Telekommunikationsnetzausbau-Beschleunigungsgesetz

Eine FDP-Initiative zur Beschleunigung der Umweltzerstörung
Alle Menschen haben ein überragendes Interesse, dass Mensch und die Natur gesund bleiben. Doch die FDP kennt offensichtlich nur die Interessen der Industrie. Ihr Bundesverkehrs- und Digitalminister Volker Wissing will den Mobilfunkausbau als „überragendes öffentliches Interesse“ festschreiben lassen. Die Konsequenz: Mobilfunk-Sendeanlagen könnten überall in einem beschleunigten Genehmigungsverfahren gebaut werden, auch in Naturschutzgebieten. Dagegen protestiert diagnose:funk und fordert alle Bürgerinnen und Bürger auf, mit Mails an Abgeordnete und die Regierung sich diesem Protest anzuschließen. Das Gesetz soll bereits am 27.9.2024 im Bundesrat beschlossen werden, dann geht es zur 2. Lesung in den Bundestag.
Bild: diagnose;funk

"Digital First. Bedenken Second" - Maxime zur Schädigung von Mensch und Natur

Mobilfunkstrahlung ist eine Risikotechnologie, deswegen muss sie mit dem Ziel der Strahlenminimierung reguliert werden. Bereits Anfang 2024 kritisierte der NABU, dass mit der Formulierung „überragendes öffentliches Interesse und Beschleunigungsgesetzen Naturschutzstandards ausgehebelt werden sollen.[1]

Dies soll nun auch auf die Mobilfunkinfrastruktur angewandt werden. Die rot-grün-gelbe Bundesregierung konterkariert damit die Erkenntnisse des Bundestages vom Februar 2023. Der einstimmig verabschiedete Bericht des Technikfolgenausschusses des Bundestages (TAB) beschreibt das grundsätzliche Risiko der Mobilfunktechnologie und benennt die möglichen Schäden. Die Bundesregierung ist dazu aufgefordert, den Empfehlungen des Berichts zu folgen, der nach „neuen technischen Standards“ verlangt, die „Einrichtung von Schutzzonen“ und sogar „Sendeanlagen-Verbotszonen“ sowie die umfassende „Aufklärung der Bevölkerung“ über die Risiken fordert.

Aktuelle Studie belegen zudem die Risiken der Mobilfunkstrahlung. So hat die neue ATHEM-3-Studie (2024) nachgewiesen, dass die Dauerbelastung für Menschen zur Schädigung von Chromosomen führt.

Die Studienlage zur Schädigung von Kleinstlebewesen, v.a. Insekten, den Kettengliedern der Biodiversität, ist inzwischen eindeutig. Die Strahlung hat vielfältige negative Auswirkungen und dezimiert sie. Das weisen die Studien von Treder et al. (2023, Uni Hohenheim), Molina-Montenegro et al. (2023), Nyirenda et al. (2022), Adelaja et al. (2022), die BEEFI-Studie zu Insekten von Thill et al. (2023) und der Review von Mulot M. et al. (2022) im Auftrag des Schweizer Bundesamts für Umwelt (BAFU) nach. Dort heißt es:

  • „Anthropogene NIS [nicht-ionisierende Strahlung, also z.B. Mobilfunkstrahlung, Anm. diagnose:funk] stellen eine potenzielle Bedrohung für Arthropoden­populationen dar, da sie den Selektionswert (Fitness), die Fortpflanzung und das Verhalten von Individuen beeinträchtigen.“
  • „NIS wirken eindeutig subletal auf Arthropoden, sowohl auf der Ebene der Zellen als auch des Organismus.“

Sendeanlagen dürfen deshalb in Naturschutzgebieten nicht gebaut werden. Die Voraussetzungen für die Anwendung des Vorsorgeprinzips sind übererfüllt, allein diese Studien liefern mehr als Hinweise, sondern bereits Beweise. Die Bundesregierung und die Abgeordneten wissen das, diagnose:funk informiert sie kontinuierlich. Auch weiß die Bundesregierung, dass die Schutzfunktion der Grenzwerte durch ein neues Gerichtsurteil und ein rechtliches Gutachten in Frage gestellt ist.

Mobilfunkstrahlung schadet dem Gleichgewicht der ÖkosystemeBild: Gras-Ober_Wikimedia Commons (cc-by-sa-3.0)

Der BUND Brandenburg forderte bereits in einem Grundsatzpapier: Keine Mobilfunkmasten in Naturschutzgebieten! Zu der Gesetzesvorlage der Bundesregierung schickte uns Harald Wernicke, Mitglied im BUND Brandenburg, die folgende Analyse:

 

Das Ziel: Telekommunikationsleistungen „mit sehr hoher Kapazität“ und „überall, wo Menschen leben, arbeiten und unterwegs sind“

Hierzu hatte die Bundesregierung in der Ferienzeit einen Referentenentwurf gebilligt, dieser wurde bereits Anfang September in 1. Lesung vom Bundestag beraten (diese fand nicht im Plenum, sondern als Ausschussberatung statt, federführend war der Verkehrsausschuss, weitere Ausschüsse, z.B. Natur- und Umwelt waren beteiligt). Hier wurden Änderungswünsche angemeldet und als Empfehlungen an den Bundesrat gegeben, der bereits am 27. September darüber beraten soll!

Einer der zentralen Punkte dieses Gesetzesvorhabens der Bundesregierung ist, dass nun ein überragendes öffentliches Interesse  am Mobilfunkausbau festgeschrieben werden soll.[2] (Bisher galt ein „überwiegendes öffentliches Interesse“). Damit würde Abwägungsprozessen, wie sie bei Verwaltungsakten eigentlich üblich sind, die Grundlage entzogen werden. Ein „überragendes öffentliches Interesse“ am Mobilfunkausbau würde bedeuten, dass andere Belange, z.B. des Naturschutzes dann grundsätzlich gegenüber den Zielen des Mobilfunkausbaus als nachrangig zu werten wären.

Bereits anbieterbezogene weiße Fleckensollen ein „überragendes öffentliches Interesse“ am Mobilfunkausbau auslösen. Die faktische Außerkraftsetzung einer Interessenabwägung zugunsten des Mobilfunkausbaus soll also bereits dort gerechtfertigt sein, wo ein einzelner Mobilfunkanbieter keine vollständige breitbandige Netzabdeckung in guter Übertragungsqualität bieten kann.

Geplante Entrechtung der Kommunen

Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass Immobilien der öffentlichen Hand, wenn erforderlich, für Zwecke des Mobilfunks zur Verfügung gestellt werden müssen (z.B. Errichtung von Sendeanlagen), das gilt auch für Kommunen. Als Ergebnis der Ausschussberatungen  fordert der Bundestag u.a. folgende, zumeist noch wesentlich weitergehende Änderungen zugunsten eines umfassenden Mobilfunkausbaus.[3]

Die Begrenzung des „überragenden öffentlichen Interesses“  auf Fälle, in denen „weiße“ oder „graue“ Flecken beim Mobilfunkempfang zu schließen sind, soll aufgehoben werden. Ein „überragendes öffentliches Interesse“ soll nach Vorstellungen des Bundestags darüber hinaus bereits dann gelten, wenn es erforderlich ist, um Nutzer mit Mobilfunk oder Festnetz „mit sehr hoher Kapazität“ zu versorgen!

Weiterhin soll eine Befristung dieser Regelungen bis 2030 (wie von der Bundesregierung ursprünglich vorgesehen) gestrichen werden, genauso wie eine Differenzierung zwischen Mobilfunk und Festnetz (keine Versorgungstechnik soll diskriminiert werden). Auch das gesamte nachgeordnete Straßennetz  (nicht nur Bundesstraßen) soll in die Privilegierung des Mobilfunkausbaus einbezogen werden.

Mobilfunkanbieter werden verpflichtet, Förderprogramme des Bundes zum Mobilfunkausbau in kommerziell uninteressanten Gebieten zu nutzen. Eine Verpflichtung der Anbieter zu einem regional und zeitlich begrenzten Roaming zur Schließung von Funklöchern soll der Bundesnetzagentur möglich sein.

Einzig für einen kleinen Teil der Naturschutzgebiete (genannt  werden „Nationalparks“) soll nach Vorstellung des Bundestages kein „überragendes öffentliches Interesse“ am Mobilfunkausbau gelten, hier soll der übliche Abwägungsvorgang gelten. Aber bereits für einen Großteil der „Natura 2000“ Gebiete soll das nicht gelten (es wird eingeräumt, dass auch hier ein Schutz eigentlich aus Sicht des Naturschutzes fachlich nötig sei, aber diese Gebiete seien zu groß für eine Ausnahme).

Informieren Sie sich auf der Internetseite www.insekten-schuetzen.info über die Gefährdung der Insekten durch Mobilfunkstrahlung!

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Die Kritik an diesen Maßnahmen muss von allen Umweltschützern kommen. Der TAB des Bundestages zum Mobilfunk wird ignoriert!

Bereits die Vorgehensweise ist kritikwürdig: Während Industrieverbände zuvor gehört wurden, wurden zivilgesellschaftliche Gruppen wie Bürgerinitiativen und Naturschutzverbände von dem schnellen Prozedere überrascht. Der Bericht des Bundestagsausschusses für Technikfolgenabschätzung (TAB-Bericht) [4] zu gesundheitlichen Auswirkungen des Mobilfunks aus der vergangenen Wahlperiode hatte dagegen eine breite gesellschaftliche Diskussion zum Risikomanagement gefordert und somit eigentlich für diesmal besseres erwarten lassen!

Die hier beabsichtigte Außerkraftsetzung eines ordentlichen Abwägungsprozesses ist ein Verstoß gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip und somit rechtsstaatlich fragwürdig. Auch das Verhältnis eines derart umfassenden Mobilfunkausbaus („überall, wo Menschen arbeiten, leben und unterwegs sind“) zu anderen Rechtsnormen ist ungeklärt, so z.B.:

  • Art. 2,(2) GG (körperliche Unversehrtheit, Freiheit der Person)
  • Art. 13 GG (Unverletzlichkeit der Wohnung)
  • Art.20a GG (Naturschutz, Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen als Staatsziel)
  • Art. 28 GG (Gemeindeautonomie)
  • §1, Abs.6 Nr.1 und Nr.6 BauGB ( Planerische Berücksichtigung „gesunder Wohn- und Arbeitsverhältnisse“ und von „Umweltbelangen“)

Dabei ist daran zu erinnern, dass das BVerwG 2012 festgestellt hatte, dass es beim Schutz vor HF-EMF keineswegs um lediglich „irrelevante Immissionsbefürchtungen“ gehe, es seien auch „die allgemeinen Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse (§1 Abs.6 Nr.1 BauGB) betroffen.“ Demzufolge sei es nicht zu beanstanden, wenn eine Kommune hinsichtlich  der Standorte von  Mobilfunksendeanlagen eigene Vorstellungen geltend mache. Dies wurde mit dem fehlenden Expertenkonsens hinsichtlich der Schädlichkeit der Mobilfunkstrahlung begründet. Auf einen weiterhin nicht möglichen Expertenkonsens hinsichtlich HF-EMF im Niedrigdosisbereich hatte zuletzt noch einmal in der vergangenen Wahlperiode der TAB-Bericht des Bundestages hingewiesen. Als Ausweg aus diesem Bewertungsdilemma der bisherigen Untersuchungsergebnisse hatte der Bericht ein Bündel von Vorsorgemaßnahmen, u.a. Minimierungsstrategien, Schutzzonen für besonders sensible Personen etc. gefordert.

Dieser interfraktionell gebilligte Bericht hätte erwarten lassen, dass solche Vorschläge in künftige Gesetzesentwürfe Eingang finden würden. Im Gegenteil, jetzt soll eine flächendeckende Mobilfunkversorgungsleistung in Maximalqualität verpflichtend festgeschrieben werden. Mit der Festschreibung eines überragenden öffentliches Interessesdaran soll zudem einem rechtstaatlichen Abwägungsprozess   mit anderen  Interessen und Werten die Grundlage entzogen werden!

Unverständlich ist auch, dass  die vorgesehene verpflichtende gemeinsame Nutzung von  Telekommunikationsinfrastruktur nur der Schließung "grauer Flecken" dienen soll, nicht aber dem Schutz von Mensch und Natur!

Sollte eine solche Möglichkeit aufgrund gegenläufiger Interessen der einzelnen Mobilfunkanbieter nicht genutzt werden, dann kann hier zumindest kein „überragendes öffentliches Interesse“  geltend gemacht werden. Vielmehr handelt es sich hierbei lediglich um (als solche legitime) Geschäftsinteressen einzelner Unternehmen, die lediglich eine Berücksichtigung in einem regulären Abwägungsprozess beanspruchen können!

Zu fordern ist: Je mehr Mobilfunkausbau, desto mehr Vorsorge gegen negative Folgen sind nötig!

Quellen:

[1] https://blogs.nabu.de/naturschaetze-retten/ueberragendes-oeffentliches-interesse-ein-rechtsbegriff-kommt-in-mode/

[2]  https://bmdv.bund.de/tknabeg

[3] Bundesrat Drucksache 391/1/24

[4] Vgl. Dt.Bundestag, Drucksache 20/5646, Bericht des Ausschusses für Bildung,Forschung und Technikfolgenabschätzung “Mögliche gesundheitliche Auswirkungen verschiedener Frequenzbereiche elektromagnetischer Felder (HF-EMF)”

Publikation zum Thema

Januar 2022Format: A4Seitenanzahl: 12 Veröffentlicht am: 18.01.2022 Bestellnr.: 247Sprache: deutschHerausgeber: diagnose:funk

Wie die Telekommunikationsindustrie die Politik im Griff hat


Autor:
diagnose:funk
Inhalt:
diagnose:funk legt in diesem Brennpunkt eine Recherche zur Lobbyarbeit der Mobilfunkindustrie und BITKOM-Branche zur Digitalisierung vor, basierend auf der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE „Beziehungen von Telekommunikationsunternehmen zur Bundesregierung“ (Bundestagsdrucksache 18/9620, 13.09.2016). Sechs Grafiken verbildlichen die Verflechtungen. Politisch eingeordnet wird diese Analyse auf Grund eigener Erfahrungen mit Besuchen bei Bundestagsabgeordneten und dem neuen Buch „Lobbyland. Wie die Wirtschaft unsere Demokratie kauft“ (2021) des ehemaligen Dortmunder SPD-Abgeordneten Marco Bülow über seine 18-jährigen Erfahrungen im Bundestag und weiteren Literaturrecherchen.
Artikel veröffentlicht:
25.09.2024
Artikel aktualisiert:
01.10.2024
Autor:
diagnose:funk / Harald Wernicke
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