Mobilfunkausbau und Kommunen: „Es können strahlenreduzierte Zonen ausgewiesen werden!“

Interview mit Bernd I. Budzinski (Richter a.D.)
Die Ampelkoalition hat sich auf Beschleunigungsverfahren für Großprojekte geeinigt. Es ist zu befürchten, dass damit Umweltstandards, Kommunal- und Bürgerbeteiligungen unter die Räder kommen. Auch der Aufbau der Mobilfunkinfrastruktur fällt darunter. Bauordnungen sollen geändert werden. Bürger­meistern und Gemeinderäten wird erzählt, sie hätten sowieso keine Rechte beim Aufbau von Sende­anlagen. Wie aber können Bürgermeister in einem solchen Selbst­entmün­di­gungs­fatalismus ihren Gemeinderäten erklären, die Kommune müsse sich mit einer solchen Entrechtung abfinden? Warum dies nicht nur demokratischen Grundsätzen, sondern auch gültigem Recht widerspricht, dazu befragten wir den Juristen Bernd I. Budzinski (Richter am Verwaltungsgericht a.D.).
Bernd I. Budzinski, Bild: diagnose:funk

Kommunen können Alternativstandorte vorschlagen!

diagnose:funk: Herr Budzinski, die Allzuständigkeit der Kommune gilt auch für den Gesundheitsschutz und für eine intakte Umwelt. Elektrosmog ist dafür ein Risikofaktor. Immer wieder hören wir, dass Bürgermeister den Gemeinderäten sagen, wir haben keine Rechte bei der Aufstellung von Mobilfunkmasten.

B. I. Budzinski: Das ist in dieser Pauschalität nicht richtig, denn ... 

Erstens: Die Bürgermeister übersehen, dass sie von den Betreibern recht­zei­tig vor der Aufstellung einer (Hochfrequenz-) Sendeanlage gehört werden müssen und dann in der Regel 8 Wochen Zeit haben, einen sog. Alternativstandort vorzuschlagen. Und das muss nicht vergeblich sein! Die Betreiber müssen diesen Vor­schlag nämlich akzeptieren, wenn der Standort  annähernd mit dem ursprüng­lich geplanten funktional vergleichbar ist. Diese Rechtsposition folgt nicht allein aus dem rechtlich eher unverbindlichen sog. Mobil­funkpakt, sondern aus § 7a der 26. BImSchV, also der gesetzlichen Regelung für die Zulassung von Sende­anlagen. §7a soll gerade die „Rechtlosigkeit“ der Gemein­den gegenüber einer Umgestaltung des Gemein­degebiets durch Funkmasten verhindern.

Zweitens: Und entgegen einer neuerlich vermehrt verbreiteten Behauptung darf der Alternativstandort nicht allein schon deshalb – also ohne weitere inhaltliche Prüfung – abgelehnt oder erst gar nicht vorgeschlagen werden, falls er sich nicht im sogenannten Suchkreis befindet. Insbesondere in bisher funkarmen Gegenden sind die Suchkreise noch gar nicht so zwingend festgelegt, dass keine Verschiebungen denkbar erschienen.

Drittens: Da die Anhörung außerdem nicht allein wegen der baulichen Erscheinung, sondern wegen der Emissionen von Hochfrequenz („Hochfrequenzanlage“!) erfolgen soll, spricht des Weiteren viel dafür, sie bei jeder nen­nenswerten Erhöhung oder Veränderung der Emissionen auch einer baulich schon vorhandenen Anlage zu fordern, z.B. bei einer Hinzufügung oder wesentlichen Veränderung von Antennen, zumindest aber dann, wenn auch eine neue Standortbescheinigung erforderlich ist.

Viertens:  Die Gemeinden dürfen darüber hinaus Standorte auch durch Bebauungspläne oder mit Hilfe soge­nann­ter Vorrang­plätze im Flächen­nutzungsplan  generell vorausschauend  festlegen – Letzteres ähnlich wie bei Windrädern. Dabei  können aus begründetem Anlass, z.B. für den Tourismus, für Forschungszwecke oder zur Unter­bringung strahlenempfindlicher Personen, mobilfunkfreie oder strahlenreduzierte Zonen ausgewiesen werden, wie es beispielhaft im UNESCO-Biosphärenreservat Rhön geplant ist (Ziff. 4.7 des dortigen Rahmenplanes; https://www.biosphaerenreservat-rhoen.de/fileadmin/ media/publikationen/Rahmenkonzept_Band_III.pdf).

diagnose:funk: Wo ist das juristisch zugesichert?

B. I. Budzinski: Das beruht auf der in Art. 28 Abs. 2 Grundgesetz verfassungsrechtlich gesicherten ‚Allzustän­dig­keit’ und Pla­nungshoheit der au­to­no­men Gemeinden und einer Ent­schei­dung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) aus dem Jahre 2012, in welcher die Planung eines mastenfreien Wohngebiets einer Gemeinde zur Vor­sorge gegen Strahlenrisiken gebilligt wurde.[1]

Erstens:  Nach bislang ein­helliger Meinung in der Fachliteratur dazu dürfte die Gemeinde in dieser Weise sogar gänzlich mobilfunkfreie Zonen ein­richten.[2] Um so mehr darf sie deshalb in be­stimm­ten (Wohn-)Gebieten den Mo­bil­funk auch bloß reduzieren – z.B. auf das Freie ohne sog. Indoor-Versorgung be­schrän­ken. Denn Beides stellt eine wirksame Vor­sorge gegenüber Funkstrahlung dar, zumal die Grenzwerte selbst keinerlei Vorsorge beinhalten.

Zweitens: Dank ihrer Gemeinde- und Planungshoheit dürfen die Gemeinden für ihre Bürger*innen also vorsorgen und dabei mehr bieten, als sie nur auf den allgemeinen Mindestschutz der Grenzwerte zu vertrösten (zumal Bund und Land untätig blei­ben!). Dazu besteht nach der insoweit für die planerische Abwägung der Gemeinden maßgeblichen Auffassung des Gerichts begründeter Anlass, weil der Mobilfunk nicht frei von beachtlichen Risiken ist. Denn „die im Zusam­men­hang mit Mobilfunk be­ste­henden Besorgnisse sind (auch) dem "vorsorge­rele­vanten Risi­ko­niveau" zuzuordnen und nicht ausschließlich den "Immissions­befürchtungen"“, sagt das Gericht aus­drück­lich (Ziff. 20)).

Drittens: Die Auffassung des Bundesamts für Strahlenschutz, es gebe keinen Grund zur Sorge, ist damit überholt. Das bestätigt im Ergebnis auch der Technikfolgenausschuss des deutschen Bundestages: Er hält es nunmehr ebenfalls für geboten, „die Einrichtung von Schutzzonen, in denen die Verwendung von Mobiltele­fonen oder die Errichtung von Sende­an­lagen ver­boten oder stark eingeschränkt wird“, in Betracht zu ziehen (Bericht vom 14.02.2023)[3].

Banner in Birkendorf (Schwarzwald): Die Gemeinde beschloss in Zusammenarbeit mit der Bürgerinitiative eine Mobilfunkplanungdiagnose:funk

Eine Enteigung ist nicht zulässig!

diagnose:funk: In einer Schwarzwaldgemeinde wurde sogar gesagt, wenn wir nicht zustimmen, wird einfach ein Grundstück enteignet, da die Betreiber zur Schließung von Funklöchern verpflichtet sind?

B. I. Budzinski: Das ist ebenfalls nicht richtig und wäre nach dem soeben Gesagten auch völlig überzogen. Das einschlägige Telekommunikationsgesetz (TKG) sieht ausdrücklich keine „Enteignung“ vor (anders in Österreich: § 79 TKG 2021!). Der deutsche § 134 TKG sagt lediglich, dass Leitungen oder Anlagen auf einem Grundstück nicht abgewehrt werden können, d.h. geduldet werden müssen, wenn dieses durch die Benut­zung nicht unzumutbar beeinträchtigt wird oder wenn bereits vorhandene Leitungen oder Anlagen ohne zusätzliche Beeinträchtigung der Nutzbarkeit mitbenutzt werden können. Gedacht ist dabei vor allem an Kabel, aber auch an Richtfunkstrecken durch die Luft.

Zur gleichen Vorgängerregelung hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) 1999 entschieden,[4] dass jedenfalls „die Errichtung ober­irdi­scher, weithin sichtbarer und dauerhafter Anlagen“ (also Sendemasten) ‚unzumutbar‘ i.S. des Gesetzes ist. Bei Small Cells wird es nun auf den Einzelfall ankommen.

diagnose:funk: Das müssen Sie erklären! Warum sind Sendemasten „unzumutbar“? Dann könnte man sie ja auch schon direkt mit einer Klage ablehnen!

B. I. Budzinski: Es geht nur um die ‚Zumutbarkeit‘ im Sinne des § 134 TKG in Bezug auf eine Inanspruch­nahme des Grund­ei­gen­tums, nicht aber in Bezug auf die damit nicht geregelte körperliche Beeinträchtigung der sich dort auf­haltenden Bewohner. Es geht also nur darum, inwieweit eine Beeinträchtigung von Besitz und Eigentum durch Baumaßnahmen mit Einrichtungen für den Mobilfunk zuzumuten ist.

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Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht

In zwei aktuellen Fachartikeln in der Neuen Zeitschrift für Verwaltungsrecht 22/2020 vom 15.11.2020 untermauern die Autoren Nitsch/Weiss/Frey (2020) und Budzinski (2020), dass die Kommune eine aktive Rolle spielen kann.[1] Die Kommune kann und soll Mobilfunkkonzepte erstellen. Zu diesem Schluss kommen beide Autoren, obwohl sie von verschiedenen Grundpositionen ausgehen. Nitsch / Weiss / Frey befürworten den 5G Ausbau, der ehem. Verwaltungsrichter Bernd I. Budzinski ist 5G-Kritiker. Mehr dazu: >>> www.diagnose-funk.org/1632

 

Diesen juristischen Grundsatzartikel sollten alle Bürgermeister und Gemeinderäte vor der Befassung mit dem Thema Mastenaufstellung beraten. Er klärt umfassend über die Rechte der Kommunen auf.

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Verkabelung kann gefordert werden!

diagnose:funk: Müssen Funklöcher geschlossen werden, sogar strafbewehrt für die Betreiber?

B. I. Budzinski: Erst wenn die Bundesnetzagentur (BNetzA) eine unzureichende Versorgung festgestellt und daraufhin einen bestimmten Betreiber verpflichtet hat, dort den gesetzlich geforderten Mindestver­sor­gungsstandard her­zustellen (vgl. § 156 Abs. 1 TKG), kann bei wei­terer Untätigkeit ein Bußgeld ver­hängt werden (§ 228 Abs. 2 Ziff. 3a i.V.m. § 161 Absatz 2 Satz 1 oder Absatz 3 Satz 1 TKG). Gefordert werden:

Erstens: „Mindestens verfügbar sein müssen Sprachkommuni­kations­dienste sowie ein schneller Internet­zugangs­dienst für eine angemessene soziale und wirtschaftliche Teilhabe im Sinne des Absatzes 3, einschließlich des hierfür notwendigen Anschlusses an ein „öffentliches Telekommunikationsnetz an einem festen Stand­ort“ (§ 157 Abs. 2 TKG). Wie schon diese Formulierung andeutet, besteht an einem „festen Standort“, d.h. stationär auch mit Kabel er­schließ­barem Platz, grundsätzlich kein An­spruch ein­seitig oder vorrangig auf „mobile“ Versor­gung durch Funk. Ganz im Gegenteil darf die BNetzA vom versor­gungs­pflich­tigen Betreiber – falls für diesen zumutbar – stattdessen sogar einen An­schluss mit Kabel verlan­gen (vgl. § 161 Abs. 3 Satz 1 TKG). Dann kann sie nicht zugleich die Schließung eines solchen ‚Funklochs‘ mit einem Bußgeld durchsetzen wollen und sollen!

Zweitens: Das entspricht durchaus der Tech­nologieneutralität. Verlangt werden kann an festem Standort nicht Kabel­losigkeit, sondern nur die Versorgung, die zweck­mäßiger ist, d.h. das Versorgungs­ziel leichter und schneller herbei­führt. Diese Entscheidung darf bei einem nicht rechtzeitig vom Betreiber ver­sorgten Gebiet ausnahms­weise auch die BNetzA treffen (und zwar zugunsten des Kabels!), wodurch sich –- wie gesagt - ein Bußgeld erübrigt. 

Drittens: Daran ändert sich auch nichts durch Satz 2: „Die Fest­stellung einer Unterversorgung nach § 160 Absatz 1“ bleibt hierdurch „unbe­rührt“ (§ 161 Abs. 3 Satz 2 TKG). Das Ziel einer Versor­gung mit Funk wird auf diese Weise im Interesse der freien Landschaft nicht auf­gege­ben. Damit trägt das Gesetz dem Grundsatz der ‚flä­chen­deckenden Versorgung‘ mit Funk Rechnung.  Die freie Landschaft – und nur diese – erscheint im Falle des § 161 Abs. 3 Satz 1 TKG ja tatsächlich auch weiterhin „unterversorgt“.

Viertens: Im Hausinnern aber kann bei einer Vollversorgung der Bebauung z.B. mit Glasfaserkabel schon begrifflich von „Unterversorgung“ nicht (mehr) gesprochen wer­den (vgl. § 157 Abs. 2 TKG). Eine solche Versorgung ist technologisch sogar höher­wertig,[5] mindestens aber gleichwertig, und erfüllt damit den wege­neu­tralen Ver­sorgungsanspruch. Mobilität im Innenraum ist bei dieser Sachlage eine Frage der Selbstversorgung wie die Erschließung mit Strom, Gas und Wasser. Sie erfolgt im Übrigen schon heute unabhängig vom Mobilfunk durch WLAN oder könnte durch serienreifen Lichtfunk (VLC oder LiFi) erfolgen. Das hängt zudem von der Selbst­bestim­mung des Wohnungsinhabers ab, der gegenüber Mobilfunkrisiken vorsorgen will.

Ein von außen aufgezwungener Funk verletzt diese Selbstbestimmung und so sein Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung. Den Tatbestand einer solchen Verletzung (Art. 8 der Europäischen Men­schenrechtskonvention)  hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) im Jahr  2007 aus­drück­lich anerkannt, aber in der Sache nach damaligem Erkenntnisstand nicht weiter als schwerwiegend angesehen. Davon kann heute, während allgemein Schutzzonen gefordert oder empfohlen werden, nicht mehr ausgegangen werden (Siehe dazu in der Anlage).

Fünftens: Eine „Doppelver­sorgung“ auch noch mit Funk kann vernünftigerweise auch schon aus Gründen der Energieeinsparung nicht verlangt werden, zumindest dann nicht, wenn das Ver­sor­gungsziel bereits durch Kabel voll erreicht ist. Ganz im Gegen­teil ist generell ein „Anschluss“ im Haus­innern („Indoor“) mit Funk sogar zu vermeiden, weil der Funk­verkehr hin und her durch die Hauswand (wo er größtenteils nutzlos „hängen bleibt“) enormen Energie­aufwand erfordert und damit „klima­schädlich“ ist. Das Bundes­umweltamt stellte dies klar fest und hält den Mobilfunk deshalb für einen ‚Hausanschluss‘ ausdrücklich für „nicht tragfähig“, also ungeeignet.[6] Dies ist für Verständnis und Auslegung von § 161 TKG von maßgeblicher Bedeutung (s. dazu die >>> Artikelserie zu Klima und Digitalisierung).

Sechstens: Die Bundesnetzagentur sagt schließlich zur Verpflichtung der Betreiber, Versorgungslücken zu schließen: Sie verlange nichts Unmögliches; wo es aus "rechtlichen und tat­säch­lichen" Gründen nicht machbar sei, Antennen aufzustellen, werte man dies nicht als Verfehlung.

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Prof. Wilfried Kühling, Bild privat

Funkwende – Eine Denkschrift

von Wilfried Kühling

In der Zeitschrift umwelt-medizin-gesellschaft 4/2022 erschien der Artikel „Funkwende-Eine Denkschrift“, der kompakt juristisch abgesicherte planerische Möglichkeiten einer Mobilfunkversorgung darstellt, die Mensch und Natur schützt. Prof. Wilfried Kühling lehrte Raum- und Umweltplanung an der Universität Halle und war lange Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats des BUND: >>> Download des Artikels

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diagnose:funk: Was sagt der Begriff „Genehmigungsfiktion“?

B. I. Budzinski: Der Begriff bedeutet, dass eine voll wirksame Genehmigung entsteht, wenn z.B. eine Frist, bis zu der über sie hätte entschieden werden müssen, ohne Grund nicht eingehalten wurde, die Frist also einfach verstreicht. Dieser Fall tritt z.B. ein, wenn Behörden zu einem Baugesuch nicht rechtzeitig, d.h. binnen 2 Monaten seit ihrer Anhörung, Stel­lung nehmen (§ 54 Abs. 3 und 5 Landesbauordnung B-W.); solcherart fiktive Geneh­mi­gungen (oder sonstige fiktive Rechtsfolgen) kommen allgemein auch in anderen Bereichen des Verwaltungs­rechts vor (§ 42a Verwaltungsverfahrens­gesetz).

diagnose:funk: Heißt das nicht, es kann einfach mal gebaut werden, ohne die Gemeinde zu kontaktieren? Und erst, nachdem der Sendemast in Betrieb ist, wird nachträglich legitimiert?

B. I. Budzinski: Nein! Diese Wirkung kann natürlich nur dann eintreten, wenn die Gemeinde vorher ord­nungs­gemäß ‚kontaktiert‘ wurde. Und die Gemeinde ist immer von geplanten Mobilfunkanlagen in Kenntnis zu setzen, selbst wenn sie genehmigungsfrei sind. Das gilt unabhängig vom Baurecht zudem stets wegen der Anhörungspflicht nach § 7a 26. BImSchV.

diagnose:funk: Herr Budzinski, herzlichen Dank für diese wertvollen Informationen.

Anlage_______________________________________

Amtsblatt der EU vom 04.03.2022: Der Wirtschafts- und Sozialausschuss der Europäischen Union (EWSA) schreibt (https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52021IE2341&from=EN); Ziff. 4.13:

  • „Das Europäische Parlament, der EWSA und der Europarat haben anerkannt, dass Elektrohypersensibilität bzw. Elektrohypersensitivität eine Krankheit ist. Hiervon sind eine Reihe von Menschen betroffen, und mit der Einführung von 5G, für das eine viel höhere Dichte elektronischer Anlagen benötigt wird, könnte dieses Krankheitsbild häufiger auftreten.“

In der vom Technikfolgenausschuss des EU-Parlaments STOA herausgegebenen Studie „Health Impact of 5G “ (Übersetzung; https://www.diagnose-funk.org/download.php?field=filename&id=491&class=DownloadItem) wird folglich ausdrücklich der Schutz elektrosensibler Personen gefordert:

  • Öffentliche Versammlungsorte könnten "HF-EMF-Verbotszonen" sein (wie beim Zigarettenrauchen), um die passive Exposition von Personen zu vermeiden, die keine Mobiltelefone oder Lang­streckenüber­tragungstechniken nutzen, um so viele gefährdete ältere oder immungeschwächte Menschen, Kinder und elektrosensible Personen zu schützen.“(S. 153) (Belpoggi, F.: Health impact of 5G; Panel for the Future of Science and Technology (STOA), European Parliament (2021);[https://www.europarl.europa.eu/stoa/en/document/EPRS_STU(2021)690012]).

Der Technikfolgenausschuss des Bundestags hat jüngst in seinem Bericht vom 14.04.2023 (S. 17) Vorsorge durch die Schaffung von mobilfunkfreien Schutzzonen für möglich erklärt (https://dserver.bundestag.de/btd/20/056/2005646.pdf):

  • „Neben einer Anpassung der Grenzwerte können auch Be­schränkungen der Verwendung (z. B. die Einrichtung von Schutzzonen, in denen die Verwendung von Mobiltelefonen oder die Errichtung von Sende­an­lagen ver­boten oder stark eingeschränkt wird),….in Betracht gezogen werden“.

Die Landesärztekammer Baden-Württemberg fordert in ihrer Stellungnahme zum Mobilfunk von 2021 erneut u.a.:

  • „Schaffen von mobilfunkfreien Zonen u.a. in öffentlichen Einrichtungen (Bus, Bahn, Schule, Hochschule, Verwaltung, Kliniken), aber auch im privaten Bereich (Schlafzimmer), Einrichtung einer Koordinierung­stelle zur Sammlung von Meldungen über „Mobilfunk-Nebenwirkungen“, auch für Elektrosensible".

Fundstellen_________________________________

Sechsundzwanzigste Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Verordnung über elektromagnetische Felder - 26. BImSchV) § 7a Beteiligung der Kommunen:

Die Kommune, in deren Gebiet die Hochfrequenzanlage errichtet werden soll, wird bei der Auswahl von Standorten für Hochfrequenzanlagen, die nach dem 22. August 2013 errichtet werden, durch die Betreiber gehört. Sie erhält rechtzeitig die Möglichkeit zur Stellungnahme und zur Erörterung der Baumaßnahme. Die Ergebnisse der Beteiligung sind zu berücksichtigen.

Art. 28 Abs. 2 Grundgesetz (Gemeindeautonomie)

(1) …..

(2) Den Gemeinden muß das Recht gewährleistet sein, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. 2  Auch die Gemeindeverbände haben im Rahmen ihres gesetzlichen Aufgabenbereiches nach Maßgabe der Gesetze das Recht der Selbstverwaltung. 3  Die Gewährleistung der Selbstverwaltung umfaßt auch die Grundlagen der finanziellen Eigenverant­wor­tung; zu diesen Grundlagen gehört eine den Gemeinden mit Hebesatzrecht zustehende wirtschaftskraftbe­zogene Steuerquelle.

(3) Der Bund gewährleistet, daß die verfassungsmäßige Ordnung der Länder den Grundrechten und den Bestimmungen der Absätze 1 und 2 entspricht.

§ 134 TKG n.F. Beeinträchtigung von Grundstücken und Gebäuden

(1) Der Eigentümer eines Grundstücks, das kein Verkehrsweg im Sinne des § 125 Absatz 1 Satz 2 ist, kann die Errichtung, den Betrieb und die Erneuerung von Telekommunikationslinien auf seinem Grundstück sowie den Anschluss der auf dem Grundstück befindlichen Gebäude an Netze mit sehr hoher Kapazität insoweit nicht verbieten, als

1. auf dem Grundstück einschließlich der Gebäudeanschlüsse eine durch ein Recht gesicherte Leitung oder Anlage auch für die Errichtung, den Betrieb und die Erneuerung einer Telekommunikationslinie genutzt und hierdurch die Nutzbarkeit des Grundstücks nicht dauerhaft zusätzlich eingeschränkt wird,

2. das Grundstück einschließlich der Gebäude durch die Benutzung nicht unzumutbar beeinträchtigt wird,

3. das Grundstück im öffentlichen Eigentum steht, wie ein Verkehrsweg genutzt wird, ohne als solcher gewidmet zu sein (Wirtschaftsweg), und der Benutzung keine wichtigen Gründe der öffentlichen Sicherheit entgegenstehen oder

4. das Grundstück im Eigentum eines Schienenwegebetreibers steht und die Sicherheit des Eisenbahnbetriebs hierdurch nicht beeinträchtigt wird.

Zu § 57 I Nr. TKG a.F. Vorgänger von § 134 TKG

BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 25. August 1999 - 1 BvR 1499/97 -, Rn. 1-21, http://www.bverfg.de/e/rk19990825_1bvr149997.html

„Nach diesem Maßstab stellt zwar die bloße Kreuzung des Luftraums eines Grundstücks im Regelfall eine zumutbare Beeinträchtigung dar. Dies gilt aber nicht für die Errichtung oberirdischer, weithin sichtbarer und dauerhafter Anlagen.“

§ 157 TKG Verfügbarkeit der Telekommunikationsdienste

(1) Die Bundesnetzagentur überwacht in regelmäßigen Abständen die Verfügbarkeit eines Mindestangebots gemäß Absatz 2. ….

(2) Mindestens verfügbar sein müssen Sprachkommunikationsdienste sowie ein schneller Internetzugangs­dienst für eine angemessene soziale und wirtschaftliche Teilhabe im Sinne des Absatzes 3, einschließlich des hierfür notwendigen Anschlusses an ein öffentliches Telekommunikationsnetz an einem festen Standort.

§ 161 TKG Verpflichtungen zur Versorgung mit Telekommunikationsdiensten

(3) Die Bundesnetzagentur kann ausnahmsweise ein oder mehrere in Betracht kommende Unternehmen dazu verpflichten, Endnutzer leitungsgebunden unter Mitnutzung bereits vorhandener Telekommuni­kations­linien anzuschließen und mit Diensten nach § 157 Absatz 2 zu versorgen, wenn dies zumutbar ist. Die Fest­stellung einer Unterversorgung nach § 160 Absatz 1 bleibt unberührt. Zumutbar ist der leitungsgebundene Anschluss in der Regel dann, wenn geeignete Leerrohrinfrastruktur am zu versorgenden Grundstück anliegt. Das Verfahren zur Verpflichtung eines oder mehrerer Unternehmen zum leitungsgebundenen Anschluss ent­spricht dem Verfahren des Absatzes 2. Die Bundesnetzagentur veröffentlicht ihre Entscheidung ein­schließ­lich deren Gründe.

Enteignung

§ 79 TKG 2021 Österreich!

(1) Liegt die Errichtung einer Kommunikationslinie im öffentlichen Interesse und führt die Inanspruchnahme der Rechte nach §§ 51 bis 67 nicht oder nur mit unverhältnismäßigen Mitteln zum Ziel, ist eine Enteignung zulässig.

(2) Die Errichtung einer Kommunikationslinie durch den Bereitsteller eines öffentlichen Kommunikationsnetzes gilt jedenfalls als im öffentlichen Interesse gelegen.

(3) Bei der Enteignung hat das jeweils gelindeste Mittel Anwendung zu finden. Wird durch die Enteignung die widmungsgemäße Verwendung des Grundstückes unmöglich oder unzumutbar, ist auf Verlangen des Grundstückseigentümers die zu belastende Grundfläche gegen angemessene Entschädigung in das Eigentum des Enteignungsberechtigten zu übertragen.

(4) Würde durch die Enteignung eines Teiles eines Grundstückes dieses für den Eigentümer die zweckmäßige Benützbarkeit verlieren, so ist auf sein Verlangen das ganze Grundstück abzulösen.

(5) Für die Durchführung der Enteignung und die Bemessung der vom Enteignungsberechtigten zu leistenden Entschädigung sind von der Regulierungsbehörde die Bestimmungen des Bundesstraßengesetzes 1971, BGBl. Nr. 286/1971, sinngemäß anzuwenden. Zur Enteignung von Liegenschaften, die dem öffentlichen Eisenbahn- oder Luftverkehr dienen, ist die Zustimmung der Eisenbahn- oder Luftfahrtbehörde erforderlich.

Quellen ________________________________

[1]  BVerwG, Urteil vom 30. 8. 2012 – 4 C 1.11 -; https://lexetius.com/2012,4982

[2]  RA Koch (Regelmäßiger Anwalt der BNetzA), „Die kommunale Angst vor dem Mobil­funk“, NVwZ 2013, 251/255: „vollständi­ger Ausschluss aus Gesundheitsgründen möglich“. Ebenso RA’in Hensel, Frankfurt: „mobil­funk­freie Zonen zulässig“; IDUR-Schnell­brief  Nr.181, S.67 ff., Nov./Dez. 2013.

[3]  https://dserver.bundestag.de/btd/20/056/2005646.pdf (Fettdruck v. Verfasser) Bericht ist von allen Bundestagsfraktionen gebilligt.

[4]  http://www.bverfg.de/e/rk19990825_1bvr149997.html

[5]  https://www.eff.org/deeplinks/2019/10/why-fiber-vastly-superior-cable-and-5g

[6] https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/376/publikationen/politische-handlungsempfehlungen-green-cloud-computing_2020_09_07.pdf S. 8

Publikation zum Thema

4. vollständig überarbeitete Auflage, 2021Format: A5Seitenanzahl: 96 Veröffentlicht am: 26.05.2021 Bestellnr.: 104Sprache: DeutschHerausgeber: diagnose:funk | Titelfoto: stock.adobe.com

Kommunale Handlungsfelder

Mobilfunk: Rechte der Kommunen - Gefahrenminimierung und Vorsorge auf kommunaler Ebene
Autor:
diagnose:funk | Dipl.-Ing. Jörn Gutbier
Inhalt:
Diese Broschüre gibt Auskunft, welche Möglichkeiten Gemeinden haben, in die Aufstellung von Mobilfunksendeanlagen steuernd einzugreifen. Es wird aufgezeigt, was Kommunen neben dem sog. Dialogverfahren mit den Betreibern noch alles tun können, um ihre Bürger:innen mit einem Vorsorge- und Minimierungskonzept vor der weiterhin unkontrolliert zunehmenden Verstrahlung unserer Lebenswelt zu schützen. Darüber hinaus wird auf Argumente eingegangen, die in der Mobilfunkdiskussion eine wichtige Rolle spielen: die Grenzwerte, der fehlende Versicherungsschutz der Betreiber, der Mobilfunkpakt der kommunalen Spitzenverbände, die Strahlungsausbreitung um Sendeanlagen, die Messung und Bewertung der Strahlungsstärke, der Diskurs um Sendeanlagen versus Endgeräte, Kleinzellennetze, alternative Technologien u.a.m. Die Kommune ist immer noch die einzige Ebene, auf der zur Zeit ein wichtiger Teil einer neuen, effektiven Art der Mobilfunkvorsorgepolitik zum Schutz der Menschen und der Umwelt eingeleitet und umgesetzt werden kann.
Artikel veröffentlicht:
07.04.2023
Autor:
diagnose:funk

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