Bundesamt für Strahlenschutz korrigiert eigene Falschmeldung zu Handy, Krebs und WHO!

Halbherzig wird Fehler zugegeben: Wo bleibt die öffentliche Korrektur?
Am 06.09.2024 wurde weltweit in Zeitungsartikeln Entwarnung gegeben, Handystrahlung führe nicht zu Krebs. Die deutsche überregionale Zeitung TAZ schrieb einige Wochen später: „Mobilfunkstrahlung führt doch zu Krebs! Oder? Nein, sagt die WHO - oder ganz korrekt: wahrscheinlich nein“(21.09.2024). Die Botschaft der Medien war eindeutig: Die WHO als Autorität verkündet die Unbedenklichkeit der Handynutzung. Doch die WHO hat dies gar nicht verkündet. Die Botschaft „Handy führt nicht zu Krebs!“ hat weitreichende Konsequenzen. Das wäre so, als würde die WHO verkünden: Rauchen ist ungefährlich, auch für Kinder! Millionen Erwachsene und Kinder werden nun sorglos das Handy weiter nutzen.
Bild:diagnose:funk
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Der Sachverhalt: Die dpa-Pressemeldung „Handystrahlung erhöht Krebsrisiko nicht!“ kam von der dpa-Pressestelle Cottbus. In Cottbus hat auch das KEMF (Kompetenzzentrum elektromagnetische Felder) des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS) seinen Sitz. Als Kronzeuge wurde in der dpa-Meldung Dan Baaken, Sachbearbeiter im Bundesamt für Strahlenschutz und ICNIRP-Sekretär[1] genannt, auch Co-Autor des Krebs-Reviews von Karipidis et al. (2024).[2] Allerdings sprach Baaken von einer Studie für die WHO, aber in so schwammiger Formulierung, dass die Presse daraus eine Studie der WHO machen konnte. [3]


Bundesamt für Strahlenschutz maßgeblich an der Verbreitung der Falschinformation beteiligt

Die WHO hat 2011 nicht-ionisierende Strahlung als möglicherweise krebserregend eingestuft. Die dpa-Meldung legt nahe, dass diese Eingruppierung nun auf Grund des Reviews von Karipidis et al. korrigiert worden sei. Doch die WHO hat sich zu dieser Studie (Review) bisher gar nicht geäußert! Siehe hierzu auch die Stellungnahme von Dr. Oleg Grigoriev, Mitglied des Gremiums der WHO, welches diese Bewertungen vorzunehmen hat: https://www.diagnose-funk.org/2128.

Am 18.09.2024 verbreitete nun der Referent des KEMF / BfS auf dem Seminar „Gesundheitliche Wirkungen hochfrequenter elektromagnetischer Felder“ der DGAUM (Deutsche Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin e.V.) und ASU (Zeitschrift Arbeitsmedizin, Sozialmedizin, Umweltmedizin) diese Falschinformation erneut in seinen Folien und wortwörtlich als „Fazit der WHO“:

  • „Exposure to RF form mobile phone use likely does not increase the risk of brain cancer“.

Dieses Seminar und die dort gemachten Aussagen waren vielleicht auch der Grund für den ´verspäteten` Artikel zum Thema in der TAZ vom 21.09.2024, die diese Formulierung sinngemäß übernahm: „Mobilfunkstrahlung führt doch zu Krebs! Oder? Nein, sagt die WHO - oder ganz korrekt: wahrscheinlich nein."

Folie 22 des Vortrags des BfS auf der DGAUM / ASU Tagung vom 18.09.2024

Zum Vergrößern Klicken!Folie: Bundesamt für Strahlenschutz, DGAUM/ASU-Seminar 18.09.2024

Diagnose:funk fragt beim Bundesamt für Strahlenschutz nach!

diagnose:funk schrieb daraufhin am 19. September 2024 in Bezug auf diese Folie an das BfS:

  • (…) „Könnten Sie uns bitte mitteilen, an welcher Stelle die WHO als Organisation dieses von Ihnen präsentierte Fazit in diesem Jahr veröffentlicht hat?“.

Das Bundesamt für Strahlenschutz antwortete am 15.10.2024 wahrheitsgemäß:

  • Die WHO hat die Reviews nach unserem Wissen bisher nicht bewertet“.

Daraufhin hakte diagnose:funk nach:

  • Sehr geehrter Herr Dr. Kohn,

    besten Dank für die Rückmeldung mit der Aussage, dass „Die WHO hat die Reviews nach unserem Wissen bisher nicht bewertet“ hat. Demnach entsprechen die Überschriften in Ihren Folien und die von Ihnen gemachten Aussagen im Seminar (wörtlich 1:42:00 und zum Abschluss) nicht der Realität.

    Jetzt wurde allen Teilnehmern des Seminars im Nachgang der Zugang zu den präsentierten Dokumenten und den Aufzeichnungen zur Verfügung gestellt. Hierzu hätten wir entsprechende Nachfrage: Beabsichtigen Sie diese Aussagen gegenüber den Teilnehmern und auch der Öffentlichkeit richtig zu stellen? Wenn ja, wann und wie? Ihrer Rückmeldung sehe ich entgegen.

BfS-Korrektur: Nur ein Missverständnis? Was war eigentlich beabsichtigt?

Am 20.10.2024 bedankte sich das BfS für unseren Hinweis und setzte danach alle Webinar-Teilnehmer über das von ihr verursachte „Missverständnis“ in Kenntnis. Über einen Teilnehmer erhielten wir die entsprechende Mail des Veranstalters:

Sehr geehrte Damen und Herren,

am 18. September haben Sie am Webinar „Gesundheitliche Wirkungen hochfrequenter elektromagnetischer Felder“ von DGAUM und ASU teilgenommen. In dieser Veranstaltung wurde Ihnen u. a. von Vertretern des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS) über die wissenschaftliche Risikobewertung zu möglichen gesundheitsrelevanten Wirkungen hochfrequenter elektromagnetischer Felder aus aktuellen systematischen Reviews der WHO berichtet. Auf Bitte des BfS möchten wir Ihnen gerne folgenden Hinweis nachreichen:

 „Wir haben den Hinweis bekommen, dass Inhalte unserer Vorträge möglicherweise anders interpretiert werden konnten, als von uns beabsichtigt.

  • Wir möchten noch einmal unterstreichen, dass die zitierten systematischen Reviews nicht die Meinung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) darstellen, sondern die Meinung der von der WHO beauftragten Wissenschaftler*innen.

In dem Zusammenhang verweisen wir zur weiteren Lektüre auf die bisher vom Bundesamt für Strahlenschutz verfassten wissenschaftlichen Bewertungen einiger dieser systematischen Reviews:

  1. Spotlight zum Prozess der Bewertung der Effekte hochfrequenter elektromagnetischer Felder durch systematische Reviews: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0221-2024042443254
  2. Spotlight zum Systematischen Review zu Effekten hochfrequenter elektromagnetischer Felder auf Tinnitus, Migräne und unspezifische Symptome (Röösli et al., 2024): http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0221-2024091946450
  3. Spotlight zum Systematischen Review zu Effekten hochfrequenter elektromagnetischer Felder auf Schwangerschaft und Geburtserfolg (Cordelli et al., 2024): http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0221-2024061244261

Bei Fragen stehen wir gern zur Verfügung.

Willi Max; Referent / Bundesamt für Strahlenschutz / Kompetenzzentrum Elektromagnetische Felder │ KEMF, Karl-Liebknecht-Straße 33, 03046 Cottbus.“"

Diese Falschmeldung erschien fast lückenlos in deutschen Zeitungen!Stuttgarter Zeitung, 06.09.2024

Korrektur ehrlich gemeint?

Dem BfS wird klar sein, was es mit diesen Falschmeldungen gesundheitspolitisch angerichtet hat. Sie verursacht damit, dass Millionen Kinder und Erwachsene das Handy sorglos nutzen, obwohl Risiken nachgewiesen sind. Das ist kein Einzelfall, sondern hat System.

In unserem Brennpunkt „Die Auseinandersetzung um die Deutungshoheit zu Risiken der Mobilfunkstrahlung. Über Kampagnen eines Kartells von Industrie, Bundesamt für Strahlenschutz und ICNIRP“ dokumentieren wir, wie das BfS die Ergebnisse der wichtigsten Studien der letzten Jahre zu Krebs und Mobilfunkstrahlung, die US-NTP-Studie und die italienische Ramazzini-Studie, die STOA-Studie zu Krebs und Fertilität und die MOBI-Kids-Studie zu Kindern und Krebs verfälscht interpretiert und Entwarnung gibt (Download s.u.). Dies setzt sich in den Spotlight-Studienbesprechungen des BfS fort, in denen alle Studien, die biologische Effekte zeigen, als schlecht gemacht und unwissenschaftlich abqualifiziert werden. Auch die oben genannten drei Reviews, allesamt vom ICNIRP-Kartell eingereicht, verfälschen die >>> Studienlage.

Wäre das BfS und die ICNIRP an einer ehrlichen Korrektur der Falschmeldung interessiert, würde es nicht nur die Handvoll Teilnehmer des Webinars benachrichtigen. Die Bevölkerung müsste über diese Desinformation unterrichtet werden durch eine Pressemitteilung des BfS, in der der Fehler benannt und die dpa aufgefordert wird, dies den Medien mitzuteilen. Aber so bleiben Falschmeldungen wie die der TAZ in der Welt – zum Schaden vieler. Nur möglicherweise ein Missverständnis? Oder nur beim Tricksen ertappt?

Quellen

[1] Die International Commission on Non-Ionizing Radiation Protection (ICNIRP) gilt als Lobbyorganisation der Industrie: https://www.diagnose-funk.org/aktuelles/artikel-archiv/detail?newsid=1335

[2] Karipidis K, Baaken D, Loney T, Blettner M, Brzozek C, Elwood M, Narh C, Orsini N, Röösli M, Paulo MS, Lagorio S (2024): The effect of exposure to radiofrequency fields on cancer risk in the general and working population: A systematic review of human observational studies – Part I: Most researched outcomes, Environ Int 2024; 191: Artikel-ID 108983

[3] Eine ausführliche Darstellung über die Vorgeschichte und die Ziele dieses Reviews finden Sie hier: https://www.diagnose-funk.org/2127

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ICNIRP-Connection wohin man greift!

Hier noch eine Zusammenstellung auf Grundlage eines Artikels von Louis Slesin von Microwavenews über die Personen, die diesen ersten Teil des von der WHO beauftragten ´Reviews` zum Thema Krebs & Mobilfunk vorbereitet, verfasst und verbreitet haben. Es ist eine Gruppe des industrienahen ICNIRP-Netzwerkes. Dr. Oleg A. Grigoriev, Vorsitzender der russischen Strahlenschutzkommission und Mitglied im WHO-Beurteilungsgremium, spricht in seiner Stellungnahme vom 11. September 2024 den Verfassern des Reviews zudem die wissenschaftliche Expertise ab.

Titelblatt Karipidis et al (2024)Enviromental International

Das ist kein von unabhängigen Wissenschaftlern erstellter WHO-Review, sondern eine Auftragsarbeit an die ICNIRP. Hier geht darum, das bekannte Risiko und die vorhandene Klarheit zum Schadenspotenzial der Mobilfunktechnologie in Vorbereitung der ab 2026 anstehenden Neueinstufung der IARC der WHO zur Frage Krebs und Mobilfunk vorbereitend zu entsorgen.

Wie intensiv hier die ICNIRP, als ein geschlossenes Netzwerk von industrienahen Wissenschaftlern, an dieser Arbeit beteiligt ist, skizziert folgende Zusammenstellung.

  • Ken Karipidis: Hauptautor der Studie ist stellvertretender Vorsitzender der ICNIRP (2024). Er veröffentliche 2018 (damals war er wiss. Berater der ICNIRP) eine (Fake-)Studie zur Hirntumorinzidenz in Australien. Hierin wurde alle australischen Tumorpatienten älter als 59 Jahre aus der Studienbewertung ausgeschlossen – „dies garantierte das risikolose Ergebnis“. Sein Co-Autor war Elwood Croft, damals Vorsitzender der ICNIRP.
  • Dan Baaken: ICNIRP´s wissenschaftlicher Sekretär seit Juli 2024. Neu im Bundesamt für Strahlenschutz und Nachfolger von Frau Dr. G. Ziegelberger.
  • Martin Röösli: Acht Jahre ICNIRP-Mitglied (bis 6/2024). Nicht nur hier, sondern auch noch bei weiteren Auftragsarbeiten dieser Genese beteiligt und das bekannteste Schweizer Gesicht zur Risiko-Entsorgung im Themenfeld Mobilfunk.
  • Maria Blettner: Gehört laut Louis Slesin zur “no risk Fraktion” – die Fraktion der Hüter des thermischen Dogmas. Sie war die einzige, die 2011 der IARC-Einstufung von Mobilfunk in die Klasse 2b – potenziell krebserregend - nicht zustimmte.
  • Susanna Lagorio: Ebenfalls “no risk Fraktion”, verschleppte nach Aussagen von Louis Slesin zusammen mit Maria Blettner jahrelang „die Ergebnisse des 13 Länder umfassenden Interphone-Projekts, der bedeutensten epidimiologischen Studie, die auf einen Zusammenhang zwischen Mobiltelefonen und Gehirntumoren hinweist“. Als diese dann endlich veröffentlicht wurde, sind die provokativsten Ergebnisse der Studien in einem unveröffentlichten Anhang versteckt worden.
  • Sarah Loughran: Ist Beraterin der ICNIRP und schrieb die erste Zusammenfassung dieser Auftragsarbeit für ARPANSA, die australische Strahlenschutzbehörde – wie das BfS fest in der Hand der ICNIRP-Meinung. Karipidis ist dort Assistant Director of the Assessment and Advice Section im Bereich Radiation Health Services. In dieser Rolle ist er maßgeblich für die Bewertung von Gesundheitsrisiken im Zusammenhang mit elektromagnetischen Feldern und Strahlung verantwortlich und erarbeitet Empfehlungen für Richtlinien und Standards, die in Australien zum Schutz der Bevölkerung eingesetzt werden.
  • Maria Feychting: Schrieb das Studienprotokoll zur Beauftragung der Studie. Sie war 12 Jahre ICNIRP-Vollmitglied und Vize-Vorsitzende der ICNIRP bis 2020.

>>> Dokumentation: Das einflussreiche Netzwerk der ICNIRP-Wissenschaftler. Und die problematische Rolle des Bundesamts für Strahlenschutz.

Publikation zum Thema

diagnose:funk
Format: A4Seitenanzahl: 16 Veröffentlicht am: 12.01.2023 Bestellnr.: 250Sprache: DeutschHerausgeber: diagnose:funk

Die Auseinandersetzung um die Deutungshoheit zu Risiken der Mobilfunkstrahlung

Über Kampagnen eines Kartells von Industrie, Bundesamt für Strahlenschutz und ICNIRP
Autor:
diagnose:funk
Inhalt:
Ob Mobilfunkstrahlung gesundheitsschädlich ist oder nicht, darüber wird nicht nur eine Wissenschaftsdebatte über Ergebnisse der Forschung geführt. Bei dieser Debatte geht es auch und vor allem um Produktvermarktung, in diesem Fall um das Milliardengeschäft einer Schlüsselindustrie. Dieser brennpunkt dokumentiert die Auseinandersetzung. Im Jahr 2022 gab es vier Entwarnungskampagnen, basierend auf vier Studien mit der Botschaft: Mobilfunkstrahlung ist unbedenklich für die Gesundheit, ein Krebsrisiko besteht nicht. Das beweise die MOBI-Kids-Studie, die bisher weltweit größte Studie zu Hirntumoren und Kinder. Mit der UK-Million Women Studie liege auch der Beweis für Erwachsene vor. In einem von ICNIRP-Mitglied Prof. M. Röösli verfassten Artikel zu 5G in der Zeitschrift Aktuelle Kardiologie bekamen gezielt Mediziner diese Botschaft übermittelt. Abgeordneten des deutschen Bundestages wird vom deutschen Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) und dem Umweltministerium mitgeteilt, die STOA-Studie, die Schädigungen zu Krebs und Fertilität auswertet, sei unwissenschaftlich. Diagnose:funk nahm zu allen diesen Meldungen Stellung.
diagnose:funk
Stand: 08.10.2024Format: A4Seitenanzahl: 13 Veröffentlicht am: 14.06.2024 Sprache: DeutschHerausgeber: diagnose:funk

Überblick Nr. 2: Ist Mobilfunk krebserregend?


Autor:
diagnose:funk
Inhalt:
In Überblick Nr. 2 dokumentiert diagnose:funk die Studienlage zum Risiko einer Krebser-krankung durch Mobilfunkstrahlung. Dazu gibt es seit ca. 25 Jahren eine heftige Debatte zwischen Wissenschaft, Behörden, Mobilfunkbetreibern und Bürgerinitiativen. In den Jahren 2016 bis 2020 wurden groß angelegte, qualitativ hochwertige Studien durchgeführt, die bestätigen, dass die 2011 von der WHO beschlossene Eingruppierung der nicht-ionisierenden Strahlung in ‚möglicherweise krebserregend (2B)‘ nicht nur gerechtfertigt war, sondern diese neuen Erkenntnisse eine Eingruppierung in ‚wahrscheinlich krebserregend (2A)‘ oder gar ‚krebserregend (1)‘ erfordern. Auch die Debatte um die Krebsstatistik wird analysiert.
Artikel veröffentlicht:
30.10.2024
Autor:
diagnose:funk
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