SPD will ohne Genehmigung bauen lassen

His Master´s Voice: Lob für die SPD von BITKOM
Das Nachrichtenportal Golem berichtet, dass die SPD-Bundestagsfraktion in ihrer Jahresauftaktklausur am 12. und 13. Januar 2023 die Genehmigung von neuen Mobilfunksendeanlagen weitgehend freigeben will. Die Mobilfunkindustrie zeigt sich erfreut. Vor 10 Jahren forderte die SPD-Fraktion nach einer Experten-Anhörung im Bundestag noch strengere Regeln beim Bau von Mobilfunkmasten. Lesen Sie unseren Kommentar "Bürger, ihr könnt uns mal" am Schluss des Artikels.
His Master´s Voice, Bild: Wikipedia

Die Genehmigungsfiktion, die die SPD vorschlägt, bedeutet, dass nach Ablauf einer Frist von drei Monaten eine automatische Genehmigung für den Bau eines Standortes erteilt wird, die dann durch die Behörden im Zweifelsfall nachträglich geändert werden kann. Im Papier der SPD, das Golem vorliegt, heißt es:

 

 

 

 

  • "Für den Mobilfunkausbau unterstützen wir zur Vereinfachung und Beschleunigung das Verfahren der baurechtlich genehmigungsfreien Errichtung von mobilen Antennenanlagen für 24 Monate. Wir unterstützen außerdem die Ausweitung der genehmigungsfreien Bauhöhen von Mobilfunkmasten."

Beifall kommt vom Vorsitzenden des IT-Branchenverbands Bitkom, Bernhard Rohleder:

  • "Der Mobilfunkausbau könnte viel schneller gehen. Ob neue Masten oder neue Leitungen: Allein bis ein Bauantrag genehmigt ist, vergehen in Deutschland bis zu 14 Monate. Wir müssen die Bürokratie entschlacken und die Verfahren massiv beschleunigen, um den Mobilfunkausbau nach vorne zu bringen. Der Bitkom begrüßt, dass die SPD nun Vorschläge für einen deutlich schnelleren Ausbau der Infrastruktur macht."

Die SPD folgt damit einer Vorlage der CSU. Mobilfunkbetreiber in Bayern sollen künftig innerhalb von Gemeinden Masten bis zu einer Höhe von 15 Metern ohne Genehmigung errichten können. Das gab Bayerns Bauminister Christian Bernreiter (CSU) am 19. Oktober 2022 bei der Unterzeichnung des Pakts Digitale Infrastruktur bekannt. Im Außenbereich ist sogar eine Höhe von 20 Metern erlaubt. Die Kommunen sollen dabei nur "eingebunden" werden.

Quelle aller Informationen: Golem, 12. Januar 2023, Autor Achim Sawall, https://www.golem.de/news/mobilfunk-spd-will-sendemasten-ohne-genehmigung-bauen-lassen-2301-171154.html

 

Sreenshot SPD Fraktion

Vor 10 Jahren: SPD fordert strengere Regulierung der Mobilfunkausbaus nach einer Anhörung im Bundestag

SPD-Pressemitteilung über die Anhörung im Bundestag, 27.02.2013

Vor elektromagnetischer Strahlung muss viel besser geschützt werden.
Zur heutigen Anhörung über die Novelle der Verordnung über elektromagnetische Felder (26. BImSchV) erklärt der stellvertretende energiepolitische Sprecher und zuständiger Berichterstatter der SPD-Bundestagsfraktion Dirk Becker:

Es wird höchste Zeit, dass die Bundesregierung das Machbare tut, um Bürgerinnen und Bürger vor elektromagnetischer Strahlung zu schützen. Das Vorsorgeprinzip beim Schutz gegenüber elektromagnetischer Strahlung ausgehend von Stromtrassen und Mobilfunkanlagen muss konsequenter angewendet werden. Dies haben die drei von der Opposition geladenen Sachverständigen in der Anhörung zur Änderung der 26. BImschV klar herausgearbeitet. Nachdem im letzten Jahrzehnt der Fokus auf der Gefahrenabwehr gegenüber den nachgewiesenen akuten Wirkungen lag, ist nun die Datenlage im Bereich der chronischen Wirkungen evident. Die bestehenden Grenzwerte bieten keinen ausreichenden Sicherheitsraum und müssen entsprechend abgesenkt werden. In anderen europäischen Ländern ist dies schon längst geschehen.

Einig waren sich die Sachverständigen immerhin darin, dass im Alltagsleben der Menschen die Zahl der Feldquellen neuer Technologien, angefangen bei den Stromleitungen über das Handy bis zu WLAN- und Bluetooth-Funkverbindungen sehr stark zugenommen hat und noch weiter steigen wird. Darauf haben viele unserer Nachbarländer bereits sensibel regiert und ihre Grenzwerte angepasst. Sie liegen dort um Größenordnungen niedriger. Nun muss auch Deutschland den nächsten Schritt tun und unterhalb der hier geltenden schwachen Grenzwerte höchsten Schutz gewährleisten.

Nur halbherzig hat die Bundesregierung ein Minimierungsgebot aufgenommen, indem sie im Bereich der Stromleitungen den Stand der Technik fordert, im Bereich des hochfrequenten Mobilfunks aber alles beim Alten lässt. Genaues hat sie hierzu nicht verraten, sondern will dies in einer Verwaltungsvorschrift niederlegen, wann immer sie denn erscheinen möge.

Zudem wurden dem Verordnungsentwurf durch ein Mitglied der eigenen Strahlenschutzkommission eine Reihe handwerklicher Mängel bescheinigt. Offensichtlich hört die Bundesregierung nur dann auf die eigenen Berater, wenn diese zum Nichtstun raten oder höchstens mehr Forschung bestellen. Das war seit langen Jahren der Standpunkt dieser Kommission. Es wird nun Zeit, dass sie sich bewegt.

Quelle: https://www.spdfraktion.de/presse/pressemitteilungen/elektromagnetischer-strahlung-muss-viel-besser-geschuetzt

Bericht zur Anhörung im Bundestag mit Video: www.diagnose-funk.org/581

 

Die Studienlage zu den Auswirkungen der Strahlenbelastung durch Mobilfunkmasten

Daten aus dem Review von Balmori (2022)Grafik:diagnose:funk

Der neueste Review zum Stand der Forschung zu Auswirkungen von Mobilfunksendern

Balmori A (2022): Belege für ein Gesundheitsrisiko durch Hochfrequenzstrahlung bei Menschen, die in der Nähe von Mobilfunk-Basisstationen leben: von der Mikrowellen-Krankheit zu Krebs; Environ Res 2022; 214 Pt 2: 113851

Schlussfolgerungen: Das Ergebnis dieser Übersicht zeigt 3 Typen von Wirkungen durch die Strahlung von Basisstationen auf die menschliche Gesundheit: Mikrowellenkrankheit (nein 6, ja 17), Krebs (nein 3, ja 10) und Änderungen der biochemischen Parameter (nein 2, ja 6). Demzufolge scheinen sich Wissenschaftler einig zu sein, dass es schwerwiegende Probleme gibt, die von Experten durch wichtige Appelle ausgedrückt wurden (Blank et al. 2015, Hardell und Nyberg 2020). Allerdings haben weder die Medien noch verantwortliche Organisationen diese wichtigen Informationen in die Bevölkerung getragen, so dass die Menschen uninformiert bleiben. Deshalb wird die heutige Situation wahrscheinlich in einer Krise enden, nicht nur gesundheitlich, sondern auch für diese Technologie, weil sie nicht nachhaltig und schädlich für Mensch und Umwelt ist.

>>> Auszug aus der Besprechung in www.EMFData.org

>>> siehe auch: www.diagnose-funk.org/1891

>>> Mehr Informationen zum Stand der Forschung

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d:f-Kommentar zum SPD-Klausurbeschluss:

„Bürger, ihr könnt uns mal!

Mit großem Schwung soll und wird gerade bundesweit die Planungshoheit der Kommunen beschnitten - mal wieder! Bereits Anfang der 2000er Jahr hat die Bundes- und Landespolitik mit der baurechtlichen Freistellung von innerörtlichen Sendeanlagen bis 10 m Höhe mit einem Schlag alle Kommunen in ganz Deutschland entrechtet. Woraufhin es 10 Jahre juristischer Auseinandersetzung bedurfte,  bis sich die Kommunen wieder mit dem höchstrichterlichen Urteil von Leipzig 2013 eine Mitsprache erfolgreich zurückerkämpft haben.

Nun wünschen die Mobilfunkbetreiber und die Autohersteller erneut mehr freie Bahn für die Vollverstrahlung im Land und Online-Entertainment auf jeder Landstraße und die Politik liefert. Söder und seine CSU in Bayern und Kretschmans Grüne in Baden-Württemberg treten den Kommunen einfach ins Kreuz mit der Ausweitung der Genehmigungsfreiheiten für Mobilfunksendeanlagen in der Landesbauordnung.

Die eigentlichen Vertreter der Kommunen, die Kommunalen Spitzenverbände, desinformieren zudem ihre Mitglieder mit Aussagen und Unterlagen, wie sie sie von der Lobbyvertretung der Mobilfunkbeteiber dem IZMF in die Feder diktiert bekommen haben. 

Und bei der Bundes-SPD rockt nun der Telefonica-Chef Haas und der Bitkom Lobbyist Bernhard Rohleder deren politische Agenda mit der weitergehenden Idee der Genehmigungsfiktion für Mobilfunksendeanlagenwas interessieren uns die Kommunen, denkt sich wohl die SPD-Spitze und wanzt sich an die FDP und Ihren Digitalisierungs-Quereinsteiger und von Schilderarmut betroffenen Minister Wissing an - gut Freund mit Herrn Haas.

Auf welch kruden Strecken diese Idee unterwegs ist und wohin das führen könnte, hat der Rechtsanwalt und Spezialist für Verwaltungsrecht in Sachen Mobilfunk, Dr. Herkner, bereits im Januar 2022 beschrieben

Mit der politischen Genehmigungsfikion und ausgeweiteten Genehmigungsfreiheit sendet die SPD-Spitze den Menschen vor Ort, die keine Sendeanlagen vor ihrem Schlafzimmerfenster haben wollen – und hierbei geht um die Hälfte, wie die Bitkom feststellen musste!die klare Botschaft: „Ihr könnt uns mal!“.

Gut nur, dass dieser verschwurbelte Unsinn nichts an den grundlegenden Mitbestimmungsrechten der Kommune bei der Findung von Mobilfunkstandorten ändert. Das Grundsatzurteil von Leipzig wird damit nicht aufgehoben. Kommunen können letztendlich darüber bestimmen, wo eine Anlage hin kommt und wo nicht. Sie müssen nur wissen, dass sie darüber bestimmen können, wenn sie es wollen >>>.

Im Download steht das Beschlusspapier der SPD: Vgl. S.3 Pkt.3 und S.5 Pkt.5.

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Ulrich Beck: Weltrisikogesellschaft, 2007

Der Soziologe Ulrich Beck definiert in seinem Buch „Weltrisikogesellschaft“ (2007) den modernen Staat als „Legitimationsorgan" von Industrieinteressen, in dem die Gefahren für Gesundheit und Umwelt „im Legitimationszirkel von Verwaltung, Politik, Recht und Management normalisiert werden und ins unkontrollierbar Globale wachsen (S. 172).“ Er bringt diese Politik mit dem Begriff "organisierte Unverantwortlichkeit“ (S.345) auf den Punkt und schreibt: „Die Formen von Allianzen, die der neoliberale Staat eingegangen ist, instrumentalisieren den Staat … um die Interessen des Kapitals weltweit zu optimieren und zu legitimieren" (S. 128). Es wird deshalb die Aufgabe von Bürgerinnen und Bürgern, so Beck, die Verantwortung zu übernehmen:

  • „Die drei Säulen der Sicherheit erodieren - der Staat, die Wissenschaft, die Wirtschaft versagen bei der Erzeugung von Sicherheit - und ernennen den "selbstbewussten Bürger" zu ihrem rechtmäßigen Erben“ (ebda S.93).

Publikation zum Thema

Januar 2022Format: A4Seitenanzahl: 12 Veröffentlicht am: 18.01.2022 Bestellnr.: 247Sprache: deutschHerausgeber: diagnose:funk

Wie die Telekommunikationsindustrie die Politik im Griff hat


Autor:
diagnose:funk
Inhalt:
diagnose:funk legt in diesem Brennpunkt eine Recherche zur Lobbyarbeit der Mobilfunkindustrie und BITKOM-Branche zur Digitalisierung vor, basierend auf der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE „Beziehungen von Telekommunikationsunternehmen zur Bundesregierung“ (Bundestagsdrucksache 18/9620, 13.09.2016). Sechs Grafiken verbildlichen die Verflechtungen. Politisch eingeordnet wird diese Analyse auf Grund eigener Erfahrungen mit Besuchen bei Bundestagsabgeordneten und dem neuen Buch „Lobbyland. Wie die Wirtschaft unsere Demokratie kauft“ (2021) des ehemaligen Dortmunder SPD-Abgeordneten Marco Bülow über seine 18-jährigen Erfahrungen im Bundestag und weiteren Literaturrecherchen.
diagnose:funk Flyer
Format: Din langSeitenanzahl: 10 Veröffentlicht am: 12.08.2022 Bestellnr.: 318Sprache: deutschHerausgeber: diagnose:funk

Mobilfunk, Sendeanlagen, Netzausbau. Kommunale Rechte zur Gesundheitsvorsorge wahrnehmen!


Autor:
diagnose:funk
Inhalt:
Ein Mobilfunkmast soll gebaut werden. Welche Risiken sind nachgewiesen? Was können Initiativen fordern? Welche Rechte haben Kommunen? Der bewährte Flyer zu den Risiken von Mobilfunksendeanlagen und den Handlungsmöglichkeiten der Kommunen ist komplett neu erstellt worden. Er fasst die wichtigsten Informationen kurz zusammen, auch für EntscheidungsträgerInnen in den Kommunen.
4. vollständig überarbeitete Auflage, 2021Format: A5Seitenanzahl: 96 Veröffentlicht am: 26.05.2021 Bestellnr.: 104Sprache: DeutschHerausgeber: diagnose:funk | Titelfoto: stock.adobe.com

Kommunale Handlungsfelder

Mobilfunk: Rechte der Kommunen - Gefahrenminimierung und Vorsorge auf kommunaler Ebene
Autor:
diagnose:funk | Dipl.-Ing. Jörn Gutbier
Inhalt:
Diese Broschüre gibt Auskunft, welche Möglichkeiten Gemeinden haben, in die Aufstellung von Mobilfunksendeanlagen steuernd einzugreifen. Es wird aufgezeigt, was Kommunen neben dem sog. Dialogverfahren mit den Betreibern noch alles tun können, um ihre Bürger:innen mit einem Vorsorge- und Minimierungskonzept vor der weiterhin unkontrolliert zunehmenden Verstrahlung unserer Lebenswelt zu schützen. Darüber hinaus wird auf Argumente eingegangen, die in der Mobilfunkdiskussion eine wichtige Rolle spielen: die Grenzwerte, der fehlende Versicherungsschutz der Betreiber, der Mobilfunkpakt der kommunalen Spitzenverbände, die Strahlungsausbreitung um Sendeanlagen, die Messung und Bewertung der Strahlungsstärke, der Diskurs um Sendeanlagen versus Endgeräte, Kleinzellennetze, alternative Technologien u.a.m. Die Kommune ist immer noch die einzige Ebene, auf der zur Zeit ein wichtiger Teil einer neuen, effektiven Art der Mobilfunkvorsorgepolitik zum Schutz der Menschen und der Umwelt eingeleitet und umgesetzt werden kann.
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