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Immer mehr Kinder und Jugendliche entwickeln Sprachdefizite
Zwei Studien der Kaufmännischen Krankenkasse (KKH) von 2020 und 2022 über Zeiträume von jeweils zehn Jahren belegen die zunehmenden Sprachdefizite und Sprechstörungen von Kindern und Jugendlichen. Diese Schwächen verhindern die persönliche Entwicklung, erschwert oder verhindert Bildungsprozesse, weil das Sprechen unsere primäre Form der Kommunikation und Grundlage der Teilhabe an der Gemeinschaft ist.
Immer mehr Kindern fehlen die Worte – lautete die Überschrift der KKH-Studie über die Zunahme von Sprach- und Sprechstörungen von Kindern und Jugendlichen für den Zeitraum von 2009 bis 2019 (KKH 2020). Zwei Jahre später und für den untersuchten Zeitraum von 2011 bis 2021 sind noch mehr Kinder und Jugendliche betroffen. „Sprachtherapie statt Spiel, Sport und Spaß“ lautet die Überschrift nun (KKH 2022). Die steigenden Zahlen sind bedrückend, das Therapieren der Kinder greift zu kurz.
Im Jahr 2021 wurden bei 8,1 Prozent der Kinder und Jugendlichen Sprachdefizite[1] festgestellt, gegenüber 7,4 Prozent im Jahr 2019 und 5,2 Prozent im Jahr 2011. Der Anteil der Betroffenen in den verschiedenen Altersgruppen lag 2021 bei den 6- bis 10-Jährigen bei 16,0 Prozent (2019: 14,7), bei den 11- bis 14-Jährigen bei 5,5 Prozent (2019: 4,9) und bei den 15- bis 18-Jährigen bei 2,4 Prozent (2019: 2,0). Das mag man für relativ wenig halten, aber es bedeutet, dass acht Prozent der Kinder und Jugendlichen im vergangenen Jahr unter nicht altersgerechter Sprachbeherrschung litten, jeder zehnte Junge und jedes 16. Mädchen.[2] Wichtiger als absolute Zahlen sind Tendenzen. Die Zahl der betroffenen 11- bis 14-Jährigen mit mangelnden Sprachkompetenzen stieg von 2011 auf 2021 um rund 107 Prozent, bei den 15- bis 18-Jährigen um 151 Prozent.
Zu typischen Sprachdefiziten gehören ein begrenztes Vokabular und ein geringer Wortschatz, Probleme bei der Artikulation von Lauten oder der Satzbildung und Grammatikschwächen.
- Sprachvermögen und Artikulationsfähigkeit sind elementare Bedingungen für die Entwicklung der Persönlichkeit[3], das Sozialverhalten innerhalb von Gemeinschaften und eigenständiges Denken.
Sprachbeherrschung ist ebenso Bedingung für einen reflektierten und selbstbestimmten Umgang mit Medien. Ein qualifizierter Wortschatz und ein gutes Sprachverständnis sind die Grundlage für Lernen und Bildungsprozesse, die überwiegend sprachlich vermittelt werden. Sprechen und Verstehen (können) sind die Grundlage für und eine qualifizierte berufliche Zukunft. Wer sich nicht mitteilen, wer nicht mitreden kann, muss schweigen und wird zum Hörigen, wie es Günter Anders formulierte und ist zudem schnell Ziel von Hänseleien, Mobbing und sozialer (Selbst)Isolation mit allen möglichen Folge psychischer Belastungen. Schweigen müssen aus Mangel an Sprache ist für kommunikative Wesen wie Menschen eine Strafe.
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„Aber auch organische Ursachen wie Hörprobleme sowie genetische Veranlagung oder auch übermäßige Nutzung von Smartphone, PC und Fernseher können für Sprachdefizite ursächlich sein. Und manchmal kann der Sprachentwicklungsstörung keine erkennbare Ursache zugeordnet werden“, erklärt Vijitha Sanjivkumar vom Kompetenzteam Medizin der KKH." (Pressemitteilung der KKH)
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(Un-)Geteilte Aufmerksamkeit
In seltenen Fällen sind Hörprobleme oder genetische Veranlagungen Ursache für Defizite bei der Sprechentwicklung. In Zeiten der Pandemie waren es vor allem fehlende Sozialkontakte zu Lehrkräften und Gleichaltrigen und damit die fehlenden üblichen gelegenheiten außerhalb der eigenen Familie, die die Grundlage für den Spracherwerb legt. Die meisten Kinder beginnen mit ein- bis anderthalb Jahren die ersten Wörter zu sprechen, manche bereits im Alter von neun bis zwölf Monaten. Ein paar Kinder lassen sich deutlich mehr Zeit und beginnen erst mit zwei oder zweieinhalb Jahren.[4] Mädchen sprechen i.d.R. etwas früher als Jungen. Auch der aktive Wortschatz variiert bei Kindern stark und kann bei 20 Monate alten, sich "normal" entwickelnden Kindern zwischen fünfzig und ca. 200 Wörtern liegen. Diese Varianz erklärt sich aus der individuellen Entwicklung des Kindes und der gezielten Förderung durch Sprechanlässe. Regelmäßiges Üben hilft, fördert und trainiert.
Dazu kommen mit zunehmendem Alter mehr Außenkontakte beim gemeinsamen Spielen, später beim Lernen, beim Sport oder auch beim Streiten. Sprechen lernt man nur mit einem direkten Gegenüber – von Angesicht zu Angesicht und wenn man aufeinander konzentriert ist. Das reine Hörverstehen ohne Blickkontakt setzt ein Sprachverständnis und den entsprechenden Wortschatz ja bereits voraus, weshalb Kinder z.B. erst mit sieben oder acht Jahren telefonieren lernen. Bastian Resch, Mediziner der KKH, formulierte deshalb in der ersten Studie von 2020:
- „Fördern Sie die Sprachkompetenz Ihres Kindes in allen Altersstufen kontinuierlich und aktiv. Lächeln Sie Ihr Kind an, wenn es anfängt zu brabbeln oder durch Mimik und Gestik mit Ihnen Kontakt aufnimmt. Dadurch bestärken Sie Ihren Nachwuchs, mit Ihnen zu kommunizieren. Lesen Sie Ihrem Kind viel vor, wenn es noch klein ist. Führen Sie Gespräche mit Ihren Kindern über unterschiedliche Themen und sorgen Sie so für ausreichend Sprachreize.“
Ebenso wichtig: Lassen sie Kinder zuhören (Radio, Märchen CDs), lesen Sie vor und schauen Sie gemeinsam Bilderbücher. Sprechen darüber, was sie sehen. Vom Sehen alleine lernt man nicht Sprechen.