UNESCO-Bildungsbericht: Smartphone-Verbote weltweit auf dem Vormarsch

Deutschland: Bündnis für humane Bildung fordert von Koalition Investitionen in natürliche statt in künstliche Intelligenz!
Smartphones gehören zum Alltag vieler Schüler. Doch wie sinnvoll sind sie im Unterricht? Laut einem Bericht der UNESCO sollten digitale Geräte nur dann in Schulen genutzt werden, wenn sie das Lernen nachweislich verbessern. Andernfalls könnten sie mehr schaden als nützen. Die Studie zeigt, dass der Gebrauch von Smartphones im Unterricht die Konzentration und das Lernen stören kann. Besonders soziale Medien und Nachrichten lenken viele Schüler ab. Experten raten daher, klare Regeln für die Nutzung digitaler Geräte in Schulen festzulegen. Der Trend: Smartphone- und Social Media-Verbote bis einschließlich der Grundschule.
Karin Prien, Bild: Land Schleswig-Holstein

Hat die neue Bundesregierung den Mut, einen Wechsel einzuleiten?

Der aktuelle UNESCO-Bildungsbericht mit dem Titel "Verbieten oder nicht?" dokumentiert Schutzmaßnahmen gegen die Risiken digitaler Medien, die immer mehr Länder beschließen. Doch in Deutschland wird die Bildungspolitik nach wie vor von der Digitallobby bestimmt. Die Ampel-Regierung machte in letzter Minute vor ihr einen Kniefall und beschloss den Digitalpakt 2.0. Mit dem Digitalpakt Schule will sich die IT-Branche das Geschäftsfeld Schule für den Absatz ihrer Geräte und Software sichern. Die Experten des Bündnisses für humane Bildung (Spitzer 2022, Lankau 2024, Teuchert-Noodt 2024), von diagnose:funk (Hensinger 2023) und führende Erziehungswissenschaftler (Zierer 2021) warnten und warnen vor den negativen Folgen der Digitalpakte.

Die Bildungsministerin Karin Prien (CDU, Schleswig Holstein), vielleicht die zukünftige Bundesbildungsministerin, ist in der Verhandlungskommission zum Koalitionsvertrag von CDU und SPD. In einem Brief von Prof. Ralf Lankau im Namen des Bündnisses für humane Bildung an sie heißt es:

  • „Ich würde mich sehr freuen, wenn Ihre Standpunkte zur Digitalisierung an Schulen Einlass in den Koalitionsvertrag Eingang finden würden. Sie haben sich für ein Verbot der privaten Handynutzung an Schulen ausgesprochen: „Es gibt die klare Ansage, dass alle Grundschulen sich verbindliche Regeln für die private Handynutzung im Unterricht geben sollen. Dabei ist die private Handynutzung im Unterricht zu untersagen.“ (Tagesspiegel 20.02.2024).

Sie führen auf der Homepage Ihrer Landesregierung richtig aus, dass Schulen einerseits Schutzräume sein sollten, in denen Kinder und Jugendliche sicher vor Missbrauch und Gewalt sind und sich auf das Lernen konzentrieren können. Andererseits müssten Schülerinnen und Schüler auf die Herausforderungen der Zukunft vorbereitet werden. Dieses Spannungsfeld erfordere klare Regelungen zur Handynutzung. Zudem betonten Sie die Rolle der Eltern:

  • „Die Disziplin der Eltern bei der eigenen Handynutzung in Gegenwart der Kinder und bei der restriktiven, altersgerechten Heranführung an eine Smartphone-Nutzung bei Kindern im Kita- und Grundschulalter ist von entscheidender Bedeutung für eine gute Entwicklung und bessere Bildungschancen.“

Wir stimmen Ihnen uneingeschränkt zu. Es braucht ein positives Programm für die Bildungspolitik.“

Die Botschaft: Mehr Investitionen in natürliche statt in künstliche Intelligenz!

Dazu hat das Bündnis an Frau Prien und die Delegationen von CDU und SPD einen ausführlichen Vorschlag für eine Bildungspolitik geschickt, in dem es heißt:

„Schulen müssen sich wieder auf ihre eigentliche Aufgabe konzentrieren – die Vermittlung einer ganzheitlichen Bildung, die kritisches Denken, soziale Kompetenzen und kulturelle Bildung in den Mittelpunkt stellt. Dazu werden konkrete Maßnahmen für eine pädagogische Wende vorgeschlagen, darunter:

  • Bildschirmfreie Grundbildung: Keine digitalen Endgeräte in Kitas und Grundschulen. Der Digitalpakt Schule wird bis einschließlich der Grundschule ausgesetzt
  • Smartphone- und Social-Media-Regulierungen: Altersabhängige Beschränkungen zur Mediennutzung werden erlassen
  • Mehr Lehrkräfte statt mehr Technik: Investitionen in Personal und pädagogische Konzepte statt IT-Infrastruktur
  • Unabhängigkeit von Tech-Konzernen: Nutzung von Open-Source-Software und datenschutzkonformer IT in Schulen. Die IT-Branche und ihre akademischen Vertreter dürfen keine Sitze in den Beratungsgremien der Bildungspolitik haben.“

CDU und SPD sollten sich am Bericht der UNESCO orientieren. Die UNESCO berichtet auf ihrer Homepage ausführlich über den Nutzen der Smartphoneverbote. Hier die Übersetzung des  aktuellen UNESCO-Bildungsberichtes.

UNESCO Homepage

UNESCO: Verbot oder nicht?

Der „Global Education Monitoring Report 2023“ (GEM) empfiehlt, Technologie nur dann im Unterricht einzusetzen, wenn sie nachweislich das Lernen unterstützt. Diese Empfehlung betrifft auch die Nutzung von Smartphones.

Bis Ende 2023 hatten 60 Bildungssysteme weltweit (etwa 30 %) gesetzliche oder richtlinienbasierte Verbote für Smartphones in Schulen erlassen. Laut einer Aktualisierung des GEM-Berichts zum Internationalen Tag der Bildung 2024 stieg diese Zahl auf 79 Bildungssysteme (40 %). Die entsprechenden Vorschriften sind auf der Website „Profiles Enhancing Education Reviews (PEER)“ dokumentiert, die weltweit Gesetze und Richtlinien zur Technologie im Bildungsbereich überwacht.

In einigen Ländern wurden die Regeln zuletzt verschärft. So hat die Stadt Zhengzhou in China die Nutzung von Handys an Schulen weiter eingeschränkt: Eltern müssen schriftlich bestätigen, dass ihr Kind ein Smartphone aus pädagogischen Gründen benötigt. Frankreich führte in der Sekundarstufe I eine „digitale Pause“ als Ergänzung zu bereits bestehenden Verboten ein. Saudi-Arabien hingegen lockerte sein Verbot nach Protesten von Behindertenverbänden, um die Nutzung für medizinische Zwecke zu ermöglichen.

Grafik: UNESCO

Da nicht alle föderalen Staaten einheitliche Regelungen haben, wurden vier Länder besonders untersucht. In Australien führten zwei von neun Territorien (New South Wales und South Australia) Smartphone-Verbote ein. In Spanien gilt ein Verbot in fast allen 17 autonomen Gemeinschaften – nur das Baskenland, La Rioja und Navarra bilden Ausnahmen. In den USA haben 20 der 50 Bundesstaaten Vorschriften zur Smartphone-Nutzung in Schulen erlassen, darunter:

 

 

Manche Bundesstaaten legen lediglich Richtlinien fest und überlassen es den Schulen, detaillierte Regeln zu bestimmen. In Indiana müssen Schulbehörden eigene Vorschriften erarbeiten und veröffentlichen – etwa, ob Schüler ihre Smartphones in der Mittagspause nutzen dürfen und welche Konsequenzen Verstöße haben. In manchen Fällen gibt es Ausnahmen, z. B. für Schüler mit speziellen Lernbedürfnissen (wie in Louisiana) oder gesundheitlichen Einschränkungen (wie in Ohio) (Ergänzung: Mississippi, df).

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Beeinflusst Smartphone-Nutzung das Lernen?

"Kinder fordern bereits im Alter von neun Jahren ein Smartphone – doch oft sind sie emotional noch nicht bereit, die digitale Welt zu bewältigen."

Rachel Harper, Schulleiterin der St. Patrick's Primary School in Greystones, Irland, die Smartphones an ihrer Schule verboten hat, >>> Fernsehbericht über Greystones.

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Grafiken: diagnose:funk

"Brain rot"? 

Das Oxford Dictionary nahm 2024 neue Begriffe wie „Doomscrolling“ („Untergangssurfen“ oder „Endloses Schlecht-Nachrichten-Lesen“) und „Brain-Rot“ (Gehirnfäule) auf – beide stehen für die negativen Folgen übermäßiger Social-Media-Nutzung. Der GEM-Bericht 2023 zeigt, dass Technologie das Lernen fördern kann, aber nur bei maßvollem und gezieltem Einsatz. Ein Smartphone im Unterricht lenkt ab:

  • Eine Studie aus 14 Ländern belegt, dass Handys die Konzentration stören.
  • und dass allein das Vorhandensein eines Smartphones mit aktiven Benachrichtigungen ausreicht, um Schüler vom Unterricht abzulenken.
  • Nach einer Ablenkung kann es bis zu 20 Minuten dauern, bis Schüler sich wieder vollständig auf den Lernstoff konzentrieren, so eine weitere Studie.

Untersuchungen in Belgien, Spanien und dem Vereinigten Königreich belegen, dass ein Verbot von Smartphones die Lernergebnisse verbessert – insbesondere bei leistungsschwächeren Schülern.

Datenschutz und Geschlechterrollen

Neben den Lernproblemen gibt es auch Datenschutzbedenken. Viele Apps sammeln unnötig Daten von Schülern. Bis 2023 garantierten nur 16 % der Länder einen expliziten Datenschutz im Bildungsbereich, so eine Analyse.

Während der Pandemie empfahlen Regierungen weltweit 163 Bildungstechnologie-Produkte – 89 % davon könnten Kinder ausspionieren. Zudem förderten 39 von 42 Regierungen Online-Bildungstools, die die Rechte von Kindern verletzten.

Die Gender-Edition 2024 des GEM-Berichts, „Technology on her terms“, zeigt zudem, dass Technologie bestehende Geschlechterstereotypen verstärkt. Besonders soziale Medien beeinflussen das Wohlbefinden und das Selbstwertgefühl von Mädchen. Cybermobbing im Schulumfeld sowie voreingenommene Algorithmen künstlicher Intelligenz sind weitere kritische Themen.

Fazit

Der GEM-Bericht fordert, dass bei der Nutzung von Technologie in der Schule die Bedürfnisse der Schüler im Mittelpunkt stehen. Technologie muss sinnvoll, gerecht, skalierbar und nachhaltig eingesetzt werden.

Schüler sollen die Risiken und Chancen der digitalen Welt verstehen – jedoch benötigen Länder klare Regeln darüber, welche Technologie in Schulen erlaubt ist und wie sie verantwortungsvoll genutzt werden kann. Nur Technologie, die das Lernen nachweislich unterstützt, sollte im Schulalltag eine Rolle spielen.

(Ende Artikel UNESCO)

 

Einige Gründe, warum immer mehr Länder Smartphone- und Tabletverbote beschließen

Die Verbote von Smartphones an Schulen werden mit mehreren Argumenten begründet, die sowohl auf wissenschaftlichen Studien als auch auf praktischen Erfahrungen beruhen. Hier sind die Hauptgründe, die von den Ländern und Bildungssystemen genannt werden:

 

1. Verbesserung der Konzentration und Lernleistung

  • Studien zeigen, dass Smartphones in der Schule eine große Ablenkung darstellen. Schüler, die ihre Handys nicht nutzen dürfen, zeigen bessere Konzentrationsfähigkeit und erzielen häufig bessere Noten.
  • Eine Studie aus Großbritannien ergab, dass Schulen, die Mobiltelefone verboten haben, eine Leistungssteigerung von bis zu 6 % bei Prüfungen verzeichnen konnten.

2. Reduzierung von Cybermobbing und sozialem Druck

  • Soziale Medien und Messaging-Dienste führen zu vermehrtem Cybermobbing unter Schülern.
  • Der ständige Vergleich mit anderen (z. B. durch Instagram oder TikTok) kann das Selbstwertgefühl negativ beeinflussen.

3. Schutz der psychischen Gesundheit

  • Übermäßige Smartphone-Nutzung wird mit erhöhtem Stress, Einsamkeit, Angstzuständen und Schlafproblemen in Verbindung gebracht.
  • Eine Reduzierung der Bildschirmzeit kann das Wohlbefinden von Kindern und Jugendlichen verbessern.

4. Förderung sozialer Interaktion

  • Schulen berichten, dass sich Schüler nach Smartphone-Verboten wieder mehr miteinander unterhalten und sozialer interagieren.
  • Gemeinsame Aktivitäten in den Pausen werden häufiger genutzt, statt isoliertes Scrollen durch Social-Media-Feeds.

5. Schutz vor Suchtverhalten

  • Viele Kinder und Jugendliche entwickeln ein problematisches Nutzungsverhalten gegenüber ihren Smartphones.
  • Durch Einschränkungen soll die Abhängigkeit verringert werden.

6. Verhinderung von Betrug bei Prüfungen

  • Smartphones werden oft genutzt, um während Tests oder Prüfungen unerlaubt Informationen nachzuschlagen.
  • Durch das Verbot wird das Schummeln erschwert.

7. Erhalt der Autorität von Lehrkräften

  • In vielen Schulen berichten Lehrer, dass Schüler ihre Smartphones auch nutzen, um Lehrer heimlich aufzunehmen oder zu filmen und Inhalte dann online zu verbreiten.
  • Dies kann die Autorität von Lehrkräften untergraben und zu Konflikten führen.

Diese Argumente haben dazu geführt, dass immer mehr Länder Maßnahmen ergreifen, um die Nutzung von Smartphones in Schulen zu regulieren oder zu verbieten.

Immer noch nicht im Focus ist das Gefährdungspotential für die Kinder und Jugendlichen durch die Strahlung der digitalen Geräte, insbesondere durch die WLANisierung der Schulen. In einem Interview mit der Neurobiologin Dr. Keren Grafen wird die Brisanz der Forschungsergebnisse zu den Auswirkungen der Strahlung auf den Gehirnstoffwechsel deutlich.

 

Ministerin Edholm kippte Digitalisierung an VorschulenBildungsministerin Lotta Edholm, Foto: Schwed. Regierung

„Es ist offensichtlich, dass Bildschirme große Nachteile für kleine Kinder haben. Sie behindern das Lernen und die Sprachentwicklung. Zu viel Bildschirmzeit kann zu Konzentrationsschwierigkeiten führen und die körperliche Aktivität verdrängen. Wir wissen, dass menschliche Interaktion für das Lernen in den ersten Lebensjahren entscheidend ist. Bildschirme haben in Vorschulen einfach nichts zu suchen", sagte Bildungsministerin Lotta Edholm (Schweden) nach einem Gutachten der Karolinska Universität und machte die Digitalisierung rückgängig. 

 

 

UNESCO - Video zum Gebrauch digitaler Medien im Erziehungswesen

Publikation zum Thema

diagnose:funk
Stand: 08.10.2024Format: DIN A4Seitenanzahl: 37 Veröffentlicht am: 29.08.2024 Sprache: deutschHerausgeber: diagnose:funk

Überblick Nr. 7: Kinder und digitale Medien – Eine pädagogische Herausforderung!


Autor:
diagnose:funk
Inhalt:
Überblick Nr. 7 dokumentiert, warum eine zu frühe und unregulierte Nutzung des Smartphones und anderer digitaler Medien zu negativen Auswirkungen führen kann. Schwerpunktmäßig werden Erkenntnisse der Entwicklungspsychologie und Neurobiologie behandelt. Es werden Lösungsmöglichkeiten für Eltern, Erziehende und die Politik aufgezeigt, um Kinder und Jugendliche vor einer Smartphonesucht zu bewahren.
diagnose:funk
Stand: 03.12.2024Format: A4Seitenanzahl: 27 Veröffentlicht am: 14.06.2024 Sprache: deutschHerausgeber: diagnose:funk

Überblick Nr. 6: Ist WLAN schädlich?


Autor:
diagnose:funk
Inhalt:
Überblick Nr. 6 dokumentiert die Studienlage zu WLAN und die Alternativen. Da WLAN eine lizenz- und oft kostenlose Frequenz ist, die deshalb Jugendliche besonders oft nutzen, hat die Studienlage zu den WLAN-Frequenzen eine besondere Bedeutung. Die WLAN-Frequenz ist besonders gut untersucht. Es liegen Erkenntnisse über Auswirkungen auf das Gehirn und in der Folge auf den Schlaf, das Gedächtnis, räumliches Denken, das Erbgut, die Blut-Hirn-Schranke, vor, aber auch auf die Fertilität, das Auge, das EEG und auf die Auslösung entzündlicher Erkrankungen durch oxidativen Zellstress.
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