Das Ende des Eiertanzes und der Ausreden: Aus Rechte werden Pflichten der Kommunen und Gemeinderäte
Die Rechtsgutachten von Nitsch/Weiss/Frei (2020) und die vielen Fachartikel des Juristen Bernd I. Budzinski haben bereits unmissverständlich nachgewiesen, dass die kommunale Autonomie den Kommunen das Recht zu einer Steuerung des Aufbaus der Mobilfunkinfrastruktur gibt. Brückner entwickelt diese Begründung weiter. Die Kommunen haben nicht nur das Recht, das sie nach Belieben wahrnehmen können oder auch nicht, sondern die Pflicht, ihre Einwohner zu schützen, auf Grund des Gefahrenpotentials der Strahlung, der Untauglichkeit der Grenzwerte und des Versagens der Bundesbehörden. Dieses Gutachten muss jeder Gemeinderat und Bürgermeister kennen. Für die Bürgerinitiativen ist es die ultimative juristische Argumentationsgrundlage.
Anja Brückner: Kommunale Mobilfunkkonzepte im Spannungsfeld zwischen Vorsorge und Versorgung, ©2022 Dissertation, 194 Seiten, Reihe: Erlanger Schriften zum Öffentlichen Recht, Band 12
Quellen und Kommentare
[1] Obwohl schon längst nachgewiesen ist, zuletzt in der Analyse der ICBE-EMF, dass die Grenzwerte wissenschaftlich unhaltbar und keine Schutzfunktion haben, hält das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) an ihnen als Firewall fest. So schrieb das BfS ganz aktuell an den Sprecher von diagnose:funk Bayern, der auf einer Konferenz zur Risikokommunikation dem BfS ein Symposium zwischen Vertretern der ICNIRP und der ICBE-EMF vorschlug, um die Grenzwertdebatte zu führen:
„Dennoch decken sich die wesentlichen Aussagen des TAB-Berichts mit der wissenschaftlichen Risikobewertung des BfS:
- Die bestehenden Grenzwerte schützen vor den nachgewiesenen Gesundheitswirkungen hochfrequenter elektromagnetischer Felder.
- Die Grenzwerte sind so festgelegt, dass insbesondere möglicherweise besonders gefährdete Personengruppen wie z.B. Kinder geschützt sind.
- Bei Einhaltung der Immissionsgrenzwerte und der für Produkte geltenden Vorschriften ist daher nicht mit gesundheitsrelevanten Auswirkungen durch hochfrequente elektromagnetische Felder zu rechnen. Dies gilt auch für Kinder, Jugendliche und ältere Menschen.
Wie von Herrn Neuhäuser versprochen, haben wir uns auch mit der Frage beschäftigt, ob das BfS eine Veranstaltung mit dem von Ihnen vorgeschlagenen Inhalt organisiert. Derzeit sehen wir dafür keinen Anlass.“ (25.07.2024)
Eine wissenschaftliche Debatte wird vom BfS offensichtlich gescheut. Um die Deutungshoheit einer profitorientierten Expertenarroganz zu sichern, spricht das BfS mit der Theorie der „False Balance“ nicht genehmen Wissenschaftlern, Bürgern und NGOs explizit eine Fachkompetenz ab.[1] Dagegen fordert der Leiter des TAB Armin Grunwald „die Abwehr einer technokratischen Herrschaft der Experten und das Beharren auf einem demokratischen Gestaltungsanspruch im Umgang mit dem wissenschaftlich technischen Fortschritt und in der Nutzung seiner Produkte.“ Diese Experten seien verantwortlich für ein „Zurückdrängen des Denkens in Alternativen zugunsten technischer Optimierung“, gerade bei der Digitalisierung.[2] Die Absage einer Debatte im BfS über Positionierungen mit dem Ziel eines Erkenntnisfortschritts ist typisch für den Politikstil. In Interviews und Talkshows wird eine Politik des Gehörtwerdens beschworen, um Vertrauen zurückzugewinnen, in der Praxis dem Bürger die kalte Schulter gezeigt.
Der TAB-Bericht wird zudem vom BfS unvollständig wiedergegeben. Das thermische Dogma und die ICNIRP-Richtlinien, auf denen die Grenzwerte fußen, werden im TAB-Bericht relativiert mit dem Hinweis, dass „bezüglich möglicher nichtthermischer Wirkungen mit gesundheitlichen Auswirkungen eine Vielzahl von Studien unterschiedlicher Qualität mit teils widersprüchlichen bzw. inkonsistenten Resultaten existiert“ und ihre Relevanz für die Festsetzung von Grenzwerten „in Fachkreisen und in der breiten Öffentlichkeit zum Teil sehr kontrovers diskutiert“ wird. Der Bericht stellt sogar die Grenzwerte zur Disposition. Der TAB-Bericht hinterfragt das Meinungsmonopol des BfS. Er kritisiert, dass vom BfS bisher nur die ICNIRP-Meinung zugelassen wurde, andere Expertenmeinungen, auch die „nichtwirtschaftlicher Interessengruppen“, bei der Risikobewertung nicht berücksichtigt wurden und fordert ihre Beachtung. Siehe dazu unsere Analysen zum TAB: https://www.diagnose-funk.org/aktuelles/artikel-archiv/detail&newsid=1954.
Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) der EU fordert konträr zum BfS in seiner Stellungnahme im Amtsblatt der EU die Überprüfung und Ersetzung der untauglichen ICNIRP-Richtlinien für Grenzwerte durch neue Richtlinien, die von einem unabhängigen Gremium erarbeitet werden. Der EWSA fordert die Anerkennung der Gesamtstudienlage, die Ersetzung der ICNIRP durch ein unabhängiges Gremium und neue Richtlinien mit der Maßgabe: „Besonderes Augenmerk sollte den nicht-thermischen Effekten gelten (1.11.)“ https://www.diagnose-funk.org/aktuelles/artikel-archiv/detail&newsid=1899
[1] Gutbier J, Hensinger P (2021): Dialogbüro 5G der Bundesregierung: Störfall Bürgerengagement. Der Absturz vom Dialog- zum Monologbüro, https://www.diagnose-funk.org/1772
[2] Grunwald A (2022): Technikfolgenabschätzung, 3. Auflage, S. 56/57
[2] Diagnose:funk dokumentiert die Studienlage ausführlich in der Publikationsreihe „Überblick für den Durchblick“, in der Datenbank www.EMFdata.org, im ElektrosmogReport und im Kompass Studienlage: Mobilfunkstrahlung - ein Risiko? Über den aktuellen Stand der Forschung informiert sein.
[3] Bereits 2016 veröffentlichte diagnose:funk die Analyse von Sarah J. Starkey (2016): "Fehlerhafte offizielle Bewertung der Sicherheit von Funkstrahlung durch die Beratergruppe für nicht-ionisierende Strahlung." Starkey dokumentiert, in welchem Umfang ICNIRP-nahe Gremien brisante Studienergebnisse aus der Risikobeurteilung ausschließen. >>> Brennpunkt zu Starkey mit Supplement-Liste der ausgeschlossenen Studien.
Originaltext: Sarah J. Starkey (2026): Inaccurate official assessment of radiofrequency safety by the Advisory Group on Non-ionising Radiation; Veröffentlicht in: Rev Environ Health 2016; 31 (4): 493-503, Verlag deGruyter, DOI 10.1515/reveh-2016-0060;
[4] Zum thermischen Dogma und der Energiethese hat der Physiker und diagnose:funk Vorstand Dr. Klaus Scheler den Artikel "Behauptungen & Scheinargumente: Mobilfunkstrahlung hat zu wenig Energie, um Zellen zu schädigen. Oxidativer Stress ist unplausibel" verfasst: https://www.diagnose-funk.org/aktuelles/artikel-archiv/detail&newsid=1441