Sehr geehrte Damen und Herren,
mit großem Interesse haben wir die Handlungsempfehlungen der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission (SWK) der KMK zur Digitalisierung im Bildungssystem gelesen. Dabei fiel uns jedoch auf, dass wichtige Aspekte, insbesondere die evidenzbasierten Erkenntnisse zur kindlichen Entwicklung und Gesundheit, unzureichend berücksichtigt wurden.
Die Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sowie verschiedener pädiatrischer Fachgesellschaften, die von einer Reduktion der Bildschirmzeit bei Kleinkindern ausgehen, werden im Gutachten der SWK nicht adäquat berücksichtigt. Darüber hinaus bleiben nachweislich negative Effekte wie Bewegungsmangel, Beeinträchtigung der Sprachentwicklung und psychosoziale Probleme unbeachtet.
Zusätzlich möchten wir auf die AWMF-Leitlinie "Prävention dysregulierter Bildschirmnutzung in Kindheit und Jugend" hinweisen, die von 11 führenden Fachgesellschaften erarbeitet wurde, darunter die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) und die Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische und Jugendpsychiatrie (DGKJP). Des Weiteren die Deutsche Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie e.V. (DG-Sucht), die Deutsche Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin e.V. (DGSPJ), die Deutsche Gesellschaft für Sozialmedizin und Prävention e.V. (DGSMP), der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzt*innen e.V. (BVKJ), die Gesellschaft für Seelische Gesundheit in der Frühen Kindheit (GAIMH), die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), die Deutsche Gesellschaft für Hebammenwissenschaft e.V. (DGHWi), die Deutsche Gesellschaft für Psychologie e.V. (DGPs), sowie dem Bundesverband der Ärztinnen und Ärzte des öffentlichen Gesundheitsdienstes e.V. (BVÖGD). Die Patientenvertretung wurde durch den Fachverband Medienabhängigkeit e.V. sichergestellt.
Diese Leitlinie dokumentiert die Auswirkungen übermäßiger Bildschirmnutzung auf Kinder und Jugendliche und spricht sich klar für eine Begrenzung der Bildschirmzeit aus, insbesondere im Vorschulalter. Die Leitlinie hebt folgende Aspekte hervor, die bisher in den Empfehlungen der KMK nicht ausreichend berücksichtigt wurden: Negative Auswirkungen auf die körperliche Gesundheit, wie Bewegungsmangel, Übergewicht und Schlafstörungen. Psychosoziale Beeinträchtigungen, einschließlich Ängste, Depressionen und Suchtverhalten. Entwicklungsverzögerungen in zentralen Bereichen wie Sprache, Aufmerksamkeit und exekutiven Funktionen.
Besonders kritisch sehen wir die Forderung nach der Einführung von "Elementarinformatik" in Kindertagesstätten und Grundschulen, da es bisher keine belastbaren Nachweise für den Nutzen einer so frühen Einführung von Informatikkonzepten gibt. Gleichzeitig zeigen internationale Studien und die AWMF-Leitlinie klar, dass die Nutzung digitaler Medien im frühen Alter langfristige gesundheitliche und entwicklungsbezogene Schäden verursachen kann.
Des Weiteren beanspruchen digitale Geräte erhebliche Folgekosten, Zeitkontingente und Umweltressourcen, die in der Handlungsempfehlung nicht adäquat abgebildet sind.
Wir bitten Sie daher eindringlich die Empfehlungen zur Digitalisierung im Bereich Kindheit und Bildung zu überarbeiten und dabei die fundierten wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Gehirn- und Entwicklungsforschung sowie gesundheitliche Aspekte stärker einzubeziehen.
Gern stehen wir für einen vertiefenden Austausch zu diesem Thema zur Verfügung und unterstützen eine evidenzbasierte Weiterentwicklung der Empfehlungen.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. med. Silke Schwarz und Prof. Dr. med. David Martin
Universität Witten/Herdecke, Fakultät für Gesundheit, Department für Humanmedizin, Institut für Integrative Medizin, Gemeinschaftskrankenhaus, Gerhard-Kienle-Weg 4, D-58313 Herdecke.
Quellen:
https://www.tessin-zentrum.de/a/digitalisierung-im-bildungssystem-offener-brief-an-die-kmk