"Die Digitalisierung von Kindergärten und Schulen ist notwendig, um die junge Generation angemessen zu qualifizieren", diesem Fortschrittsglauben, von Industrie und Medien lanciert, widerspricht die jetzt veröffentlichte „Leitlinie zur Prävention dysregulierten Bildschirmmediengebrauchs in Kindheit und Jugend“, herausgegeben von elf deutschen Fachverbänden unter der Federführung der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin e. V. (DGKJ). Die Leitlinie warnt auch vor der Gefährdung durch die Strahlenbelastung. Der Augsburger Ordinarius für Schulpädagogik Klaus Zierer spricht von einem „Digitalisierungswahn“.
Die Kritik ist international. Die Karolinska-Universität analysierte in einem Gutachten die negativen Auswirkungen der digitalen Geräte und Medien auf Kinder. Daraufhin hat die schwedische Regierung die Reißleine gezogen und die Digitalisierung der Vorschulen rückgängig gemacht. In Finnland, Niederlande, Frankreich und China wurden auch bereits Konsequenzen gezogen. In den USA intervenierte aktuell das U.S.Surgeon General, eine oberste Gesundheitsbehörde, mit einem Gutachten zur Gefährdung der psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen durch digitale Medien. Die neue UNESCO-Studie weist nach, dass digitale Medien im Unterricht nicht zu besserem Lernen führen und negative Auswirkungen haben. Sie machen nur Sinn, wenn sie altersgerecht und pädagogisch geplant als Hilfsmittel dosiert genutzt werden.
Der hoch organisierte Lobbyismus in Deutschland verhindert bei der Politik ein Nachdenken
Doch in Deutschland spielt sich Absurdes ab. Nachdem nun das fortschreitende Bildungsdesaster durch Bildungsstudien nachgewiesen und nicht mehr verneint werden kann, vollbringt die Politik ein diskursives Wunder: Die Ursachen werden in Lösungen umgewandelt. Noch mehr Digitalisierung soll aus der Katastrophe führen. Der Weg noch tiefer ins Digi-Tal ist damit vorgezeichnet.
Seit 20 Jahren verhindert die Bitkom-IT-Lobby mit ihren Speerspitzen Bertelsmann, Microsoft, Google, Telekom, dass die Politik auf die pädagogische Wissenschaft hört. Wie das planmäßig mit dem Narrativ "Digitalisierung ist Fortschritt" inszeniert wird, beweist detailliert die >>> Studie von Fröschler (2018).
Nun fordert die Bitkom-Industrie für die Digitalisierung der Schulen eine Milliarde Euro jährlich bis 2030: „Sonst werden wir technologisch global abgehängt“, so der Bitkom-Chef Wintergerst. Es gehe darum, den eigenen Nachwuchs fit für ein globales Wettrennen zu machen (Stuttgarter Zeitung, 11.08.2023). Von den Milliarden Euros verspricht sich die IT-Branche natürlich einen satten Gewinn. Die Wachstumsideologie, die in die globale Umweltkatastrophe führte, soll nun über die Erziehung in die Köpfe der Schüler. Bitkom setzt Erziehungsziele, die Pädagogik wird überflüssig und die BaWü-Landesregierung will den Einsatz digitaler Geräte zur Pflicht für jeden Lehrer machen. Ein skandalöser Eingriff in die Methoden- und Lehrfreiheit. Lehrer und Eltern dürfen nicht zulassen, dass die Profitinteressen der Industrie die Erziehung bestimmen.
Sie können etwas tun: Weisen Sie Ihre Kindergartenleitungen, Rektoren, die Erziehungsgewerkschaften und Kultusbehörden auf die Leitlinie zur Mediennutzung, das Karolinska-Gutachten, die UNESCO-Studie hin mit der Bitte um eine fachliche Stellungnahme.
Grafik: Das ‚Who is who?‘ der deutschen Bildungs-Digitalisierungsagenda – eine Politiknetzwerk-Analyse.