Der neue Bundeskanzler, der EU-Lobbyreport 2024 und die Beeinflussung der Politik durch die Wirtschaft

The Winner is???! BlackRock und die Reichen!
Friedrich Merz (CDU) wird voraussichtlich neuer Bundeskanzler. Damit würde ein TOP-Manager des Finanzkapitals in Berlin regieren: „Blackrock im Kanzleramt“ titelt der Autor Werner Rügemer. Der neue EU-Lobbyreport 2024 von LobbyControl zeigt den massiven Einfluss der IT-Konzerne auf die politischen EU-Institutionen in Brüssel. Diese Hintergründe zu wissen, ist für diagnose:funk und alle Bürgerinnen und Bürger wichtig, weil man in der Politik wissen muss, mit wem man es zu tun hat, und welche Interessen sich hinter Wahlkampfphrasen verstecken.
Friedrich Merz, Bild: Stepro, CC BY-SA 4.0, Wikipedia

In der Regel bestimmt die Industrie entscheidend die Politik, v.a. über die Beeinflussung der Entscheidungsträger. Dafür beschäftigt sie eine Heerschar an Lobbyisten. Reibungsloser geht es natürlich, wenn die Industrie ihre eigenen Leute direkt in Schlüsselpositionen bringt, so wie die Mobilfunkbranche Thierry Breton als EU-Kommissar für Digitalisierung platzierte, er war zuvor u.a. Chef der France Telecom. Der Soziologe Ulrich Beck beschreibt diese Instrumentalisierung in seinem Buch „Weltrisikogesellschaft“ (2007): „Die Formen von Allianzen, die der neoliberale Staat eingegangen ist, instrumentalisieren den Staat … um die Interessen des Kapitals weltweit zu optimieren und zu legitimieren“ (S. 128). 

Mit der Wahl von Friedrich Merz erhält dies eine neue Qualität. Der wahrscheinlich neue deutsche Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) muss nicht erst durch Lobbyarbeit auf Linie gebracht werden, er ist ein Statthalter großer Konzerne. Correctiv dokumentiert in seiner Analyse „Der Mann der Großkonzerne: Das Lobby-Netzwerk von Friedrich Merz“ seine führenden Positionen u.a. bei einem der größten Finanzinvestoren BlackRock.[1] Er vertrat über seine Tätigkeit in einer Anwaltskanzlei mehrere Großkonzerne, u.a. um Umweltstandards zu verhindern. Der Autor Werner Rügemer publizierte nun eine noch ausführlichere Analyse über die Tätigkeiten von Friedrich Merz mit der Kernaussage:

  • „Deutschland wäre der erste Staat, in dem ein ehemaliger BlackRock-Funktionär Regierungschef werden kann. Friedrich Merz war nicht „Lobbyist“, wie meist gesagt wird. Er wurde nicht nur bezahlt, sondern er hatte eine Leitungsfunktion innerhalb des Konzerns: Der CDU-Politiker war von 2016 bis 2020 Vorsitzender des Aufsichtsrats der Tochterfirma BlackRock Asset Management Deutschland Aktiengesellschaft“.[2]

BlackRock ist Miteigentümer an ca. 100 deutschen Unternehmen, darunter Deutsche Telekom, Vodafone, Telefonica, Allianz, Daimler-Benz, Siemens, BASF, SAP, Münchner Rück, Deutsche Post DHL. Noch-Bundeskanzler Scholz (SPD) traf sich mit BlackRock Leuten, selbst Noch-Minister Habecks (Grüne) Grundsatzabteilung wurde von der ehemaligen BlackRock – Managerin Elga Bartsch geleitet. Und Alice Weidel von der AfD kommt letztlich aus demselben neo- bzw. ordoliberalen Stall, sie war u.a. Managerin bei Goldman Sachs und Allianz Gobal Investors. Sie alle setzen auf schrankenloses Wirtschaftswachstum. Fazit: Harte Zeiten für Umweltverbände.

Grafik: diagnose:funk

Das Lobbysystem in Berlin und Brüssel

Gestützt auf Bundestags-Anfragen der Partei DIE LINKE, die uns immer wieder mit kritischen Anfragen unterstützte, hat diagnose:funk 2020 den Brennpunkt „Lobbyzone Berlin Mitte“ veröffentlicht, der dokumentiert, dass Vertreter der IT-Konzerne in den Berliner Ministerien ein - und ausgehen. Der neue EU-Lobbyreport 2024 von LobbyControl zeigt den massiven Einfluss der IT-Konzerne auf die politischen EU-Institutionen in Brüssel.[3] „LobbyControl“ ist eine Initiative für Transparenz und Demokratie, die über Machtstrukturen und Einflussstrategien in Deutschland und der EU aufklärt und sich für klare Schranken des Lobbyismus einsetzt.

LobbyControl dokumentiert, wie die Techniken zur Politik-Beeinflussung vor allem durch Wirtschaftsunternehmen immer aufwendiger und ressourcenintensiver werden. Sie reichen von teuren Konferenzen und exklusiven Einladungen über Auftragsstudien an vermeintlich neutrale Akteure wie Denkfabriken bis hin zu sogenannter „third-party mobilisation“: dem Aufbau eines Netzes von Dritten, quasi Tarnorganisationen, die der eigenen Botschaft Glaubwürdigkeit verleihen soll. Konzerne geben daher immer mehr Geld für EU-Lobbyismus aus.  Zu den IT- Lobbyakteuren mit den größten Ausgaben für Lobbyismus in Brüssel gehören:

  • Meta (ehemals Facebook): 9 Mio. € jährlich, über 70 % der Lobbyisten mit Polit-Erfahrung in EU-Institutionen.
  • Microsoft: 7 Mio. €, Mitglied in fast 50 Netzwerken, u.a. dem Martens Centre (CDU/CSU-nah).
  • Apple: 7 Mio. €, seit 2019 verdreifachtes Budget, finanzierte Apple-freundliche „Tarngruppen“.
  • Google: 6 Mio. €, 125 Treffen mit der EU-Kommission – mehr als jeder andere Tech-Konzern.
  • Amazon: Eng verbunden mit 60 Verbänden und 17 Denkfabriken, Lobbyarbeit über Agenturen.

Ein ganzes Kapitel widmet der Lobbyreport der Tech-Branche um Google, Amazon und Co. Die zehn größten Digitalkonzerne geben zusammen über 42 Millionen Euro jährlich für ihre Lobbyarbeit in Brüssel aus. Das ist weit mehr als die zehn größten Autohersteller oder die Top 10 Kohle-, Öl- und Gaskonzerne ausgeben.

Stefan Mappus, Bild: Jacques Grießmayer -CC BY 3.0_Wikipedia

Lobby- Agenturen mit Seitenwechslern

Lobbyagenturen haben sich darauf spezialisiert, politischen Einfluss zu gewinnen – oft, indem sie ehemalige Politiker als Mitarbeiter rekrutieren. Die Lobbyagentur EUTOP Europe GmbH, „Partner für Governmental Relations“, wird vom ehemaligen baden-württembergischen Ministerpräsidenten Stefan Mappus geleitet, hat 150 Mitarbeiter und 10 repräsentative Dependancen in Europa. Für EUTOP netzwerken u.a. Uwe Beckmeyer (SPD), Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Energie (2013–2018), die ehemaligen Bundestagsabgeordneten Volker Beck (Bündnis 90/Die Grünen), Christine Scheel (Bündnis 90/Die Grünen) und der ehem. EU-Abgeordnete Alexander Alvaro (FDP). Die ‚WirtschaftsWoche‘ berichtete in der Analyse "Wie die Telekom die Politik im Griff hat" (23.05.2012), dass die Telekom in Berlin 100 Lobbyisten angestellt habe.[4]Eine Bundestagsabgeordnete sagte uns, in der Sitzungswoche brauchst du eigentlich kein Geld, man kann eine Vollzeitversorgung durch Lobbyisten bekommen: Vom Frühstück über das Mittagessen bis zum kostenlosen Büffet bei Abendveranstaltungen. Es ist betreutes Regieren!

Die Arbeit von Bürgerbewegungen, notweniger denn je!

Der Lobbyreport 2024 und Friedrich Merz als Bundeskanzler zeigen: Bei dieser Übermacht der Industrielobby wird die Rolle der zivilgesellschaftlichen Organisationen wie diagnose:funk immer wichtiger, um Gemeinwohlinteressen zu vertreten. Lobby Control fordert für NGOs (Nichtregierungsorganisationen) das Recht, aktiv an politischen Entscheidungsprozessen teilnehmen zu können. Dies beinhaltet den Zugang zu Konsultationen, Anhörungen und anderen Formen der politischen Beteiligung. Dazu brauchen sie mehr finanzielle Unterstützung und Steuervergünstigungen durch die Regierung.

Weiterführende Literatur:

  • LobbyControl: „Die Lobbymacht von Big Tech: Wie Google und Co die EU beeinflussen“
  • diagnose:funk Brennpunkt: Wie die Telekommunikationsindustrie die Politik im Griff hat
  • diagnose:funk Brennpunkt: Die Auseinandersetzung um die Deutungshoheit zu Risiken der Mobilfunkstrahlung

Quellen:

[1] https://correctiv.org/aktuelles/wirtschaft/2025/01/28/bester-mann-der-grosskonzerne-das-lobby-netzwerk-von-friedrich-merz/

[2] https://www.nachdenkseiten.de/?p=128643

[3] https://www.lobbycontrol.de/wp-content/uploads/eu-lobbyreport-2024-lobbycontrol.pdf

[4] https://www.wiwo.de/unternehmen/dienstleister/lobbyismus-wie-die-telekom-die-politik-im-griff-hat/6643172.html

Publikation zum Thema

Januar 2022Format: A4Seitenanzahl: 12 Veröffentlicht am: 18.01.2022 Bestellnr.: 247Sprache: deutschHerausgeber: diagnose:funk

Wie die Telekommunikationsindustrie die Politik im Griff hat


Autor:
diagnose:funk
Inhalt:
diagnose:funk legt in diesem Brennpunkt eine Recherche zur Lobbyarbeit der Mobilfunkindustrie und BITKOM-Branche zur Digitalisierung vor, basierend auf der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE „Beziehungen von Telekommunikationsunternehmen zur Bundesregierung“ (Bundestagsdrucksache 18/9620, 13.09.2016). Sechs Grafiken verbildlichen die Verflechtungen. Politisch eingeordnet wird diese Analyse auf Grund eigener Erfahrungen mit Besuchen bei Bundestagsabgeordneten und dem neuen Buch „Lobbyland. Wie die Wirtschaft unsere Demokratie kauft“ (2021) des ehemaligen Dortmunder SPD-Abgeordneten Marco Bülow über seine 18-jährigen Erfahrungen im Bundestag und weiteren Literaturrecherchen.
diagnose:funk
Format: A4Seitenanzahl: 16 Veröffentlicht am: 12.01.2023 Bestellnr.: 250Sprache: DeutschHerausgeber: diagnose:funk

Die Auseinandersetzung um die Deutungshoheit zu Risiken der Mobilfunkstrahlung

Über Kampagnen eines Kartells von Industrie, Bundesamt für Strahlenschutz und ICNIRP
Autor:
diagnose:funk
Inhalt:
Ob Mobilfunkstrahlung gesundheitsschädlich ist oder nicht, darüber wird nicht nur eine Wissenschaftsdebatte über Ergebnisse der Forschung geführt. Bei dieser Debatte geht es auch und vor allem um Produktvermarktung, in diesem Fall um das Milliardengeschäft einer Schlüsselindustrie. Dieser brennpunkt dokumentiert die Auseinandersetzung. Im Jahr 2022 gab es vier Entwarnungskampagnen, basierend auf vier Studien mit der Botschaft: Mobilfunkstrahlung ist unbedenklich für die Gesundheit, ein Krebsrisiko besteht nicht. Das beweise die MOBI-Kids-Studie, die bisher weltweit größte Studie zu Hirntumoren und Kinder. Mit der UK-Million Women Studie liege auch der Beweis für Erwachsene vor. In einem von ICNIRP-Mitglied Prof. M. Röösli verfassten Artikel zu 5G in der Zeitschrift Aktuelle Kardiologie bekamen gezielt Mediziner diese Botschaft übermittelt. Abgeordneten des deutschen Bundestages wird vom deutschen Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) und dem Umweltministerium mitgeteilt, die STOA-Studie, die Schädigungen zu Krebs und Fertilität auswertet, sei unwissenschaftlich. Diagnose:funk nahm zu allen diesen Meldungen Stellung.
Artikel veröffentlicht:
16.02.2025
Autor:
diagnose:funk
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