Kommentar der Woche von Kern & Hauser

Februar 2025
Kommentar der Woche, verfasst von Prof. a. D. Helmuth Kern und dem Journalisten Bert Hauser, ehem. Leiter der Redaktion Landespolitik des Süddeutschen Rundfunks. Sie verfassen diese Kommentare schon seit 20 Jahren für das örtliche Amtsblatt. Jede Bürgerinitiative kann sich dieser Kommentare von Kern & Hauser frei bedienen.
Kern & Hauser, Bild: Ingrid Schaeffer

05.02.2025

Wir informieren: Psychologe: „Soziale Medien“ machen Menschen gezielt von ihnen abhängig

Am 30. Januar 2025 referierte Prof. Dr. Christian Montag zum Thema „Wie sozial sind soziale Medien?“ vor einem sehr interessierten Publikum in der Aula der Auwiesenschule.  In der angeregten Diskussion wurde deutlich, dass sich das Kollegium der Auwiesenschule seiner pädagogischen Verantwortung im Umgang mit Smartphones und Social-Media bewusst ist und entsprechend didaktisch und methodisch handelt.

Bert Hauser, Journalist und 2. Vorsitzender unserer Ortsgruppe InfoMobilfunk Neckartenzlingen und Umgebung, hat den folgenden Bericht über den Vortrag von Prof. Dr. Christian Montag verfasst:

Neckartenzlingen – „Alles in den Sozialen Medien läuft darauf hinaus, die Menschen von diesen Plattformen abhängig zu machen.“ Davon ist der Ulmer Psychologe Professor Christian Montag überzeugt. Um mehr Werbung zu verkaufen, unternehme die digitale Industrie alles, um die Verweildauer der Menschen auf ihren Plattformen zu verlängern. Solange die Industrie dieses Konzept verfolge, werde es „keine gesunden Plattformen geben“, sagte der Wissenschaftler bei einem Vortrag am vergangenen Donnerstag in Neckartenzlingen. Er beschäftigt sich seit Jahren mit den Geschäftsmodellen der Sozialen Netzwerke, hat darüber auch Bücher geschrieben und vertritt die Meinung, dass wir Alternativen zu den Sozialen Medien der Tech-Riesen brauchen.

Durch die Verlängerung der Online-Zeiten auf den „Sozialen Medien“ seien die Großunternehmer der digitalen Technik in den vergangenen Jahren „brutal reich geworden“. Mit Hilfe von Algorithmen ließen sie „digitale Fußabdrücke“ von allen Nutzern herstellen, um sie mit passender Werbung und passenden Informationen gezielt anzusprechen. Daraus sei ein „Überwachungs-Kapitalismus“ entstanden, der zunehmend Falschmeldungen einsetze, weil die sich schneller verbreiten als korrekte Informationen und die Wahrheit. Heute seien schon etwa fünf Milliarden Menschen auf einer der problematischen Social-Media-Plattformen unterwegs.

Eine Folge davon sei, dass auch in den Mainstream-Nachrichten (Zeitungen, Rundfunk, Fernsehen) immer mehr negative und emotionale Meldungen verbreitet würden, um auch dort mehr Geld zu erwirtschaften, sagte Montag weiter. Schlagzeilen mit positiven Untertönen würden immer seltener. Falsche Bilder und falsche Videos machten das Problem in allen Medien immer noch größer.

Hinter der Entwicklung steht nach Erkenntnis des Psychologen das natürliche Bedürfnis der Menschen nach Unterhaltung, nach sozialem Austausch, nach Belohnung und bei vielen auch der Wille, Macht über andere auszuüben. In jeder freien Minute nähmen viele schon ihr Smartphone in die Hand und bemerkten gar nicht mehr, wie ihnen auf diese Weise eine andere, sinnvollere Lebenszeit entgleitet. Man habe es hier vielfach mit einem erheblichen „Realitätsverlust“ zu tun. Es komme vielfach zu einer „suchtähnlichen Nutzung“.

Dringend notwendig sei es, „gesündere“ soziale Medien zu schaffen, Kinder besser zu schützen und alternative, eventuell öffentlich-rechtliche Plattformen zu schaffen, auf denen die Rechte der Menschen besser geschützt werden. An den Schulen sollte es ein flächendeckendes Smartphone-Verbot bis zum 13. Lebensalter geben. Herkömmliche Lernmethoden führten zu deutlich besseren Schulleistungen, als der allzu frühe intensive Umgang mit digitalen Medien. Für eine gesunde Entwicklung kindlicher Gehirne und für die Erwerbung sozialer Kompetenzen sei ein Schwerpunkt auf körperlich betonte Spiele unverzichtbar.

Montag wies darauf hin, dass die amerikanische Industrie ihre Verantwortung für die Inhalte in den Sozialen Medien auch deshalb ablehne, weil die US-Administration Mitte der 90er Jahre für die damals noch jungen sozialen Medien festgelegt habe, dass sie nicht verantwortlich seien für das, was sie veröffentlichen. Dies sei bei den heute üblichen Manipulationen auf den Plattformen nicht mehr zu vertreten. Die Inhaber der Plattformen seien ganz eindeutig verantwortlich für das, was sie veröffentlichen. Die von der EU eingeführten Regulierungen seien richtig und sollten durch eine unabhängige Akademie noch unterstützt werden.

Prof. a.D. Helmuth Kern, Vorsitzender von „InfoMobilFunk Neckartenzlingen und Umgebung“, der Prof. Montag eingeladen hatte, meinte im Anschluss an den Vortrag, dass nicht nur die große Politik, sondern jeder Einzelne und auch die Politiker auf kommunaler Ebene, auch die Vertreter der Kirchen für die richtige Nutzung der Sozialen Medien mitverantwortlich seien.  (Ende des Berichts)

Welche Rolle im Zusammenhang mit den Sozialen Medien das „Dumbphone“ spielen kann, darüber informieren wir in unserer nächsten Ausgabe.


Quelle: InfoMobilFunk Neckartenzlingen

12.02.2025

Wir informieren: Offline-Clubs - die reale Welt als Zufluchtsort

Gerade im Zusammenhang mit den sozialen Medien und deren großer Anziehungs- und Bindekraft entwickelt sich seit wenigen Jahren in den Großstädten eine Bewegung der digitalen Entschleunigung, da die Dauererreichbarkeit zunehmend als belastend empfunden wird.

2021 hatten drei Niederländer Ilya Kneppelhout, Jordy van Bennekom und Valentijn Klok die Idee eines „Offline-Wochenendes“. 2024 gründeten sie dann in Amsterdam den ersten „Offline-Club“, der trifft sich jeden zweiten Sonntag im Cafe Brecht zu „Digital Detox Hangouts“, also zu einem Treffen oder einer Veranstaltung, bei dem alle bewusst auf die Nutzung digitaler Geräte wie Smartphones, Tablets und Laptops verzichten. Es wird gespielt, gelesen, gemalt, gezeichnet, diskutiert, es gibt auch out-door Aktivitäten wie Wandern und Ausflüge in die Natur.

Diese Offline-Bewegung gibt es bereits auch in London, Paris, Barcelona, Mailand, Dubai und Aarhaus in Dänemark. (Quelle: https://www.theoffline-club.com)

In den Offline-Clubs, werden die Smartphones für die Dauer des Events eingesammelt. Denn: „Es ist unsere Mission, Menschen wieder mit sich selbst und anderen zu verbinden, aber sie auch auf die Beziehung zu ihrem Telefon aufmerksam zu machen und diese zu überdenken“, erklärt Ilya. „Es geht darum, ein gesundes Gleichgewicht zu finden, bei dem wir Technologie als Werkzeug nutzen und sie uns nicht umgekehrt Zeit wegnimmt oder uns zum Produkt macht.“

Der Offline-Club verfolge dabei nicht das Ziel, die digitale Welt komplett abzulehnen. Vielmehr gehe es darum, ein gesundes Gleichgewicht zu finden und technologische Werkzeuge bewusst zu nutzen, und nicht von ihnen kontrolliert zu werden, schreibt Antonia Scheurer in ihrem Artikel „"The Offline Club": Zuflucht in der analogen Welt“, am 19. Juni 2024 im goodnews-magazin. Die Gründer des Clubs wollten Menschen sensibilisieren und niederschwellige Möglichkeiten schaffen, für eine begrenzte Zeit offline zu gehen, um sich selbst und ihre Beziehungen neu zu erleben. (Quelle: https://goodnews-magazin.de/the-offline-club-zuflucht-analoge-welt

Am 7.12. 2024 erschien im Berliner Tagespiegel ein Artikel von Adrian Lobe: „Statussymbol 'Dumbphone': Wer es sich leisten kann, bleibt offline.“

In einer Welt der Dauererreichbarkeit würden rudimentäre Handys immer beliebter. Die Mitglieder des „Offline Club“ seien Teil einer neuen analogen Avantgarde, die das Abschalten zum neuen Lifehack (Lebenskniff, Anm. d. V.) erkläre. Keine Anrufe, keine Mails, keine Status-Updates, nur Verbindungen im realen Raum. Lobe verweist auf die bekannten negativen Auswirkungen von Smartphones: Ablenkung, Stress, Schlafstörungen, Burnout. Nicht umsonst hätten Frankreich, Italien, Großbritannien und die Niederlande das Smartphone aus dem Unterricht verbannt. Und die Softwareingenieure im Silicon Valley schickten ihre Sprösslinge schon seit geraumer Zeit auf bildschirmfreie Waldorfschulen. Der frühere Google Mitarbeiter Tritan Harris warne schon seit Jahren vor den Suchtgefahren des Smartphone-Konsums. Social-Media-Apps seien wie Tabak fürs Gehirn.

Im „Luddite Club“ in New York, den junge Analogisten besuchten, gehöre der freiwillige Verzicht auf das Smartphone zum Lowtech-Lifestyle. Stattdessen nutzten sie lieber „Dumbphones“, das sind rudimentäre Mobiltelefone ohne Internet und ohne Foto. Im Jahr 2023 seien 2,8 Millionen dieser Telefone in den USA verkauft worden.

Mit schnellem Internet und teuren Smartphones ließen sich in urbanen Milieus kaum noch Statusgewinne erzielen. Dafür sei Nichterreichbarkeit zu einem knappen Gut geworden und Offline zum neuen Luxus. (Quelle: https://www.tagesspiegel.de/kultur/statussymbol-dumbphone-wer-es-sich-leisten-kann-bleibt-offline-12826307.html)


Kern & Hauser, Bild: Ingrid Schaeffer

19.02.2025

Wir informieren: Joseph Weizenbaum und die Kritik der künstlichen Intelligenz
Teil 1: Das Programm ELIZA - KI ein Gesprächsteilnehmer?

Artificial Intelligence (AI) oder Künstliche Intelligenz (KI) ist wie ein Zauberwort unserer Zeit in der Politik, der Wirtschaft und der Bildung. KI findet sich heute in vielen Anwendungen, in Sprachsystemen, in Bild- und Spracherkennung, beim autonomen Fahren. Sie wird in der Medizin angewendet, bei Banken, im Verkehr, in der Industrie, der Verwaltung etc.

Das Wort Intelligenz hat einen guten Klang. Intelligenz kann man messen: logisches und abstraktes Denken, sprachliche Fähigkeiten, visuelle Fähigkeiten, Erinnerungsfähigkeiten und mathematische Fähigkeiten.

Doch der menschliche Geist ist mehr, er umfasst das Bewusstsein, sich und andere wahrzunehmen, und damit auch das Nachdenken über Inhalte und Ziele des Handelns und deren Bewertung durch ethische und moralische Normen und Werte. 

Auf die Frage an einen KI-Piloten, ob er Bewusstsein und Gefühle habe, erscheint die Information: "Nein, ich habe kein Bewusstsein und keine Gefühle. Ich bin ein KI-gestützter Assistent, der darauf ausgelegt ist, Informationen zu verarbeiten und bereitzustellen, Gespräche zu führen und bei verschiedenen Aufgaben zu helfen. Obwohl ich so programmiert bin, dass ich menschliche Sprache verstehe und darauf reagiere, habe ich kein eigenes Erleben, keine Emotionen und kein Bewusstsein. Mein Ziel ist es, dich bestmöglich zu unterstützen und hilfreiche Informationen zu bieten. Wenn du weitere Fragen hast oder Unterstützung benötigst, lass es mich wissen." (Quelle: Microsoft KI-Pilot, 16.02.2025, 14.56 Uhr)

Im letzten Satz wendet sich der KI-Pilot direkt an den Fragenden, wie an einen Gesprächsteilnehmer, und nimmt der das dann ernst und gibt in die Fragezeile dann ein: "Nein vielen Dank, das genügt", erscheint der Text: "Gern geschehen! Wenn du in Zukunft weitere Fragen hast oder Hilfe benötigst, bin ich hier, um zu unterstützen. Hab' einen schönen Tag!"

Diesen Effekt eines vermenschlichten Dialogs hat Joseph Weizenbaum (1923-2008) im sogenannten ELIZA-Effekt bereits erkannt. Weizenbaum, der 1936 mit seiner Familie aus Berlin vor dem nationalsozialistischen Terrorsystem nach Amerika geflohen war, war dort bereits in den 1960-er Jahren in der KI-Forschung aktiv.

Darüber schreibt Christian Strippel in "Künstliche Intelligenz zwischen Mythos und Kritik", einer Broschüre des Weizenbaum-Instituts e.V. Berlin (2024), gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung: "Dass Menschen den Eindruck haben, ein Computer sei so intelligent wie ein Mensch, weil man gut mit ihm kommunizieren kann, wird ‚ELIZA-Effekt‘ genannt. Die Bezeichnung geht auf ein Computerprogramm zurück, das Joseph Weizenbaum ab 1964 am Massachusetts Institute of Technology (MIT), einer der führenden Technikhochschulen in den USA, entwickelt hat: ELIZA." Dieses Programm gälte als einer der ersten Chatbots und damit als früher Vorläufer von ChatGPT, schreibt Strippel. 

"Weizenbaum verfolgte, wie die meisten KI-Forscher zu jener Zeit, den Ansatz der symbolischen KI, bei dem es darum ging, nachvollziehbare Regeln zu programmieren, um ein künstliches Denken des Computers zu simulieren."  Da es jedoch viel zu aufwendig gewesen sei, für alle möglichen Szenarien des Alltags Regeln zu definieren, habe Weizenbaum für ELIZA das Szenario einer Psychotherapie gewählt. "Das Prinzip war einfach: Das Programm stellte Fragen und die Nutzer:innen tippten ihre Antworten ein. ELIZA suchte diese Antworten dann auf bestimmte Schlüsselwörter ab, stellte entsprechend programmierte Nachfragen, formulierte die Antworten zu neuen Fragen um oder bat einfach darum, mehr zu erzählen. Damit umging Weizenbaum geschickt die größte Herausforderung des symbolischen KI-Ansatzes, Computern so viel Wissen über die Welt einzuprogrammieren, dass sich Menschen sinnvoll mit ihnen unterhalten können. Denn ELIZA musste nicht viel wissen, sondern nur Fragen stellen können!

Quelle: https://www.weizenbaum-institut.de/media/Publikationen/Einzelpublikationen/Broschuere_ki-mythos-kritik.pdf, S. 14 ff.

In Teil 2 geht es dann um die Ergebnisse von ELIZA und deren Bedeutung für die Menschen. 


Quelle: InfoMobilFunk Neckartenzlingen

26.02.2025

Wir informieren: Joseph Weizenbaum und die Kritik der künstlichen Intelligenz
Teil 2:  Der ELIZA-Effekt und das Problem der Vermenschlichung von Computern

Der ELIZA-Effekt bestand darin, dass sich die Nutzer mit dem Programm unterhielten, als ob es ein Mensch wäre, der Einfühlungsvermögen und Intelligenz habe. Wenngleich Weizenbaum davon ausging, dass niemand wirklich glaubte, dass ELIZA ein intelligentes Wesen sei. Doch Menschen neigten dazu, Dinge zu „vermenschlichen“, d.h. etwas in Tiere oder unbelebte Dinge hineinzusehen. Das gelte auch für Computer und Roboter, heißt es in der Schrift „Künstliche Intelligenz zwischen Mythos und Kritik“ des Weizenbaum Instituts in Berlin.

„Wir Menschen sind gut darin, in der Welt um uns herum uns selbst zu erkennen – und das tun wir auch mit Computern und anderen Maschinen: Humanoide Roboter, die wir wegen ihrer großen Kinderaugen süß finden, Navigationssysteme, die wir genervt anfauchen, weil sie uns wiederholt darauf hinweisen, dass wir in die falsche Richtung fahren, oder Sprachassistenten, bei denen wir uns höflich bedanken.“

Die Vermenschlichung von ELIZA war für Joseph Weizenbaum auch deshalb ein Problem, weil einige Psychotherapeuten damals öffentlich darüber nachdachten, solche Programme künftig für Psycho- therapien einzusetzen. Darin sah Weizenbaum eine Respektlosigkeit gegenüber hilfsbedürftigen Menschen, die man an einen Computer verweisen wollte, statt sich um sie zu kümmern. Er habe auch geahnt, dass die Vermenschlichung von Computern eine gefährliche Kehrseite habe: die Entmenschlichung von Menschen.

Denn wenn Computern menschliche Eigenschaften zugeschrieben würden, dann begännen wir, Menschen und Computer zu vergleichen und in Konkurrenz zueinander zu setzen.“

(Quelle: https://www.weizenbaum-institut.de/media/Publikationen/Einzelpublikationen/Broschuere_ki-mythos-kritik.pdf  S. 14 ff.)

Ende Teil 2. In Teil 3 und Schluss geht es um die Grenzen der KI.


Wir freuen uns über neue Mitglieder im InfoMobilFunk Neckartenzlingen und Umgebung, Ortsgruppe im Mobilfunk Bürgerforum e. V. www.mobilfunk-buergerforum.de

Die Vorsitzenden: Prof. a. D. Helmuth Kern, Bert Hauser (Telefon: 07127/35655 bzw. 07127/35949)


Alle Kommentare finden Sie hier: diagnose-funk.org/kommentar

Artikel veröffentlicht:
05.02.2025

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