Kino: Dokumentation TOTAL TRUST zeigt das totalitäre digitale Überwachungssystem in China

4G- und 5G-Sendeanlagen sind die Infrastruktur der Überwachung
Warum werden überall lückenlos 4G - und 5G-Sendeanlagen aufgebaut? Der Film über China zeigt, dass diese Sendeanlagen auch die Infrastruktur für die Überwachung sind.

Nach dem Kinobesuch von TOTAL TRUST ist man geschockt. Kannte man bisher aus Artikeln die Überwachungspraktiken in China, so zeigt der Film emotional anhand dreier Schicksale, wie der Missbrauch digitaler Technik Biografien zerstört. Der chinesische Staat weiß ich Echtzeit alles und schaltet abweichendes Verhalten mit Gewalt aus. Der Schock müsste zu einer öffentlichen Debatte bei uns in Deutschland führen. Wie kann in den parlamentarischen Demokratien, in denen derzeit mit Hochdruck dieselbe Technik ausgebaut wird, u.a. in den Smart City - Konzepten, ein solcher Missbrauch verhindert werden? Vom Staat müssten Datenschutzregelungen erlassen werden, die z.B. das Anlegen digitaler Profile, v.a. schon von Kindern in Schulclouds, die Zusammenführung der persönlichen Daten aus Facebook, Amazon, von Apps und den Handel damit verbieten. Hier zunächst die Inhaltsangabe des Filmes und dann Überlegungen, welches Risiko die Digitalisierung für uns in Deutschland und Europa darstellt.

Inhalt des Filmes TOTAL TRUST  

Wissen ist Macht, und in China weiß der Staat inzwischen mehr über die Bevölkerung, als die Menschen über sich selbst wissen. Die Überwachung hat nie nur ein Gesicht, sondern ist eine feinmaschige Mischung aus Gesichtserkennung, Big-Data-Analyse und einem Punktesystem (Social Score), bei dem man je nach Verhalten Punkte gewinnen oder verlieren kann - ein System, das fast einer dystopischen Parodie würdig wäre, wenn es nicht schon Realität wäre. Inmitten dieses Spinnennetzes der Überwachung führen die Protagonisten einen Kampf um Gerechtigkeit. Chens Ehemann ist ein Anwalt, der als Menschenrechtsaktivist tätig ist und seit 2020 wegen seiner juristischen Arbeit inhaftiert ist. Seitdem wird ihr Leben rund um die Uhr überwacht. Wir treffen auch eine der wenigen unabhängigen Journalistinnen, die den Mut hatte, über die schockierenden Entwicklungen im größten Land der Welt zu berichten. TOTAL TRUST ist der erste große Film, der couragierte Menschen porträtiert, die in Chinas zunehmend überwachter Gesellschaft leben. Eine augenöffnende und zutiefst beunruhigende Geschichte über Technologie, Machtmissbrauch und (Selbst-)Zensur, die durch die Covid-Pandemie noch beschleunigt wurde. (Quelle: Verleih)

Bild:Verleiher

Sind Überwachungspraktiken wie in China auch in Deutschland und Europa denkbar? 

Sind Überwachungspraktiken durch Big Data und Social Score Strukturen wie in China auch in Deutschland und Europa denkbar? Der Fachartikel von Gigerenzer, Gerd; Rebitschek, Felix G.; Wagner, Gert G. (2018): „Eine vermessene Gesellschaft braucht Transparenz“ (Wirtschaftsdienst 2018/12) bejaht dies als reale Gefahr. Die Social Score Strukturen seien bereits in vielen Wirtschaftssektoren da und werden für das Anlegen digitaler Profile der Kunden genutzt. Eine Kernaussage:

  • Die kommerzielle Überwachungsgesellschaft ist nicht nur Möglichkeit, sondern schon Realität geworden.“ 

Selbst die Smart City Charta der Bundesregierung und der WBGU (Wissenschaftliche Beirat globale Umweltveränderungen der Bundesregierung) warnen vor Worst Case Szenarien der Überwachung und fordern darüber eine öffentliche Debatte. In der Smart City Charta steht:

  • „Niemand soll zur Nutzung digitaler Strukturen gezwungen werden. Kommunen müssen ihren Einwohner:innen zusätzlich analoge Strukturen anbieten ... Es ist darauf zu achten, dass keine neuen Machtstrukturen entstehen, die eine Gefahr für die Grundrechte, die Sicherheit und Privatsphäre jedes Einzelnen darstellen. Algorithmen dürfen weder demokratisch gewählte Gremien noch die Verantwor­t­lichkeit natürlicher oder juristischer Personen ablösen“ (S.12).

Das Smart City Konzept bekam 2018 vom Verein digital-courage den Big Brother Award verliehen, mit einer scharfen Kritik an der Überwachung und Aufhebung der Privatsphäre. In seinem >>> Vortrag im September 2023 bei den Naturfreunden Stuttgart zeigte Peter Hensinger, wie mit den Smart City Projekten diese Strukturen derzeit in den Kommunen optimiert werden. Shoshana Zuboff analysiert in ihrem Artikel "Willkommen im Überwachungskapitalismus" in der >>> LeMonde diplomatique, wie diese Strukturen zum Rückgrat auch westlicher Gesellschaften wurden. Die vorhandenen digitalen Überwachungsstrukturen sind bei uns noch "smart", können aber bei einer Ablösung der parlamentarischen Demokratie durch eine autoritäre oder gar faschistische Regierung sofort für die politische Massenüberwachung und Repressionsausübung aktiviert werden. Diese Risiken müssen endlich öffentlich diskutiert werden!

Studie Gigerenzer

Zitate aus der Studie von Gigerenzer, Gerd; Rebitschek, Felix G.; Wagner, Gert G. (2018): „Eine vermessene Gesellschaft braucht Transparenz“ (Wirtschaftsdienst 2018/12)

 

 

 

 

 

 

  • Digitalisierung ist in aller Munde, Scoring noch nicht. Was aber ist „Scoring“? Im Gutachten des Sachverständigenrats für Verbraucherfragen (SVRV) ist die Definition eng gezogen: „Scoring ist die Zuordnung eines Zahlenwertes (des Scores) zu einem Menschen zum Zweck der Verhaltensprognose oder Verhaltenssteuerung. Die Bestimmung dieses Zahlenwertes erfolgt in der Regel auf der Grundlage einer breiten Datenbasis durch ein algorithmisches Verfahren („Computerprogramm“).“ Scoring ist nichts Neues; es wird in einer digitalisierten Welt aber in einer bisher nicht gekannten Intensität möglich.
  • Nach der derzeitigen Rechtsprechung (sogenanntes „Schufa-Urteil“ des Bundesgerichtshofs 2014) sind Auskunfteien nicht verpflichtet, den Bürgern zu erklären, wie ihr Score zustande gekommen ist.
  • In Gesprächen des SVRV mit Experten zum Sozialkredit-System zeigte sich auch, dass die Entwicklung in China für Deutschland, wenn auch mit Verzögerung, direkt relevant werden könnte.
  • In Deutschland besteht derzeit keinerlei Gefahr einer ähnlichen totalen Überwachung durch den Staat. Doch ist zu befürchten, dass internationale Konzerne Super-Scores ohne staatliche Vorgabe aus kommerziellen Gründen entwickeln und anbieten. Etliche Firmen weltweit haben sich darauf spezialisiert, Daten zu sammeln und zu verkaufen, meist ohne Wissen oder Zustimmung der Verbraucher. Auch in Deutschland sammeln Firmen wie Arvato (Bertelsmann), Otto (Tochter: Eos Gruppe) und Deutsche Post Daten. Einer der größten internationalen Datenfirmen ist die US-Firma Acxiom, die auch in Deutschland tätig ist und nach eigenen Angaben bereits im Jahr 2013 Daten über 44 Mio. Deutsche anbot. Und viele Menschen sind bereit, ihre Daten gegen kleine Vorteile und Bequemlichkeiten weiterzugeben. Die kommerzielle Überwachungsgesellschaft ist nicht nur Möglichkeit, sondern schon Realität geworden. Sobald das technische Problem der De Anonymisierung und der Zusammenführung aller persönlichen Daten zu einem Wert gelost ist, wird Druck entstehen, diesen auch in Deutschland anbieten zu können. In Europa ist die De Anonymisierung von Menschen verboten – aber dieses Verbot verliert seine Wirkung, wenn Menschen freiwillig einer Datenverknüpfung zustimmen.
  • Damit besteht die Gefahr, dass viele Menschen in Deutschland auch ohne einen staatlich verordneten Super-Score (wie in China) einer Verknüpfung ihrer Daten und Scores zustimmen, um nicht nur günstigere Versicherungstarife, sondern allerlei Vergünstigungen, beispielsweise beim Mieten einer Wohnung oder Bequemlichkeiten, etwa bei Tischreservierungen, Zugfahrkarten und Flugtickets zu bekommen.
  • „Digital first – Bedenken second“, so lautete der Slogan, mit dem die FDP bei der Bundestagswahl 2017 um Wählerstimmen warb. Politik und Industrie setzen auf die flächendeckende Digitalisierung, vom Smart TV zum Smart Home, von der Schule bis zur Telemedizin. Neue Bereiche des Scoring, denen sich die Betroffenen faktisch nicht entziehen können, zeichnen sich konkret in Form von „People Analytics“ (für Einstellungs- und Beförderungsentscheidungen) und künftig in Form einer elektronischen Patientenakte im Gesundheitsbereich ab. Die Industrie setzt auf Scoring von immer mehr Lebensbereichen, aber es gibt wenig Wissen, wenig Transparenz und so gut wie keine Qualitätskontrolle. Die Antwort darauf lautet Transparenz, Qualitätskontrolle, kompetente Aufsichten und kein Super-Score.
Artikel veröffentlicht:
16.10.2023
Autor:
diagnose:funk
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