Peter Hensinger: Herr von Klitzing, die erste Arbeit von Ihnen im EMF-Portal ist von 1986 mit der Fragestellung „Werden biologische Signale durch statische Magnetfelder beeinflusst?“ Wie kamen Sie dazu, sich mit EMF zu beschäftigen? Und welche Wirkungen konnten Sie zunächst feststellen?
L. von Klitzing: Der Schwerpunkt meiner Forschung liegt im Bereich „Physiologie“. Gesetzt wurde diese Marke mit meiner Promotion über Stoffwechselregulation der Hefezelle. Diese Arbeit führte letztlich dazu, dass ein Limit des zelleigenen Energiegewinns (ATP) zu einer irreversiblen Mutation führt, die analog dem Krebsgeschehen in der tierischen Zelle entspricht. Die im Zusammenhang mit den Klagen von „RADAR-Opfern“ beschriebenen möglichen Zusammenhänge zwischen den EMF-Expositionen und Tumor-Erkrankungen, bei denen ich seinerzeit - mit Karl Hecht - gutachterlich tätig war, führte dann schnell zu dem, was dann als mögliches gesundheitliches Problem durch Mobilfunk-Strahlungen diskutiert wurde.
Peter Hensinger: Hatte das Konsequenzen für die Forschungspraxis?
L. von Klitzing: Der Versuch, dieses als Forschungsthema einzubringen, scheiterte zunächst an der Telekom, die als allgemeiner Unterstützer bestimmter Forschungen an Universitäten in Deutschland hier ihr Veto einlegte. In diesem Zeitraum wurde die Kernspintomografie (NMR) bei uns etabliert und schon gab es dann Bedenken zu den starken Magnetfeldern. Mein guter Kontakt zum Verwaltungsdirektor der Klinik ermöglichte mir, einen 0,3 Tesla-Magneten für die wissenschaftliche Neugier zu nutzen, insbesondere, inwieweit statische Magnetfelder die Ströme in Nerven, also die Nervenleitgeschwindigkeit, beeinflussen. Die physikalische Grundkenntnis hierzu ist, dass jeder Stromfluss ein magnetisches Moment erzeugt.
Diese Ergebnisse führten letztlich dazu, dass die Bestimmung des Hirntods bei Unfallopfern über die akustisch-evozierten Potenziale (AEP) nach einer unmittelbar vorangegangenen NMR-Diagnostik zu einer falschen Schlussfolgerung führen, denn dieses wichtige Nervensignal ist nach dem Aufenthalt in dem starken Magnetfeld (des NMR) dann nicht mehr messbar. Diese Erkenntnis ist heute in das Standardprogramm zur Bestimmung des „Hirntods“ nach NMR aufgenommen worden.
Peter Hensinger: Im Jahr 1995 publizierten Sie dann die Arbeit „Niederfrequent gepulste elektromagnetische Felder beeinflussen das EEG des Menschen“. Was war da das Hauptergebnis und die Konsequenzen für weitere Forschung?
L. von Klitzing: Unsere Erkenntnisse, dass Magnetfelder „auf die Nerven gehen“, führte zu den elektromagnetischen Feldern. Zur Verfügung stand ein lizenzfreies 151-MHz-Gerät, das mit beliebigen Modulationsarten betrieben werden durfte. Also wurden die Untersuchungen mit gepulsten EM-Feldern durchgeführt. So konnte ich z.B. an Leberzellen darstellen, dass der zelluläre Ca++- Transfer bei 16 Hz Pulsfrequenz am stärksten war. Der wissenschaftliche Wert dieser Erkenntnis ist, dass entsprechende Emissionen den Zellstoffwechsel beeinflussen können, was in der Folge durchaus zu physiologischen Störungen führen kann.
Die Telekom wollte Forschung verhindern
Peter Hensinger: Wie kamen Sie dann zu der Vermutung, dass die mobilen Geräte des Mobilfunks und die Hochfrequenz auch das EEG beeinflussen können? Wie reagierte die Wissenschaft bzw. Ihr Arbeitgeber auf Ihre Ergebnisse?
L. von Klitzing: Da bei der Mobilfunktechnik gepulste HF-Felder zur Anwendung kommen, war damit das weitere Forschungsthema programmiert. Kaum gelangte dieses geplante Projekt an die Öffentlichkeit, beschäftigte sich wiederum die Telekom mit meiner wissenschaftlichen Kompetenz, indem sie mit einem 10-Punkte-Programm gegen meine weiteren Aktivitäten vorstellig wurde. Doch die Universität sah keine Veranlassung, sich zu dem Thema zu äußern. Somit war erst einmal der Weg frei.
In der wissenschaftlichen Szene war seinerzeit und ist auch heute noch die „26. Verordnung zum Bundesimmissionsschutzgesetz (26. BImSchV)“ die Leitlinie, um ein finanziell gefördertes Forschungsprogramm zu diesem Thema zu beginnen. Hierzu muss man wissen, dass die Finanzierung der Wissenschaft fast durchweg interessensgebunden ist: man hängt vom Geldgeber ab. Wird ein Projekt „begonnen“, kommt vom Geldgeber sehr schnell die Frage nach Ergebnissen und auch zu den Erfolgsaussichten. Ist die Antwort „unbefriedigend“, wird das Projekt abgewickelt, was meistens die Existenz des Forschers bedroht. Beim Thema „Mobilfunk“ konnte es gefährlich für den Forschenden werden.
Peter Hensinger: Auf welche Endpunkte in der Forschung haben Sie sich dann, trotz dieser Risiken, konzentriert?
L. von Klitzing: Nun, ich will diese Frage etwas allgemein beantworten. Ich hatte die Gelegenheit, den Begriff „Forschung“ so in der Realität zu erleben, wie er sein sollte. Also: es gibt irgendein Problem, wie ist dieses Problem lösbar? Wenn heute über Forschung diskutiert wird, zeigt sich nicht selten, dass die notwendige Objektivität nicht gewahrt ist. Oder kurz gefasst: Ist das Forschungsergebnis gesellschaftskonform beziehungsweise systemrelevant? Beispiele gibt es genügend dafür, den Begriff „Forschung“ auf den Prüfstand zu bringen. Forschung beinhaltet Fortschritt, aber es muss auch die Frage beantwortet werden: wem nutzt das Forschungsergebnis? Allein die aktuelle Diskussion zum Thema „Klima“ zeigt doch die Bewertung der einzelnen Interessensgruppen, obgleich die vorliegenden Daten eine eindeutige Richtung vorgeben. Und so ist es auch bei dem Einsatz der funktechnischen Kommunikation: es gibt eindeutige Wirkungen auf das Biosystem, die ignoriert werden. Wenn heute ein Allgemeinmediziner dem betroffenen Patienten diese Tatsache erklärt, dann verzichtet dieser möglicherweise auf den nächsten Besuch.
Athermische Wirkungen sind entscheidend
Peter Hensinger: Offiziell wird gesagt, nicht-ionisierende Strahlung könne nur über Wärmewirkung schädigen und habe nicht die Energie, Zellen zu schädigen. Was haben Sie über nicht-thermische Wirkungen herausgefunden?
L. von Klitzing: Hierzu zunächst ein Beispiel: Im elektromagnetischen Spektrum ist auch das angesiedelt, was wir als „Licht“ empfinden, üblicherweise im nicht-thermischen Bereich. Periodische Lichtblitze können bei entsprechenden Dispositionen epileptische Anfälle oder sonstige Irritationen hervorrufen. Das Auge verarbeitet Reize – nach dem derzeitigen Wissen - nur im niederfrequenten Bereich; bei +/- 70 Hz ist offensichtlich Schluss. So zeigte sich bei der ersten TV-Generation ein Problem in der sogenannten Zeilensprungfrequenz, die das Auge strapazierte. Es ist hier der niederfrequente periodische optische - also elektromagnetische - Reiz, der auf das Nervensystem wirkt.
Diese Beispiele zeigen eine nicht-thermische elektromagnetische Wirkung, der man insofern begegnet ist, als auf öffentlichen Bühnen (Diskotheken) periodische Lichtblitze nicht mehr erlaubt sind und beim TV die Zeilensprungfrequenz verändert wurde.
Niederfrequent gepulste elektromagnetische Signale werden vor allem im funktechnischen Bereich genutzt (GSM: 217 Hz; DECT: 100 Hz; WLAN: 10 Hz). Warum sollte der hier mit dem Auge nicht erkennbare Reiz nicht von einem anderen System, z.B. der nervendurchzogenen Haut, wahrgenommen werden? Nervensignale lassen sich im sogenannten Elektromyogramm (EMG) ableiten, nicht nur direkt an den Nerven, sondern auch in der näheren Peripherie, also an der darüber liegenden Hautoberfläche. Über eine Elektrodenmatrix an der Hautoberfläche lässt sich das EMG nicht-invasiv ableiten. Hier zeigt sich, dass in dieser Ableitung das 10 Hz-WLAN-Signal nach vorangegangener Exposition überwiegend bei den Gruppen nachweisbar war, die sich als elektrosensibel bezeichnen. Hieraus ergibt sich eine besondere Dynamik in der Änderung der Nervensignale, die in der Gesamtheit noch nicht interpretiert werden konnte. Eine Erkenntnis konnten wir in diesem Zusammenhang gewinnen: Es wurden häufig die kardialen Symptome Vorhofflattern/-flimmern nachgewiesen. Die Frequenznähe zu WLAN ist schon beeindruckend….
Peter Hensinger: Noch immer behaupten aber das BfS und die ICNIRP, es gäbe keine einzige Studie, die pathologische Effekte durch athermische Wirkungen nachgewiesen habe, athermische Wirkungen werden sogar ganz bestritten, es gäbe nur Wärmewirkungen. Damit werden die Grenzwerte gerechtfertigt. Können Sie die Begriffe „thermisch“ und „athermisch“ nochmals erläutern?
L. von Klitzing: Zunächst einmal: Wenn das BfS behauptet, es gäbe keine Studien, dann ist dieses schlicht und einfach nicht richtig. Zu Ihrer Frage:„Thermisch“ heißt, dass die absorbierte Feldenergie in Wärme umgesetzt wird. „Athermisch“ heißt, dass - rein theoretisch - Wärme zwar auch entsteht aber so gering ist, dass diese keine biologische Relevanz hat. Diese möglichen Temperatureffekte sind für tote Systeme berechenbar, treten aber beim Biosystem aufgrund der gegeben Thermoregulation nicht auf. Bei der allgemeinen funktechnischen Kommunikation des Mobilfunks liegen wir im athermischen Bereich.
Peter Hensinger: Wie wirkt der athermische Effekt?
L. von Klitzing: Wir können über das vegetative Nervensystem messen, dass Menschen z.B. auf WLAN Mobilfunkstrahlungen reagieren. Hierzu muss man wissen, dass das vegetative Nervensystem die Aktivität der gesamten Bioregulation widerspiegelt, die wiederum vom Gehirn (Hypothalamus) gesteuert wird. Auf diese Steuerung hat der Mensch keinen unmittelbaren Einfluss - dazu gehören z.B. der Herzschlag, die Hautdurchblutung, die Aktivität der Kapillargefäße (Mikrozirkulation), das EKG und so weiter. Die von uns erhobenen Daten ergeben einen verwertbaren Überblick zur gegebenen Bioregulation. Zu uns kommen Menschen, die Probleme mit elektromagnetischen Feldexpositionen haben.
____________________________________________________________________________
Ein historisches Video von 1995: 3Sat - Wissenschaft im Kreuzverhör-Elektrosmog.
Ab Min.17:30 werden die WLAN-Versuche von Prof. Lebrecht von Klitzing zu den Einwirkungen der Strahlung auf das Gehirn dokumentiert. Isabel Wilke vom Katalyse Institut und Dr. Ulrich Warnke (Univ. Saarbrücken) diskutieren mit dem Moderator über die Risiken (ab Min. 22:15).