Handystrahlung: Beim Bund fühlt sich niemand zuständig

Aus der Schweizer Konsumentenzeitschrift K-Tipp 3/2024
Viele Handys halten die gesetzlichen Grenz­werte für Strahlung nicht ein. Die Behörden unternehmen nichts dagegen. Interne Dokumente zeigen, wie der Schweizer Bund die Kontrolle der Strahlenwerte auf die lange Bank schiebt.
Ungeschützter FunkverkehrBild:Pexels, Lisa Fotios

Strahlenbelastung: Der Bund überprüft die Einhaltung der Grenzwerte nicht

Autor: Jonas Arnold

Die französische Strahlenbehörde prüft regelmäßig die Strahlung, die von Smartphones ausgeht. Deren Hersteller geben die Strahlenwerte zwar auf der Verpackung an. Unabhängige Messresultate der Behörde zeigten aber, dass darauf kein Verlass ist: Seit 2017 hielt von 594 kontrollierten Geräten fast jedes zehnte die Grenz­werte für Strahlung nicht ein. Auch ein «Saldo»-Test zeigte, dass viele Handys stärker strahlen als deklariert («Saldo» 5/2018).


Auf der Liste der Handys, die zu stark strahlen, landete letztes Jahr auch das iPhone 12 von Apple. Beim Tragen in der Hand strahlte es mit 5,74 Watt pro Kilo Körpergewicht. Laut den gesetzlichen Vorschriften sind aber nur 4 Watt pro Kilo (K-Tipp 16/2023) erlaubt. Folge: Das iPhone 12 durfte in Frankreich nicht mehr verkauft werden, bis Apple die Strahlenwerte mit einer neuen Software senkte. In der Schweiz gibt es keine Behörde, welche die Einhaltung der Strahlengrenzwerte überprüft. Darum setzte der Bund vor vier Jahren eine Arbeitsgruppe ein. Der K-Tipp verlangte gestützt auf das Öffentlichkeitsgesetz die Unterlagen dazu.

Vier Bundesämter diskutieren

Die Dokumente zeigen: Die Frage, wer die Handystrahlung kontrollieren soll, besprachen ab Juli 2020 vier Bundesämter. Der damalige Bundesrat Alain Berset entsandte Vertreter des Bundesamtes für Gesundheit. Aus dem Departement der damaligen Vorsteherin Simonetta Sommaruga kamen Vertreter der Bundes­ämter für Kommunikation und für Energie sowie des Starkstrominspektorats.

Im Januar 2021 merkte die Arbeitsgruppe an: «Im Moment ist niemand zuständig für die Marktüberwachung.» Die Bundesämter ließen sich das von Bundesjuristen bestätigen und verfassten einen ersten Entwurf eines Aussprachepapiers. Im November 2021 hielt die Arbeitsgruppe fest: «Aufgrund der fehlenden Marktüberwachung könnten Produkte auf dem Markt bereitgestellt werden, die zu stark strahlen und die Gesundheit der Benutzer gefährden.» Dieser Entwurf machte auch klar, dass keines der Bundesämter selber die Kontrolle übernehmen wollte: «Es ist schwierig, eine gemeinsame Position zu finden.»

Bundesrat will keine Kontrollbehörde

Im Juli 2022 notierte das Bundesamt für Gesundheit: «Die bestehenden Differenzen können auf Amtsebene nicht gelöst werden.» Damit ging das Dossier an Bundesrat Alain Berset. Wegen der Pandemie dauerte es nochmals mehr als ein Jahr, bis Berset dem Gesamtbundesrat einen Vorschlag machte. Er nannte dabei die französischen Behörden als Vorbild, verwies auf die Strahlenbelastung durch Handys und erwähnte die Bundesverfassung. Diese verpflichte den Bundesrat, ein «Marktüberwachungs­system» einzusetzen. Er müsse zumindest mit Stichproben prüfen, dass die Grenz­werte eingehalten werden. Dies koste pro Jahr zwischen 955'000 und 1,31 Millionen Franken.

Trotzdem empfahl Berset dem Bundesrat im November 2023, nichts zu unternehmen. Nach Rücksprache mit Umweltminister Albert Rösti habe er festgestellt, dass für Kontrollen das Geld fehle. Die Finanzverwaltung merkte laut Unterlagen kurz vor der Bundesratssitzung an, das Argument «fehlende Ressourcen» überzeuge nicht: «Der Bundesrat könnte diese Gelder priorisieren.» Dennoch beschloss er, dass weiterhin keine Behörde die Strahlung kontrolliert. Die Zürcher Nationalrätin Marionna Schlatter (Grüne) fordert in einem Vorstoß, dass der Bund eine Kontrollbehörde bestimmt. Der Bundesrat hat diese Forderung bereits abgelehnt.

So senken Sie die Strahlenbelastung

  • Halten Sie Telefonate mit dem Smartphone so kurz wie möglich.
  • Verwenden Sie beim Telefonieren Kopfhörer.
  • Telefonieren Sie nur bei gutem Empfang und nicht im Auto oder in der Bahn.
  • Wählen Sie ein Smartphone mit tiefem Strahlenwert. Geräte, die bei Kontrollen der fran­zö­sischen Strahlen­behörde die Grenzwerte überschritten, sind mit dem Begriff «Non Conforme» gekennzeichnet. Die Liste ist im Internet zu finden auf Ktipp.ch/handystrahlung.

Abdruck mit freundlicher Genehmigung der K-Tipp Redaktion

Anmerkung von diagnose:funk

Diese Enthüllung des Verbrauchermagazins k-tipp spricht Bände. Danke dafür! Mantrahaft beteuern die Behörden, die Bevölkerung sei durch die Grenzwerte geschützt. Doch wenn der begründete Verdacht besteht, dass selbst die eigentlich viel zu hohen Grenzwerte überschritten werden, schauen sie weg. Offensichtlich soll das Milliardengeschäft Mobilfunk nicht gefährdet werden. Es gilt das erste Gebot des Buches Mammon: Du sollst auf Erden - Profite nicht gefährden!

Die bestehenden Grenzwerte und der SAR-Wert schützen nur vor Erwärmung, nicht aber vor sonstigen nicht-thermischen biologischen Wirkungen der Strahlung. Auch gelten die Grenzwerte eigentlich nur für feste Anlagen, nicht für mobile Geräte. In einem umfangreichen Papier hat die ICBE-EMF (International Commission on the Biological Effects of Electromagnetic Fields) nachgewiesen, dass die Grenzwerte ohne Schutzfunktion sind. Deshalb fordert sie und der EWSA (Europäischer Wirtschafts-und Sozialausschuss) die Festlegung neuer Grenzwerte und die Ersetzung der industrienahen ICNIRP (International Commission on Non-Ionizing Radiation Protection) durch eine neutrale Organisation.

Lesen Sie dazu auch unseren >>> ÜBERBLICK Nr.3: Zeigt Mobilfunk auch nicht-thermische Wirkungen?

Publikation zum Thema

diagnose:funk
Format: A4Seitenanzahl: 36 Veröffentlicht am: 01.02.2023 Bestellnr.: 249Sprache: DeutschHerausgeber: diagnose:funk

ICBE-EMF: Die Zeit ist reif für neue Grenzwerte

Die neu gegründete Grenzwertkommission weist die Unwissenschaftlichkeit der geltenden ICNIRP-Grenzwerte für Mobilfunkstrahlung nach
Autor:
ICBE-EMF / diagnose:funk
Inhalt:
Dieser Brennpunkt publiziert die Übersetzung der Studie der internationalen Grenzwertkommission ICBE-EMF (International Commission on the Biological Effects of EMF) „Wissenschaftliche Erkenntnisse entkräften gesundheitliche Annahmen, die den FCC (Federal Communication Commission, USA) und ICNIRP-Grenzwertbestimmungen für Hochfrequenzstrahlung zugrunde liegen: Folgen für 5G“ (2022). Darin fordert die ICBE-EMF die Rücknahme und Neufestlegung der Grenzwerte für die Exposition gegenüber hochfrequenter Funkstrahlung (HF). Die Rücknahme der Grenzwerte ist notwendig, denn ihre Festlegung beruht auf falschen Annahmen. Das Ziel neuer Grenzwerte wäre die Festlegung von Standards zum Gesundheitsschutz für Arbeitnehmer, die Öffentlichkeit und die Natur.
Überarbeitet Januar 2021Format: DIN langSeitenanzahl: 6 Veröffentlicht am: 20.01.2021 Bestellnr.: 312Sprache: DeutschHerausgeber: diagnose:funk

Mach mal Pause

Smartphones & Co strahlungsarm nutzen
Autor:
diagnose:funk
Inhalt:
Durch die zunehmende Verfügbarkeit von internetfähigen digitalen Medien wie Smartphones, Tablets usw., gibt es eine steigende Zahl von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen die psychisch und physisch darunter leiden. Reduzieren Sie Strahlungsbelastung durch einfache Massnahmen. Hier finden Sie die Tipps wichtigsten dazu.
Format: A4Seitenanzahl: 46 Veröffentlicht am: 26.03.2021 Bestellnr.: 243Sprache: DeutschHerausgeber: diagnose:funk

Die Butler-Recherchen enthüllen den Einfluss der Mobilfunkindustrie auf die weltweite Strahlenschutzpolitik

Lobbysystem ICNIRP und Bundesamt für Strahlenschutz - Teil I
Autor:
Tom Butler
Inhalt:
Die Strahlenschutzpolitik national und international wird dominiert von den Richtlinien und Forschungsinterpretationen der ICNIRP (International Commission on Non​-Ionizing Radiation Protection), die ihren Sitz im Bundesamt für Strahlenschutz hat. Prof. Tom Butler (Irland) analysiert ihre Geburt und Geschichte als verlängerter Arm der Industrie.
April 2021Format: DIN A4Seitenanzahl: 16 Veröffentlicht am: 22.04.2021 Bestellnr.: 244Sprache: DeutschHerausgeber: diagnose:funk

Grenzwerte, die von der Lobbyorganisation ICNIRP mit Sitz im Bundesamt für Strahlenschutz empfohlen werden, schützen nicht

Analyse zur Lobbypolitik der Mobilfunkindustrie in der Schweiz und international
Autor:
Lennart Hardell / Michael Carlberg
Inhalt:
Hardell/Carlberg analysieren, warum die Gesundheitsrisiken der Hochfrequenzstrahlung des Mobilfunks und der 5G-Technologie in einem Bericht einer Expertengruppe der Schweizer Regierung und in einer kürzlich erschienenen Veröffentlichung der Internationalen Kommission zum Schutz vor nicht-ionisierender Strahlung (ICNIRP) ignoriert werden. Es sind Interessenkonflikte und Verbindungen zur Industrie, die zu den voreingenommenen Berichten beigetragen haben. Hardell / Carlberg analysieren dieses Kartell von Einzelpersonen, die die Bewertungsausschüsse monopolisieren, industriefreundliche Grenzwerte festlegen und das Null-Risiko-Paradigma stärken.
Format: A4Seitenanzahl: 6 Veröffentlicht am: 01.12.2011 Bestellnr.: 212Sprache: Deutsch

Warum Mobilfunk-Grenzwerte und die SAR-Werte für Handys nicht schützen

2011
Inhalt:
In der Diskussion um die Gesundheitsschädlichkeit der nichtionisierenden Strahlung des Mobilfunks begründen Industrie und Behörden ihre Politik mit zwei Hauptargumenten: 1. Das Deutsche Mobilfunkforschungsprogramm hat alle offenen Fragen geklärt. 2. Solange die Grenzwerte eingehalten werden, bestehen keine Gesundheitsgefahren. In Deutschland regelt die 26.BImSchV (Bundesimmissionsschutz Verordnung) die Grenzwerte für die Mobilfunkstrahlung. Immer, wenn Bürger:innen gegen Immissionen von Mobilfunkmasten protestieren, die Einrichtung von WLAN-HotSpots wegen der Strahlenbelastung kritisieren, auf die Gefährdung des Gehirns durch die Handystrahlung hinweisen, kontern die Behörden mit einem Argument: Die Grenzwerte werden eingehalten, ja weit unterschritten. Doch welche medizinische Aussagekraft haben die Grenzwerte?
Format: A4Seitenanzahl: 16 Veröffentlicht am: 08.02.2017 Bestellnr.: 233Sprache: DeutschHerausgeber: diagnose:funk

Studie weist nach, wie Grenzwerte scheinwissenschaftlich legitimiert werden

Mobilfunk-Grenzwerte entzaubert
Autor:
Sarah J. Starkey / diagnose:funk
Inhalt:
Der neue diagnose:funk 'Brennpunkt' behandelt die Studie "Fehlerhafte offizielle Bewertung der Sicherheit von Funkstrahlung durch die Beratergruppe für nicht-ionisierende Strahlung" (2016) von S. J. Starkey und liegt in deutscher Übersetzung vor. Die Studie zeigt am Beispiel des AGNIR-Berichtes (Advisory Group On Non-ionising Radiation, Großbritannien), mit welchen Methoden eine Rechtfertigung der Grenzwerte zusammengezimmert und manipuliert wird. Ergänzung: Die Beratergruppe AGNIR wurde im Mai 2017 aufgelöst. In England gab es so gut wie keine Berichterstattung darüber. Am 17.10.2018 hat das Investigativ-Portal http://truepublica.org.uk diese heimliche Abwicklung aufgedeckt. Siehe unten stehende Links zum englischen Artikel und zur Online-Übersetzung.
Artikel veröffentlicht:
12.05.2024
Autor:
Jonas Arnold / K-Tipp
Ja, ich möchte etwas spenden!