Die STOA-Studie haben wir ebenfalls in die Tabelle eingefügt. Sie erfüllt sogar mehr Kriterien als bei einem Scoping Review verlangt werden:
- Mögliche Ergebnisverzerrungen u.a. bei Fall-Kontroll-Studien werden in Kapitel 3.2 und in Kapitel 5 konkret benannt.
- Die Erstellung von Zusammenfassungen wird in Kapitel 4 „Bewertung der einzelnen Studien“ auf den Seiten 23 ff. beschrieben:
„Für jeden Artikel [gemeint sind Einzelstudien, Anmerkung d:f] wird eine Zusammenfassung präsentiert, zusammen mit einer Tabelle, die die wichtigsten Informationen zusammenfasst; darüber hinaus bewertete ein leitender Sachverständiger die Eignung der Artikel für die Bewertung karzinogener Wirkungen (angemessen/unangemessen) und gab eine Gesamtsynthese der Ergebnisse (positiv/negativ/nicht eindeutig) gemäß den im Abschnitt Methodik beschriebenen Kriterien.“
Fakt ist: Die STOA-Studie ist von ihrer Methodik her ein Scoping Review (kein narrativer Review). Sie ist eine fundierte, wichtige Studie. Für Politikerinnen und Politiker ist sie Basis für verantwortliches Handeln.
Eine einzelne Autorin?
Die STOA-Studie wurde von einer Hauptautorin und weiteren Autoren verfasst: Die im Review auf Seite III genannte Dr. Fiorella Belpoggi ist die Hauptautorin. Daneben werden zwei weitere Mitarbeiter des Ramazzini-Instituts (istitutoramazzini.it) genannt, die an der Auswertung wesentlich mitgearbeitet haben. Laut Danksagung auf der gleichen Seite haben vier weitere Wissenschaftler beratend und überprüfend und damit kontrollierend am Review mitgewirkt.
Auf Seite III in der STOA-Studie steht folgendes:
„AUTOR
Diese Studie wurde von Dr. Fiorella Belpoggi, BSC, PhD, International Academy of Toxicologic Pathology Fellow (IATPF), Ramazzini Institute, Bologna (Italien), im Auftrag des Gremiums Panel for the Future of Science and Technology Zukunft (STOA) verfasst und vom Referat Wissenschaftliche Vorausschau innerhalb der Generaldirektion Parlamentarische Forschungsdienste (EPRS) des Sekretariats des Europäischen Parlaments verwaltet.
Die Scoping-Review-Suche wurde von Dr. Daria Sgargi, PhD, Master in Biostatistik, und Dr. Andrea Vornoli, PhD in Krebsforschung, Ramazzini-Institut, Bologna, durchgeführt.
Danksagungen
Die Autorin dankt Dr. Daniele Mandrioli, MD, PhD, Ramazzini Institute, Bologna (Italien), der die Methodik beriet und überprüfte; Prof. Dr. Carlo Foresta und Prof. Dr. Andrea Garolla, Professoren für Endokrinologie und Andrologie, Universität Padua (Italien), die die Ergebnisse zu den schädlichen Auswirkungen auf die Fortpflanzung beim Menschen kritisch überprüften; Prof. Fausto Bersani, Physiker, Berater, Rimini (Italien), der sie bei der Interpretation der Arbeiten zum Expositionsszenario unterstützte.“
Wer zählen kann, ist klar im Vorteil. Daher haben wir die Namen der beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im obigen Zitat fett markiert: Es werden mehr als nur eine Autorin genannt; mitgewirkt haben insgesamt 7 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.
Dr. Fiorella Belpoggi ist übrigens die wissenschaftliche Direktorin des in der Krebsforschung bedeutenden Ramazzini-Instituts in Bologna, also nicht irgendeine Unbekannte. Von ihrem Institut stammt übrigens auch die als „Ramazzini-Studie“ bekannt gewordene ausführliche Studie aus dem Jahr 2018, in der die Krebsentstehung durch Mobilfunkmasten weit unterhalb der Grenzwerte an fast 2.500 Ratten erforscht wurde.
Fakt ist: Die STOA-Studie ist die sorgfältige Arbeit eines wissenschaftlichen Teams unter Leitung der renommierten Krebsforscherin Dr. Fiorella Belpoggi. Das Ergebnis ist ein wissenschaftlich sauberer, ernst zu nehmender Review.
Ein- und Ausschlusskriterien nicht genau festgelegt?
Die Ein- und Ausschlusskriterien, also der Auswahlprozess der Studien, wird in der STOA-Studie auf den Seiten 13 bis 20 ausführlich dargestellt.
In Kapitel 2.1 „Grundprinzipien“ auf Seite 13 heißt es:
- „[...] die Auswahl- und Bewertungskriterien, die für Scoping Reviews angegeben sind, wurden für beide Suchen und für die Aufnahme/Ausschließung von Studien zu den biologischen Endpunkten Krebs und Fortpflanzung/Entwicklung übernommen.“
- Und auf Seite 14: „Es wurden Leitlinien für die Durchführung von Langzeit-Karzinogenitätsexperimenten veröffentlicht (z. B. OECD, 2018a), und ihre Kriterien wurden als Referenz für die Bewertung der Angemessenheit von Studien herangezogen.
[...]
- Was krebsbezogene Studien zu HF betrifft, sowohl epidemiologische als auch experimentelle, wurden in den letzten Jahrzehnten bereits umfassende Literaturübersichten durchgeführt; insbesondere verweisen wir auf die IARC-Monographie 102 [...] Wir beschlossen daher, die IARC-Publikation Monograph 102 (IARC, 2013) als „Schlüsselreferenz“ zu verwenden, um die Daten von 2011 bis zum Jahr 2020 zu aktualisieren und somit den vorliegenden Bericht zu erstellen.“
Im weiteren Verlauf der Studie zeigt ein Ablaufdiagramm zu jedem Endpunkt – je nach Mobilfunkfrequenzbereich – detailliert die Auswahl der Studien. Bei der Literaturrecherche fanden die Forscherinnen und Forscher insgesamt 1.861 Studien zu Krebs und 7.886 Reproduktions- und Entwicklungsstudien. Davon wurden 270 Studien qualitativ ausgewertet: Jede dieser Studien wurde per Kurzzusammenfassung inhaltlich beschrieben, ihr Ergebnis und ihre Angemessenheit bewertet. Die große Diskrepanz zwischen gefundenen und ausgewerteten Studien ergibt sich zum einen aus Doppel- und Dreifachveröffentlichungen der gleichen Studie und zum anderen aus qualitativen und quantitativen Einschränkungen vieler Studien, „die nicht geeignet [sind], das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein bestimmter schädlicher Wirkungen nachzuweisen“ (Seite 14).
Fakt ist: Die Ein- und Ausschlusskriterien der STOA-Studie sind genau festgelegt: Sie richten sich nach den Kriterien der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) und der IARC (Internationale Agentur für Krebsforschung der Weltgesundheitsorganisation WHO).
Subjektive Auswahl der Studien?
Die Suchstrategie nach relevanten Studien wird ab Seite 15 im Abschnitt 2.2 genau erklärt:
„Zunächst wurde eine Auswahl der am besten geeigneten Schlüsselwörter vorgenommen:
- Exposition: EMF; RF; 5G; Hochfrequenzstrahlung; Hochfrequenz; elektromagnetisches Feld; elektromagnetische Strahlung.
- Population (Tier): in vivo; experimentell; Tier; Nagetier(e); Ratte(n); Maus; Mäuse.
- Population (Mensch): epidemiologisch; Beobachtung; Querschnitt; Fall-Kontrolle; Arbeiter; Militär; Bevölkerung.
- Ergebnis (krebserzeugende Wirkungen): Krebs; Tumor.
- Ergebnis (reproduktive Wirkungen): reproduktiv; Entwicklung; Fruchtbarkeit; Sperma; Eierstock; Schwangerschaft; ano-genital; Östrus.
- Auf der Grundlage der Schlüsselwörter wurden [...] Suchstrings vorbereitet, um alle Studien von Interesse aus PubMed zu sammeln, einer großen Datenbank, die mehr als 30 Millionen Zitate biomedizinischer Literatur aus MEDLINE, biowissenschaftlichen Zeitschriften und Online-Büchern enthält. Die Zitate können Links zu Volltexten von PubMed Central und den Websites der Verlage enthalten.
[...]
- Wir durchsuchten systematisch die elektronische akademische Datenbank PubMed und das EMF-Portal nach potenziell in Frage kommenden Einträgen. [...] Die ersten 100 Ergebnisse von Google und Google Scholar wurden ausgewertet, um zu prüfen, ob es relevante, nicht doppelte Ergebnisse gibt. Wir haben auch die Bibliographien der zu diesem Zweck ausgewählten Studien überprüft. Schließlich haben wir Experten auf diesem Gebiet gebeten, unsere Listen zu überarbeiten und zusätzliche relevante Studien vorzuschlagen.“
In Abschnitt 2.3 „Auswahl der relevanten Literatur“ auf Seite 16 der STOA-Studie heißt es weiter:
- „Die „Population, Exposure, Comparator and Outcome“-Kriterien (PECO Statement, Morgan et al. 2018) wurden übernommen, um den Umfang dieser Arbeit und damit die Kriterien für die Auswahl der Literatur klar zu definieren [...] Wir haben alle Arten von Studiendesigns für die Überprüfung berücksichtigt; nicht-originale Studien, Briefe und Kommentare wurden nicht berücksichtigt. Berücksichtigt wurden Peer-Review-Artikel in englischer Sprache, die zwischen 1945 und Januar 2021 veröffentlicht wurden.“
Fakt ist: Die Einzelstudien der STOA-Studie wurden nach objektiven, nachlesbaren Schlüsselwörtern ausgewählt. Dabei wurden die PECO-Kriterien angewendet, die sonst nur bei systematischen Reviews zum Einsatz kommen.
Fazit
Die STOA-Studie ist ein fundierter, wichtiger Review und arbeitet die Studienlage zum Thema Mobilfunkstrahlung und Gesundheit umfassend auf. Sie wurde von einem wissenschaftlichen Team unter Leitung der renommierten Krebsforscherin Dr. Fiorella Belpoggi verfasst. Als Scoping Review mit genau festgelegten, objektiven Ein- und Ausschlusskriterien ist die STOA-Studie für Politikerinnen und Politiker die Basis für verantwortliches Handeln.
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Kommentar von diagnose:funk (aktualisiert 27.7.2022)
Es ist schon erstaunlich – nein, erschreckend! – wie wenig Sachkenntnis der (inzwischen ehemalige) SPD-Bundestagsabgeordneter Dr. Bartke hier beweist. Offensichtlich hat sein Mitarbeiterstab sich nicht einmal die Mühe gemacht, die ersten Abschnitte des Reviews zu lesen, obwohl diese mit eindeutigen Überschriften versehen sind, zu Beginn des Review-Textes stehen und so leicht zu finden wären. Es wurden der Einfachheit halber (statt selbst nachzulesen) die Satzbausteine vom Bundesamt für Strahlenschutz übernommen.
Dieses Vorgehen erleben wir immer wieder: Es werden Behauptungen in die Welt gesetzt, die Zweifel an seriösen Studien säen sollen: Entweder bedienen diese bei näherer Betrachtung einen Nebenkriegsschauplatz und lenken so vom eigentlichen, oft brisanten Ergebnis der Studien ab. Oder es wird – wie hier – gleich eine Unwahrheit in die Welt gesetzt.
Die Botschaft soll lauten, die Studie sei unwissenschaftlich, man müsse sie nicht lesen, sie sei politisch bedeutungslos. Das Gegenteil ist jedoch der Fall: Die STOA-Studie ist wissenschaftlich korrekt erstellt und aussagekräftig, Politikerinnen und Politiker müssen sie lesen und der Review listet politische Optionen zur Reduzierung der Strahlenbelastung auf. Diese Optionen stehen auf den Seite 152 ff. des STOA-Reviews und richten sich an politische Entscheidungsträger wie Herrn Bartke.
Wie nützlich die Behauptungen des Bundesamtes für Strahlenschutz zur STOA-Studie für Mobilfunk-Lobbyisten sind, zeigt eine aktuelle Aussage des Telekom-Mitarbeiters Christian Blenk (Kommunalbeauftragter Mobilfunk Bayern). In seinem Antwortschreiben an einen Bürger in der Auseinandersetzung um neue Mobilfunkstandorte kopierte er offensichtlichden den exakt gleichen Satzbaustein wie der SPD-Politiker Bartke im eingangs erwähnten Beispiel:
- „Die Studie wurde von einer einzelnen Autorin, Dr Fiorella Belpoggi vom Ramazzini Institut in Italien, verfasst. Nach eigenen Angaben handelte sich dabei um kein systematisches, sondern narrative Review. Die Autorin hat die existierenden Studien also nicht nach genau festgelegten Ein- und Ausschlusskriterien zusammengefasst. Genaue Qualitätskriterien sind aber notwendig, um aus den zusammengefügten Daten mehrerer Einzelstudien eine genauere Effektabschätzung abzuleiten.“
Vermutlich soll hier die Botschaft lauten: "Bitte nicht weiterlesen und nicht weiter nachdenken!" Man könnte das Zensur nennen.
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Bürgerinitiativen und die STOA-Studie ...
Nicht nur EU-Parlamentarierinnen und EU-Parlamentarier, sondern auch Politikerinnen und Politiker auf Bundes- und Lokalebene sowie Angestellte in den Verwaltungen müssen ihre politischen Entscheidungen an den Erkenntnissen dieser Studie ausrichten. Dazu müssen sie die Studie kennen lernen.
Im diagnose:funk-Brennpunkt zur STOA-Studie (Nr. 246 vom Januar 2022, siehe unten bei „Publikation zum Thema“) finden Sie das Abstract und die Zusammenfassung des Reviews in deutscher Übersetzung. Dies dient für erste Gespräche auf lokalpolitischer Ebene. Die 200-seitige Gesamtstudie können Sie dann fürs zweite Gespräch ankündigen. Sie liegt in deutscher Übersetzung durch diagnose:funk vor, als PDF zum Herunterladen und als leimgebundenes Druckwerk im diagnose:funk-Shop (siehe unten bei „Publikation zum Thema“).
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Was bedeutet STOA?
Der Technikfolgen-Ausschuss der EU-Parlaments heißt offiziell „Panel for the Future of Science and Technology (STOA)“. Auf Deutsch bedeutet das „Gremium für die Zukunft von Wissenschaft und Technologie“. Die Abkürzung STOA wiederum steht für „Science and Technology Options Assessment Komitee“, auf deutsch also „Komitee für Wissenschaft und Technikfolgenabschätzung“.
Wer ist STOA?
Der STOA-Ausschuss ist ein offizielles Organ des EU-Parlaments. Er setzt sich aus 27 EU-Parlamentarierinnen und EU-Parlamentariern zusammen, die aktuell aus 16 EU-Mitgliedsländern kommen. Diese Ausschussmitglieder werden von einer Reihe ständiger EU-Parlamentsausschüsse nominiert. Den STOA-Ausschuss gibt es bereits seit 1987.
Was macht STOA?
Der STOA-Ausschuss führt zusammen mit unabhängigen Experten (z.B. Universitäten, wissenschaftliche Institute) Bewertungen neuer Technologien durch. Außerdem ermittelt er daraus langfristige Strategieoptionen. Dies hilft dem EU-Parlament in seiner Rolle als politischer Entscheidungsträger weiter. STOA liefert also wissenschaftlich basierte Entscheidungsgrundlagen für die Mitglieder des EU-Parlaments. Im Fall der 5G-Studie fungiert als unabhängiges Institut das Ramazzini-Institut. Auf der englischen Wikipedia-Seite ist die Organisationsform des STOA-Ausschusses genauer erklärt. Leider sind die dort genannten Namen nicht mehr aktuell.