Digitalpakt 2 und KI als Irrwege der Bildungspolitik
Andere Verbände der Lehrkräfte fordern Geld für einen „Digitalpakt 2“ statt einen am lernenden Menschen ausgerichteten „Bildungspakt“ zu fordern. Sie diskutieren landauf, landab über den „alternativlosen“ Einsatz von „Künstlicher Intelligenz“ an Schulen anstatt zu realisieren, dass hier eine über 70 Jahre alte Technik (siehe Norbert Wieners Cybernetics von 1948) wieder einmal, jetzt als generative KI, promotet wird. Tools wie ChatGPT und Co, sind Geschäftsmodelle aus dem Silicon Valley, die mittel-, womöglich sogar kurzfristig zur Selbstentmündigung durch die Delegation des Denkens an Maschinen der automatisierten Datenverarbeitung führen. Dabei ist KI per se rückwärtsgewandt, weil aus alten Datenbeständen keine Prognosen für die Zukunft berechnet werden können. Zur Selbstentmündigung und dem Glauben an eine vermeintliche, nur simulierte Intelligenz () kommt der Rück- statt Fortschritt.
- „KI ist ein inhärent konservatives Instrument. Da geht es nicht um links oder rechts, sondern der Kern von KI ist: Sie lernt aus alten Daten und schreibt sie in die Zukunft fort.“ (Judith Simon, Hamburg und Mitglied im Deutschen Ethikrat, zit. nach Brühl, 2024).
Dazu kommt, dass diese KI-Tools Black Boxes sind. Die eingesetzten Algorithmen ergänzen sich automatisiert und ohne Kontrolle durch Menschen (machine learning), die Datenbasis wird nicht geprüft (KI als Datenstaubsauger, ohne Qualitätskontrolle) und ändert sich ständig. Nicht einmal die Experten wissen noch, warum eine KI zu den jeweiligen Ergebnissen kommt. Aber Schule und Unterricht. Lernen und Bildung sind ohne KI nicht mehr denkbar? Generative KI ist das nächste Sozialexperiment, die Nutzerinnen und Nutzer einmal mehr Versuchskaninchen, diesmal nicht nur Schülerinnen und Schüler und auch nicht nur Bildungseinrichtungen, sondern alle sozialen Gemeinschaften (Arbeit, Bildung Gesundheit, Kommunikation...).
„Die Definition von Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten“ wird als Zitat Albert Einstein zugeschrieben und beschreibt den irrigen Glauben an digitale Lösungen, wo nur Menschen durch Diskurs und Reflexion verantwortungsvolle Entscheidungen treffen können. Darum fordern amerikanische Wissenschaftler ein Moratorium zu KI. Darum fordern deutsche Wissenschaftler ein Moratorium zum Einsatz von IT und KI in Schulen. Es gibt keinerlei Notwendigkeit, sich selbst zum „Versuchskaninchen in einem digitalen Experiment“ zumachen.
- Es war und ist unverantwortlich, Kinder und Jugendliche zu „Versuchskaninchen in digitalen Experimenten“ zu machen.
IT und KI müssen durch den Menschen steuerbar sein, nicht der Mensch durch IT- und KI-Systeme.
- „Man darf dem Computerwesen nicht begegnen wie ein Idiot, der sich beschwatzen lässt, in ein neuartiges Flugzeug zu steigen, von dem selbst der Pilot nicht kapiert, wie es funktioniert, nur weil es schnell ist“ (Tony Hoare, zit. nach Dath, 2024, 9).
Quellen und Links
Seite des dänischen Ministeriums:
Anbefalinger om skærmbrug klar til grundskoler og fritidstilbud / https://www.uvm.dk/aktuelt/nyheder/uvm/2024/feb/240205anbefalinger-om-skaermbrug-klar-til-grundskoler-og-fritidstilbud
Übersetzung (dt.): Dänemark: Empfehlungen zur Bildschirmnutzung für Grundschulen und außerschulische Programme
https://die-päagogische-wende.de/empfehlungen-zur-bildschirmnutzung-fuer-grundschulen-und-ausserschulische-programme/
1) Mattias Tesfaye entschuldigt sich bei einer Generation von digitalen Versuchskaninchen.
Wir haben eine Generation von Kindern und Jugendlichen im Stich gelassen, indem wir ihnen die Möglichkeit genommen haben, in eine naive Begeisterung für Technologie einzutauchen, sagt der Minister für Kinder und Bildung. https://politiken.dk/danmark/art9660085/Mattias-Tesfaye-siger-undskyld-til-en-generation-af-digitale-fors%C3%B8gskaniner
2) Nach einem Jahr intensiver Debatte: Die Regierung legt neue "restriktive" Empfehlungen für Bildschirme in Schulen und Horten vor.
Wir müssen die Schulen im Kampf um die Aufmerksamkeit gegen die Tech-Giganten verteidigen, sagt die Ministerin für Kinder und Bildung über die neuen Empfehlungen für Bildschirme in Grund- und Sekundarschulen und Horten. https://politiken.dk/danmark/art9739699/Regeringen-freml%C3%A6gger-nye-%C2%BBrestriktive%C2%AB-anbefalinger-om-sk%C3%A6rme-i-skoler-og-sfoer (5.2.2024)
3) Karolinska-Institut (Schweden): Stellungnahme zur nationalen Digitalisierungsstrategie in der Bildung von Redaktion. Die schwedische Regierung machte ihre Entscheidung, Vorschulen verpflichtend mit digitalen Geräten auszustatten, rückgängig. Die neue Position fußt wesentlich auf der (hier in Schwedisch und Deutsch zur Verfügung gestellten) Stellungnahme des Karolinska Instituts. Von Peter Hensinger und Ralf Lankau. https://die-pädagogische-wende.de/karolinska-institut-schweden-stellungnahme-zur-nationalen-digitalisierungsstrategie-in-der-bildung/
4) UNESCO-Bericht zu IT in Schulen fordert mehr Bildungsgerechtigkeit.
Die UNESCO hat den Einsatz von Digitaltechnik in Schulen weltweit untersucht und die Ergebnisse mit dem Bericht „2023 Global Education Monitor“ vorgelegt. Der Untertitel „Technologie in der Bildung: Ein Werkzeug zu wessen Nutzen?“ verdeutlicht die Fragestellung. Das Ergebnis: Bei den aktuellen IT-Konzepte für Bildungseinrichtungen stehen nicht das Lernen und der pädagogische Nutzen im Mittelpunkt, sondern wirtschaftliche Interessen der IT-Anbieter und Aspekte der Datenökonomie. Das Ziel des Berichts ist, den Einsatz von Informationstechnik an den Bedürfnissen und zum Nutzen von Lernenden auszurichten statt an Partikularinteressen der IT-Wirtschaft und einzelner Medienanbieter. https://die-pädagogische-wende.de/unesco-bericht-zu-it-in-schulen-fordert-mehr-bildungsgerechtigkeit/
5) Sammelklage wegen Gesundheitsschäden bei Jugendlichen gegen Meta (Facebook)
Das Unternehmen Meta (vormals Facebook) nutze mächtige und beispiellose Technologien, um Kinder und Jugendliche auf die eigenen Seiten und in die Falle zu locken, um dadurch Gewinne zu erzielen, heißt es in einer Klageschrift, mit der mehr als 40 US-Bundesstaaten den Facebook-Konzern wegen Gesundheitsgefährdung von Kindern und Jugendlichen verklagen. Die Bundesstaaten werfen dem Konzern vor, seine Onlinedienste „auf manipulative Weise so zu gestalten, dass Kinder abhängig werden und zugleich an Selbstwertgefühl verlieren“. https://die-pädagogische-wende.de/sammelklage-wegen-gesundheitsschaeden-bei-jugendlichen-gegen-meta-facebook/
6) Pressemeldung VBE – Verband Bildung und Erziehung Baden-Württemberg vom 5.2.2024: „Wir brauchen jetzt einen Digitalpakt 2.0“; In der Pressemitteilung vom 5. Februar 2024 heißt es dazu: „Die Schulen haben einen gewaltigen Schritt nach vorne gemacht [signifikanter Anstieg von Schulen, an denen teilweise Klassensätze an Laptops, Tablets oder Smartphones vorhanden sind; Stand 2020: 30 Prozent, Stand 2023: 80 Prozent; rl]. Das ist erfreulich. So gut die Zahlen auch sind, mehr Endgeräte bedeuten mehr Zeit für die Bereitstellung und für die Wartung. Diese Administrationstätigkeit und die Netzwerkbetreuung an Schulen sind in den vergangenen Jahren so aufwändig und so komplex geworden, dass die Kolleginnen und Kollegen, die sich darum kümmern, deutlicher als bisher entlastet werden müssen.“ (VBE-Landesvorsitzender Gerhard Brand); https://www.vbe-bw.de/meldung/forsa-studie-digitalisierung/)
7) Forsa-Bericht: Die Schule aus Sicht der Schulleiterinnen und Schulleiter. Digitalisierung und digitale Ausstattung. Ergebnisse einer bundesweiten Repräsentativbefragung. Auswertung Baden-Württemberg; https://www.vbe-bw.de/wp-content/uploads/2024/02/43240_f23.0321_text_BaWue_Digitalisierung.pdf
Literatur und Quellen
Brühl, Jannis (2024): KI ist bald überall. Die Philosophin Judith Simon erklärt, warum künstliche Intelligenz hochpolitisch ist, in: SZ vom 7.2.24, S. 15
Dath, Dietmar (2024): Perfekter Programmprüfer, in: FAZ vom 11.1.2024, S. 9
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Vortrag von Prof. Ralf Lankau im diagnose:funk Webinar