STOA-Studie: Was die Politik tun sollte

Die politischen Optionen aus der STOA-Studie im Faktencheck
In den ersten beiden Faktenchecks zur STOA-Studie in den kompakt-Ausgaben 2-2022 und 3-2022 haben wir uns mit Behauptungen über die methodische und wissenschaftliche Qualität auseinandergesetzt, die sowohl von der Mobilfunk-Lobby wie auch dem Bundesamt für Strahlenschutz in die Welt gesetzt werden. Auch unsere Webinare Nr. 19 und Nr. 20 hatten die Faktenchecks zum Inhalt. In dem vorliegenden dritten Faktencheck schauen wir uns die schon oft zitierten politischen Optionen an, die in der STOA-Studie ab Seite 152 ausführlich benannt und diskutiert werden. Außerdem bewerten wir sie aus Sicht einer gesundheitsverträglichen Mobilfunkpolitik, also der Vorsorgepolitik.
Telefonieren ohne Abstand ist ein RisikoFoto: Joachim Kirchner, pixelio.de

Die AutorInnen der STOA-Studie schreiben, dass diese politischen Optionen sich aus ihrer Studie ergeben und dass sie sich auf alle Mobilfunkfrequenzen beziehen, also von 700 MHz bis 26 GHz für die Anwendungen 2G (GSM), 3G (UMTS, in Deutschland inzwischen abgeschaltet), 4G (LTE) und 5G (alle Frequenzen bis 3,7 GHz sowie 26 GHz und höher). Die WissenschaftlerInnen richten sich an die aktuell herrschende Mobilfunkpolitik in der EU und damit auch an die deutsche Politik. Da sich die Forderungen der STOA-Studie leider hinter recht sperrigen Überschriften verbergen, übersetzen wir diese in leicht verständliche Formulierungen.

>>> Dieser Artikel erschien in Ausgabe 4/2022 unseres Mitgliedermagazins „kompakt“, als PDF in der rechten Spalte unter „Downloads“.

 

1. Weniger Strahlung von Mobiltelefonen

Die erste politische Forderung lautet: „Entscheidung für eine neue Technologie für Mobiltelefone, die eine Verringerung der HF-Belastung ermöglicht“. Dabei stellt die STOA-Studie klar, dass Mobiltelefone für eine deutlich höhere Strahlungsbelastung der Menschen verantwortlich sind als Mobilfunkmasten und Handys damit „die größte Bedrohung darzustellen“ scheinen. Nicht erwähnt wird, dass die rund um die Uhr sendenden Mobilfunkmasten eine Dauerbelastung der Bevölkerung darstellen, der sich niemand entziehen kann.

Ob man ein Mobiltelefon hat oder nicht, ob man es mit oder ohne dauersendenden Hintergrunddiensten betreibt (Tipp: mobile Daten ausschalten), und ob man beim Telefonieren das Gerät dicht ans Ohr hält oder lieber per Freisprecheinrichtung oder Air-Tube-Headset telefoniert und so das strahlende Gerät auf Abstand hält – all diese Entscheidungen zulasten oder zugunsten der persönlichen Strahlenbelastung kann jeder Mensch selbst treffen. Die Dauerbestrahlung durch die Mobilfunkmasten kann jedoch niemand „abwählen“, sie besteht immer und für alle – und je näher am Sendemast, desto eher gesundheitsschädlich.

Nun sind Mobiltelefone aber eine praktische Sache, deren Annehmlichkeiten offensichtlich kaum jemand missen möchte. Milliarden von Menschen sind also tatsächlich der Strahlung ihrer eigenen Telefone permanent ausgesetzt – und gefährden sich damit selbst. Da ist es nur folgerichtig, dass die Autorinnen und Autoren der STOA-Studie fordern, dass diese Geräte strahlungsärmer werden. Konkret fordert die STOA-Studie, dass

  • „immer sicherere Telefongeräte hergestellt werden“,
  • „die wenig Energie abgeben“
  • „und möglichst nur in einem bestimmten Abstand zum Körper funktionieren.“

Begründet werden diese Forderungen damit, dass kabelgebundene Headsets unbequem und abschreckend seien (siehe auch Verbrauchertipp im Kasten) und die Freisprecheinrichtung nicht immer verwendet werden könne.

Medizinisch begründete Grenzwerte für Endgeräte notwendig

Schauen wir uns zunächst die funkenden Mobiltelefone der Gegenwart an: Grundsätzlich können LTE-Handys bereits heute mit sehr wenig Sendeleistung Daten und Telefonate („Voice over LTE“) austauschen. Ob sie es tun, also wie stark die Geräte strahlen, ist bislang eine Entscheidung der Hersteller. Doch die STOA-Studie setzt genau da an und fordert „strengere Grenzwerte in der EU für Mobilfunkgeräte“. Bislang gibt es keine gesetzlichen Grenzwerte für Smartphones, sondern nur den freiwilligen SAR-Wert (Spezifische Absorptionsrate) von max. 2 W/kg, gemittelt über 10 g Körpergewebe. Dieser SAR-Wert berücksichtigt lediglich den thermischen Effekt, wonach sich Gewebe durch Mikrowellenstrahlung erwärmt. Die athermischen Effekte, also der oxidative Zellstress mit all seinen Folgen wie Krebs und Fruchtbarkeitsschädigung, aber auch Übelkeit, Kopfschmerzen, Schlaf- und Gedächtnisstörung bis hin zur Elektrohypersensibilität sind beim SAR-Wert nicht beachtet.

Daher benötigen wir gesetzliche, medizinisch begründete maximale Strahlungswerte für alle strahlenden Endgeräte wie Smartphones, Smartwatches, Laptops, Tablets und Smart Home-Produkte. Vermutlich meint die Forderung aus der STOA-Studie genau dies. Bereits die dazu nötige Diskussion über weniger stark strahlende Geräte würde das Problembewusstsein sowohl in der Politik als auch in der Bevölkerung steigern. Ein gesteigertes Problembewusstsein wäre der erste Schritt zur dringend notwendigen Verhaltensänderung: Kabel statt Funk.

Doch „Kabel statt Funk“ klappt beim Telefonieren mit dem Smartphone nur, wenn man zu Hause oder im Büro ist, das Handy strahlungsfrei per LAN-Adapter am Router betreibt und das Gerät Telefonate als IP-Telefonie (Voice over IP, VoIP) führt. All das ist technisch sofort umsetzbar, eine entsprechende IP-Telefonat-App vorausgesetzt. Würden die Hersteller gesetzlich dazu verpflichtet, LAN-Adapter zum Lieferumfang hinzuzufügen und Telefonate immer als VoIP übers Internetkabel zu ermöglichen, sobald eine LAN-Verbindung vorhanden ist, wäre dies zudem ein einfacher Verbrauchertipp.

 

Die politischen Optionen der STOA-Studie war auch Inhalt von Webinar Nr. 21, dessen Mitschnitt Sie hier ansehen können:



Datenübertragung per infrarotem Licht, von der Zimmerdecke zum Rechner und zurückFoto: Signify

Optische Übertragungsalternativen sind serienreif

Die Vision von diagnose:funk geht aber über gering strahlende Geräte unterwegs und LAN-Adapter zu Hause hinaus: Telefonate und Datenaustausch per infrarotem (ILC) oder sichtbarem Licht (VLC) – auch als Optical Wireless Communication (OWC) oder unter dem Markennamen LiFi (Light Fidelity) bekannt. Diese Technik ist heute bereits marktreif, bietet gleiche oder höhere Datenraten und ist nach bisherigem ausführlichen Erkenntnisstand unschädlich für Mensch, Tier und Umwelt.[1]

Bislang war in Fachkreisen OWC als Alternative zum gesundheitsschädlichen WLAN für Laptops und Tablets in der Diskussion. Die Forderung nach Sensoren für den Datenverkehr per Infrarot erweitert diagnose:funk auf alle Arten funkender Endgeräte. Technisch spricht vieles dafür, die Infrarot-Technik auch für Telefonate einzusetzen, insbesondere in Innenräume und dort, wo jemand gerade nicht viel in Bewegung ist, z.B. am Arbeitsplatz. Damit wären Mobilfunkgeräte auch bei Telefonaten frei von Mikrowellenstrahlung zu betreiben – dann wäre Technik sinnvoll genutzt!

Fakt ist: Die Forderung der STOA-Studie nach weniger stark strahlenden Geräten ist ein erster Schritt in die richtige Richtung. Eigentlich benötigen wir gesetzliche, medizinisch begründete maximale Strahlungswerte für Endgeräte aller Art. Außerdem muss infrarotes oder sichtbares Licht oder ein Kabelanschluss Funkstrahlung ersetzen. diagnose:funk fordert daher über die STOA-Studie hinausgehend:

  • Smartphones müssen Telefonate und Daten per Kabel übertragen, sobald eine LAN-Verbindung besteht.
  • Hersteller von bislang funkenden (mobilen) Endgeräten werden dazu verpflichtet, ILC/VLC-Schnittstellen einzubauen. So können die Geräte immer dann Daten und/oder Telefonate optisch senden und empfangen, wenn sie ein entsprechendes Netz erkennen.

 

2. Weniger Strahlung von Mobilfunkmasten

Foto: PIX1861, pixabay.com

Die zweite politische Option benennt die STOA-Studie wie folgt: „Überarbeitung der Expositionsgrenzwerte für die Öffentlichkeit und die Umwelt, um die HF-Exposition durch Mobilfunkmasten zu verringern“. In der Herleitung dieser Forderung beziehen sich die Autorinnen und Autoren auf die Nachhaltigkeitsziele der Europäischen Union.

Interessant an dieser Forderung ist der Bezug auf die Grenzwertempfehlungen der sogenannten Internationalen Kommission für den Schutz vor nicht-ionisierender Strahlung (ICNIRP): Die Studie fordert die „Einführung von vorsorglichen Expositionsgrenzwerten, [...] die deutlich unter den von der ICNIRP empfohlenen Werten liegen.“ Die Grenzwerte in Deutschland liegen aufgrund der ICNIRP-Empfehlung bei 61 V/m und damit um den Faktor 10 höher als in den von der STOA-Studie genannten Referenzländern Italien, Schweiz, China und Russland. Dort sind „nur“ Mobilfunkfeldstärken von 6 V/m zulässig (entspricht 100.000 μW/m²). Die ICNIRP ist eine demokratisch nicht legitimierte Organisation, deren Mitglieder zum Teil erheblich mit der Telekommunikationsindustrie verflochten sind[2] und deren Unabhängigkeit und neutrale wissenschaftliche Rolle damit angezweifelt werden darf.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) geht in seinem Artikel im Amtsblatt der EU sogar noch weiter und fordert auf EU-Ebene ein „unabhängiges europäisches Gremium [...], um Leitlinien zum Schutz der Bevölkerung und der Arbeitskräfte vor elektromagnetischer Strahlung festzulegen.“[3] Trotzdem beruft sich die Bundesregierung auf die Empfehlungen der ICNIRP bezüglich der Grenzwerte für Mobilfunkmasten. Bislang ist das grün geführte Umweltministerium unter Ministerin Steffi Lemke nicht bereit, über Grenzwertänderungen auch nur nachzudenken.

Die STOA-Studie schlägt den Wert von 6 V/m vor als „Expositionshöchstwert für Wohngebiete und die Öffentlichkeit in ganz Europa“. Bei diesem Wert seien „keine krebserregenden Wirkungen bei Versuchstieren beobachtet“ worden. Dieser Wert scheine „auch der Vorsorgewert zu sein, bei dem keine negativen Auswirkungen auf die Fruchtbarkeit zu befürchten“ seien. Allerdings sagt die STOA-Studie auch:

  • „In derselben experimentellen Studie (Falcioni et al., 2018) [also in der Ramazzini-Studie, Anm. diagnose:funk] wurde eine krebserregende Wirkung bei 5 V/m beobachtet.“

Die STOA-Studie eröffnet also die Grenzwertdiskussion aufgrund von wissenschaftlichen Erkenntnissen. Sie hebt sich damit erfrischend von der faktenfreien Entwarnungsrhetorik der Mobilfunk-Lobby und den argumentativen Verrenkungen des Bundesamtes für Strahlenschutz ab. Die STOA-Studie nennt Städte wie Bologna, Paris und Brüssel als Beispiele, in denen so niedrige Grenzwerte bereits existieren (verglichen mit den hohen deutschen Grenzwerten).

Welcher Grenzwert schützt wirklich?

Die STOA-Studie fordert einen Expositionshöchstwert für Mobilfunkstrahlung von 6 V/m (entspricht 100.000 μW/m²), dies kann allerdings nur ein erster wichtiger Schritt sein. Wenn, wie in der STOA-Studie geschehen, die Grenzwertreduktion um 90% von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aufgrund der Studienlage europaweit gefordert wird, kann die Diskussion über die Strahlenbelastung und die nicht-thermischen Effekte wie oxidativer Zellstress, Fruchtbarkeitsschädigung und Krebs erst in Gang kommen. Diese politische Diskussion benötigen wir dringend! Der wissenschaftlich erforderliche Grenzwert, der auch Vorsorge berücksichtigt, liegt allerdings bei 100 μW/m², das müssen wir in allen Grenzwertdiskussionen immer erwähnen. Dies entspricht einer Feldstärke von ca. 0,2 V/m und damit einer Gesamtreduktion der ICNIRP-Werte (61 V/m) um den Faktor 300. Eine Leistungsflussdichte von max. 100 μW/m² kann mittels gängiger baulicher Maßnahmen so weit abgeschirmt werden, dass auch EHS-Betroffene beschwerdefrei leben können. Baubiologische Richtwerte sprechen übrigens von max. 10 μW/m² im Wohnbereich und max. 1 μW/m² im Schlafbereich.

Fakt ist: Die Forderung der STOA-Studie, die Expositionsgrenzwerte um 90% zu senken, ist ein Anfang und bringt – wie bei den Mobiltelefonen – die Diskussion in Gang. diagnose:funk fordert weiterhin den technisch machbaren und gesundheitsorientierten Maximalwert von 100 μW/m² im Außenbereich.

 

3. Glasfaser und mobilfunkfreie Zonen

Foto: Stuttgart Ökologisch Sozial (SÖS)

Als dritte politische Option schlägt die STOA-Studie die „Verabschiedung von Maßnahmen [vor], die Anreize zur Verringerung der HF-EMF-Exposition schaffen“. Damit soll die Belastung der Bevölkerung durch hochfrequente elektromagnetische Felder (= Mobilfunkstrahlung) dort verringert werden, „wo Verbindungen an festen Standorten erforderlich sind“ und damit eine zusätzliche Mobilfunkversorgung nicht nötig ist. Konkret heißt es in der Studie in Kapitel 7.3: „Ein Großteil der bemerkenswerten Leistung der neuen drahtlosen 5G-Technologie kann auch durch die Verwendung von Glasfaserkabeln [...] erreicht werden“. Genau das sagt diagnose:funk ja bereits seit Jahren: 5G-Mobilfunk ist für die meisten Anwendungen nicht nötig, es ist nur ein neues Geschäftsfeld für die Mobilfunkbetreiber und aktuell nur für wenige Spezialanwendungen vorteilhaft. Auf den Punkt gebracht: Lieber Glasfaser in die Häuser und Firmen und dort bis zum Router führen, als Gebäude und Menschen dauerhaft zu durch- und bestrahlen. Zwischen Router und den Geräten stehen dann LAN-Kabel oder die optische Übertragung (OWC, siehe Seite 20) zur Verfügung.

Wenn der Glasfaserausbau auch noch direkt von den Kommunen durchgeführt wird, haben diese es in der Hand, dass wirklich alle Wohn- und Industriegebiete zu gleichen Bedingungen mit schnellen Glasfaserleitungen versorgt werden. Gibt eine Kommune den Ausbau jedoch an die Telekommunikationsindustrie ab und überlässt den Ausbaufortschritt dem Markt, dann besteht die Gefahr, dass nur die Gebiete ausgebaut werden, die rentabel sind. Die Kommune muss dann, um soziale und wirtschaftliche Gerechtigkeit wieder herzustellen, den unrentablen Rest zu hohen Kosten selbst ausbauen. Also: Den Ausbau lieber gleich selbst in die Hand nehmen.

Die STOA-Studie geht mit einem bemerkenswerten Vorschlag zur Strahlenreduzierung über den Glasfaserausbau hinaus, denn sie fordert: „Öffentliche Versammlungsorte könnten ‚HF-EMF-Verbotszonen‘ sein (wie beim Zigarettenrauchen), um die passive Exposition von Personen zu vermeiden, die keine Mobiltelefone oder Langstreckenübertragungstechniken [= WLAN, Bluetooth, Anm. diagnose:funk] nutzen und so viele gefährdete ältere oder immungeschwächte Menschen, Kinder und elektrosensible Personen zu schützen.“ Das Ziel, solche Schutzzonen einzurichten, ist aufgrund der wissenschaftlichen Studienlage zu Mobilfunkstrahlung und Gesundheit folgerichtig. Gut, dass die Studienautorinnen und -autoren die zu schützenden Bevölkerungsgruppen explizit benennen und auch elektro(hyper)sensible Menschen mit einschließen. Wie sich mobilfunkfreie Zonen an öffentlichen Versammlungsorten sowohl technisch als auch ordnungspolitisch so umsetzen lassen, dass wirklich keine (oder kaum noch) Strahlung vorhanden ist, muss nun die Politik klären.

WLAN-freie Zonen im öffentlichen Leben

Ein erster Schritt könnten WLAN-freie Zonen im Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) und im Fernverkehr sein. WLAN arbeitet wie GSM, LTE oder 5G mit hochfrequenter, gepulster und polarisierter elektromagnetischer Strahlung. Viele wissenschaftliche Studien zeigen bei WLAN-Strahlung ein ähnliches Schädigungspotenzial wie bei Mobilfunkstrahlung.[4] Außerdem könnte jeder Sitzplatz in Bus und Bahn mit einer LAN-Steckdose ausgestattet werden, wie es heute schon vielfach Stromsteckdosen an jedem Sitzplatz gibt. Mit einem LAN-Adapter könnten so die Fahrgäste weiterhin ins Internet, aber innerhalb des Zuges strahlungsfrei. Alternativ könnten Busse und Bahnen sehr einfach mit optischer Übertragungstechnik (OWC) ausgestattet werden. Der Anreiz, in die mobilen Endgeräte Infrarot-Schnittstellen einzubauen, wäre übrigens für die Hersteller erhöht, wenn bereits Anwendungsfelder für die Datenübertragung per Infrarot z.B. im ÖPNV vorhanden wären.

Weiterhin könnte vorgeschrieben werden, im öffentlichen Verkehr das Handy komplett funkfrei zu schalten (Flugmodus; Daten- und Telefonverbindungen per Infrarot-Licht wären aber weiterhin möglich). Unvorstellbar? Immerhin müssen Raucher seit vielen Jahren im ÖPNV ebenfalls Verzicht üben, und an Bahnhöfen können sie nur in sogenannten Raucherinseln rauchen. Dieser Zustand und das eingeschränkte Verhalten der Raucher werden heute von niemandem mehr ernsthaft in Frage gestellt – zugunsten der Gesundheit aller.

WLAN-freie Krankenzimmer, Schulen, Kindergärten und Büchereien

Ärztinnen und Ärzte in Baden-Württemberg fordern im April 2021 WLAN-freie Krankenzimmerdiagnose:funk / J. Röttgers

... wären die nächsten einfach umsetzbaren Schritte zu mobilfunkfreien Zonen. Um WLAN-freie Bereiche hier umzusetzen, bedürfte es zumindest teilweise nicht einmal einer geänderten Gesetzeslage, weil Krankenhäuser, Schulen, Kindergärten und Büchereien meist von Kommunen betrieben werden. Diese können im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung Strahlungsreduzierung als Ziel vorgeben und die WLAN-Router in ihren selbst betriebenen Einrichtungen abbauen. Stattdessen könnten sie die Infrarot-Technik in großem Stil aufbauen, so die Bekanntheit und die Akzeptanz von OWC fördern und den Druck auf die Hersteller wiederum erhöhen, entsprechende OWC-fähige Geräte anzubieten.

Nationales Roaming: Ein Netz für alle

Ein weiterer Schritt in Sachen Strahlenreduzierung, den die STOA-Studie leider nicht erwähnt, wäre nationales Roaming. Das bedeutet, dass sich jedes Mobiltelefon mit dem vor Ort stärksten Mobilfunknetz verbindet. In der Folge ist nur noch ein Netz nötig statt viele Netze parallel – dies würde die Strahlenbelastung deutlich reduzieren. Technisch ist dies kein Problem:

  • 1. Europaweites Roaming ist inzwischen kostenneutrale Realität.
  • 2. Nationales Roaming bietet die Telekom ihren Industriekunden an, wenn diese z.B. Verbrauchszähler für die Heizung per Funk auslesen wollen.
  • 3. Gemeinsame Nutzung einer Sendeanlage mit nur einer Antenne durch mehrere Mobilfunkanbieter ist inzwischen aus ökonomischer Sicht in Gebieten Realität, in denen es sich nicht lohnt, dass jeder Anbieter eine eigene Infrastruktur aufbaut.

„Ein Netz für alle“ geht also schon jetzt – technisch und ökonomisch. Nun brauchen wir den politischen Willen auf Bundesebene, nationales Roaming und damit langfristig das Verbot vieler parallel betriebener Mobilfunknetze durchzusetzen.

Fakt ist: Die STOA-Studie fordert den Ausbau der Glasfasernetze. diagnose:funk geht noch weiter und empfiehlt allen Kommunen, dies in Eigenregie zu tun. Für feste Standorte stellen kommunal betriebene Glasfasernetze und die optische Übertragungstechnik (OWC) die Kommunikationstechnik der Zukunft dar – statt Funkstrahlung. Als weitergehenden Schutz vor Mobilfunkstrahlung schlägt die STOA-Studie mobilfunkfreie Zonen in der Öffentlichkeit vor. Sofort umsetzbar wäre dies z.B. im ÖPNV, in Krankenhäusern, Schulen, Kindergärten und Büchereien. diagnose:funk fordert den Einsatz der gesundheitlich unbedenklichen Infrarot-Technik (OWC) sowie nationales Roaming, also ein Mobilfunknetz für alle. Diese Beispiele zeigen: Reduktion der Strahlenbelastung ist sehr einfach möglich, politischer Wille vorausgesetzt.

 

4. Forschung nötig zu 5G ab 24 GHz

In Kapitel 7.4 fordert die STOA-Studie: „Förderung multidisziplinärer wissenschaftlicher Forschung, um die langfristigen gesundheitlichen Auswirkungen von 5G zu bewerten und eine geeignete Methode zur Überwachung der Exposition gegenüber 5G zu finden“. Hierbei ist der hohe 5G-Frequenzbereich jenseits von 24 GHz gemeint bzw. allgemein Studien zwischen 6 und 300 GHz, dem sogenannten Millimeterwellenbereich (5G-MMW).

Als die STOA-Studie im Jahr 2020 verfasst wurde, schrieben die Autorinnen und Autoren als Begründung ihrer Forderung: „In der Literatur finden sich keine angemessenen Studien, mit denen das Risiko von Tumoren und negativen Auswirkungen auf die Fortpflanzung und Entwicklung bei einer Exposition gegenüber 5G-MMW ausgeschlossen werden könnte“. Im EMF-Portal der RWTH Aachen finden sich inzwischen zwar über dreihundert Studien zu diesem Frequenzbereich, allerdings nur acht zu medizinisch-biologischen Wirkungen. Und auch diese Studien weisen auf Gesundheitsrisiken hin. Die Forderungen der STOA-Studie nach mehr Forschung und nach einem Ausbaustopp der hohen 5G-Frequenzen sind also berechtigt.

 

5. Bürgerinnen und Bürger aufklären!

Bürgerinitiativen aus dem Großraum Stuttgart fordern 2020 VorsorgepolitikFoto: diagnose:funk

Der letzte Punkt der politischen Optionen ist leicht verständlich: „Förderung von Informationskampagnen über 5G“. Die STOA-Studie formuliert die Kritik an der bestehenden Mobilfunkpolitik sogar schon im ersten Satz sehr konkret: „Leider gibt es einen Mangel an Informationen über die potenziellen Schäden von HF-EMF [also Mobilfunkstrahlung, Anm. diagnose:funk].“

Und weiter: „Diese Informationslücke schafft Raum für Leugner und Panikmacher“. Auch damit hat die STOA-Studie recht, denn zum einen wird die Gesundheitsgefährdung durch die athermischen Effekte der Mobilfunkstrahlung von der Mobilfunk-Lobby und dem Bundesamt für Strahlenschutz regelmäßig verneint und die Mobilfunkstrahlung gesundgebetet. Zum anderen

bedienen sich tatsächlich Rattenfänger der Thematik und finden mit Übertreibungen und Unwahrheiten („Vögel fallen tot vom Himmel“) Zuhörerschaft. Da sich diagnose:funk strikt auf wissenschaftlicher Basis bewegt und die Warnung der unabhängigen Wissenschaftler ernst nimmt, können wir die Forderung nach Informationskampagnen „auf allen Ebenen [...], angefangen bei den Schulen“ voll unterstützen. Die Autorinnen und Autoren der STOA-Studie schlagen Informationskampagnen vor über:

  • „die potenziellen Gesundheitsrisiken“ (= nicht-thermische Effekte wie oxidativer Zellstress, Krebs, verminderte
  • Fruchtbarkeit, Elektrohypersensibilität)
  • „aber auch die Chancen der digitalen Entwicklung“
  • „die infrastrukturellen Alternativen für die 5G-Übertragung,“ (= Glasfaser, LAN-Kabel, optische Übertragung OWC)
  • „die von der EU und den Mitgliedstaaten ergriffenen Sicherheitsmaßnahmen (Expositionsgrenzwerte)“(= nicht ausreichend, Senkung der Grenzwerte nötig)
  • „und den richtigen Umgang mit dem Mobiltelefon aufzeigen“ (= Abstand ist Dein Freund, Kabel statt Funk)

Solche Informationskampagnen können sowohl der Bund als auch Kommunen starten. Die wissenschaftliche Grundlage dafür liegt in Form der STOA-Studie vor, mögliche Informationsinhalte schlägt die Studie ebenfalls vor. Nun muss es an die Umsetzung gehen – ganz im Sinne des Vorsorgeprinzips.

 

Fazit

Die STOA-Studie „Health impact of 5G“ nennt im Kapitel „Politische Optionen“ explizite, wirkungsvolle und weitreichende Maßnahmen, wie die Politik auf EU-, Bundes- und Lokalebene die Strahlenbelastung der Bevölkerung reduzieren kann. diagnose:funk hat dies im vorliegenden Artikel noch weiter konkretisiert. Damit wird anschaulich, wie die politisch Verantwortlichen das Vorsorgeprinzip in die Realität umsetzen können, wie die vorhandene Mobilfunktechnik sinnvoll und damit gesundheitsverträglich genutzt werden kann. Nun ist es an uns Bürgerinnen und Bürgern und besonders Aufgabe der zahlreichen mobilfunkkritischen Bürgerinitiativen, der Politik auf diesem Weg Beine zu machen.

Packen wir es gemeinsam an!

 

Quellen

[1] diagnose:funk Brennpunkt „LED-Licht zur Datenübertragung – ein  gesundheitlich unbedenkliches WLAN? Erster Forschungsüberblick zur VLC- / LiFi-Technologie“, siehe https://www.diagnose-funk.org/1576

[2] Dokumentation: Das Lobbysystem ICNIRP und Bundesamt für Strahlenschutz – 4 Analysen, siehe https://www.diagnose-funk.org/1702

[3] EWSA fordert Umsteuern in Mobilfunkpolitik, siehe https://www.diagnose-funk.org/1828

[4] Biologische und pathologische Wirkungen der Strahlung von 2,45 GHz auf Zellen, Fruchtbarkeit, Gehirn und Verhalten, siehe https://www.emfdata.org/de/studien/detail?id=439

Publikation zum Thema

Januar 2022Format: A4Seitenanzahl: 12 Veröffentlicht am: 18.01.2022 Bestellnr.: 246Sprache: deutschHerausgeber: diagnose:funk

STOA-Studie: Gesundheitliche Auswirkungen von 5G


Autor:
diagnose:funk
Inhalt:
Dieser Brennpunkt fasst die Ergebnisse der 198-seitigen STOA-Studie zusammen. Das Science and Technology Options Assessment Komitee (STOA) des Europäischen Parlaments veröffentlichte im Juni 2021 die Studie "Gesundheitliche Auswirkungen von 5G. Aktueller Kenntnisstand über die mit 5G verbundenen karzinogenen und reproduktiven Entwicklungsrisiken, wie sie sich aus epidemiologischen Studien und experimentellen In-vivo-Studien ergeben". Die Studienlage zu Krebs und Fertilität wird in der Studie dargestellt und daraus Forderungen für den Strahlenschutz abgeleitet. Die Studie wurde im Auftrag der STOA erarbeitet, das kompetente Autorenteam setzt sich aus Wissenschaftlern des Ramazzini-Institutes (Italien) zusammen. Die deutsche Übersetzung stammt von diagnose:funk und ist auch als Buch zum Selbstkostenpreis erhältlich.
Dt. Übersetzung der Original-StudieBild: diagnose:funk
Format: A4Seitenanzahl: 200 Veröffentlicht am: 20.01.2022 Bestellnr.: 554Sprache: deutschHerausgeber: diagnose:funk

STOA-Studie: Gesundheitliche Auswirkungen von 5G (deutsche Übersetzung der Gesamtstudie)


Autor:
diagnose:funk
Inhalt:
Komplette deutsche Übersetzung der bisher weltweit wohl umfangreichsten Auswertung des Forschungsstandes zu den Auswirkungen der bisherigen Mobilfunkfrequenzen (GSM, UMTS, LTE) und zur neuen 5G-Technologie. Im vorliegenden Review werden die Gesundheitsaspekte Krebs und Fertilität untersucht. Die Studie wurde im Auftrag des Komitees zur Technikfolgenabschätzung des EU-Parlaments (STOA) erarbeitet. Das kompetente Autorenteam setzt sich aus Wissenschaftlern des Ramazzini-Institutes (Italien) zusammen, das führend auf diesem Gebiet ist. Studienleiterin war Prof. Fiorella Belpoggi. Die Studienlage mit scheinbar widersprüchlichen Studienergebnissen wird transparent aus­gewertet. Der Review klärt endgültig, dass Mobilfunkstrahlung gesundheitsschädlich ist. Die Übersetzung erfolgte textgetreu durch diagnose:funk, das EU Parlament übernimmt für die Richtigkeit keine Verantwortung. Der Verkaufspreis ist ein Unkostenbeitrag. Der Vertrieb wurde durch die STOA legitimiert.
4. vollständig überarbeitete Auflage, 2021Format: A5Seitenanzahl: 96 Veröffentlicht am: 26.05.2021 Bestellnr.: 104Sprache: DeutschHerausgeber: diagnose:funk | Titelfoto: stock.adobe.com

Kommunale Handlungsfelder

Mobilfunk: Rechte der Kommunen - Gefahrenminimierung und Vorsorge auf kommunaler Ebene
Autor:
diagnose:funk | Dipl.-Ing. Jörn Gutbier
Inhalt:
Diese Broschüre gibt Auskunft, welche Möglichkeiten Gemeinden haben, in die Aufstellung von Mobilfunksendeanlagen steuernd einzugreifen. Es wird aufgezeigt, was Kommunen neben dem sog. Dialogverfahren mit den Betreibern noch alles tun können, um ihre Bürger:innen mit einem Vorsorge- und Minimierungskonzept vor der weiterhin unkontrolliert zunehmenden Verstrahlung unserer Lebenswelt zu schützen. Darüber hinaus wird auf Argumente eingegangen, die in der Mobilfunkdiskussion eine wichtige Rolle spielen: die Grenzwerte, der fehlende Versicherungsschutz der Betreiber, der Mobilfunkpakt der kommunalen Spitzenverbände, die Strahlungsausbreitung um Sendeanlagen, die Messung und Bewertung der Strahlungsstärke, der Diskurs um Sendeanlagen versus Endgeräte, Kleinzellennetze, alternative Technologien u.a.m. Die Kommune ist immer noch die einzige Ebene, auf der zur Zeit ein wichtiger Teil einer neuen, effektiven Art der Mobilfunkvorsorgepolitik zum Schutz der Menschen und der Umwelt eingeleitet und umgesetzt werden kann.
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