ATHEM-3-Studie (V): Abschlussbericht in Deutsch zu Auswirkungen von Sendemasten

Detaillierte 169-seitige Dokumentation des Studiendesigns und der Durchführung
Die Ergebnisse der ATHEM-3-Studie sind bedeutend. Sie weist als Hauptergebnis nach, dass die Langzeitbestrahlung durch Sendemasten zu Veränderungen des Erbgutes führen kann: Chromosomenschäden waren signifikant. Nun ist der ausführliche Abschlussbericht in deutscher Sprache zur Studie erschienen.
ChromosomenaberrationenBild aus Gulati et al. (2024)

Beispiele für Chromosomenaberrationen aus der Arbeit von Gulati et al. (zum Vergrößern anklicken)

 

Abschlussbericht zu allen Studienteilen

Nach der Publikation der Studie in englischer Sprache (Gulati et al. 2024) [1] liegt nun der Abschlussbericht in Deutsch vor (s.rechts Downloads). Auf den Seiten 145-156 wird eine auch für biologische Laien nachvollziehbare Zusammenschau gegeben. Der Abschlussbericht ermöglicht es, den Ablauf der Studie genau nachzuvollziehen und dokumentiert, dass sie auf höchstem wissenschaftlichem Niveau durchgeführt wurde. Dies hindert das Bundesamt für Strahlenschutz jedoch nicht daran, auf seiner Homepage die Studie als unwissenschaftlich zu diskreditieren. Darauf gehen wir unten kurz ein.

 

Wilhelm Mosgöller (2024): ATHEM-3 (2020-2024): Athermische biologische Wirkungen bei Langzeit-Exposition mit hochfrequenten elektromagnetischen Feldern niedriger Intensität.

Untertitel: Indikatoren für Gesundheitsrisiken nach Langzeit-Exposition durch stationäre Mobilfunk-Sender.

Verfasser der Teilberichte: Dietrich Moldan, Roman Schilling, Maximilian Moser, Igor Belyaev

Zusammenfassung des Studienergebnisses im Abschlussbericht (S.15)

„ATHEM-3 ist ein internationales und interdisziplinäres Forschungs-Projekt zu gesundheitlich relevanten Risiken durch Mobilfunk-Sender. Die zentrale Fragestellung war, ob kontrovers diskutierte Hinweise auf gesundheitsrelevante Effekte aus Labor-, Tier- und Humanstudien sich bestätigen oder alternativ als im Alltag nicht relevant herausstellen. Dabei galt die Blickrichtung und der Fokus der ATHEM-3 Studien zwei zentralen biologischen Konstituenten des Menschen: zum einen den autonomen Körperfunktionen und zum anderen dem Erbgut.

Um mögliche Langzeitfolgen der Exposition mit hochfrequenten elektromagnetischen Feldern am Menschen zu untersuchen, wurden 24 Freiwillige aus benachbarten Siedlungen, nach jahrelanger Exposition zu Mobilfunkfeldern - die entweder relativ hoch oder niedrig waren - untersucht. Die Freiwilligen waren in Bezug auf Alter, Ernährung, Lebensstil, berufliche Situation, Umweltbelastungen etc. gut vergleichbar. Die Gruppe der „relativ hoch exponierten Personen“ und „vergleichsweise niedrig Exponierten“ unterschieden sich klar und statistisch signifikant durch die Exposition mit hochfrequenten elektromagnetischen Feldern (HF-EMF) im eigenen Wohnumfeld.

So wie bei den Vorgängerprojekten ATHEM-1 und ATHEM-2 zeigten die Ergebnisse von ATHEM-3 beides, negative Befunde und solche, die auf gesundheitlich relevante Einflüsse der Exposition hinweisen. Aus der zusammenschauenden Analyse früherer und aktueller, sowie internationaler Befunde, die positiv und/oder negativ ausgefallen sind, ergibt sich ein Bild zu Auswirkungen und deren Mechanismen der chronischen Exposition bei niedrigen, aber überdurchschnittlichen Intensitäten hochfrequenter EMF.

Zustimmung der zuständigen Ethikkommission

Der Untersuchungsplan wurde der Ethikkommission der Ärztekammer NRW (Deutschland) vorgelegt. Der Untersuchungsplan wurde befürwortet. Es gab keine Änderungen zum ursprünglich geplanten und festgelegten Untersuchungsablauf.

Zentrale Merkmale und Ergebnisse von ATHEM-3

Die doppelt verblindeten Untersuchungen (autonomes Nervensystem, Chromosomenanalysen) wurden von ausgewiesenen Experten ihres Faches und international anerkannten Wissenschaftlern durchgeführt. Beide Untersuchungsarten zeigten einen signifikanten Unterschied zwischen Anrainern, die mit HF-EMF überdurchschnittlich hoch oder niedrig exponiert wohnen. Bei der HRV-Analyse waren tagsüber die Unterschiede zwischen hoch und niedrig exponierten Personen individuell verschieden. Während der Nachtruhe war die Erholungsfunktion des Schlafes (Vagus-Aktivität) bei der Personen-Gruppe mit höherer Exposition signifikant herabsetzt.

Die Chromosomen-Analyse in den Blutproben erbrachte Hinweise dahingehend, dass die HF-EMF Exposition DNA-Schäden verursacht, welche über Jahre hinweg zu einer Akkumulation von Chromosomenschäden führen. Die Beobachtung von Schäden bei Langzeit-Exponierten, steht nicht in Widerspruch zu Ergebnissen früherer Untersuchungen, sie ergänzt und erweitert die Ergebnisse gleichartiger Kurzzeit-Untersuchungen (Stundenbereich), bei denen keine Einflüsse festgestellt wurden.

Eine Frage zu Projektbeginn, nämlich ob die HF-EMF Exposition über Jahre zur Gewöhnung („adaptive response“), kann angesichts des beobachteten Schlafverhaltens und der Chromosomenveränderungen in der Gruppe mit überdurchschnittlich hoher HF-EMF Exposition verneint werden.

Befund-Bewertung

Die beobachteten Signifikanzen zeigen keine akute Gesundheitsbeeinträchtigung, aber liefern die Evidenz dafür, dass Langzeitexposition ein Gesundheits-Risiko mit sich bringt. Diese Studie ist auch aufgrund der geringen Patientenzahlen aussagekräftig genug, da die Gruppen hinsichtlich demographischer Daten, Lebensstilfaktoren und alternativen Risikofaktoren wie Exposition zu (medizinisch indizierten) ionisierender Strahlung vergleichbar waren.

Die Effekte auf das autonome Nervensystem bei relativ hoher Exposition, sind – bei Ausschluss unbekannter Einflussfaktoren - ein direkter Hinweis auf eine expositionsbedingte Herabsetzung der Erholungsfunktion der Tiefschlafphasen und eine expositionsbedingte Beeinträchtigung bei der Bewältigung entzündlicher Vorgänge im Körper.

Der Befund nach Jahren der Exposition in diesem Projekt erklärt sich, weil geringe und darum unbemerkte Chromosomenschäden durch Exposition sich über Jahre ansammeln können, um nach Jahren der Exposition in messbaren Mengen vorzuliegen. Chromosomenschäden sind Grundlage der biologischen Dosimetrie im Kontext mit ionisierenden Strahlen. Aus der Schadwirkung heraus bestimmt man die so genannte Äquivalenzdosis; deren Höhe ist durch Expositions-Richtlinien der Internationalen Atom Energie Behörde (IAEA) begrenzt. Die in diesem Projekt gefundenen Chromosomenschäden sind äquivalent zu einer Exposition mit ionisierender Strahlung, die die Grenzwerte der IAEO um ein Vielfaches übersteigen.“

>>> Diagnose:funk Artikelserie zur ATHEM-3-Studie

 

Bild: diagnose;funk

Die Reaktion des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS)

Ein neugieriger und dem Gesundheitsschutz verpflichteter Wissenschaftler müsste nach diesem Studienergebnis sagen: Dieses Ergebnis ist so besorgniserregend, dass es mit einer weiteren Studie überprüft werden sollte. Ganz anders das BfS. Es zieht sich auf die Position zurück, dass es die Schädigungseffekte, die in der ATHEM-3-Studie entdeckt wurden, gar nicht geben kann, denn:

  • „Die Grenzwerte schützen vor einer potentiell schädlichen Erhöhung der Gewebetemperatur. Ob schwache HF-EMF mit bisher unentdeckten nicht-thermischen Effekten und dadurch bedingten potentiellen Gesundheitsfolgen assoziiert sind, wird schon seit Jahrzehnten diskutiert. Schlüssige Belege für solche Effekte liegen bislang nicht vor.“[2]

Weil es also nicht-thermische Effekte nicht gibt, oder besser: nicht geben darf, und weil das "Thermische Dogma" unfehlbar und unantastbar ist, kann ihr Nachweis in der ATHEM-3 Studie nur auf Fehlern beruhen. Das BfS unterstellt nun den Wissenschaftlern, dass sie ihr Handwerk nicht beherrschen, wissenschaftliche Standards nicht beachtet hätten und zieht daraus den Schluss:   

  • „Aufgrund der genannten Einschränkungen liefert die vorliegende Studie keine Belege für einen Zusammenhang zwischen chromosomalen Schäden und der HF-EMF-Exposition der allgemeinen Bevölkerung durch Mobilfunkbasisstationen. Auch reichen die Erkenntnisse nicht aus, weitere Forschung dazu anzuregen.“

Das ist Risikoentsorgung pur. Prof. Manfred Spitzer schreibt in seinem neuen Buch:

  • „Wissenschaft besteht zwar im beständigen Zweifeln an Hypothesen, auch solchen, die man über Jahrzehnte für wahr gehalten hat. Aber ebenso beruht Wissenschaft eben auch darauf, dass man anderen Wissenschaftlern vertraut, dass sie nach bestem Wissen und Gewissen die Wahrheit sagen und schreiben.“[3]

Gegen diesen Respekt verstößt das BfS permanent. Würde es am Erkenntnisfortschritt interessiert sein, würde es an die Fachzeitschrift, in der die ATHEM-3-Studie publiziert wurde, seine Kritik in einem Letter to the Editor formulieren, auf den die Studienautoren auf Augenhöhe, transparent für die weltweite Wissenschaft, antworten könnten. Doch diese Transparenz scheut das BfS offensichtlich, wohl aus der Angst heraus, dass sein unsachlicher Verriss nicht bestehen würde. Er reiht sich ein in die Methode der Studienrezensionen auf der Homepage des BfS, alle Studien, die biologische nicht-thermische Effekte (s.u. Publikationen) der Mobilfunkstrahlung nachweisen, als schlecht gemacht abzuqualifizieren und ihre Autoren damit auch. Das BfS wird wieder seiner Rolle als Bundesamt für Sorglosigkeit gerecht. Wir haben die Autoren der ATHEM-3-Studie gebeten, auf die Publikation des BfS zu reagieren. 

Quellen

[1] Gulati S, Mosgoeller W, Moldan D, Kosik P, Durdik M, Jakl L, Skorvaga M, Markova E, Kochanova D, Vigasova K, Belyaev I (2024): Evaluation of oxidative stress and genetic instability among residents near mobile phone base stations in Germany. Bewertung von oxidativem Stress und genetischer Instabilität bei Anwohnern in der Nähe von Mobilfunk-Basisstationen in Deutschland: Ecotoxicol Environ Saf 2024; 279: 116486, Besprechung auf https://www.emfdata.org/de/studien/detail&id=847

[2] Kompetenzzentrum Elektromagnetische Felder (KEMF): Spotlight on EMF Research sep/2024 no.3 (DEU)

[3] Manfred Spitzer (2023): Künstliche Intelligenz, Droemer, S.36

Publikation zum Thema

diagnose:funk
28.10.2024Format: DIN A4Seitenanzahl: 1 Veröffentlicht am: 13.09.2024 Bestellnr.: 408Sprache: DeutschHerausgeber: diagnose:funk

Faktenblatt zur ATHEM-3-Studie

Chromosomen sichtbar verändert, Ergebnisse statistisch signifikant
Autor:
diagnose:funk
Inhalt:
Die Studie untersuchte die Langzeitwirkung von Mobilfunk-Basisstationen auf das menschliche Erbgut. Die Studie wurde in einer ländlichen Region in Deutschland durchgeführt. Das Ergebnis: Bereits geringe Strahlung von Mobilfunk-Basisstationen reicht langfristig aus, um unser Erbgut ernsthaft zu schädigen. Chromosomen, die Träger unserer Erbinformation (DNA), waren durch Aberrationen krankhaft verändert.
diagnose:funk
Stand: 08.10.2024Format: A4Seitenanzahl: 22 Veröffentlicht am: 14.06.2024 Sprache: DeutschHerausgeber: diagnose:funk

Überblick Nr. 3: Zeigt Mobilfunk auch nicht-thermische Wirkungen?


Autor:
diagnose:funk
Inhalt:
Überblick Nr. 3 setzt sich mit einer Hauptbegründung für die Ungefährlichkeit der Mobilfunkstrahlung auseinander: Die gesetzlichen Grenzwerte würden vor Gesundheitsrisiken schützen. Es würde keine Beweise für nicht-thermische Wirkungen geben. Jedoch: Der Ausschluss von Studien mit nicht-thermischen Wirkungen für die Risikobewertung wird inzwischen von europäischen Gremien kritisiert, ebenso in juristischen Gutachten. Dieser Überblick stellt die Diskussion um das thermische Dogma seit den 1950er Jahren bis heute dar. diagnose:funk dokumentiert darin exemplarisch 70 Studien, die nicht-thermische Wirkungen zeigen. Damit wird die Schutzfunktion der geltenden Grenzwerte wissenschaftlich in Frage gestellt.
diagnose:funk
Format: A4Seitenanzahl: 16 Veröffentlicht am: 12.01.2023 Bestellnr.: 250Sprache: DeutschHerausgeber: diagnose:funk

Die Auseinandersetzung um die Deutungshoheit zu Risiken der Mobilfunkstrahlung

Über Kampagnen eines Kartells von Industrie, Bundesamt für Strahlenschutz und ICNIRP
Autor:
diagnose:funk
Inhalt:
Ob Mobilfunkstrahlung gesundheitsschädlich ist oder nicht, darüber wird nicht nur eine Wissenschaftsdebatte über Ergebnisse der Forschung geführt. Bei dieser Debatte geht es auch und vor allem um Produktvermarktung, in diesem Fall um das Milliardengeschäft einer Schlüsselindustrie. Dieser brennpunkt dokumentiert die Auseinandersetzung. Im Jahr 2022 gab es vier Entwarnungskampagnen, basierend auf vier Studien mit der Botschaft: Mobilfunkstrahlung ist unbedenklich für die Gesundheit, ein Krebsrisiko besteht nicht. Das beweise die MOBI-Kids-Studie, die bisher weltweit größte Studie zu Hirntumoren und Kinder. Mit der UK-Million Women Studie liege auch der Beweis für Erwachsene vor. In einem von ICNIRP-Mitglied Prof. M. Röösli verfassten Artikel zu 5G in der Zeitschrift Aktuelle Kardiologie bekamen gezielt Mediziner diese Botschaft übermittelt. Abgeordneten des deutschen Bundestages wird vom deutschen Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) und dem Umweltministerium mitgeteilt, die STOA-Studie, die Schädigungen zu Krebs und Fertilität auswertet, sei unwissenschaftlich. Diagnose:funk nahm zu allen diesen Meldungen Stellung.
Artikel veröffentlicht:
02.11.2024
Autor:
diagnose:funk

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