„Es ist höchste Zeit, dass die negativen Auswirkungen von Hochfrequenz-EMF auf die Gehirnentwicklung von Kindern und Jugendlichen ernst genommen werden!"

Interview mit der Neurobiologin Dr. Keren Grafen
In ihrem Vortrag in Neckartenzlingen erklärte die Neurobiologin Prof. G. Teuchert-Noodt, dass der Gehirnstoffwechsel maßgeblich von elektromagnetischen Frequenzen zwischen 4 Hz und 30 Hz gesteuert wird und die Homöostase im Gehirn auf einem sensiblen Zusammenspiel dieser Frequenzen beruht. Dazu liegen von ihrem Institut Forschungsergebnisse vor. Daher sei es logisch, dass Einstrahlungen von außen, wie sie durch die Mobilfunkstrahlung erzeugt werden, darauf wirken. Dr. Keren Grafen war Mitarbeiterin am Institut von Prof. G. Teuchert-Noodt und ist mit den dort durchgeführten neurobiologischen Forschungen bestens vertraut. Peter Hensinger führte mit ihr ein Interview zum Stand der Forschung über die Wirkungen der Mobilfunkstrahlung (EMF) auf den Gehirnstoffwechsel.
Dr. Keren Grafen, privat

Die Neurobiologie hat nachgewiesen, wie die Reizüberflutung durch digitale Medien den Gehirnstoffwechsel beeinflusst, die Entwicklung des Stirnhirns (präfrontaler Kortex) hemmt und auch zur Sucht führen kann. Das erläutert Prof. Gertraud Teuchert-Noodt in ihrem Video -Vortrag. Die Studie von Kim et al. (2024) „Hochfrequenz-Exposition induziert synaptische Dysfunktion in kortikalen Neuronen, die Lern- und Gedächtnisveränderungen in frühen postnatalen Mäusen verursacht“ weist nun auch auf molekularer Ebene pathologische Wirkungen der hochfrequenten Strahlung auf die Gehirnentwicklung im präfrontalen Kortex (Stirnhirn) nach. Mobilfunkstrahlung hemmt die Entwicklung der synaptischen Struktur und ihrer Dichte sowie das Neuritenwachstum mit negativen Folgen auf das Verhalten, das räumliche Lernen und Gedächtnis.

Negative Auswirkungen der Strahlung von Handys auf das Gedächtnis wurden nicht nur in Tierversuchen nachgewiesen. Eine Studie mit dem Titel „Eine prospektive Kohortenstudie zur Gedächtnisleistung von Jugendlichen und die individuelle Hirndosis der Mikrowellenfelder durch Funkkommunikation“ mit 700 Jugendlichen in der Schweiz ergab, dass hochfrequente elektromagnetische Felder von Mobiltelefonen sich nachteilig auf die Entwicklung der Gedächtnisleistung im figuralen und verbalen Gedächtnis auswirken. Sie wurde vom Schweizerischen Tropen- und Public Health-Institut durchgeführt (Förster et al. 2018, Schoeni et al.2015). Ein Jahr lang wurde die Handynutzung von Zwölf- bis Siebzehnjährigen ausgewertet. Wie zu erwarten, wiesen Vieltelefonierer eine erhöhte Strahlenbelastung des Gehirns auf. Die spannende Erkenntnis: Je mehr Telefonate geführt werden, desto schlechter fällt die Leistung im figuralen Gedächtnistest aus. Auch das verbale Gedächtnis zeigte schlechtere Ergebnisse.

Haben Kim et al. nun eine neurobiologische Erklärung für die Ergebnisse von Förster et al. geliefert? Welche Relevanz haben diese Studienergebnisse? Dazu befragten wir die Neurobiologin Dr. Keren Grafen.

 

Hippocampus – Zentrum für effektives Lernen

DIAGNOSE:FUNK: Frau Dr. Grafen, wir möchten Sie um eine Beurteilung der Ergebnisse der zwei Studien von Kim und Förster bitten, die beide die Auswirkungen von Handystrahlung auf das Gehirn untersuchten. Zuerst für unsere Leser, die keine Biologen sind, die Frage: Welche Funktion hat der Hippocampus? Welche Rolle spielen Synapsen und Neuriten im Gehirn?

KEREN GRAFEN: Sehr gern! Der Hippocampus ist eine faszinierende Struktur des Gehirns, der eine entscheidende Rolle für das Kurzzeitgedächtnis, den Transfer von Informationen ins Langzeitgedächtnis, sowie für Emotionen, Motivation und die räumliche Orientierung spielt. Der Name „Hippocampus“ leitet sich von seiner Form ab, die an ein Seepferdchen erinnert.

Ein bemerkenswertes Merkmal des Hippocampus ist seine Fähigkeit zur lebenslangen Neubildung von Nervenzellen. Diese erfolgt in einem embryonalen Keimlager, das sich im Hippocampus befindet und eine kontinuierliche Neurogenese ermöglicht. Dieser Prozess trägt maßgeblich zur neuronalen Plastizität bei, indem er die Anpassungsfähigkeit des neuronalen Netzwerks erhält und die Entstehung starrer Strukturen verhindert. Da der Hippocampus fortlaufend neue Informationen speichern muss, bleibt das System gezwungenermaßen empfänglich für Umweltreize. Dieses Phänomen, bekannt als hippocampale Neurogenese, stellt einen zentralen Forschungsbereich dar, mit dem ich mich über viele Jahre intensiv beschäftigt habe. Wichtig ist zu wissen, dass die Bildung neuer Nervenzellen im Hippocampus bis ins hohe Erwachsenenalter bestehen bleibt, als essentielle Voraussetzung für Lernprozesse, emotionale Regulation und kognitive Flexibilität.

Eine weitere zentrale Funktion des Hippocampus ist seine Beteiligung an der Erstellung kognitiver Landkarten. Die Entdeckung der Place Cells („Ortszellen“) im Hippocampus und der Grid Cells („Gitterzellen“) im angrenzenden entorhinalen Kortex wurde 2014 mit dem Nobelpreis für Physiologie oder Medizin ausgezeichnet. Diese spezialisierten Nervenzellen sind essenziell für die Kodierung räumlicher Informationen und ermöglichen die Berechnung interner Karten zur Navigation.

Die neuroanatomische Grundlage all dieser Prozesse bilden Neuriten, also Axone und Dendriten, die eine umfassende Vernetzung zwischen den Nervenzellen gewährleisten. Synapsen spielen eine entscheidende Rolle für die Signalübertragung und ermöglichen den Informationsaustausch innerhalb neuronaler Netzwerke.

Eine Schädigung des Hippocampus hat weitreichende Folgen für kognitive und räumliche Prozesse. Experimentelle Studien an Nagetieren zeigen, dass ohne diese Struktur kein effektives Lernen mehr möglich ist – ein Befund, der auch beim Menschen bestätigt wurde. Der Fall des Patienten H.M., dem in den 1950er-Jahren beidseitig der Hippocampus entfernt wurde, verdeutlicht eindrucksvoll die zentrale Bedeutung dieser Region: Nach dem Eingriff war er weder in der Lage, neue Erinnerungen zu bilden, noch konnte er sich räumlich orientieren.

 

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HF-EMF lässt Äste der neuronalen Bäume verkümmern

DIAGNOSE:FUNK: Ein Ergebnis der Studie von Kim et al.: Die RF-EMF-Exposition führte zu einer Verringerung der Neuritenlänge und der Anzahl der Äste. Welche Folgen kann das haben?

KEREN GRAFEN: Ein neuronales Netzwerk lässt sich bildhaft mit einem Wald vergleichen: Jede Nervenzelle gleicht einem Baum, dessen Äste sich weit verzweigen und mit anderen Bäumen in Kontakt stehen. Wenn jedoch einzelne Äste oder gar ganze Bäume absterben, entstehen Lücken im dichten Wald – die einst lebendige Verbindung zwischen den Bäumen wird unterbrochen. Genau dieses Phänomen konnte die Studie von Kim et al. eindrucksvoll nachweisen: Die Exposition hochfrequenter elektromagnetischer Felder (RF-EMF) wirkt sich negativ auf die Axone und Dendriten der Nervenzellen im Hippocampus aus. Die Äste der neuronalen Bäume verkümmern, ihre Anzahl nimmt ab, und das Netzwerk verliert an Stabilität.

Noch tiefgreifender sind die möglichen Auswirkungen auf die räumliche Orientierung: Durch die EMF-Exposition kann sowohl die Entstehung als auch die Funktion von kognitiven Landkarten beeinträchtigt sein. Dies hätte nicht nur Folgen für unser Erinnerungsvermögen, sondern auch für komplexere Denkprozesse – etwa die Fähigkeit, zwischen Vergangenheit und Zukunft zu unterscheiden, oder die soziale Interaktion mit anderen Menschen. So wie ein beschädigter Wald nicht nur sein Ökosystem verändert, sondern auch das Leben unzähliger Tiere beeinflusst, könnte eine gestörte neuronale Vernetzung weitreichende Konsequenzen für unser Denken und Verhalten haben.

 

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Hebbsche Lernsynapse: "Neurons that fire together, wire together."

DIAGNOSE:FUNK: Die Expression von AMPA- und NMDA-Glutamatrezeptoren (Hebbsche Lernsynapse) war in den untersuchten hippocampalen Neuronen signifikant reduziert. Was bedeutet dies? Können daraus auch die Folgen für die Neuroplastizität abgeleitet werden? Welche Rolle spielt die Neuroplastizität?

KEREN GRAFEN: Dazu sollte man zunächst die Hebbsche Lernsynapse erklären, die ein grundlegendes Prinzip der neuronalen Plastizität darstellt und von dem kanadischen Forscher Donald Hebb im Jahr 1949 formuliert wurde: "Neurons that fire together, wire together." Das bedeutet, dass die synaptische Verbindung zwischen zwei Nervenzellen verstärkt wird, wenn sie wiederholt gleichzeitig aktiv sind. Genauer gesagt: Wenn eine präsynaptische Nervenzelle (Sender) gleichzeitig mit einer postsynaptischen Nervenzelle (Empfänger) aktiv ist, verstärkt sich die synaptische Verbindung. Dieses Phänomen wird als Langzeitpotenzierung (LTP, Long-Term Potentiation) bezeichnet. Der NMDA-Rezeptor spielt hierbei eine zentrale Rolle.

Der Prozess läuft wie folgt ab: Ein eintreffendes Signal aktiviert zunächst den AMPA-Rezeptor, der die Erregung unmittelbar weiterleitet. Erst wenn die Nervenzelle über einen längeren Zeitraum hinweg aktiv bleibt – wie es bei Lernprozessen durch wiederholte Stimulation der Fall ist – wird der NMDA-Rezeptor aktiviert. Eine Besonderheit des NMDA-Rezeptors ist es, dass er im Ruhezustand durch ein Magnesium-Ion blockiert ist. Erst wenn der Input auf die Empfängerzelle groß genug ist, wird diese Blockade aufgehoben. Dies führt über verschiedene chemische Prozesse zu einer strukturellen Veränderungen an der Synapse: sie wächst, wird stabiler und ihre Größe nimmt zu. Durch diese  Veränderungen wird die Signalübertragung an dieser Synapse erleichtert, wodurch die Effizienz des Lernens gesteigert wird. Das meinte Hebb im Jahr 1949, als er postulierte, dass die synaptische Verbindung zwischen zwei Nervenzellen verstärkt wird, wenn sie wiederholt gleichzeitig aktiv sind.

Die signifikant reduzierte Expression von AMPA- und NMDA-Glutamatrezeptoren in hippocampalen Neuronen – wie Kim in der oben genannten Studie zeigen konnte – bedeutet, dass die Lernprozesse auf physiologischer Ebene beeinträchtigt sind. Dies wiederum hat zur Folge, dass die Fähigkeit des Gehirns, sich strukturell und funktionell an Erfahrungen und Umweltfaktoren anzupassen – ein Prozess, der als Neuroplastizität bezeichnet wird – nur noch unzureichend möglich ist. Die Folgen sind weitreichend: Das anatomische Korrelat für jegliches Lernen wird beeinträchtigt.

 

HF-EMF beeinflussen die Homöostase der Gehirntaktung

DIAGNOSE:FUNK: Am Institut von Teuchert-Noodt, an dem Sie arbeiteten, wurde in der Studie von Hoffmann et al. im Jahr 2001 ein elektrophysiologischer Zusammenhang entdeckt: Gehirnstoffwechsel werden durch EMF gesteuert, in den Frequenzen von 4 Hz bis 30 Hz. Könnten Sie uns diesen Mechanismus erläutern, und könnten die Schädigungen, die Kim et al. entdeckten, u.a. die reduzierte BDNF-Expression, auch damit zusammenhängen?

KEREN GRAFEN: Der elektrophysiologische Zusammenhang, den Hoffmann et al. (2001) am Institut von Teuchert-Noodt entdeckten, zeigt, dass elektromagnetische Felder (EMF) im Frequenzbereich von 4 Hz bis 30 Hz die hippocampale Neurogenese beeinflussen. Besonders auffällig ist, dass EMF-Expositionen im Frequenzbereich von 1, 29 und 50 Hz die Neurogenese signifikant verringern, während andere Frequenzen wie 8 und 12 Hz keinerlei Auswirkungen haben. Die Studie interpretiert, dass nur bestimmte Frequenzen die Ausschüttung von Neurotransmittern und Hormonen aktivieren, die wiederum die Veränderungen im Hippocampus steuern.

Diese Erkenntnis öffnet den Weg zu einer interessanten Hypothese: Es gibt einen gemeinsamen Mechanismus, der sowohl in der Studie von Hoffmann et al. als auch in der Studie von Kim et al. zu finden ist: Die EMF-gesteuerte Regulation von Neurotransmittern und Hormonen könnte der Auslöser einer reduzierten BDNF-Expression und damit einer verringerten synaptischen Dichte sein – eine äußerst interessante Annahme, die sicherlich auch zukünftige Forschungen beschäftigen wird. BDNF, oder Brain-Derived Neurotrophic Factor, ist ein Protein, das eine zentrale Rolle bei der Bildung neuer Synapsen im Gehirn spielt. Ein Mangel an BDNF wird mit kognitiven Defiziten und neurodegenerativen Erkrankungen in Verbindung gebracht.

Grafiken: diagnose:funk

 

Das Gehirn lernt insbesondere durch Bewegung, durch Be-GREIFEN, und zwar dreidimensional

DIAGNOSE:FUNK: Welche Rolle spielt nun das alles für das Lernen und eine gesunde Gehirnentwicklung? Was denken sie, auf Grund ihres neurobiologischen Wissens, wenn Sie die dauertelefonierenden Kinder und Jugendlichen sehen?

KEREN GRAFEN: Das ist eine sehr wichtige Frage: Aus neurobiologischer Sicht spielt die gesunde Gehirnentwicklung eine zentrale Rolle für das Lernen, denn das Gehirn von Kindern und Jugendlichen ist besonders plastisch und formbar. Das bedeutet, dass es einerseits besonders offen, andererseits aber auch besonders anfällig für schädigende Einflüsse ist. In der Metapher des Waldes gesprochen, wird jede neue Erfahrung, jedes Lernen und jede Interaktion als neue „Äste“ in dieses neuronale Netzwerk integriert. Schädigende oder inadäquate Reize lassen diesen Wald verkümmern. Dabei spielen nicht nur schädigende Einflüsse, wie oben durch die schädigenden Effekte von EMF-Strahlung beschrieben, eine Rolle, sondern auch die Art und Weise, wie gelernt wird. Das Gehirn lernt insbesondere durch Bewegung, durch Be-GREIFEN, und zwar dreidimensional. Das bedeutet, dass wir Informationen nicht nur passiv aufnehmen, sondern sie durch aktive, körperliche Auseinandersetzung mit der Umwelt integrieren und in unserem Gehirn verankern.

Die fortschreitende Abhängigkeit von digitalen Geräten und die damit verbundene 24/7 EMF-Exposition könnte somit das neuronale Wachstum und die kognitiven Fähigkeiten insbesondere bei den hoch vulnerablen Gehirnen unserer Kinder und Jugendlichen negativ beeinflussen. In der Neurobiologie sprechen wir in solchen Fällen von der sogenannten „Notreifung“, wie sie etwa beim Kasper-Hauser-Effekt auftritt. Daher ist es aus neurobiologischer Sicht höchste Zeit, die experimentellen Studien ernst zu nehmen, die EMF-Belastung zu reduzieren und alternative Mittel zu nutzen, die das Lernen und die Gehirnentwicklung unterstützen, indem sie Bewegung und Interaktion mit der realen Welt fördern.

DIAGNOSE:FUNK: Das alles bedeutet ja, dass die Gehirnentwicklung durch Handystrahlung massiv geschädigt würde. Die Studie wurde an Mäusen durchgeführt. Kann man daraus Schlussfolgerungen für eine Gefährdung der Gehirnentwicklung unserer Kinder ziehen?

KEREN GRAFEN: Ja, das würde ich tun. Die oben zitierten Studien wurden zwar an Mäusen durchgeführt, aber die grundlegenden neurobiologischen Mechanismen, die vor allem die wichtige Relay-Station Hippocampus betreffen – einschließlich der Neurogenese, synaptischen Plastizität und der Raum-Koordinierung – sind bei Säugetieren, einschließlich uns Menschen, völlig vergleichbar. Wenn diese Ergebnisse schon von einer industrieverseuchten und interessengeleiteten Politik ignoriert werden, sollten sie wenigstens als Warnsignal für Eltern, Lehrer und Erzieher dienen. Es ist höchste Zeit, dass endlich die negativen Auswirkungen von Hochfrequenz-EMF auf die Gehirnentwicklung von Kindern und Jugendlichen ernst genommen werden. Vorsichtsmaßnahmen wie reduzierte Mobilfunknutzung bei Kindern, der Einsatz kabelgebundener Alternativen und die Minimierung der Strahlenbelastung im Schlafbereich sind das Mindeste, um potenzielle Langzeitschäden zu vermeiden.

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Prof. Dr. Michael Kundi erläutert im Video die Signifikanz der Ergebnisse der Schweizer Studie von Foerster et al. zur Schädigung des figuralen Denkens, Minute 26:00

Schweizer Studie: Smartphonenutzung schädigt das figurale Gedächtnis

DIAGNOSE:FUNK: Kim et al. haben an Mäusen biologische Prozesse erforscht. Könnte das nachträglich die Ergebnisse der Studie von Förster et al. (2018) aus der Schweiz erklären. Die Studie untersuchte den Einfluss von RF-EMF bei ca. 670 Jugendlichen auf die Gedächtnisleistung. Die Hauptergebnisse: Ein Anstieg der kumulativen RF-EMF-Belastung war mit einer Verschlechterung der figuralen Gedächtnisleistung verbunden. Besonders ausgeprägt war der Effekt bei Teilnehmern, die ihr Handy bevorzugt auf der rechten Kopfseite nutzten. Der Effekt war signifikant, wenn RF-EMF-Dosen basierend auf Betreiberdaten geschätzt wurden.

KEREN GRAFEN: Ja, das figurale Gedächtnis bezeichnet die Fähigkeit, visuelle Eindrücke wie Bilder, Formen, Muster oder räumliche Strukturen zu speichern und sich daran zu erinnern. Es ist ein wesentlicher Teil des visuellen Gedächtnisses und ermöglicht, das Aussehen von Objekten, Gesichtern, Orten und Situationen zu behalten, ohne auf verbale Beschreibungen angewiesen zu sein. Es spielt eine Schlüsselrolle bei der räumlichen Orientierung und der Rekonstruktion von Wahrnehmungen. Und genau hier kommt der Hippocampus ins Spiel – DIE zentrale Schaltstelle für räumliche Verrechnung und Orientierung, erinnern Sie sich an die Ortszellen (Place-Cells)? Es lässt sich also ein klarer Zusammenhang herstellen.

Die Studie von Kim et al. passt daher zu den Erkenntnissen von Förster et al. (2018), die einen Zusammenhang zwischen der kumulativen RF-EMF-Belastung und einer Verschlechterung der figuralen Gedächtnisleistung bei Jugendlichen aufdeckten. Durch die Veränderungen im Hippocampus wird langfristig das komplexe neuronale dreidimensional Netzwerk gestört.

An dieser Stelle möchte ich jedoch eine kritische Anmerkung machen: Die Hypothese, dass bestimmte Hirnregionen – wie der rechte Hippocampus – für spezifische Funktionen wie das figurale Gedächtnis zuständig sind, ist eine vereinfachte Sichtweise. Ich persönlich halte diese „Links-Rechts-Hypothese“ für problematisch, da wir zunehmend von einer strikt anatomischen Betrachtung hin zu einem systemischen und vernetzten Denken über das Gehirn übergehen sollten. Das Gehirn funktioniert nicht isoliert in einzelnen Bereichen, sondern in dynamischen, interaktiven Netzwerken. Diese Perspektive zeigt uns, dass die Effekte von EMF viel komplexer sind und weit über die isolierte Betrachtung von Gehirnregionen hinausgehen.

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Vortrag von Prof. Leif. Salford über seine Studien zur Wirkung von Mobilfunkstrahlung auf das Gehirn
 

Salford – Studien bestätigt: HF-EMF öffnen die Blut-Hirn-Schranke

DIAGNOSE:FUNK: Sie selbst haben im Jahr 2022 den Artikel „Albumin als Schlüsselmarker.  Wie sich die Durchlässigkeit der BLUT-HIRN-SCHRANKE nach Mobilfunkstrahlen-Exposition verändert“ bei Thieme veröffentlich, in dem Sie schreiben: „Die Erkenntnisse von Professor Salford auf die Albumin-Extravasation durch elektromagnetische Felder können einen Hinweis auf pathogene Mechanismen für ein breites Spektrum neurologischer Erkrankungen liefern, die mit einer BHS-Dysfunktion einhergehen.“ Welche Rolle könnte dieser Mechanismus, wenn man ihn in Wechselwirkung mit den Erkenntnissen von Kim et al. sieht, bei der Gehirnentwicklung spielen, insbesondere wenn schon Kleinkinder ein Smartphone nutzen?

KEREN GRAFEN: Ja, die äußerst aufschlussreichen Befunde von Prof. Leif Salford, die ich in meinem Artikel „Albumin als Schlüsselmarker“ aufgenommen und mit aktuellen Daten kombiniert habe, verdeutlichen die immens komplexen und potenziell gefährlichen Auswirkungen von EMF auf das Gehirn – und zwar auf eine völlig neue Art und Weise: über die Blut-Hirn-Schranke. Es ist mittlerweile gut dokumentiert, dass die Extravasation (der Austritt) von Albumin mit einer Hyperpermeabilität der Blut-Hirn-Schranke (BHS) einher geht.

Wenn man diese Ergebnisse mit den Ergebnissen der vorher genannten Studien kombiniert, wird die Ernsthaftigkeit der potenziellen Auswirkungen von EMF auf die kindliche Gehirnentwicklung noch deutlicher. Die durch EMF verursachte Hyperpermeabilität der Blut-Hirn-Schranke öffnet das Gehirn für schädliche Substanzen, die das Gehirn vor allem auf immunologischer Ebene zusätzlich belasten (Anm. d:f: die neue Studie von Kizilçay et al. (2025) bestätigt erneut diese Wirkung von EMF). Das sich noch in der Entwicklung befindliche und besonders anfällige neuronale Netzwerk wird dadurch zusätzlich und massiv gestört .

Und jetzt stellen Sie sich bitte vor, was aus der Zukunft unserer Kinder wird, wenn immer jüngere Kinder mit Smartphones und anderen drahtlosen Geräten in Kontakt kommen! Der Mechanismus der BHS-Dysfunktion in Kombination mit den Erkenntnissen von Kim et al. zeigt auf, dass chronische EMF-Exposition zu erheblichen Beeinträchtigungen der Gehirnfunktionen führt. Ich sehe das täglich in meiner Praxis, wie verzweifelte Eltern machtlos zusehen, wie ihre Kinder wie ferngesteuerte Wesen agieren. Es ist höchste Zeit, dass wenigstens Eltern, Lehrer und Erzieher ein Bewusstsein für die immer größer werdende Gefahr der EMF-Exposition auf die Gehirne unserer Kinder und Jugendlichen entwickeln. Es gibt Alternativen, auch in einer zunehmend digitalen Welt. Der Umstieg auf kabelgebundene Geräte, eine drastische Reduktion der Handynutzung, insbesondere bei kleinen Kindern, und vor allem die dringend nötige Aufklärung über die Risiken von EMF sind unabdingbar, um die gesunde Gehirnentwicklung zu schützen. Wir können nicht länger tatenlos zusehen, wie die Gesundheit unserer Kinder aufs Spiel gesetzt wird!

 

Es ist höchste Zeit, sich mit den dramatischen Konsequenzen auseinanderzusetzen

DIAGNOSE:FUNK: Jonathan Haidt stellt in seinem Buch „Generation Angst“ die These auf, dass seit 2012 durch die Smartphonenutzung die geistige Gesundheit junger Menschen eine Klippe heruntergestürzt ist. Die PISA Studien zeigen, dass die Fähigkeiten in Rechnen, Schreiben, Lesen und Sprechen im Sinkflug und psychische Krankheiten bei Kindern und Jugendlichen zunehmen.  Liefert die Studie von Kim et al. dafür nicht eine plausible Erklärung? Welche Konsequenzen für Kitas, Schulen und Eltern ergeben sich für Sie aus diesen Erkenntnissen?

KEREN GRAFEN: Ja, die Studie von Kim et al. liefert nicht nur eine plausible biologische Erklärung für die Thesen von Jonathan Haidt in „Generation Angst“, sondern lässt uns auch das vollständige Ausmaß der Auswirkungen von EMF auf die psychische Gesundheit junger Menschen erkennen. Haidt stellt fest, dass die immer häufiger werdende Nutzung von Smartphones seit 2012 zu einem dramatischen Rückgang der geistigen Gesundheit der Jugendlichen geführt hat, was sich in steigenden psychischen Erkrankungen und sinkenden schulischen Leistungen widerspiegelt. Die zahlreichen neurobiologischen Veränderungen, wie ich sie oben beschrieben habe, könnten die Ursache für die zunehmenden Schwierigkeiten der Jugendlichen in grundlegenden kognitiven Bereichen wie Rechnen, Lesen, Schreiben und Sprechen sein.

Auf neuroanatomischer Ebene ist der Hippocampus in Verbindung mit der Amygdala entscheidend für die Wahrnehmung von Angst verantwortlich. Angst kann durch übergeordnete Strukturen wie den präfrontalen Cortex sinnvoll in einen kontextbezogenen Zusammenhang gebracht werden, sodass wir bewerten können, ob es sich um eine reale oder fiktive Angst handelt. Wie in dem Vortrag von Prof. Dr. Teuchert-Noodt in Neckartenzlingen erklärt wurde, spielt die meso-limbo-kortikale dopaminerge Stressbahn hierbei eine entscheidende Rolle. Diese Stressbahn ist dafür verantwortlich, wie wir mit Stress und Angst umgehen, und ihre Beeinträchtigung verringert dramatisch die emotionale Resilienz junger Menschen.

Es ist höchste Zeit, dass wir uns mit den dramatischen Konsequenzen dieser Erkenntnisse auseinandersetzen! Schulen, Kitas und Eltern müssen jetzt handeln, um die ungebremste EMF-Exposition der Kinder und Jugendlichen zu reduzieren. Es sind dringende Maßnahmen erforderlich, um das Wohl unserer Kinder zu schützen: Wir müssen die Bildschirmzeit drastisch reduzieren, analoge Lernmethoden und soziale Interaktionen fördern, Aufklärung betreiben und den Umgang mit digitalen Geräten gesünder gestalten. Wenn wir nicht handeln, riskieren wir, dass die psychische Gesundheit und die kognitive Entwicklung der kommenden Generation dauerhaft geschädigt werden.

DIAGNOSE:FUNK: Frau Dr. Grafen, herzlichen Dank für die Darlegung dieser hochbrisanten Zusammenhänge. Diese Erkenntnisse aus ihren Forschungen müssen bekannt werden. Wir werden dieses Interview bei möglichst vielen Eltern, Erziehern und Medizinern verbreiten. 

Die Fragen stellte Peter Hensinger, Vorstand diagnose:funk

Literatur

Hoffmann K, Bagorda F, Stevenson AF, Teuchert-Noodt G (2001): Electromagnetic exposure effects the hippocampal dentate cell proliferation in gerbils (Meriones unguiculatus), Indian J Exp Biol 39(12): 1220-1226.

Foerster M, Thielens A, Joseph W, Eeftens M and Röösli M (2018): A Prospective Cohort Study of Adolescents’ Memory Performance and Individual Brain Dose of Microwave Radiation from Wireless Communication. Environmental Health Perspectives, Vol. 126, No. 7, ResearchOpen Access, https://www.emf-portal.org/de/article/35641

Kim JH, Seok JY, Kim YH, Kim HJ, Lee JK, Kim HR (2024): Exposure to Radiofrequency Induces Synaptic Dysfunction in Cortical Neurons Causing Learning and Memory Alteration in Early Postnatal Mice. International Journal of Molecular Sciences, 25(16). Besprechung der Studie auf: https://www.emfdata.org/de/studien/detail&id=860

Lehmann K, Grund T, Bagorda A, Bagorda F, Grafen K, Winter Y, Teuchert-Noodt G (2009): Developmental effects on dopamine projections and hippocampal cell proliferation in the rodent model of postweaning social and physical deprivation can be triggered by brief changes of environmental context. Behav Brain Res 205(1): 26-31.

Neufeld J, Teuchert-Noodt G, Grafen K, Winter Y, Witte AV (2009): Synapse plasticity in motor, sensory, and limbo-prefrontal cortex areas as measured by degrading axon terminals in an environment model of gerbils (meriones unguiculatus). Neural Plast 2009: 1-15.

Teuchert-Noodt G, Hensinger P (2025): No way out of the smartphone epidemic without taking into account the findings of brain research, J Neurol Neurosci, 16 (01) 2025 : 001-01, >>> Download Volltext

Grafen, K (2022): Albumin als Schlüsselmarker - Wie sich die Durchlässigkeit der BLUT-HIRN-SCHRANKE nach Mobilfunkstrahlen-Exposition verändert, Deutsche Heilpraktiker-Zeitschrift 2022; 17(06): 56-59. DOI: 10.1055/a-1870-2580; https://www.emf-portal.org/de/article/58608 , Download: https://www.emfdata.org/de/studien/detail?id=785

 

Glossar zum Interview

AMPA-Glutamatrezeptor: Rezeptor, der als Hauptvermittler schneller exzitatorischer Signalübertragung im Zentralnervensystem durch den Einstrom von Natrium- (Na⁺) und gelegentlich Calcium-Ionen (Ca²⁺) nach Bindung von Glutamat dient.

BDNF: Brain-Derived Neurotrophic Factor, Wachstumsfaktor - Ein Protein, das zur Familie der Nervenwachstumsfaktoren (Neurotrophine) gehört. BDNF ist vor allem im Zentralnervensystem vorhanden und fördert das Wachstum von sensorischen und motorischen Nervenzellen.

Dendrit: Verzweigter Ausläufer einer Nervenzelle (Neurons), der Impulse zum Zellkörper hinleitet.

Hebbsche Lernsynapse: Die Hebbsche Lernsynapse ist ein neurophysiologisches Prinzip, bei dem die synaptische Verbindung zwischen zwei Neuronen durch wiederholte gleichzeitige Aktivierung verstärkt wird („Cells that fire together, wire together“), was als Grundlage für synaptische Plastizität und Lernen gilt.

Hippocampus: Teil des Gehirns, der vor allem für das Gedächtnis wichtig ist.

Neurit / Axon : Der Fortsatz einer Nervenzelle, der die Signale weiterleitet.

Neurogenese: Die Bildung von Nervenzellen durch Differenzierung und Teilung von Stammzellen.

NMDA-Glutamatrezeptor: NMDA-Rezeptoren sind für neuronale Plastizität und Lern-Vorgänge im Gehirn wichtig.

Synapse: Übertragungsstelle für eine Erregung von einer Nervenzelle auf eine andere Nervenzelle oder eine Muskelzelle.

Publikation zum Thema

Titelblatt brennpunkt Salford Bild: diagnose:funk
März 2022Format: A4Seitenanzahl: 12 Veröffentlicht am: 15.03.2022 Bestellnr.: 248Sprache: deutschHerausgeber: diagnose:funk

Die Öffnung der Blut-Hirn-Schranke durch Mobilfunkstrahlung: Ergebnisse der Salford-Studien


Autor:
Louis Slesin / Microwave News / diagnose:funk
Inhalt:
Die Diskussion über die Ergebnisse der Salford-Studien zur Öffnung der Blut-Hirn-Schranke durch Mobilfunkstrahlung stand Anfang der 2000er Jahre in der Wissenschaft und bei den Mobilfunkkritikern im Focus. Kann eine Technologie eingeführt werden, die das Gehirn schädigt? Heftige Debatten fanden statt. Die Mobilfunkindustrie erkannte die Brisanz dieser Studie und befürchtete, dass der Staat regulierend eingreift. Sie startete eine weltweite Kampagne zur Verharmlosung von Salfords Ergebnissen. Louis Slesin hat anlässlich des 80. Geburtstags von Leif Salford die Geschichte seiner Forschung und die politischen Intrigen gegen ihn aufgearbeitet. Die Ergebnisse von Salford haben gerade aktuell, wo Smartphones und WLAN als Lernmittel an Schulen eingeführt werden, eine zentrale Bedeutung. Denn sie beweisen: Das Gehirn wird durch Mikrowellenstrahlung geschädigt.
diagnose:funk
Stand: 03.12.2024Format: A4Seitenanzahl: 13 Veröffentlicht am: 14.06.2024 Sprache: DeutschHerausgeber: diagnose:funk

Überblick Nr. 4: Löst Mobilfunk Epilepsie aus?


Autor:
diagnose:funk
Inhalt:
Überblick Nr. 4 befasst sich mit der Studienlage zu den Auswirkungen der Strahlung auf das Gehirn und den Studien, die es zum Zusammenhang von elektromagnetischen Feldern und Epilepsie gibt. Zu den Auswirkungen auf das Gehirn gibt es eine umfangreiche Studienlage, da mit dem Handy vor allem am Ohr telefoniert wurde. Das hat sich durch das Smartphone geändert. Heute werden neben dem Gehirn vor allem die Reproduktionsorgane und andere inneren Organe bestrahlt. Die vielen Studien zu den Auswirkungen auf das Gehirn weisen Auswirkungen u.a. für eine Tumorentwicklung (s.a. Überblick Nr. 2), das Verhalten, Stoffwechselstörungen und auf die Epilepsie nach.
diagnose:funk
Stand: 08.10.2024Format: A4Seitenanzahl: 22 Veröffentlicht am: 14.06.2024 Sprache: DeutschHerausgeber: diagnose:funk

Überblick Nr. 3: Zeigt Mobilfunk auch nicht-thermische Wirkungen?


Autor:
diagnose:funk
Inhalt:
Überblick Nr. 3 setzt sich mit einer Hauptbegründung für die Ungefährlichkeit der Mobilfunkstrahlung auseinander: Die gesetzlichen Grenzwerte würden vor Gesundheitsrisiken schützen. Es würde keine Beweise für nicht-thermische Wirkungen geben. Jedoch: Der Ausschluss von Studien mit nicht-thermischen Wirkungen für die Risikobewertung wird inzwischen von europäischen Gremien kritisiert, ebenso in juristischen Gutachten. Dieser Überblick stellt die Diskussion um das thermische Dogma seit den 1950er Jahren bis heute dar. diagnose:funk dokumentiert darin exemplarisch 70 Studien, die nicht-thermische Wirkungen zeigen. Damit wird die Schutzfunktion der geltenden Grenzwerte wissenschaftlich in Frage gestellt.
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