Jubiläum: 20 Jahre diagnose:funk Schweiz

Interview mit dem Vorsitzenden Niggi Polt
Diagnose:funk Schweiz feierte auf der Mitgliederversammlung am 27.4.2024 in Basel das 20-jährige Bestehen. Mit dem alten und neuen Vorsitzenden Niggi Polt führte Peter Hensinger, der als Gast an der Versammlung war, ein Interview für unser Magazin Kompakt über die Geschichte von diagnose:funk Schweiz, was im Rückblick wichtig war und welche Themen in nächster Zukunft schwerpunktmässig thematisiert werden sollen.
Niggi Polt und Peter Hensingerdiagnose:funk

Kompakt: Niggi, zuerst einmal Gratulation zu Eurem Zwanzigjährigen. Als mobilfunkkritische Bürgerinitiativen in Deutschland 2008 planten, einen bundesweiten Verein zu gründen, orientierten wir uns an Euch, einfach weil alles bei Euch fundiert und wissenschaftlich war.

Niggi Polt: Ja, unser Gründer war Lothar Geppert, ein Wissenschaftler, der für die NASA gearbeitet hatte. Er war ein Strahlungsexperte. «Die Wohnung, in der alle krank wurden», so lautete sein Artikel in der Aargauer Zeitung vom 30.03.2004. Das Ziel dieses Aufrufs war eine Unterschriftensammlung zur Verhinderung eines Antennen­projekts von Orange in Bremgarten, nachdem das erste von Swisscom verhindert werden konnte. Die Basis für sein Engagement war der Umstand, dass er erkrankte, als er 1998 nach Zürich in eine WG-Dachwohnung zog. Chronische Schmerzen quälten ihn. Zudem litt er an Schlafstörungen und Kopfschmerzen. Alle ärztlichen Hilfsversuche und Therapien halfen nichts. Lothar Geppert bemerkte, dass auch die anderen WG-Bewohner stets kränkelten, und er realisierte, dass es allen wieder besser ging, sobald sie aus der WG auszogen. Da diese Umstände offensichtlich nicht zufällig sein konnten, suchte er als ehemaliger NASA-Forscher nach Ursachen und fand heraus, dass sich ihre Wohnung im Hauptstrahl von 4 Antennen befand, welche zwei Häuser entfernt installiert waren! Nach dem Umzug ging es Lothar Geppert bedeutend besser. Dies gab ihm den Anstoß, die erkannte Problematik elektromagnetischer Felder im politischen Umfeld zu thematisieren. Er fand Gleichgesinnte und gründete mit ihnen am 9.März 2004 den Verein diagnose:funk.

Kompakt: Wann bist Du dazugestoßen? Und was war der Grund?

Niggi Polt: 2007 wurden in meiner Wohnumgebung in Basel vom damaligen Anbieter Tele2 eine GSM-Mobilfunkanlage geplant. Quartierbewohner machten mich darauf aufmerksam, was mich bewog, technische und gesundheitliche Hintergrundinformationen einzuholen. Nach erfolgreichem „Antennenkampf“ wurden jedoch im Quartier weitere Antennen geplant und auch gebaut. Dies war für uns 2009 die Grundlage zur Gründung der Interessensgemeinschaft IG Mobilfunk-Dialog, für welche ich eine Webseite einrichtete. Im Rahmen dieser Tätigkeit hatte ich über Uwe Dinger Kontakt zum Verein Diagnose-Funk. Als 2010 die Basler Initiative "gegen den Mobilfunkantennen-Wildwuchs" vom Stimmvolk abgelehnt wurde, war mir klar, dass sich mein Engagement primär auf die Aufklärung der Bevölkerung und nur sekundär dem Kampf gegen einzelne Antennen zu richten hat. Und bezüglich Informationen über diese unsichtbaren Immissionen, welche weder gerochen noch gespürt werden, fand ich im Verein Diagnose-Funk das passende Umfeld.

diagnose:funk

Wir brauchen weiter einen langen Atem

 

Kompakt: Nüchtern betrachtet, in diesen 20 Jahren verbreitete sich die Technologie rasant, was war der Grund, dass ihr so lange durchgehalten habt?

Niggi Polt: Lothar Geppert legte die Grundlage für eine stets wissenschaftlich fundierte Argumentationspraxis, was für mich sehr entscheidend war und immer noch ist. Für die erwähnte Aufklärung der Bevölkerung über gesundheitsschädliche Auswirkungen der Mobilfunkstrahlung sind reine Gefühlsäußerungen kontraproduktiv, da Umstände, welche man nicht sieht und fühlt, nur mit klaren Facts glaubhaft zu begründen sind. Aber es ist natürlich klar, dass die Aufklärungsarbeit in einem Bereich, welche z.Z. in weiten Kreisen eine übersteigerte Begeisterungswelle bis hin zur totalen Abhängigkeit bewirkt, nicht kurzfristig zu vermitteln ist. Momentan beobachten wir einen Gesinnungswandel in der Bevölkerung, welcher uns motiviert. Personen, welche stundenlang mit dem Handy am Ohr telefonieren, sind bereits eher selten. Die Leute sind sich öfter bewusst, dass der Abstand zu diesen Geräten wichtig ist. Und der Anblick einer Antenne aus dem Schlafzimmer bewirkt bei den Betroffenen immer öfter eine Art Aufwachprozess, welcher dazu führt, mit uns oder andern Kennern der Mobillfunkproblematik Kontakt aufzunehmen. Wenn man solches beobachtet, bekommt man einen langen Atem. Denn dass trotz der Gesundheitsgefahren rücksichtslos ausgebaut wird, macht unsere Aufklärungsarbeit immer wichtiger.

Die Themen und Aufgaben gehen nicht aus

Kompakt: Die Digitalisierung betrifft ja inzwischen ausnahmslos alle Gesellschaftsbereiche, und in der Folge nimmt auch die Strahlenbelastung zu. Zu welchen Schwerpunkten wird diagnose:funk Schweiz in nächster Zeit arbeiten?

Niggi Polt: Ja, die Schwerpunkte unserer Tätigkeit haben sich multipliziert. Neben dem primären Vereinsfokus zur Aufklärung und Information über die Wirkungen der EMF, sind neue Wirkungsfelder wichtig geworden. Während man sich ursprünglich nur auf die menschliche Gesundheit bezog, treten nun die Wirkungen auf Tiere und Pflanzen immer mehr in den Vordergrund.

Ein weiterer Schwerpunkt ist die Beratung junger Eltern. Heute ist die Erziehung von Kindern hin zu einem persönlichkeitsbildenden Umgang mit elektronischen Medien eine riesige Herausforderung. Da sind gut erklärende Hinweise äusserst hilfreich. Und leider sind ja nicht nur Kinder von diesbezüglichen Suchtneigungen betroffen. Auch das Suchtverhalten und das „Detoxing“ von Erwachsenen bleibt ein Thema.

Ferner sind Informationen über Elektro-Hypersensibilität (EHS) sehr wichtig. Diese Thematik wird im Gesundheitsbereich noch weitgehend verdrängt und die Aufklärung hierzu ist sehr bedeutungsvoll, damit dereinst eine individuelle medizinische Betreuung möglich wird und die Betroffenen nicht mehr als „psychisch Kranke“ schubladisiert werden.

Zudem gibt es noch die Problematik „Big Data“, welche sicher zunehmend thematisiert werden sollte. Die „Smart Cities“ mit dem Internet der Dinge (IoT) werden von der Industrie als „Gewinn der Menschheit“ angepriesen, während spezialisierte Firmen wie ehemals Cambridge Analytica personenbezogene Daten auswerten, um letztendlich die mögliche Beeinflussbarkeit jeder Person wissenschaftlich auszuwerten. Ein Grossteil der Bevölkerung hinterlässt z.Z. noch absolut naiv umfangreichste Datenspuren, in der Meinung „ich habe doch nichts zu verbergen“. Wie wertvoll diese Daten für mögliche politische Einflussnahmen oder auch für die Beeinflussung des Konsumverhaltens weiter Bevölkerungskreise sind, ist heute noch zu wenig bekannt.

Teilnehmer der Mitgiederversammlung feiern 20 Jahre Diagnose-Funk Schweizdiagnose:funk

 

5G - Ausbau: Die Kritik ist nicht verstummt

Kompakt: Habt ihr Erfolge gehabt?

Niggi Polt: Wie bemisst man den Erfolg einer guten Vereinstätigkeit? Ohne uns und ähnlich gelagerten Vereinen wüsste die Bevölkerung wenig über die Risiken. Dank unserer Hartnäckigkeit müssen Gesetzesänderungen, technologische Entwicklungen und deren Alternativen auf Bundesebene diskutiert werden. Dadurch entsteht erst eine demokratische Diskussion.

Als klare Erfolge betrachten wir das generelle Interesse an unseren Flyern und unserer Literatur sowie die Anfrage von Redaktoren, Politikern und interessierten Personen zu Detailfragen. Die Webseite www.emfdata.org liefert dazu eine hochgeschätzte Basis.

Zudem gibt es neuerdings auf Bundesebene eine Austauschplattform des Bundesamtes für Umwelt (BAFU), in der unser Verein vertreten ist. Es geht dabei um die Diskussionen über neue Technologien, Anpassung von Grenzwerten, etc. mit Einbezug der Industrie, Politik und Umweltverbände.

Ferner hat das BAFU die Fachstelle MedNIS (medizinisches Beratungsnetz für nichtionisierende Strahlung) eröffnet, mit dem Ziel, Erkenntnisse über die Elektro-Hypersensibilität (EHS) betroffener Personen zu  analysieren, um auf Bundesebene entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Das ist ein grosser Schritt in die richtige Richtung! Unser Verein hat sich in diesem Bereich sehr engagiert und bleibt auch in Zukunft in beratender Tuchfühlung.

Kompakt: 2019 bis 2020 gab es in der Schweiz eine große Protestbewegung gegen 5G. Warum gibt es sie in der Sichtbarkeit nicht mehr? 

Niggi Polt: Die Protestbewegung gegen 5G gibt es immer noch, wenn auch nicht mehr mit großen Demonstrationen vor dem Bundeshaus in Bern. Wir versuchen vermehrt Politiker direkt zu informieren, indem wir beispielsweise unser Kompakt.ch-Magazin an alle National- und Ständeräte senden. Es ist auch klar, dass die „Antennenkampf-Aktivisten“, aufgrund der übermächtigen Mobilfunkindustrie, welche politisch bis in die Judikative eine grosse Einflussnahme ausübt, oft hohe finanzielle Verluste erleiden und nur selten erfolgreich sind.

Ferner ist das politische Umfeld immer noch auf ein Mobilfunk-Industriewachstum fokussiert. Gemäss unserer Analyse sind etwa drei Viertel der Politiker der Meinung, dass der schnellstmögliche Ausbau der Mobilfunkindustrie zu fördern sei. Entsprechend bleibt es unsere Aufgabe zu beweisen, wo dabei Gesundheits- und Bevölkerungsschutz ins Hintertreffen geraten. Wir müssen versuchen, die Politiker darauf aufmerksam zu machen, dass sie dazu neigen, wirtschaftliche Interessen über die Volksgesundheit und über bewährte und anerkannte juristische Grundlagen zu setzen.

Immer noch ist die mobilfunkkritische Sichtweise auch politisch in der Minderheit, was die euphorisch aufgegleisten Initiativen wie „SaferPhone“ und „Für einen gesundheitsverträglichen und stromsparenden Mobilfunk“ zum Absturz brachte. Das politische Umfeld ist dazu schlichtweg noch nicht reif. Und auch mit Panikmache und Weltuntergangsstimmung, aber auch mit sektiererischem Gehabe lässt sich das nicht ändern!

Als Beispiel für den bevorstehenden Zeitbedarf möchte ich erwähnen, dass noch vor ca. 30 bis 40 Jahren eine Initiative für eine verkehrsfreie Innerstadt komplett chancenlos gewesen wäre, was aus heutiger Sicht fast nicht mehr nachvollziehbar ist.

Kompakt: Was habt ihr in Zukunft vor?

Niggi Polt: Während den letzten Jahren konnten wir den Vereinsvorstand mit motivierten, hochqualifizierten und erfahrenen Persönlichkeiten erweitern. Dies erlaubte uns u.a. die Umstrukturierung des Webseitenzugangs. Es ist nun möglich, über www.diagnose-funk.ch direkt auf das von uns verwaltete Umfeld zuzugreifen, während die Seite www.diagnose-funk.org die umfangreichen Hinweise mit dem Fokus auf Deutschland und die EU wiedergibt. Das Ganze funktioniert sehr gut, ist aber immer noch in der Projektphase.

Ferner möchten wir den Kontakt zu Medien, Ärzten, Politikern und ev. dereinst auch zu den Gemeindeverwaltungen, nahmhaft ausbauen. Da ist natürlich das neue «Kompakt.ch» Magazin, welches vorwiegend Beiträge mit Bezug auf schweizerische Begebenheiten beinhalten, eine wichtige Grundlage, an deren Gestaltung wir immer noch intensiv arbeiten.

Und selbstverständlich bleiben die Unterstützung der neuen, bereits erwähnten Fachstelle MedNIS und die Mitwirkung in der neuen Austauschplattform des Bundesamtes für Umwelt (BAFU) in naher Zukunft wichtige Themen.

Unsere Vereinsarbeit wird durch ein ehrenamtlich arbeitendes, starkes Team erledigt. Und da kommen natürlich teilweise gute Ideen, aufgrund personeller oder finanzieller Ressourcenknappheit, nur Schritt für Schritt voran. Aber in vielen Bereichen profitieren wir sehr von eurer professionellen Arbeit  in Deutschland! Insbesondere die Webseiten emfdata.org, diagnose-media.org, diagnose-ehs.org und jetzt insekten-schuetzen.info, eure Webinare auf dem YouTube Kanal sowie der Web-Shop bilden für uns eine solide Basis. Vielen Dank auch für die Aktivitäten, wie neulich die Förderung und Verbreitung der BEEFI-Studie!

Kompakt: Lieber Niggi, danke für das Interview und wir wünschen Euch einen guten Start mit dem neuen Vorstand.

Das Interview führte Peter Hensinger

 

 

diagnose:funk

Grußwort von diagnose:funk Deutschland zu 20 Jahre Diagnose-Funk Schweiz

Liebe Freundinnen und Freunde von diagnose:funk Schweiz,

als allererstes möchten ich Euch im Namen des diagnose:funk Vorstandes Deutschland zu euerem 20-jährigem Bestehen gratulieren. Vor 20 Jahren seit ihr im Antennenkampf angetreten gegen eine übermächtige Industrie mit einer einflussreichen Lobby in der Politik, um die Bevölkerung über die Risiken der Mobilfunkstrahlung aufzuklären. Lothar Geppert legte damals die Grundlage auch mit dem Leitfaden, dass wir immer wissenschaftlich arbeiten müssen, vor allem beim Nachweis, dass die Strahlung gesundheitsschädlich ist. Und wenn man das begreift, dann bekommt man einen langen Atem. Denn dass trotz der Gesundheitsgefahren die Mobilfunkinfrastruktur rücksichtslos ausgebaut wird, macht unsere Aufklärungsarbeit eigentlich immer wichtiger.

Wie bemisst man den Erfolg einer guten Bürgerbewegung?  Ohne euch  wüsste die Bevölkerung in der Schweiz nichts von den Risiken. Durch unsere Hartnäckigkeit müssen Alternativen diskutiert werden. Dadurch entsteht erst eine demokratische Diskussion, das ist ein Erfolg. Aber es gibt bis heute ganz handfeste Erfolge, wie z.B. die Verhinderung von vielen schädlichen Antennenstandorten oder jetzt die Meldestelle für Elektrohypersensible MedNIS.

5 Jahre nach euch hat sich diagnose:funk Deutschland gegründet. Wir orientierten uns an euch, weil diagnose:funk Schweiz für uns die einzig wirklich fundiert wissenschaftsorientierte Organisation war. Seither haben wir unsere Arbeit vielseitig ausgebaut, mit Studienaufarbeitungen, Internetseiten, haben Schriften und Filme herausgebracht. Wir haben uns zusammen stetig weiterentwickelt. Das liegt nicht zuletzt daran, dass wir von Anfang an immer abgesprochen haben, dass wir uns mit Trittbrettfahrern aus alarmistischen und esoterischen Sekten, Rechtspopulisten und Geschäftemachern nicht einlassen.

Vor 20 Jahren hätten wir nicht gedacht, dass die Digitalisierung und der Mobilfunk die Gesellschaft so grundlegend verändern und auch die Menschen mit, man denke nur an die Abhängigkeit vom Smartphone, die neuen Überwachungsmöglichkeiten, der Rohstoff – und Energieverbrauch für die Milliarden digitaler Geräte  und die zerstörerischen Auswirkungen der Strahlung auf die Umwelt. Unser Arbeitsfeld hat sich erweitert. Hier müssen wir gute Analysen haben, um Schwerpunkte festzulegen, für den Gesundheitsschutz und die Entwicklung des Widerstandes. Dass diese Mitgliederversammlung dafür ein guter nächster Schritt sein wird, dafür wünsche ich Euch viel Erfolg.

Im Namen des Vorstandes

Peter Hensinger

Artikel veröffentlicht:
01.05.2024
Autor:
diagnose:funk
Ja, ich möchte etwas spenden!