Stuttgart, 8.8.2024: Die neu erschienene ATHEM-3-Studie untersuchte Langzeitwirkungen von Mobilfunk-Basisstationen auf das menschliche Erbgut. Die Autoren kommen zum Ergebnis, dass selbst geringe Strahlungswerte von Mobilfunk-Basisstationen (1% des Grenzwerts) langfristig ausreichen, um unser Erbgut ernsthaft zu schädigen. Daher fordert die Umwelt- und Verbraucherorganisation diagnose:funk die zuständigen Bundesminister:innen Steffi Lemke (Verbraucherschutz), Volker Wissing (Digitales) und Karl Lauterbach (Gesundheit) eindringlich auf, die Mobilfunkpolitik und die Ausbaupläne gesundheitsverträglich zu gestalten.
„Lesen Sie diese Studie bitte persönlich durch und nehmen Sie sie zum Anlass, jetzt zu handeln!“, appelliert Jörn Gutbier, Vorsitzender von diagnose:funk, an die zuständigen Bundesminister:innen. „Die Strahlung, die von Mobilfunkmasten ausgeht, kann unser Erbgut über längere Zeit hin schädigen und uns krank machen, also z.B. Krebs auslösen. Daher müssen die zuständigen Ministerien dringend gemeinsam ihre Mobilfunkpolitik an die neuen Erkenntnisse der Wissenschaft anpassen! Das bedeutet: Eine massive Reduktion des Grenzwerts für Mobilfunkstrahlung – selbst 1% des aktuellen Grenzwerts ist laut der Studie noch zu viel. Als Alternative für die mobile Kommunikation bietet sich in Gebäuden die optische Übertragung per Infrarot an, wie wir es von unserer TV-Fernbedienung her kennen. Diese Alternative ist – im Gegensatz zur Funkübertragung per WLAN, GSM oder LTE – nicht gesundheitsschädlich und bereits serienreif. Wo bleibt die politische Unterstützung dafür?“
ATHEM-3-Studie im Original: https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0147651324005621
Besprechung der Studie: https://www.emfdata.org/de/studien/detail&id=847
Was hat die ATHEM-3-Studie untersucht?
Blutzellen von 24 Versuchspersonen aus einer ländlichen Region in Deutschland wurden u.a. auf Erbgutschäden untersucht. 12 dieser Personen lebten mindestens 5 Jahre lang in der Nähe eines Mobilfunkmastes (75 Meter bis 160 Meter entfernt, stark bestrahlt) und 12 lebten weiter entfernt (490 Meter bis 1.020 Meter, schwach bestrahlt).
Was hat die ATHEM-3-Studie gefunden?
Chromosomen, die Träger unserer Erbinformation (DNA), waren in verschiedener Weise krankhaft verändert. Es traten statistisch signifikant vermehrt sogenannte Chromosomenaberrationen auf: Das sind unter dem Mikroskop sichtbare erhebliche Veränderungen wie dizentrische Chromosomen (siehe Bild: „B“), Fragmente („E“) und Chromatid-Lücken („F“). Außerdem waren in der stark bestrahlten Gruppe die Schädigung der Zellmembran (Lipidperoxidation) und die oxidative DNA-Schädigung höher, die Einzelstrang-DNA-Schädigung war signifikant höher.
Sind die Ergebnisse der ATHEM-3-Studie brisant?
Ja, denn das Ausmaß der Erbgutschäden durch Mobilfunkstrahlung, wie sie die ATHEM-3-Studie zeigt, ist vergleichbar mit der Schädigung durch radioaktive Strahlung, die 7,6-fach stärker (Anm.: in der Aussendung stand mit ´76` ein Tippfehler - das Komma fehlte) ist als es der Grenzwert der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) für niedrigdosierte radioaktive Dauerbestrahlung der Bevölkerung erlaubt (1 mSv/Jahr), siehe Interview mit IPPNW-Arzt. Die in der ATHEM-3-Studie gemessenen Dauerstrahlungswerte (bis 1.000 µW/m²) sind in Städten sowie in der Nähe von WLAN-Routern und Schnurlos-Telefonen (DECT) meist deutlich höher, also vermutlich noch schädlicher.
Einer der Studienautoren, Prof. Dr. med. Wilhelm Mosgöller vom Zentrum für Krebsforschung an der MedUni Wien: „Bedeutsam ist, dass die Effekte, die wir nach jahrelanger Exposition feststellten, bei Expositionen um den Faktor 100 unter den aktuell erlaubten Werten entstanden. [...] es sieht danach aus, als würden Felder mit niedriger Intensität, ab ca. 1 mW/m² [= 1.000 µW/m²], Effekte, hervorrufen und diese sich sogar über die Zeit anhäufen.“ (siehe Interview mit Prof. Mosgöller)
Welche Schlussfolgerungen zieht diagnose:funk aus der ATHEM-3-Studie
Mobilfunkstrahlung ist gesundheitsschädlich – das zeigt diese Studie sehr eindrücklich: Chromosomen wurden krankhaft veränderten aufgrund jahrelanger Dauerbestrahlung durch Mobilfunkmasten. Auch aus der sonstigen Studienlage lässt sich evidenzbasiert schließen, dass Mobilfunkstrahlung u.a. zu Krebs und zu geschädigter männlicher Fruchtbarkeit führen kann. (siehe z.B. Bericht des Bundestags zu Technikfolgen und STOA-Studie im Auftrag des EU-Parlaments)
Jörn Gutbier: „Die Zeit der Leugnung dieser wissenschaftlichen Erkenntnisse muss endlich vorbei sein! Wie beim Klimaschutz ist es Aufgabe der Politik, auch hier auf die Wissenschaft zu hören und entsprechend zu handeln – zum Schutz von Mensch und Natur.“
Als erste Maßnahme für gesundheits- und umweltverträgliche Mobilfunkkommunikation fordert diagnose:funk einen neuen Grenzwert in Höhe von 100 µW/m² (= 0,2 V/m; aktueller Grenzwert = 61 V/m; schädlicher Wert in der ATHEM-3-Studie = 0,6 V/m). Der Wert von 100 µW/m² muss im Sinne des Vorsorgeprinzips an allen Stellen gelten, an denen sich Menschen und Tiere längere Zeit aufhalten, und wo diese vor den erbgutschädigenden Auswirkungen der Mobilfunkstrahlung geschützt werden sollen, ähnlich wie dies z.B. bei radioaktiver Strahlung für die allgemeine Bevölkerung gilt.
Als langfristige Option schlägt diagnose:funk die Anwendung alternativer Übertragungstechniken für die mobile Kommunikation vor: In Gebäuden steht in vielen Fällen das Netzwerkkabel zur Verfügung, um ortsgebundene Geräte ans Internet anzuschließen. Mobile Geräte können mit der u.a. in Deutschland entwickelten Technik der optischen (infraroten) Datenübertragung ausgestattet werden (OWC bzw. LiFi). Mit ordnungspolitischen Vorgaben wie z.B. der Pflicht für entsprechende optischen Schnittstellen an allen mobilen Geräten kann die Bundespolitik diese Veränderung unserer Kommunikationstechnik anregen und gestalten. Städte und Gemeinden sowie staatliche Unternehmen wie die Deutsche Bahn und Bundesbehörden können vorbildhaft WLAN in ihren Räumen und Fahrzeugen abschalten und stattdessen die optische Übertragung aufbauen.
Für den Außenbereich bietet sich als Maßnahme zur Strahlenminimierung die Installation von Kleinzellennetzen an. Das sind viele sehr gering strahlende statt wenige stark strahlende Antennen. So kann ein vermutlich gesundheitsverträglicher Strahlungswert erreicht werden, was mit der aktuellen Technik von wenigen stark strahlenden Basisstationen nicht möglich ist.
Jörn Gutbier: „Sobald ein Angebot für optische Übertragung bereitsteht, wird die Industrie mit Geräten auf den Markt kommen, die dieses Angebot nutzen können, zumal, wenn dies politisch und öffentlichkeitswirksam unterstützt wird – ähnlich wie bei der technischen Seite der Bekämpfung der Klimakrise. Der Wandel zu gesunder mobiler Kommunikation kann jetzt von der Bundespolitik eingeleitet werden, denn die wissenschaftlichen Erkenntnisse legen dies nahe, und die technische Entwicklung ist serienreif.“