„Elektrosensibilität ist messbar“

Interview mit Prof. Dr. Lebrecht von Klitzing
Prof. Dr. Lebrecht von Klitzing ist Medizinphysiker und leitete von 1975 bis 2002 die klinisch-experimentelle Forschungseinrichtung der Medizinischen Universität zu Lübeck. L. von Klitzing ist ein Pionier der Forschung zu elektromagnetischen Feldern, 23 Arbeiten von ihm sind seit 1986 im EMF-Portal eingestellt. Auch machte er Erfahrungen mit dem Einfluss der Industrie auf die EMF-Forschung. Peter Hensinger traf sich im März 2023 mit Prof. Lebrecht von Klitzing im Schwarzwald, um mehr über seine Arbeit zu erfahren.
Prof. L. v. Klitzing, Foto: privat

Peter Hensinger: Herr von Klitzing, die erste Arbeit von Ihnen im EMF-Portal ist von 1986 mit der Fragestellung „Werden biologische Signale durch statische Magnetfelder beeinflusst?“ Wie kamen Sie dazu, sich mit EMF zu beschäftigen? Und welche Wirkungen konnten Sie zunächst feststellen?

L. von Klitzing: Der Schwerpunkt meiner Forschung liegt im Bereich „Physiologie“. Gesetzt wurde diese Marke mit meiner Promotion über Stoffwechselregulation der Hefezelle. Diese Arbeit führte letztlich dazu, dass ein Limit des zelleigenen Energiegewinns (ATP) zu einer irreversiblen Mutation führt, die analog dem Krebsgeschehen in der tierischen Zelle entspricht. Die im Zusammenhang mit den Klagen von „RADAR-Opfern“ beschriebenen möglichen Zusammenhänge zwischen den EMF-Expositionen und Tumor-Erkrankungen, bei denen ich seinerzeit - mit Karl Hecht - gutachterlich tätig war, führte dann schnell zu dem, was dann als mögliches gesundheitliches Problem durch Mobilfunk-Strahlungen diskutiert wurde. 

Peter Hensinger: Hatte das Konsequenzen für die Forschungspraxis?

L. von Klitzing: Der Versuch, dieses als Forschungsthema einzubringen, scheiterte zunächst an der Telekom, die als allgemeiner Unterstützer bestimmter Forschungen an Universitäten in Deutschland hier ihr Veto einlegte. In diesem Zeitraum wurde die Kernspintomografie (NMR) bei uns etabliert und schon gab es dann Bedenken zu den starken Magnetfeldern. Mein guter Kontakt zum Verwaltungsdirektor der Klinik ermöglichte mir, einen 0,3 Tesla-Magneten für die wissenschaftliche Neugier zu nutzen, insbesondere, inwieweit statische Magnetfelder die Ströme in Nerven, also die Nervenleitgeschwindigkeit, beeinflussen. Die physikalische Grundkenntnis hierzu ist, dass jeder Stromfluss ein magnetisches Moment erzeugt.

Diese Ergebnisse führten letztlich dazu, dass die Bestimmung des Hirntods bei Unfallopfern über die akustisch-evozierten Potenziale (AEP) nach einer unmittelbar vorangegangenen NMR-Diagnostik zu einer falschen Schlussfolgerung führen, denn dieses wichtige Nervensignal ist nach dem Aufenthalt in dem starken Magnetfeld (des NMR) dann nicht mehr messbar. Diese Erkenntnis ist heute in das Standardprogramm zur Bestimmung des „Hirntods“ nach NMR aufgenommen worden.

Peter Hensinger: Im Jahr 1995 publizierten Sie dann die Arbeit „Niederfrequent gepulste elektromagnetische Felder beeinflussen das EEG des Menschen“. Was war da das Hauptergebnis und die Konsequenzen für weitere Forschung?

L. von Klitzing: Unsere Erkenntnisse, dass Magnetfelder „auf die Nerven gehen“, führte zu den elektromagnetischen Feldern. Zur Verfügung stand ein lizenzfreies 151-MHz-Gerät, das mit beliebigen Modulationsarten betrieben werden durfte. Also wurden die Untersuchungen mit gepulsten EM-Feldern durchgeführt. So konnte ich z.B. an Leberzellen darstellen, dass der zelluläre Ca++- Transfer bei 16 Hz Pulsfrequenz am stärksten war. Der wissenschaftliche Wert dieser Erkenntnis ist, dass entsprechende Emissionen den Zellstoffwechsel beeinflussen können, was in der Folge durchaus zu physiologischen Störungen führen kann.

 

Die Telekom wollte Forschung verhindern

Peter Hensinger: Wie kamen Sie dann zu der Vermutung, dass die mobilen Geräte des Mobilfunks und die Hochfrequenz auch das EEG beeinflussen können? Wie reagierte die Wissenschaft bzw. Ihr Arbeitgeber auf Ihre Ergebnisse?

L. von Klitzing: Da bei der Mobilfunktechnik gepulste HF-Felder zur Anwendung kommen, war damit das weitere Forschungsthema programmiert. Kaum gelangte dieses geplante Projekt an die Öffentlichkeit, beschäftigte sich wiederum die Telekom mit meiner wissenschaftlichen Kompetenz, indem sie mit einem 10-Punkte-Programm gegen meine weiteren Aktivitäten vorstellig wurde. Doch die Universität sah keine Veranlassung, sich zu dem Thema zu äußern. Somit war erst einmal der Weg frei.

In der wissenschaftlichen Szene war seinerzeit und ist auch heute noch die „26. Verordnung zum Bundesimmissionsschutzgesetz (26. BImSchV)“ die Leitlinie, um ein finanziell gefördertes Forschungsprogramm zu diesem Thema zu beginnen. Hierzu muss man wissen, dass die Finanzierung der Wissenschaft fast durchweg interessensgebunden ist: man hängt vom Geldgeber ab. Wird ein Projekt „begonnen“, kommt vom Geldgeber sehr schnell die Frage nach Ergebnissen und auch zu den Erfolgsaussichten. Ist die Antwort „unbefriedigend“, wird das Projekt abgewickelt, was meistens die Existenz des Forschers bedroht. Beim Thema „Mobilfunk“ konnte es gefährlich für den Forschenden werden.

Peter Hensinger: Auf welche Endpunkte in der Forschung haben Sie sich dann, trotz dieser Risiken, konzentriert?

L. von Klitzing: Nun, ich will diese Frage etwas allgemein beantworten. Ich hatte die Gelegenheit, den Begriff „Forschung“ so in der Realität zu erleben, wie er sein sollte. Also: es gibt irgendein Problem, wie ist dieses Problem lösbar? Wenn heute über Forschung diskutiert wird, zeigt sich nicht selten, dass die notwendige Objektivität nicht gewahrt ist. Oder kurz gefasst: Ist das Forschungsergebnis gesellschaftskonform beziehungsweise systemrelevant? Beispiele gibt es genügend dafür, den Begriff „Forschung“ auf den Prüfstand zu bringen. Forschung beinhaltet Fortschritt, aber es muss auch die Frage beantwortet werden: wem nutzt das Forschungsergebnis? Allein die aktuelle Diskussion zum Thema „Klima“ zeigt doch die Bewertung der einzelnen Interessensgruppen, obgleich die vorliegenden Daten eine eindeutige Richtung vorgeben. Und so ist es auch bei dem Einsatz der funktechnischen Kommunikation: es gibt eindeutige Wirkungen auf das Biosystem, die ignoriert werden. Wenn heute ein Allgemeinmediziner dem betroffenen Patienten diese Tatsache erklärt, dann verzichtet dieser möglicherweise auf den nächsten Besuch.

 

Athermische Wirkungen sind entscheidend

Peter Hensinger: Offiziell wird gesagt, nicht-ionisierende Strahlung könne nur über Wärmewirkung schädigen und habe nicht die Energie, Zellen zu schädigen. Was haben Sie über nicht-thermische Wirkungen herausgefunden?

L. von Klitzing: Hierzu zunächst ein Beispiel: Im elektromagnetischen Spektrum ist auch das angesiedelt, was wir als „Licht“ empfinden, üblicherweise im nicht-thermischen Bereich. Periodische Lichtblitze können bei entsprechenden Dispositionen epileptische Anfälle oder sonstige Irritationen hervorrufen. Das Auge verarbeitet Reize – nach dem derzeitigen Wissen - nur im niederfrequenten Bereich; bei +/- 70 Hz ist offensichtlich Schluss. So zeigte sich bei der ersten TV-Generation ein Problem in der sogenannten Zeilensprungfrequenz, die das Auge strapazierte. Es ist hier der niederfrequente periodische optische - also elektromagnetische - Reiz, der auf das Nervensystem wirkt.

Diese Beispiele zeigen eine nicht-thermische elektromagnetische Wirkung, der man insofern begegnet ist, als auf öffentlichen Bühnen (Diskotheken) periodische Lichtblitze nicht mehr erlaubt sind und beim TV die Zeilensprungfrequenz verändert wurde.

Niederfrequent gepulste elektromagnetische Signale werden vor allem im funktechnischen Bereich genutzt (GSM: 217 Hz; DECT: 100 Hz; WLAN: 10 Hz). Warum sollte der hier mit dem Auge nicht erkennbare Reiz nicht von einem anderen System, z.B. der nervendurchzogenen Haut, wahrgenommen werden? Nervensignale lassen sich im sogenannten Elektromyogramm (EMG) ableiten, nicht nur direkt an den Nerven, sondern auch in der näheren Peripherie, also an der darüber liegenden Hautoberfläche. Über eine Elektrodenmatrix an der Hautoberfläche lässt sich das EMG nicht-invasiv ableiten. Hier zeigt sich, dass in dieser Ableitung das 10 Hz-WLAN-Signal nach vorangegangener Exposition überwiegend bei den Gruppen nachweisbar war, die sich als elektrosensibel bezeichnen. Hieraus ergibt sich eine  besondere Dynamik in der Änderung der Nervensignale, die in der Gesamtheit noch nicht interpretiert werden konnte. Eine Erkenntnis konnten wir in diesem Zusammenhang gewinnen: Es wurden häufig die kardialen Symptome Vorhofflattern/-flimmern nachgewiesen. Die Frequenznähe zu WLAN ist schon beeindruckend….

Peter Hensinger: Noch immer behaupten aber das BfS und die ICNIRP, es gäbe keine einzige Studie, die pathologische Effekte durch athermische Wirkungen nachgewiesen habe, athermische Wirkungen werden sogar ganz bestritten, es gäbe nur Wärmewirkungen. Damit werden die Grenzwerte gerechtfertigt. Können Sie die Begriffe  „thermisch“ und „athermisch“ nochmals erläutern?

L. von Klitzing: Zunächst einmal: Wenn das BfS behauptet, es gäbe keine Studien, dann ist dieses schlicht und einfach nicht richtig. Zu Ihrer Frage:„Thermisch“ heißt, dass die absorbierte Feldenergie in Wärme umgesetzt wird. „Athermisch“ heißt, dass - rein theoretisch - Wärme zwar auch entsteht aber so gering  ist, dass diese keine biologische Relevanz hat. Diese möglichen Temperatureffekte sind für tote Systeme berechenbar, treten aber beim Biosystem aufgrund der gegeben Thermoregulation nicht auf. Bei der allgemeinen funktechnischen Kommunikation des Mobilfunks liegen wir im athermischen Bereich.

Peter Hensinger: Wie wirkt der athermische Effekt?

L. von Klitzing: Wir können über das vegetative Nervensystem messen, dass Menschen z.B. auf WLAN Mobilfunkstrahlungen reagieren. Hierzu muss man wissen, dass das vegetative Nervensystem die Aktivität der gesamten Bioregulation widerspiegelt, die wiederum vom Gehirn (Hypothalamus) gesteuert wird. Auf diese Steuerung hat der Mensch keinen unmittelbaren Einfluss - dazu gehören z.B. der Herzschlag, die Hautdurchblutung, die Aktivität der Kapillargefäße (Mikrozirkulation), das EKG und so weiter. Die von uns erhobenen Daten ergeben einen verwertbaren Überblick zur gegebenen Bioregulation. Zu uns kommen Menschen, die Probleme mit elektromagnetischen Feldexpositionen haben.

WLAN: Bundesamt will keine Überprüfung der Forschungsergebnisse

Peter Hensinger: Ihre Arbeiten haben inzwischen ein Alleinstellungsmerkmal, weil sie die Auswirkungen von WLAN auf das EEG und das Herz direkt am Menschen nachweisen können (>>> Link zur neuesten Studie). Was sind Ihre Methoden? Was sind Ihre Ergebnisse zu WLAN?

L. von Klitzing: Die angewandten Methoden sind Standard in der medizinischen Diagnostik. Konkret läuft das Ganze wie folgt ab:

  • Die Testperson befindet sich in einem HF-abgeschirmten Raum und wird in den drei aufeinanderfolgenden Testphasen: Kontrolle >- Exposition >- Kontrolle - getestet.
  • Testparameter sind die vom Vegetativum gesteuerten Parameter: EKG, EMG und Mikrozirkulation.

Die Daten dieser genannten Messparameter werden in einer Kontrollmessung erfasst und dann mit denen während der Feldexposition und einer nachfolgenden Kontrollmessung verglichen. Als HF-Emitter wird ein aktiviertes WLAN genutzt. Gegenüber den ursprünglich genutzten HF-Quellen (GSM, DECT) sind hier die Expositionsdaten reproduzierbar. Am Kopf der Testperson liegt diese bei ca 30 µW/m². (Grenzwert der 26.BImSchV: 10.000.000 µW/m²(!!)). Auf meiner Homepage www.umweltphysik.com/medizinphysik steht dazu weiteres. Die Wirkung der Exposition auf diese physiologischen Parameter ist unterschiedlich und zeigt in der Bewertung ein individuelles Bild. Nicht jeder reagiert gleich, vor allem: nicht jeder Elektrosensible reagiert, was dann die Diagnose erschwert. Nachfolgend einige Ergebnisse zur Wirkung von WLAN:

Grafik: L.v.Klitzing

Peter Hensinger: Sie haben diese Ergebnisse dem Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) vorgetragen, wie war die Reaktion?

L. von Klitzing: Die nachgewiesenen Wirkungen auf den Menschen im Zusammenhang mit WLAN-Exposition wurden vom BfS ignoriert, was dazu führte, dass ich in 2019 die Verantwortlichen des entsprechenden Kompetenzzentrums, Frau Dr. Ziegelberger und Herrn Dr. Kuhne, eingeladen hatte, um sich von dem Testverfahren zu überzeugen. Von den Messreihen wurden dem BfS die Originaldaten zur Verfügung gestellt, die aber vom BfS in der Rubrik „Artefakte“ abgelegt wurden. Die entsprechende Publikation „Health disorders by WLAN-exposure“ wurde nicht zur Kenntnis genommen. Ein weiterer Versuch einer Korrespondenz mit der hier Verantwortlichen am BfS, der Präsidentin Frau Paulini, wurde abgefangen mit dem Hinweis, dass mein Schreiben nicht weitergeleitet wird.

Peter Hensinger: Haben Sie dann dem BfS nicht angeboten, dass ein neutrales Institut ihre Versuche repliziert?

L. von Klitzing: Dieses Angebot besteht immer noch, das BfS bezeichnete 2019 meine Ergebnisse als Artefakte und sieht keine weitere Veranlassung, sich des Themas anzunehmen.

 

Umstrittener Wirkmechanismus

Peter Hensinger: In Ihren Interviews Anfang der 2000er Jahre sprechen Sie noch davon, dass zwar die Effekte klar nachweisbar sind, aber noch kein Wirkmechanismus identifiziert werden konnte. Wie sehen Sie hier den Forschungsfortschritt, insbesondere durch die Ergebnisse zu oxidativem Zellstress?

L. von Klitzing: Bei den von verschiedenen Institutionen durchgeführten Untersuchungen zum „oxidativen Stress“ über Chromosomenbrüche durch Mobilfunkstrahlung gibt es sehr viele Widersprüche. Ich habe versucht, mit zwei der hier Verantwortlichen „Klarheit“ zu finden, leider ohne Erfolg. Also: die Energie der hier zur Diskussion stehenden elektromagnetischen Felder reicht nicht zu einem Chromosomenbruch. Die Wahrheit liegt woanders: es kommt nicht zu einem Chromosomenbruch, sondern die bei der Zellteilung notwendige de-novo-Synthese der Mitochondrien ist gestört. Der wissenschaftliche Background dazu: Mitochondrien können sich nicht „teilen“ wie der Zellkern; sie benötigen „Informationen“ vom dem sich teilenden Zellkern. Diese Übertragung ist gestört, - warum auch immer. Die Zellen aus der Zellteilung haben weniger aktive Mitochondrien und damit einen reduzierten oxidativen Stoffwechsel. Problem: Sauerstoff diffundiert in die Zelle und vergiftet diese. Und hier schließt sich der Kreis zu den „Chromosomenbrüchen“: Die für die „de-novo“- DNA notwendige Energie über ATP fehlt, was zu Teilsynthesen („Bruchstücken“) führt.

Die seinerzeit durchgeführte chromatografische Analyse kann nicht unterscheiden zwischen einem „Bruch“ oder unvollständiger Synthese. Auch hierzu steht mehr auf meine Homepage: www.umweltphysik.com/medizinphysik/oxidativer-stress

 

Harmonisierungsgeräte: Versprechen ohne medizinische Basis

Peter Hensinger: Nun, Sie haben herausgefunden, dass eine Stresssituation durch Mobilfunk-Strahlung sich zuverlässig darstellen lässt. Nun kommen gerade jetzt, angesichts des Vormarsches von WLAN immer mehr Anbieter auf den Markt, die Harmonisierungsgeräte verkaufen mit dem Versprechen, dass in Räumen, in denen diese installiert sind, der Elektrosmog unschädlich gemacht, das Regulationssystem des Menschen harmonisiert und auch noch in seine natürliche Homöostase versetzt würde, also wahrliche Wundermittel. WLAN und Smartphones könnten dadurch ohne Bedenken genutzt werden. Wir schätzen Sie diese Versprechen ein?

L. von Klitzing: Vor einigen Jahren haben wir mit einem entsprechenden Hersteller unter notarieller Aufsicht einen Test mit Verum/Placebo-Chips gemacht. Das Ergebnis war: statistisches Rauschen, also keine Wirkung. Die derzeitigen Versprechen von Herstellern dieser „Harmonisierungs“-Geräte sind für mich nicht nachvollziehbar, den Methoden fehlt jegliche medizinische und naturwissenschaftliche Basis. Was mich besonders stört ist, dass einige Umweltmediziner sich hier für die Werbung einspannen lassen.

 

EHS-Therapie, die Erfolgsquote ist hoch!

Peter Hensinger: Neben WLAN haben Sie auch die Ursachen von Elektrohypersensibilität untersucht. Wie erklären Sie sich EHS?

L. von Klitzing: Über 20 Jahre befasse ich mich mit dem Thema Elektrohypersensibilität und bin zu der Erkenntnis gekommen, dass diese Beschwerden offensichtlich Folge einer nicht erkannten Grunderkrankung sind. Ich hatte Gelegenheit, dass sich Studenten für dieses Thema interessierten und sich nach einer umfangreichen Anamnese in Hinblick auf Grunderkrankungen als Probanden zur Verfügung stellten. Ergebnis: ein „Kern“-Gesunder empfindet keine Reaktion auf die hier zur Diskussion stehenden Feldexpositionen. Liegt eine – auch nicht erkannte - Grunderkrankung vor, ist das Vegetativum mit einer Problemlösung „beschäftigt“ und somit in seiner gesamten Aktivität mehr oder weniger eingeschränkt. Wie gezeigt wurde, kommt es zu einer Belastung des Nervensystems, deren Bewertung vom Vegetativum unterschiedlich erfolgt – jeweils in Abhängigkeit vom sonstigen gesundheitlichen Gesamtzustand. Hierzu ein für jeden nachvollziehbares Beispiel:  Jedes weitere Hintergrundprogramm auf einem Computer  schränkt die Rechengeschwindigkeit ein bis sich im Grenzfall die CPU verabschiedet. Also auf den EHS-Betroffenen bezogen: die elektromagnetische Feldexposition ist eine Belastung, die vom limitierten Vegetativum nicht mehr ignoriert werden kann. Die Folge ist dann individuell geprägt. EHS ist also eine Folge einer eingeschränkten Bioregulation. Dazu mehr auch auf meiner Homepage www.umweltphysik.com/medizinphysik/ehs-oder-doch-nicht .

Peter Hensinger: Was raten Sie elektrohypersensiblen Menschen, die zu Ihnen in Behandlung kommen?

L. von Klitzing: Der Kontakt erfolgt meistens über ein Telefonat mit dem Hinweis „ich bin elektrosensibel“. Wenn ich dann weitere Information darüber haben möchte, welche gesundheitlichen Probleme zu dieser Feststellung geführt haben, ergibt sich ein Spektrum, das nicht immer nachvollziehbar ist. Wenn ich um einen kurzen Bericht bitte, möglichst auf einer DIN A 4 Seite, wird dieses versprochen, aber recht selten eingehalten. Kommt es zu einem persönlichen Kontakt, versuche ich in der Anamnese herauszufinden, inwieweit eine Grunderkrankung oder auch eine psychische Belastung Ursache der EHS sein könnte. Dieses ist keine „JA-NEIN“-Entscheidung, das weitere Vorgehen vereinfacht dieses jedoch. Mein Vorteil ist, dass ich zu diesem Punkt eine Menge klinischer Erfahrung habe. Die Anamnese endet immer mit einem Gespräch über den Sinn einer Testung. Da der Test selbst immer am darauffolgenden Tag erfolgt, hat der Patient genügend Zeit meine „FÜR und GEGEN“ Argumente zu überdenken. Es kommt durchaus zu der Situation, dass ich mich verweigere, wenn ich keinen Sinn in einer Testung sehe. Ansonsten: siehe oben meine Methoden.

Die Daten aus dem Belastungstest ergeben ein aus der Gesamtsituation geprägtes Krankheitsbild, das dann in einen möglichen individuellen Therapieplan einfließt. Ohne Eigenlob: die Erfolgsquote ist erstaunlich hoch.

Peter Hensinger: Herr von Klitzing, es hat mich sehr gefreut, mich mit einem Pionier der EMF-Forschung auszutauschen, der sich nicht dem Druck der Industrie gebeugt hat.

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Von Klitzings 1995er EEG-Experiment

Grafik: L.v.Klitzing, 1995

Dr. rer. nat. Lebrecht von Klitzing untersuchte ab 1993 den Einfluss gepulster Funksignale - wie sie damals auch beim GSM-Mobilfunk verwendet werden - auf die Hirnstromaktivitäten von Menschen. Dazu wurde bei Testpersonen das EEG gemessen und die Intensität (Leistungsspektrum) der Hirnströme im Frequenzbereich zwischen 0,5 Hz und 20 Hz bestimmt. Im Frequenzbereich der so genannten Alphawellen (7 Hz bis 12 Hz) entdeckte von Klitzing tatsächlich Ungewöhnliches: Dort zeigte sich eine auffallende Intensitätsänderung bei 10 Hz, die sogar nach Abschalten des Funksignals noch über geraume Zeit anhielt.

Im EMF Portal wird das Ergebnis zusammengefasst:

EEG-Daten vom Menschen, die unter dem Einfluss niederfrequent gepulster elektromagnetischer Felder gewonnen wurden, sind im Bereich der alpha-Aktivität (Alphawellen) sowohl während als auch einige Stunden nach der Exposition außerordentlich verändert. Dieser Effekt wird durch Feldstärken hervorgerufen, die geringer sind als die festgelegten internationalen Grenzwerte.“

Die Studie erregte Mitte der 90-er Jahre großes Aufsehen, vielleicht auch deshalb, weil die Kernbotschaft „Mobilfunkstrahlung verändert Hirnströme“ selbst von Laien gut nachvollziehbar ist.

von Klitzing L: Low-Frequency pulsed electromagnetic fields influence EEG of man. Veröffentlicht in: Phys Med 1995; XI (2): 77-80,  https://www.emf-portal.org/de/article/596

>>> Publikationen von L. v. Klitzing im EMF-Portal

Publikation zum Thema

Format: A4Seitenanzahl: 36 Veröffentlicht am: 07.05.2018 Bestellnr.: 235Sprache: DeutschHerausgeber: diagnose:funk

Die Wirkung der 10-Hz-Pulsation der elektromagnetischen Strahlungen von WLAN auf den Menschen

Eine Dokumentation von Prof. Dr. Karl Hecht
Autor:
diagnose:funk / Prof. Karl Hecht
Inhalt:
Welche biologische Wirkung hat die kontinuierliche 10 Hz-Pulsung der 2,45 GHz-WLAN-Technologie? Diese Frage wird im Review von Isabel Wilke „Biologische und pathologische Wirkungen der Strahlung von 2,45 GHz auf Zellen, Fruchtbarkeit, Gehirn und Verhalten" aufgeworfen, aber nicht abschließend behandelt. Karl Hecht geht darauf - auch basierend auf den Forschungen von L. v. Klitzing - detailliert ein.
Sonderbeilage in Ausgabe 1-2018 / ISSN 1437-2606 / 31. JahrgangFormat: A4Seitenanzahl: 32 Veröffentlicht am: 19.02.2018 Sprache: DeutschHerausgeber: umwelt • medizin • gesellschaft

Biologische und pathologische Wirkungen der Strahlung von 2,45 GHz auf Zellen, Fruchtbarkeit, Gehirn und Verhalten

Review veröffentlicht in umwelt • medizin • gesellschaft
Autor:
Isabel Wilke
Inhalt:
Dieser Artikel ist ein systematischer Review von Studien zu den Wirkungen nicht-ionisierender Strahlung in der Mikrowellen (MW)-Frequenz 2,45 GHz (2.450 MHz), die hauptsächlich für WLAN / WiFi-Anwendungen (Wireless Local Area Network) und den Mikrowellenherd genutzt wird.
umg 1/2020
Heft 1/2020Format: A4Seitenanzahl: 10 Veröffentlicht am: 10.12.2022 Sprache: DeutschHerausgeber: umwelt-medizin-gesellschaft

WLAN an Kindertagesstätten und Schulen: Ein Hype verdeckt die Risiken


Autor:
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Die geplante „Digitale Bildung“ fußt auf der Infrastruktur von Smartphones, Tablets und WLAN (Wireless Local Area Network). WLAN ist dabei das Herzstück der mobilen Datenübertragung. WLAN gilt inzwischen als Statussymbol für eine moderne Schule. Zur WLAN-Mikrowellen-Frequenz von 2.450 MHz und seiner Taktung mit 10 Hz gibt es Untersuchungen, die erhebliche Risiken für die Gesundheit nachweisen. Eine Zusammenschau der Erkenntnisse aus der Hirnforschung über die Wirkung des durch digitale Medien beschleunigten Überflusses an Informationen, der Reizüberflutung und der Ergebnisse der Forschung zu Risiken der Strahlungseinwirkungen auf den Gehirnstoffwechsel führt zu einem tieferen Verständnis des Schädigungspotenzials. Insbesondere das reifende Gehirn von Kindern ist gefährdet. Eine Diskussion darüber wird von den zuständigen Ministerien und Kultusbehörden nicht geführt, sondern es wird versucht, besorgte Eltern mit Fortschrittserzählungen und Textbausteinen zu beruhigen.
Buch Titelbild diagnose:funk
Preis: 16,90 EuroFormat: A5Seitenanzahl: 368 Veröffentlicht am: 01.11.2022 Bestellnr.: 905ISBN-13: 978-3982058528Sprache: DeutschHerausgeber: diagnose:funk

Die unerlaubte Krankheit.

Wenn Funk das Leben beeinträchtigt.
Autor:
Renate Haidlauf
Inhalt:
Mindestens zwei Prozent der Bevölkerung in Deutschland sind elektrohypersensibel – durch Funk erkrankt. Das entspricht über 1,2 Millionen Erwachsenen. In diesem Buch berichten 50 Betroffene, wie sie auf Funk reagieren und welche Konsequenzen das hat für ihre Familien, ihr Wohnumfeld, den Beruf und ihr ganzes Leben. „Unerlaubte Krankheiten“ ziehen sich durch die Geschichte des Industriezeitalters. Menschen erkrankten durch Asbest, fast hundert Jahre lang verschloss man die Augen davor. Es durfte nicht sein, weil es ein lukratives Produkt infrage stellen würde. So ging es im Bergbau mit PCB-verseuchten Ölen, mit giftigen Stäuben und Dämpfen im Druckgewerbe, mit der Strahlung von militärischen Radaranlagen, die bei Soldaten Krebs verursachte. Man erkannte die Zusammenhänge mit den gefährlichen Stoffen nicht an, in jahrzehntelangen Gerichtsverfahren wurden die Betroffenen zermürbt, in den wenigsten Fällen erhielten sie eine Abfindung. In den letzten Jahren hat sich der Anteil der Menschen mit Kopfschmerzen und Schlafschwierigkeiten enorm erhöht. Sie suchen ärztlichen Rat, doch man findet keine Ursachen. Parallel dazu stieg auch die Funkbelastung durch WLAN, Sendemasten, Bluetooth etc. Solange Schmerzgeplagte und Schlaflose noch keinen Zusammenhang mit Funk erkennen, ist ihr Kranksein „erlaubt“. Stellen sie jedoch fest, dass ihre Beschwerden nachlassen, wenn sie WLAN und Co. vermeiden, dann wird ihr Urteilsvermögen schnell angezweifelt.
Ja, ich möchte etwas spenden!