Grenzwerterhöhung in Italien: Meloni - Regierung bedient Industrie

Interview mit Dr. Francesco Imbesi von der Verbraucherzentrale Südtirol
Gegen die Pläne der italienischen Regierung, die Grenzwerte zu erhöhen, gab es einen breiten Protest. Über den Ausgang der Auseinandersetzung interviewten wir Dr. Francesco Imbesi von der Verbraucherzentrale Südtirol.
Dr. Francesco Imbesi, Verbraucherzentrale Südtirol, Bild:Privat

Im August 2023 interviewten wir Dr. Francesco Imbesi zum Protest gegen die geplante Grenzwerterhöhung in Italien: "Italien: Erneuter Anlauf der Regierung zur Grenzwerterhöhung nach Protesten ausgesetzt. 52 Wissenschaftler forderten Rücknahme der Gesetzesvorlage." Die Regierung handelte jedoch nach den Interessen der Industrie. Dazu befragten wir im Januar Dr. Imbesi.

 

 

 

Herr Dr. Imbesi, wir lasen in der Presse, dass das Parlament und die Regierung Meloni die Grenzwerte trotz vieler Einwände erhöhte! Was ist abgelaufen? Wie hoch waren die Grenzwerte vorher, wie sind sie jetzt?

Dr. FRANCESCO IMBESI: Der Widerstand beinhaltete und verteidigte zwei Grundpfeiler der 2003 wissenschaftlich begründeten Regelung der Grenzwerte in Italien: einmal die Höhe der zugelassenen Höchstwerte bei Anlagen, die die Bevölkerung länger als 4 Stunden ununterbrochen am Tag bestrahlen, bisher mit 6V/m festgelegt.  Und dann die Art und Weise, wie diese Immission zu berechnen ist – nämlich das Heranziehen eines auf 6 Minuten gemittelten Wertes. Dieses letzte Element war bereits 2012 gesetzlich angepasst worden, indem die Mittelung der gemessenen Spitzenleistung nicht mehr auf ein Intervall von 6 Minuten, sondern auf 24 Stunden bezogen wurde. Die beherzigten Interventionen von Bürgervereinigungen und unabhängigen Wissenschaftlern galt der Beibehaltung der 6V/m und der Rückkehr auf die ursprüngliche Mittelung auf 6 Minuten.

Die nun verabschiedete Neuregelung setzt den Grenzwert auf 15 V/m (bzw. auf  0,59 W/m²) bei einer Mittelung auf 24 Stunden. Diese Regelung tritt 120 Tage nach Veröffentlichung des Gesetzes in Kraft, d.h. am 1. Mai 2024. Bis dahin können über die Konferenz des Staates mit den Vertetern der Regionen und Autonomen Provinzen Abänderungen festgelegt werden, ggf. auch nach oben. Das Gesetz steht allerdings klar, dass im Falle einer Uneinigkeit im Rahmen der Konferenz der neue Grenzwert von 15 V/m definitiv in Kraft tritt.    

Welche Kräfte und Allianzen haben sich durchgesetzt, wie geschah die Erhöhung und mit welchen Tricks wurde sie durchgesetzt?

Dr. FRANCESCO IMBESI: Die Akteure des organisierten Widerstands nennen ausdrücklich die Vereinigung der Kommunikationsunternehmen als Drahtzieher, und zwar durch die vorgebrachte Argumentation, die italienischen Grenzwerte auf das mittlere Niveau der Europäischen Union anzupassen und gleichzeitig den Strahlenschutz zu gewähren! Im Gesetz selbst werden als Ziele der scheinbar notwendigen Anpassung die Verbreitung und Verstärkung des Mobilfunknetzes und das Angebot von qualitativ hochwertigen Dienstleistungen genannt.  Die verheimlichten Ziele dieser Maßnahme kennen wir allerdings nur dank der Arbeit von unabhängigen Organisationen wie Diagnose Funk. So wird das Netz für Entertainment-Dienste wie Videostreaming, die zu 80% der Nutzung ausmachen, verstärkt.   

Wie wollen die mobilfunkkritischen Organsationen jetzt darauf reagieren?

Dr. FRANCESCO IMBESI: Die mobilfunkkritischen Organisationen versuchen nun, über die Presse auf die fadenscheinige Argumentation der Anbieter und auf die wissenschaftliche Literatur hinzuweisen. Es werden auch industrieinterne Dokumente bekannt gemacht, wo die Industrie den Bedarf an neuen Antennen bei Beibehaltung der bisher geltenden Grenzwerte mit 27.900 Anlagen italienweit berechnet hat. Diese hätten bei Implementierung des 5G-Netzes zusätzliche 4 Mrd. Euro an Kosten verursacht, die sich nun die Anbieter ersparen können.

Die Verbraucherzentrale Südtirol zielt in Zusammenarbeit mit dem Netzwerk der Bürgerwelle darauf, die lokale Politik durch Bereitstellung von Information zu sensibilisieren. Auch können die Bürger durch Musterbriefe den Bürgermeister ihrer Gemeinde anschreiben und ihn zur Beteiligung an besagter Konferenz zwischen Staat und territorialen Verwaltungen animieren, damit der Ruf aus der Konferenz hin zu einer Beibehaltung der ursprünglichen Grenzwerte hervorgeht.

Vielen Dank für dieses Interview, bleiben Sie am Ball!

Das Interview führte Peter Hensinger, diagnose:funk Vorstand.

Prof. James C. Lin, Bild privat

„Die ICNIRP-Grenzwerte haben keine Schutzfunktion“

Prof. James C. Lin fordert neue Grenzwerte & neue Eingruppierung der Strahlung in krebserregend

Die deutsche Mobilfunkpolitik wird mit den auf den ICNIRP-Richtlinien basierenden Grenzwerten legitimiert. In Italien lagen die Grenzwerte bisher unterhalb der ICNIRP-Vorschläge. Dennoch schützen sie nicht, auch sie basieren auf dem thermischen-Dogma. Warum, das führt Prof. James C. Lin, ehem. leitendes ICNIRP-Mitglied und Vorsitzender der Bioelectromagnetic Society in seinem Artikel im "IEEE Microwave Magazine" aus. Er weist er nach, dass die geltenden ICNIRP-Grenzwerte wissenschaftlich unhaltbar und ohne Schutzfunktion für Mensch und Umwelt sind, da sie nur die Wärmewirkung der Strahlung als schädlich anerkennen. Prof. J. Lin ist ein führender Wissenschaftler auf dem Gebiet der Strahlung.

>>> Zum aktuellen Artikel von Prof. Lin auf www.diagnose-funk.org/2000

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diagnose:funk
Format: A4Seitenanzahl: 36 Veröffentlicht am: 01.02.2023 Bestellnr.: 249Sprache: DeutschHerausgeber: diagnose:funk

ICBE-EMF: Die Zeit ist reif für neue Grenzwerte

Die neu gegründete Grenzwertkommission weist die Unwissenschaftlichkeit der geltenden ICNIRP-Grenzwerte für Mobilfunkstrahlung nach
Autor:
ICBE-EMF / diagnose:funk
Inhalt:
Dieser Brennpunkt publiziert die Übersetzung der Studie der internationalen Grenzwertkommission ICBE-EMF (International Commission on the Biological Effects of EMF) „Wissenschaftliche Erkenntnisse entkräften gesundheitliche Annahmen, die den FCC (Federal Communication Commission, USA) und ICNIRP-Grenzwertbestimmungen für Hochfrequenzstrahlung zugrunde liegen: Folgen für 5G“ (2022). Darin fordert die ICBE-EMF die Rücknahme und Neufestlegung der Grenzwerte für die Exposition gegenüber hochfrequenter Funkstrahlung (HF). Die Rücknahme der Grenzwerte ist notwendig, denn ihre Festlegung beruht auf falschen Annahmen. Das Ziel neuer Grenzwerte wäre die Festlegung von Standards zum Gesundheitsschutz für Arbeitnehmer, die Öffentlichkeit und die Natur.
Artikel veröffentlicht:
02.02.2024
Autor:
diagnose:funk
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