20 Jahre Naila-Studie (II): „Unsere Studienergebnisse konnten nicht entkräftet werden“

Interview mit Dr. Horst Eger, Studienleiter der Naila-Studie
Dr. Horst Eger, praktizierender Hausarzt in Naila, initiierte die Naila-Studie. Ihre Ergebnisse wurden am 21.07.2004 der Öffentlichkeit vorgestellt. Sie war eine der weltweit ersten Studien, die untersuchte, ob die Strahlung von Sendeanlagen des Mobilfunks zu Krebs führen kann. Die Studie schlug hohe Wellen. Im Interview mit diagnose:funk blickt Dr. Eger auf die Studie und seine Erfahrungen, insbesondere in der Diskussion mit dem Bundesamt für Strahlenschutz, zurück. Dr. Eger beantwortete unsere Fragen schriftlich.
Dr. Horst Eger, Bild:Steinhardt Video

Herr Dr. Eger, Sie sind der Hauptautor der Nailaer Ärztestudie, die vor 20 Jahren publiziert wurde. Sie untersuchten, ob sich die Strahlung eines Mobilfunkmastes auf die Krebsinzidenz in seinem Umkreis auswirkt. Wie kamen Sie auf die Idee, eine solche Untersuchung durchzuführen?

Damals hatten Patienten bei mir nachgefragt, ob die von den Mobilfunkmasten ausgehende Strahlung aus ärztlicher Sicht sicher sei. Nachdem sich keinerlei Langzeitstudien mit Bevölkerungsbezug in Deutschland bis zum Jahr 2000 finden ließen, kam unter Mitarbeit sämtlicher fünf Hausarztpraxen vor Ort die später Naila-Studie genannte Untersuchung zustande.

Welche Daten werteten Sie bei Ihrer Untersuchung aus?

Ausgewertet wurden die Daten aus allen allgemeinärztlichen Praxen in Naila, wobei das Auftreten von Krebserkrankungen-die sogenannte Krebsinzidenz-in einem 10-Jahres-Zeitraum nach Senderaufbau überprüft wurde.

Was war dann das Ergebnis?

Hier darf ich direkt auf unsere Studien-Veröffentlichung verweisen.

„Die Ergebnisse der vorliegenden retrospektiven Studie belegen, dass sich für die untersuchte Bevölkerung in Naila innerhalb von 400 Metern Umkreis um die untersuchte Sendeanlage das Risiko an einem  Krebsleiden neu zu erkranken gegenüber dem außerhalb liegenden Wohnbereich in den Jahren 1999 bis 2004 verdreifacht hat.

Querschnittsstudien können der entscheidende quantifizierende Hinweis auf ein real zu beobachtendes Problem sein. In den sechziger Jahren reichte die Beobachtung dreier Fälle kindlicher Missbildungen aus, um das heute wissenschaftlich unbestritten anerkannte “Contergan-Problem” aufzudecken. Die ohne Fremdmittel erstellte Studie trägt den Charakter einer Pilotstudie, Messungen zur Ermittlung der individuellen Exposition sowie die gezielte Suche nach weiteren Störgrößen können eine sinnvolle Ergänzung sein. Dazu müssen dann aber auch entsprechende Mittel zur Verfügung gestellt werden.

Das Konzept der vorliegenden Studie ist einfach und kann jederzeit an all den Orten wiederholt werden, die jahrelang relativ isoliert von einer Sendeanlage bestrahlt wurden. Die vorliegenden Ergebnisse sind ein erster ganz konkreter epidemiologischer Hinweis auf einen zeitlichen und örtlichen Zusammenhang zwischen der Exposition gegenüber GSM Basisstationen und Krebserkrankungen. Diese Ergebnisse sind unter Heranziehung der Literatur zu hochfrequenten elektromagnetischen Feldern nicht nur plausibel und möglich,  sondern als wahrscheinlich anzusehen.

Eine sofortige Kontrolle des Gesundheitszustandes der zunehmender Sendestrahlung exponierten Bevölkerung mit großen epidemiologischen Studien ist aus ethischer und juristischer Ansicht dringend geboten. Denn nach den jetzt vorliegenden Ergebnissen kann eine Kausalität der Mikrowellen zur Krebspromotion nicht mehr sicher ausgeschlossen werden.“

Die Studie erregte in Deutschland großes Aufsehen und wurde postwendend abqualifiziert. Was waren die Hauptargumente gegen das Ergebnis?

Die Ergebnisse der Naila-Studie wurden am 21.07.2004 als wissenschaftliche Vorveröffentlichung den Nailaer Bürgern, Ämtern und Betreibern vorgestellt. Am 03.08.2004 veröffentlichte das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) den Entwurf einer Stellungnahme zur Naila-Studie, die als Quelle 1 angefügt ist. Eine entsprechende Antwort der teilnehmenden Ärzte haben wir ebenfalls angefügt. Daraufhin korrigierte das BfS seine erste Stellungnahme. In den beigefügten Anlagen lassen sich die Argumentationsketten gut verfolgen. (Quelle 1: BfS 3.8.04, Quelle 2: Eger an BfS 29.9.04, Quelle 3: BfS ohne Datum). Es zeigte sich nachweislich, dass dem Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) keinerlei eigene Untersuchungen von staatlicher Seite vorlagen, die unsere Arbeit zum damaligen Zeitpunkt hätten entkräften können.

Da es die erste Studie in Deutschland zu Mobilfunkmasten und Krebs war, forderten Sie das Bundesamt für Strahlenschutz auf, umgehend zur Überprüfung ihrer Ergebnisse Studien durchzuführen. Wie war die Reaktion des Bundesamtes?

Die von uns angestrebte komplette Erfassung von Naila sowie die Wiederholung einer Langzeiterhebung über 10 Jahre in anderen Orten wurde nicht durchgeführt. Stattdessen wurde stereotyp auf das Deutsche Mobilfunkforschungsprogramm verwiesen. Interessanterweise wurde dort die geplante Untersuchung von Fernmeldetechnikern aus „Datenschutzgründen“ nicht durchgeführt. Genau diese Auswertung von beruflich hochexponierten Personen hätte große Aussagekraft gehabt. Später, im Jahr 2011, wurde von Prof. Dode in Belo Horizonte – Brasilien - an über 2 Millionen Probanden eine erhöhte Krebsmortalität in Sendernähe nachgewiesen.

Nun sind 20 Jahre vergangen, wie schätzen Sie heute die Studienlage ein, zu den Auswirkungen der Masten. Gibt es Studien, die ihre Ergebnisse bestätigt haben?

Es gibt eine Vielzahl von Studien, die nachweisen konnten, dass unter dem Einfluss hochfrequenter Senderstrahlung Genschäden an Zellen, Pflanzen, Tieren und Menschen auftreten können.

Beispielhaft seien genannt:

  • die vom NDR unterstützten Forschungsarbeiten von Prof. Cornelia Harte aus den 1950er und 70er Jahren zeigten genetische  Veränderung an Pflanzensamen unter Meterwelleneinfluss (Harte 1950, Harte 1972)*.
  • die Arbeiten von Schrader et al. (2008, Physikalisch technische Bundesanstalt Braunschweig), konnten zelluläre Genschäden durch Mikrowellen nachweisen.
  • die Untersuchungen des Millionen Dollar teuren NTP-Programmes (National Toxicology Programm) aus den USA erbrachte höhere Krebsraten bei bestrahlten Tieren.
  • die kürzlich veröffentlichte Studie von Gulati et al. (2024) fand erhöhte Chromosomenveränderung bei Menschen, die langjährig in der Nähe eines Mobilfunksenders gewohnt hatten.

Zur selben Zeit wie die Naila Studie wurden ja auch die Reflex-Ergebnisse veröffentlicht. Auch diese Studie wurde ja heftigst angegriffen, bis dahin, die Ergebnisse seien gefälscht worden. Wie schätzen Sie die Studienlage über die Auswirkungen des Handys am Ohr ein?

Es ist physikalisch völlig klar, dass ohrgehaltene Mobiltelefone mit der emittierten Mikrowellenstrahlung zentimetertief in das Gehirn eindringen und dort Regulationsprozesse verändern können.  Dies lässt sich sogar mit bildgebenden Verfahren zeigen (Huber et al. 2002). Eine Vielzahl von Studien weist auf erhöhte Hirntumorraten bei langer und intensiver Handynutzung hin, z.B. die Studien von Lennart Hardell.

Was empfehlen Sie den Menschen zum Schutz, da man heute dieser Strahlung ja nicht mehr entkommt?

1. Wie auch bei Zigaretten, sollten auf jedem Mobiltelefon entsprechende Warnhinweise direkt angebracht werden.

2. Für die gesamten Senderemissionen sollte man den Empfehlungen einer großen Mobilfunkfirma aus dem Jahr 2004 folgen: Hier wurde in einem Patent dargestellt, dass die Reduktion der Strahlenbelastung erforderlich ist, weil Genschäden an Zellen durch diese Art von Strahlung bekannt sind.

3. Wer sich ausführlich zu dem Thema Schäden durch Sendestrahlung informieren will, dem sei die Übersichtsarbeit von Prof. Neil Cherry empfohlen.

Lieber Herr Dr. Eger, herzlichen Dank für Ihre Pionierarbeit und dieses Interview.

Das Interview führte Peter Hensinger vom diagnose:funk Vorstand

* Anmerkung diagnose:funk: Die Studien von Harte über die Auswirkungen elektromagnetischer Felder von Rundfunksendern wiesen nach, dass diese bei Pflanzen zu Veränderungen von Chromosomen führen. Dies ist eine interessante Parallele zu den aktuellen Ergebnissen der ATHEM-3 Studie. Ihr Hauptergebnis: Bei Menschen, die einer Langzeitwirkung von Mobilfunksendeanlagen ausgesetzt waren, wurden Chromosomenaberrationen nachgewiesen.  

Vortrag von Dr. Horst Eger auf dem Symposium der Kompetenzinitiative 2019

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