel wurde, obwohl es im Bericht heisst, niemand sei in seinem Wohlbefinden beeinträchtigt worden. Ein wichtiger Punkt ist schliesslich, dass es keine exakte Definition für Elektrosensibilität gibt. Ich vermute, dass Leute in die Studie aufgenommen wurden, von denen fälschlicherweise behauptetet wurde, sie seien elektrosensibel.

Die Behörden betonen immer wieder, die Schweizer Grenzwerte seien aus Gründen der Vorsorge besonders tief. Warum liegen diese für die Kritiker immer noch zu hoch?

Die Grenzwerte berücksichtigen nur die thermischen Effekte der Strahlung innerhalb von sechs Minuten. Die Grenzwerte schützen uns also davor, dass wir uns in der Nähe einer Antenne nicht erhitzen wie in einem Mikrowellenofen. 90 Prozent der Beeinträchtigungen sind aber biologischer Natur, zum Beispiel eine Tumorbildung, und treten erst nach einer gewissen Zeit auf. Es stimmt, dass wir in der Schweiz im Gegensatz zum Ausland einen Anlagegrenzwert von 6 Volt/m haben, während die sogenannten Immissionsgrenzwerte bei 61 Volt/m liegen. In der Stadt Paris beispielsweise gilt jedoch ein Grenzwert von 2,5 Volt/m. Viele Leute leiden aber schon bei 0,8 bis 1,2 Volt/m. Die Grenzwerte richten sich übrigens nach Vorgaben der International Commission on Non-Ionizing Radiation Protection (ICNIRP), einer privaten Organisation, besetzt mit Exponenten der Mobilfunk­industrie.
Wie eine Untersuchung des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) aus dem Jahre 2005 zeigt, sind 5% der Bevölkerung vom Elektro-Smog betroffen. Neutrale und unabhängige (nicht am Tropf der Industrie hängende) Wissenschafter und Mediziner bestätigen weltweit, dass die Betroffenheit (Elektrosensibilität) aktuell 20% beträgt. Vor der Einführung des digitalen Mobilfunks waren es aber nur 1%. Das heisst, 1998 waren nur 70 000 Personen davon betroffen, nach BAG wären es 375 000 Personen, also eine Steigerung von 535%. Da die Schweiz weltweit eine der höchsten Dichten von Mobilfunkantennen hat, muss davon ausgegangen werden, dass heute 1,5 Millionen Personen vom Elektrosmog beeinträchtigt werden. Die Kosten, die für das Gesundheitswesen und den Werkplatz Schweiz dadurch entstehen, dürften exorbitant sein. Ein dringender Handlungsbedarf zur Wahrnehmung der Verantwortung ist auf allen Stufen von Behörden und Politik mehr als nur angezeigt.

Warum sind denn die Grenzwerte so schwierig zu ändern?

Weil die zuständigen Instanzen, der Bundesrat und das Bundesgericht, massgebende Hinweise und vorhandene Indizien ignorieren. Zudem beruft sich der Bundesrat auf das Urteil des Bundesgerichtes und dies bestätigt dem Bundesrat, dass er im Falle der Grenzwertfestlegung richtig gehandelt habe. Und so wird der Schwarze Peter hin und her geschoben, auf dem Buckel der betroffenene Bevölkerung.
Die zuständigen Instanzen akzeptieren für eine Änderung der Grenzwerte nur den wissenschaftlichen Nachweis.
Das Gesetz schreibt dazu einen wissenschaftlichen Nachweis vor. Die Kriterien für einen «Nachweis» sind aber praktisch unerfüllbar: Eine Schädigung muss mehrfach, unabhängig voneinander und ohne Widerspruch nachgewiesen und in wissenschaftlichen Publikationen veröffentlicht werden. Oft wird Studien die Veröffentlichung verweigert. Oder dann werden sie ganz einfach angezweifelt. Es sind immer dieselben paar Wissenschafter, die etwas in Frage stellen und damit den «Nachweis» im juristischen Sinn verhindern.
Die Befürworter des Mobilfunks relativieren die Gefahr der Antennen immer wieder, indem sie darauf hinweisen, dass die Schnurlos-Telefone viel stärker abstrahlen. Da ist doch etwas dran.
Das ist zumindest scheinheilig. Wir haben die Mobilfunkindustrie schon vor Jahren auf die Gefahren der Schnurlos-Telefone hingewiesen – ohne Reaktion. Schnurlos-Telefone, über deren Einsatz jeder selber entscheiden kann, strahlen kaum weiter als die eigene Wohnung, während Mobilfunk-Antennen mit rund 10 000facher Leistung alle bestrahlen, ob sie das wollen oder nicht. Das ist ein fundamentaler Unterschied. Übrigens: Wer unbedingt schnurlos telefonieren will, sollte zu seinem eigenen Schutz ein analoges Modell einsetzen.

Die Elektrosmog-Kritiker wirken sehr zersplittert. Was müsste geschehen, damit sie sich zu einer schlagkräftigen Organisation zusammenschliessen?

Es stimmt, dass zwar sehr viele Menschen dem Elektro-Smog kritisch gegenüberstehen, sich aber keine Dachorganisation für ihre Interessen einsetzt. Das liegt zum Teil daran, dass viele Gruppen aus persönlicher Betroffenheit und zur Verhinderung einer bestimmten Antenne gegründet werden und sich daher wenig mit den gesamtschweizerischen Rahmenbedingungen befassen. Dann gibt es auf Seiten der Kritiker neben einer Portion Futterneid sehr unterschiedliche politische Stile, die eine Zusammenarbeit verhindern. Und schliess­lich machen gewisse Firmen, die den Elektrosmog kritisieren, dicke Geschäfte mit Abschirmprodukten. Die sind gar nicht an einem wirkungsvollen Widerstand interessiert.

Es fällt auf, dass in der Ferienzeit besonders viele Baugesuche für Antennen publiziert werden. Was raten Sie?

Seit Jahren stelle ich fest, dass die Baugesuche für Antennen bevorzugt in der Ferienzeit oder über Weihnachten veröffentlicht werden. Das hat System. Wenn die Leute dann aus den Ferien zurückkommen, ist die 20tägige Einsprachefrist praktisch abgelaufen. Andererseits hat, wer zu Hause bleibt, mehr Mühe, Mitstreiter zu finden für eine Einsprache. Einige Gemeinden, leider noch eine kleine Minderheit, sind deshalb dazu übergegangen, Baugesuche für Antennen nicht mehr während der Schulferien zu publizieren. Ich empfehle dringend, vor den Ferien die Gemeinde anzufragen, ob demnächst ein Baugesuch für eine Antenne publiziert wird, und den Antrag zu stellen, das Baugesuch zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs ausserhalb der Ferienzeit nochmals zu publizieren. Ein entsprechender Musterbrief kann auf der Internetseite www.diagnose-funk.ch heruntergeladen werden. Auch ausserhalb der Ferienzeit ist es ratsam, aufmerksam zu sein. Ich habe schon zwei Bauabsteckungen für eine Antenne gesehen, die aus einem kleinen Pfosten von einem halben Meter Höhe bestanden, an der ein Plastikmäppchen befestigt war, in dem es hiess, die Antenne würde 35 Meter hoch. Mobilfunk ist schädlich für die Gesundheit, das weiss auch die Mobilfunkindustrie, sonst hätte sie solche Mätzchen gar nicht nötig. •

* Jürg Zimmermann (*1951) kommt aus den Fachrichtungen: Elektrotechnik, Elektronik (Hochfrequenztechnologie) und Betriebswirtschaft; er war während 30 Jahren Radartechniker bei der Armee und arbeitet als Unternehmensberater. Seit acht Jahren beschäftigt er sich intensiv mit Elektrosmog; er ist Mitgründer der Umweltorganisation Diagnose-Funk und hat als Berater von Gruppen bei Einsprachen schon über 60 Antennen verhindert.

Kontakt: Jürg Zimmermann,
Benziwil 25, 6020 Emmenbrücke
Tel. +41-41 280 37 00
www.diagnose-funk.ch

Ergänzende Bemerkung zum Artikel "Im Sommer wachsen die Antennen schneller"

Im besagten Artikel in der letzten Ausgabe hat Jürg Zimmermann die Aussage gemacht "Die Grenzwerte berücksichtigen nur die thermischen Effekte der Strahlung innerhalb von sechs Minuten". Da sich diese Formulierung auf die Evaluierung der Grenzwerte bezieht, und daher für den Leser leicht missverständlich ist, möchte die Umweltorganisation diagnose-funk folgende Präzisierung hierzu formulieren: Die Immissionsgrenzwerte der NISV wurden in Anlehnung an den privaten Verein "ICNIRP" eingeführt. Die Werte stützen sich auf die deutsche DIN/VDE 0848 und wurden für einen 6 minütigen Zeitraum evaluiert. Das heisst, am Phantom wurde gemessen, bei welchen Immissionswerten es nicht mehr zu der als kritisch angesetzten Temperaturdifferenz von (ursprünglich) 1°C (heute 0,5°C) kommt. Nach 6 Minuten wurde von einer Temperaturkonstanz ausgegangen. Die Aussage im Artikel sollte andeuten, dass die Immissionsgrenzwerte auf kurzfristige, insbesondere thermische Effekten abgestützt sind. Das Bundesamt für Umwelt bestätigte in seiner Broschüre "Schlaflos im Strahlenmeer?" (Umwelt Schweiz, 2002), das sich die ICNIRP bei der Bewertung der Grenzwerte lediglich auf "akute schädliche Wirkungen" stützt.

Lesen Sie auch den Artikel "Widerspruchsfristen beachten"

 

Artikel veröffentlicht:
17.07.2006
Autor:
Interview mit Jürg Zimmermann von Diagnose-Funk Schweiz in Zeit-Fragen..
Quelle:
Zeit-Fragen Nr. 29 vom 17.07.2006 | Veröffentlicht auf diagnose:funk mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.

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