Kommentar der Woche von Kern & Hauser

März 2025
Die Kommentare der Woche befassen sich mit aktuellen Themen der Mobilfunkpolitik. Sie werden verfasst von Prof. a.D. Helmuth Kern und dem Journalist Bert Hauser. Beide Autoren sind Vorsitzende der Ortsgruppe "InfoMobilFunk Neckartenzlingen und Umgebung" im Mobilfunk Bürgerforum e.V. Die Kommentare werden monatsweise an dieser Stelle in einem Artikel zusammengefasst. Jede mobilfunkkritische Bürgerinitiative kann sich dieser Kommentare von Kern & Hauser frei bedienen, sie selbst weiter veröffentlichen und damit Infoarbeit leisten. Bitte als Quellenangabe diagnose-funk.org/kommentar angeben.
Kern & Hauser, Bild: Ingrid Schaeffer

05.03.2025

Wir informieren: Joseph Weizenbaum und die Kritik der Künstlichen Intelligenz
Teil 3 und Schluss: Die Grenzen der KI und das zweckorientierte Denken

Weizenbaum sah den Glauben daran, dass Computer Problemlösungs-
maschinen seien, kritisch. Dieser Glaube war für ihn der Ausdruck eines „Instrumentellen Denkens“. Eines, das in den Kategorien Problem und Lösung denkt und entscheidet. Zweckorientiertes Denken sei im Ingenieurwesen, in den Naturwissenschaften und in der Informatik weit verbreitet: „Welches Material brauche ich, damit die Brücke möglichst lange hält? Mit welcher Methode kann ich die Oberflächentemperatur der Sonne messen? Und was muss ich an der Software ändern, damit das selbstfahrende Auto keine Unfälle mehr baut?“
Ganz anders dagegen das wertorientierte Denken, das sich nach ethischen oder moralischen Werten ausrichtet. Doch durch die Errungenschaften der Naturwissenschaften und der Technik habe das instrumentelle Denken nach Weizenbaum die Sicht der Menschen geprägt und ihn von dessen Richtigkeit überzeugt „Was muss ich tun, um Erfolg zu haben? Welches Foto bringt die meisten Likes? Bin ich gut genug für den Job? Oder kann das ein Computer besser als ich? Durch den großen Erfolg und die faszinierende Leistungsfähigkeit des Computers hätten wir, so Weizenbaum, eine ‘technologische Mentalität‘ entwickelt, die nicht nur das instrumentelle Denken verstärke, sondern zugleich davon ausgehe, dass Technologie grundsätzlich das bessere Mittel sei – besser vor allem als Menschen.“

Doch nach Weizenbaum führt dieses Denken dazu, dass Technologie auch in Bereichen eingesetzt werde, wo sie nicht sinnvoll sei und mehr schade als nütze.

Weizenbaum sah deshalb zwei Grenzen des Einsatzes von KI.

Die erste war für ihn der Einsatz bei sozialen Problemen und zwischenmenschlichen Konflikten:
„Wenn zum Beispiel Schüler:innen Lernschwierigkeiten hätten, dann löse man dieses Problem nicht mit neuen Computern, die den Kindern beim Lernen helfen, weil die zugrundeliegenden Probleme in der Regel andere seien: etwa ein schlechtes Betreuungsverhältnis, überforderte Lehrkräfte, Probleme zu Hause, Mobbing durch andere Kinder oder ein zu hoher Leistungsdruck. Der Versuch, Lernschwierigkeiten technisch zu lösen, würde diese Probleme überdecken und sie dadurch möglicherweise noch verschlimmern.“

Die zweite Grenze war für ihn eine moralische. So sah er KI-Anwendungen zur psychotherapeu-
tischen Behandlung von Patient:innen deswegen für nicht sehr geeignet, da Computer weder eine Biografie noch einen Körper hätten, auch keine eigenen Erfahrungen, zudem fehle es ihnen an der nötigen Menschlichkeit.

(Quelle: https://www.weizenbaum-institut.de/media/Publikationen/Einzelpublikationen/Broschuere_ki-mythos-kritik.pdf 35 ff.)


Quelle: InfoMobilFunk Neckartenzlingen

12.03.2025

Wir informieren: Digitale Rolle rückwärts?
Die Skepsis gegenüber Computer und Co. im Klassenzimmer wächst (Teil 1)

Ingo Leipner, Wirtschaftsjournalist und Autor kritischer Bücher zur Digitalisierung der Gesellschaft, gehört zu den Initiatoren des Bündnisses für humane Bildung und des Projekts „Aufwach(s)en mit digitalen Medien“. Er hat in der Februar-Ausgabe der Monatszeitschrift Info3 unter der Überschrift „Digitale Rolle rückwärts?“ einen aufschlussreichen Artikel zum Stand der Smartphonediskussion in der Schule veröffentlicht.

Darin wird deutlich, warum in Deutschland diese Diskussion anders verläuft als bei den europäischen Nachbarn Schweden, Frankreich, Niederlande, Italien und Großbritannien. Denn in Deutschland gelten „die Geräte oft als Heilsbringer digitaler Bildung“, schreibt er im Vorspann.

Schweden: Dort hat das angesehene Karolinska-Institut am 9. Juli 2023 eine Stellungnahme zur nationalen Digitalisierungsstrategie in der Bildung veröffentlicht. Darauf bezieht sich Leipner und zitiert daraus: „Die Nationale Bildungsagentur scheint sich überhaupt nicht bewusst zu sein, dass die Forschung gezeigt hat, dass die Digitalisierung der Schulen große negative Auswirkungen auf den Wissenserwerb der Schüler hat“ und weiter: „Es gibt eindeutige wissenschaftliche Belege, dass digitale Werkzeuge das Lernen der Schüler eher beeinträchtigen als verbessern“. Leipner nennt dann vier Punkte aus der Stellungnahme.

  • Digitale Werkzeuge weisen viele Ablenkungen auf, das behindere Konzentration und Arbeitsgedächtnis und schade dem Lernen.
  • Für Grundschüler habe die OECD festgestellt, dass ein starker Einsatz von Computern in der Schule eindeutig mit negativen Pisa-Ergebnissen in Mathematik und Lesen korreliere.
  • Multitasking lasse Schüler weniger gut lernen, da das Gehirn nur begrenzt relevante Informationen im Arbeitsgedächtnis speichern könne.
  • Lesen und Schreiben an Bildschirmen wirke sich negativ auf das Leseverständnis aus. Informationen würden im Vergleich zu Büchern schwerer erinnert, wenn sie auf einem Bildschirm gelesen oder geschrieben wurden.

Aufgrund dieser Stellungnahme habe die schwedische Regierung Konsequenzen gezogen: Die Pflicht, Vorschulen mit Digital-Technik auszustatten, sei aufgehoben worden, das beträfe sechs- bis siebenjährige Schüler. Die Begründung der Bildungsministerin Lotta Edholm: „Wir wissen, dass menschliche Interaktion für das Lernen in den ersten Lebensjahren entscheidend ist. Bildschirme haben in den Vorschulen einfach nichts verloren.“

Frankreich habe bereits seit 2010 ein Smartphoneverbot im Unterricht. Seit 2018 dürften die Schüler Smartphones weder in den Pausen nutzen, noch bei Aktivitäten, die außerhalb des Schulgebäudes stattfänden. Ausgenommen seien von diesen Regeln die Gymnasien.

In den Niederlanden gäbe es kein ausdrückliches Smartphoneverbot in den Klassenzimmern.
2023 jedoch habe das Bildungsministerium eine „dringende Empfehlung“ gegeben, die Nutzung in weiterführenden Schulen einzudämmen“. Ab dem Schuljahr 2024/2025 gelte das auch für Grund- und Sonderschulen.

Seit 2007 sind in Italien Handys an Schulen untersagt, zehn Jahre später wurde dieses Verbot kurz gelockert, sei dann unter der neuen nationalistischen Koalition mit Giorgia Melonie 2022 wieder verschärft worden. Ein neuer Erlass regele ab dem Schuljahr 2024/2025 den Smartphonegebrauch: Smartphones dürfen nun auch für Unterrichtszwecke nicht mehr verwendet werden.

Die Regierung Großbritanniens veröffentlichte 2024 eine neue Leitlinie, um „die Nutzung von Smartphones in Pause und Unterricht einheitlich zu untersagen.“ So könne jede Schule ihren Weg suchen, diese Leitlinie umzusetzen. „Bereits 80 Prozent der Schulen haben ein Smartphone-Verbot eingeführt.“

Österreich (aktualisiert): März 2025: Der neue Bildungsminister Wiederkehr (NEOS) fordert ein landesweites Handyverbot an allen österreichischen Schulen. Das soll dafür sorgen, dass Handys in Schulen während des Unterrichts und in den Pausen nicht mehr verwendet werden dürfen. Ein Handyverbot gibt es bereits in Wien, Kärnten und der Steiermark.

Dänemark (aktualisiert): Immer mehr Schulen folgen der Empfehlung des Bildungsministeriums und führen Handyverbote ein. Das Gesundheitsministerium empfiehlt, die Bildschirmzeit für Kinder auf ein bis zwei Stunden pro Tag in der Freizeit einzuschränken. Der Bildungsminister hat sich Anfang 2024 öffentlich entschuldigt und von einer ganzen Generation "digitaler Versuchskaninchen" gesprochen.

Quelle: Info3, Februar 2025, S. 35/36,
https://zeitschrift-info3.de/zeitschrift-info3/digitale-rolle-rueckwaerts/

Siehe auch: Peter Hensinger (2023). Karolinska-Institut (Schweden): Stellungnahme zur nationalen Digitalisierungsstrategie in der Bildung. In: https://www.aufwach-s-en.de/2023/07/karolinska-institut-schweden-stellungnahme-zur-nationalen-digitalisierungsstrategie-in-der-bildung/

Es folgt Teil 2:  Darin geht es dann um Social Media in Australien und Deutschland.


Kern & Hauser, Bild: Ingrid Schaeffer

19.03.2025

Wir informieren: Digitale Rolle rückwärts?
Die Skepsis gegenüber Computer und Co. im Klassenzimmer wächst (Teil 2)

Im zweiten Teil zum Artikel von Ingo Leipner „Digitale Rolle rückwärts? “, einem aufschlussreichen Artikel zum Stand der Smartphonediskussion, geht es um Social Media in Australien und Deutschland.

Ein wichtiges Thema im Zusammenhang mit der Digitalisierung spricht Leipner hinsichtlich des Geschäftsmodells der Tech-Konzerne an: Es sei nicht nur durch Smartphoneverbote an Schulen Europas bedroht, sondern auch durch zunehmende Kritik am Zugang zu Social Media für Kinder und Jugendliche.

In Australien habe 2024 das Parlament ein Gesetz beschlossen, das Kindern und Jugendlichen unter 16 Jahren diesen Zugang verbauen solle, schreibt er. Das beträfe die großen Plattformen:
X, TikTok, Facebook, Snapchat, Reddit und Instagram. Premierminister Antony Albanese habe deren Wirkung auf Kinder eine „Geißel“ genannt, da sie von echten, menschlichen Beziehungen abhielten und Erfahrungen in der realen Welt verhinderten. Jedoch gebe es Ausnahmen bei diesem Gesetz, Video-Provider wie YouTube, Messaging-Dienste wie WhatsApp blieben zugänglich, auch Online-Spiele seien ausgenommen und unter 16-Jährige könnten Angebote im Gesundheits- und Bildungs-
bereich weiter nutzen. Ob das Gesetz funktioniere, würde sich dann zeigen, wenn der künftig vorgeschriebene Altersnachweis von den Tech-Konzernen innerhalb eines Jahres umgesetzt worden sei. Damit hätten dann die Anbieter die Verantwortung und sie läge nicht bei den Eltern. Das sieht Leipner als einen großen Fortschritt.

In Deutschland sei formal der Zugang zu Social Media oft ab 13 Jahren erlaubt. Doch das ließe sich in der Praxis nicht kontrollieren - auch wenn viele Plattformen forderten, dass Eltern schriftlich ihr Einverständnis erklären müssten.

In den staatlichen Schulen sei der Umgang mit Smartphones recht löchrig, denn laut Rechtsanwalt Cedric Vornholt  ist das Schulrecht Ländersache, sodass jedes Bundesland das Schulwesen eigenständig regeln kann. Ein generelles Verbot, Handys in die Schule mitzunehmen, gebe es bis jetzt nicht.

Doch häufig sei es untersagt, Handys im Unterricht zu nutzen. Außer wenn die Lehrenden erlauben, die Geräte fürs Recherchieren zu nutzen oder um Vokabeln nachzuschlagen. Störe jedoch ein Schüler öfter den Unterricht mit seinem Handy, sei ein „befristetes Mitnahmeverbot als pädagogische Maßnahme“ möglich, das gelte auch wenn die Persönlichkeitsrechte von Lehrern und Schülern durch illegale Filmaufnahmen verletzt würden. Ein Täuschungsversuch läge vor, wenn ein Handy in der Prüfung benutzt wird. 

Auch in den Freien Waldorfschulen gebe es keine gemeinsame Haltung zum Thema Smartphone, schreibt Leipner. Doch das Netzwerk Medienmündigkeit Waldorf sei mit dem Thema befasst. Der „Medienkompass“ werde immer wieder aktualisiert und sei nun in der fünften Auflage heraus-
gekommen. Darin hieße es: „Es kann sich nicht darum handeln, Informationstechnologien wieder abschaffen zu wollen, sondern nur darum, kritische Aspekte bewusst wahrzunehmen und individuelle Gegengewichte zu setzen.“

Dass die AfD für die ersten vier Schuljahre vorwiegend digitalfreie Räume fordere, da hier die grundlegenden Kulturtechniken Lesen, Rechnen und Schreiben erlernt werden sollen, passt für Leipner nicht zu deren sonstiger Haltung.

Quelle: Ingo Leipner: Digitale Rolle rückwärts? In: Info3, Februar 2025, S. 36/37
https://zeitschrift-info3.de/zeitschrift-info3/digitale-rolle-rueckwaerts/

Weiterführende Literatur:
Ingo Leipner:  KI-Angriff auf das Bewusstsein – Kritik der künstlichen Vernunft, Info3-Verlag, 2024; 104 Seiten, 12,90 Euro

Bund der Freien Waldorfschulen: Medienkompass – eine Orientierungshilfe für Eltern im Medien-Dschungel, 5. überarbeitete Auflage, Bund der Freien Waldorfschulen, Januar 2024; 50 Seiten.
Ab 3 Euro. https://www.waldorfschule.de/paedagogik/medienkompass

An diesen Texten mitgearbeitet hat Edwin Hübner, der am 15. Mai bei uns in Neckartenzlingen einen Vortrag halten wird zu „Virtualität und Realität. Welche Konsequenzen kann die Vermischung von künstlichen 3D-Welten und realem Leben haben?“ 

Zum Thema Social Media und TikTok gibt es seit dem 11.3.2025 eine neue, aus unserer Sicht positive Entwicklung. Darüber berichten wir dann in der nächsten Ausgabe.


Wir freuen uns über neue Mitglieder im InfoMobilFunk Neckartenzlingen und Umgebung, Ortsgruppe im Mobilfunk Bürgerforum e. V. www.mobilfunk-buergerforum.de

Die Vorsitzenden: Prof. a. D. Helmuth Kern, Bert Hauser (Telefon: 07127/35655 bzw. 07127/35949)


Alle Kommentare finden Sie hier: diagnose-funk.org/kommentar

Artikel veröffentlicht:
05.03.2025
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