Gemeinderatssitzung Freiburg: Einwohnerantrag für ein Mobilfunkkonzept: Eine Lektion in Sachen Demokratie

Arroganz statt Demokratie: "Wir sind betroffen."
Am 27.02.2024 wurde im Freiburger Gemeinderat der Einwohnerantrag der Freiburger Mobilfunkinitiativen behandelt. Dazu hat uns ein Mitglied der Initiativen einen Bericht geschrieben.
Rathaus FreiburgJoergens.mi/Wikipedia

"Was zählt die Meinung von 3000 Freiburgerinnen und Freiburgern? Unsere drei Fachleute redeten gegen eine Wand der Arroganz."

Bericht einer Aktivistin

Es war harte Arbeit. In hunderten Gesprächen an Ständen hatten wir für unseren Antrag gesammelt. Mit mehr als 3000 Unterschriften haben wir das Quorum erreicht. Unser Antrag an den Gemeinderat bestand aus 3 Forderungen:

 

 

"Der Freiburger Gemeinderat möge zum Schutz vor einer drohenden Vervielfachung von Mobilfunksendeanlagen in öffentlicher Sitzung jeweils über folgende Forderungen bzw. Vorschläge befinden und ggf. beschließen:

  • "1. Gebäude, Grundstücke und Einrichtungen in Straßenräumen, die zum Eigentum oder Besitz der Stadt und ihrer Eigenbetriebe gehören, werden für Sendeanlagen des neuen Mobilfunkstandards 5G („New Radio“) nicht zur Verfügung gestellt.
  • 2. Gemäß den höchstrichterlich bestätigten Möglichkeiten erstellt die Verwaltung Mobilfunkkonzepte mit Baustopp für Sendemasten (z.B. auch zugunsten des Glasfaserausbaus), damit in Wohngebieten Strahlenbelastung und Stromverbrauch minimiert sowie Wohnungen strahlen- und überwachungsfrei gehalten werden können. Zudem richtet die Stadt eine Beratungs- u. Meldestelle für Mobilfunknebenfolgen (Empfehlung der Landesärztekammer Baden-Württemberg) und ggf. Schutzzonen ein.
  • 3. Der Gemeinderat fordert politisch und bundesweit ein Moratorium für 5G, bis alle verantwortlichen Stellen ihre verfassungsrechtliche Pflicht zur Vorsorge durch eine unabhängige wissenschaftliche Prüfung der gesundheitlichen Unbedenklichkeit von 5G und eine Technikfolgenabschätzung erfüllt haben."

Simulation von Demokratie als Alibi

In der Beschlussvorlage der Verwaltung wurden unsere Forderungen abgelehnt. Wir waren uns sicher, wenn über 3000 Freiburgerinnen und Freiburger uns unterstützen, nehmen das die Stadträtinnen und Stadträte ernst und werden auf der Sitzung darüber beraten. Unsere drei Redner waren gut vorbereitet, die Zuschauerempore gut gefüllt. Gespannt warten wir auf unseren Punkt. Er wird aufgerufen. Unsere drei Redner tragen sachlich vor (Reden s. Downloads). Oberbürgermeister Horn und ein Großteil der Räte nutzen diese Zeit anders: Statt Zuhören daddeln sie auf ihren Mobilgeräten. Schaut man in die Reihen der Räte, wird man den Eindruck nicht los: Die Entscheidung ist längst gefallen, das hier ist ein nettes Theaterstück des Gemeinderates. Drei Wortmeldungen kamen aus dem Gemeinderat – eine verhöhnende (Aluhüte), eine unpassende und eine vorbildliche (für die dritte großen Dank, sie erreichte einige Köpfe). Keine Nachfragen. Unsere drei Fachleute, u.a. ein Arzt und ein Jurist, von denen man lernen könnte, redeten gegen eine Wand der Arroganz. Die Botschaft: Bürgerbeteiligung ist nicht gefragt, sie ist störend. 3000 Unterschriften interessieren nicht. Wir sind betroffen. Oder hätten wir es wissen müssen: Vor uns saßen einfach Handysüchtige?

Alle Räte waren informiert, dass EU-Gremien wie der Wirtschafts- und Sozialausschuss EWSA und der EU-Technikfolgenausschuss eine Schutzpolitik vor Mobilfunkstrahlung fordern, auch für den Umwelt-, Arten- und Klimaschutz. Ein Redner wies explizit auf diese Folgen hin. Selbst das interessierte die Räte, die sich bei jeder Gelegenheit, gerade jetzt wieder bei den Kommunalwahlen, als Umweltschützer inszenieren, nicht. Haben die mahnenden Stimmen an unseren Infoständen Recht behalten, die warnten, es nützt bei diesem Gemeinderat sowieso nichts?

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Bild: diagnose:funk / Klaus Polkowski

Auf die Einwohnerversammlung 2019 kamen über 900 FreiburgerInnen. Die Stimmung war klar: Wir wollen kein 5G und ein Mobilfunkkonzept zur Strahlenminimierung. Der Protest fuhr den Behörden in die Knochen. Die Uni Hohenheim untersuchte ihn. Gremien haben getagt, um zu beraten, wie man ihn einfängt. Mit Aussitzen und Nichtbeachtung soll erreicht werden, dass Bürger resignieren. Doch die Freiburger bleiben hartnäckig.

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Einspruch eingelegt

Doch wir geben nicht auf. Ich lese gerade eine juristische Dissertation, die als Buch erschienen ist mit dem Titel „Kommunale Mobilfunkkonzepte im Spannungsfeld zwischen Vorsorge und Versorgung“, in der auf neuestem Stand die Rechtslage dargestellt wird. Demnach haben die Kommunen auf Grund richterlich bestätigter Risiken der Mobilfunkstrahlung sogar eine Schutzpflicht, strahlungsminimierende Konzepte umzusetzen. Das Recht steht auf unserer Seite. Doch Recht haben und Recht bekommen ... ? Am 26.03.2024 haben wir Einspruch gegen den ablehnenden Beschluss des Gemeinderates eingelegt und eine erneute Behandlung beantragt.

 

Stadtrat Wolf-Dieter Winkler, Liste Freiburg LebenswertDr.W.D.Winkler, Stadtrat

Stadtrat Dr. W.-D. Winkler: „Als Physiker bin ich schon überrascht von der Sorglosigkeit!“ 

 

Als einziger Stadtrat ging der Physiker Dr. Wolf-Dieter Winkler von „Freiburg Lebenswert“ in der Gemeinderatsitzung auf die Ausführungen der Freiburger Initiative ein. Er nahm zu den Risiken elektromagnetische Felder für die Tier- und Pflanzenwelt Stellung.

 

 

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, sehr geehrte Damen und Herren!

Das Aktionsbündnis Freiburg 5G-frei befasst sich im Wesentlichen mit den Auswirkungen anthropogener Strahlung auf den Menschen. Ich halte aber die Auswirkungen auf die Tier- und Pflanzenwelt für noch viel gravierender. Ich zitiere dazu mal aus einer diesbezüglichen Übersichtsstudie:

Die Umgebungswerte von EMF (nichtionisierende elektromagnetische Felder) sind in den letzten fünf Jahrzehnten stark angestiegen. Sie haben sich selbst in ländlichen und abgelegenen Gebieten zu einem allgegenwärtigen, kontinuierlichen, biologisch aktiven Umweltschadstoff entwickelt. Viele Arten von Flora und Fauna reagieren aufgrund einzigartiger Physiologie und Lebensräume auf exogene EMF in einer Weise empfindlich, die über die Wahrnehmungseigenschaften menschlicher Sinne weit hinausgeht. Bei allen untersuchten Tier- und Pflanzenarten wurden Auswirkungen von EMF über einen weiten Bereich von Frequenzen, Intensitäten, Wellenformen und Signaleigenschaften beobachtet. Die Datenbank

ist mittlerweile umfangreich und enthält In-vitro-, In-vivo- und Feldstudien, mit denen Extrapolationen möglich sind. In den meisten Studien wurden biologische Auswirkungen sowohl bei hoher als auch bei niedriger Intensität menschengemachter Strahlungen festgestellt, viele davon mit Auswirkungen auf die Gesundheit und Lebensfähigkeit der Wildtiere.

Organismen sind äußerst anfällig für künstliche Felder

Solche Umwelteinflüsse haben vor allem bei den Tier- und Pflanzenarten biologische Auswirkungen, die über einzigartige physiologische Mechanismen verfügen, nämlich die für ihre wichtigsten Lebensaktivitäten natürliche geomagnetische Informationen benötigen. Diese empfindliche Magnetorezeption ermöglicht es Tieren und Pflanzen, kleine Schwankungen der elektromagnetischen Felder in der Umwelt zu erkennen und darauf zu reagieren. Damit sind diese Organismen aber auch äußerst anfällig für künstliche Felder.

Zahlreiche Studien weisen darauf hin, dass die andauernden anthropogenen EMF unzählige nachteilige Auswirkungen haben können, unter anderem auf Orientierung und Wanderungsbewegungen, Nahrungssuche, Fortpflanzung, Paarung, Nest- und Höhlenbau, Territorialpflege und -verteidigung sowie auf die Vitalität, die Langlebigkeit und das Überleben selbst. Auswirkungen wurden bei Säugetieren, Vögeln, Insekten, Amphibien, Reptilien, Mikroben und vielen Pflanzenarten beobachtet. In der Laborforschung an Tiermodellen werden seit langem zyto- und genotoxische Wirkungen beobachtet, die auf Wildtiere übertragen werden können. Anthropogen erzeugte Strahlung als Stressfaktor trägt möglicherweise mehr zum Rückgang und Aussterben von Arten bei, als uns derzeit bewusst ist. Die Belastungen nehmen weiter zu, ohne dass EMF als potenzieller Auslöser und/oder Mitfaktor verstanden werden.

EMF als eine neuartige Form der Verschmutzung anerkennen

Es ist an der Zeit, EMF als eine neuartige Form der Verschmutzung anzuerkennen und bei den Regulierungsbehörden Regeln zu entwickeln, die die Luft als „Lebensraum“ ausweisen, damit EMF wie andere Schadstoffe begrenzt werden können. Es müssen Technologien entwickelt werden, um die Exposition auf einer möglichst niedrigen Stufe zu halten, Systeme so weit wie möglich verkabelt gehalten werden, um die Strahlung zu reduzieren. Soweit die äußerst bedenklichen Aussagen dieser Übersichtsstudie, die keine Interpretationen bezüglich der Auswirkungen menschengemachter Strahlung auf Flora und Fauna mehr zulässt.

  • Als Physiker bin ich schon überrascht von der Sorglosigkeit, fast schon Naivität, mit der wir Menschen uns und unsere tierischen und pflanzlichen Erdmitbewohner einer immer stärkeren Strahlenexposition aussetzen.

Ich mache mir nicht alle Forderungen des Aktionsbündnisses Freiburg 5G-frei zu eigen. Aber ich will ein Zeichen setzen gegen die unbekümmerte Strahlungsfreisetzung und werde die Vorlage ablehnen!

Rede entnommen aus Abstract und Conclusion folgender Veröffentlichung: B. Blake Levitt, Henry C. Lai und Albert M. Manville (2000): Effects of non-ionizing electromagnetic fields on flora and fauna, Part 2 impacts: how species interact with natural and man-made EMF, Aus der Zeitschrift Reviews on Environmental Health

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Am 19.07.2019 hielt Peter Hensinger, zweiter Vorsitzender von diagnose:funk, vor über 300 BesucherInnen den Vortrag "Die biologischen Wirkungen der Mobilfunkstrahlung". Eingeladen hatten die Initiative Freiburg 5G-frei und ISES (Initiative zum Schutz vor Elektrosmog Südbaden).

Artikel veröffentlicht:
13.05.2024
Autor:
diagnose:funk
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