Bericht in der Neuen Zeitschrift für Verwaltungsrecht über das Urteil zur Anerkennung von elektromagnetischer Hypersensibilität als Krankheit
"11 Anerkennung eines Dienstunfalls wegen Strahlenschäden bei der Bundeswehr
BeamtVG § 31 III
BVerwG, Beschl. u. 10.4.2014 - 2 B 36/13 (OVG Schleswig)
Zum Sachverhalt: Der Kl. begehrt die Anerkennung einer Erkrankung als Dienstunfall iSv § 31 III BeamtVG. Er war als Radarmechanikermeister bei der Bundeswehr beschäftigt und dabei Hochfrequenz- und Röntgenstrahlung ausgesetzt. Seit 1973 leidet er an unterschiedlichen Krankheitssymptomen, mit Ablauf des Monats Dezember 1994 wurde er wegen dauernder Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt. Den im Mai 1993 gestellten Antrag, die gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Kl. als Dienstunfall anzuerkennen, lehnte die Beklagte ab. Im anschließenden Klageverfahren verpflichtete das OVG die Bekl., die elektromagnetische Hypersensibilität des Klägers als Dienstunfall wegen Berufskrankheit anzuerkennen. Durch Urteil vom 28.4.2011 (BVerwG, Buchholz 240 § 31 BBesG Nr. 1 = ZBR 2012,38 = NVwZ-RR 2011, 825 Ls. = NJO22072,90) hob das BVerwG das Berufungsurteil wegen fehlerhafter Erwägungen zur Beweislastverteilung auf und verwies die Sache an das OVG zurück. Nach Durchführung einer weiteren Beweisaufnahme hat das OVG die Bekl. erneut verpflichtet, die Erkrankung des Kl. als Berufskrankheit iSv § 31 III BeamtVG anzuerkennen (OVG Schleswig, Urt. v. 13.9.2012 - 3 LB 27177, BeckRS 2074, 52833). Die Nichtzulassungsbeschwerde der Bekl. blieb ohne Erfolg.
Anmerkung von Richter am VG a.D. Bernd lrmfrid Budzinski (aus NVwZ)
I. Begründung der Vorinstanz
Die wahre Bedeutung dieser Entscheidung wird erst deutlich, wenn man die Begründung der Vorinstanz in ihren wesentlichen Teilen kennt. Danach hatte die Klage Erfolg, weil der Kläger, ein so genannter Radarsoldat ,,einen Anspruch auf Anerkennung seines als ,elektromagnetische Hypersensibilität' umschriebenen Symptomenkomplexes hat. "... Der Sachverständige Dr. A hatte zusammenfassend überzeugend dargestellt, ,,dass es sich hierbei um ein diffuses Beschwerdebild handelt, das von der evidenzbasierten (Schul-)Medizin nur als tendenziell existente Krankheit eingestuft wird, und zwar ohne definitive Nachweismöglichkeiten (Gutachten vom ...) .... es handelt sich um eine so genannte offene Berufskrankheit, die allein durch ihre Ursache definiert wird: Ionisierende Strahlung ... Diese Kausalität ist im vorliegenden Fall sogar nach den Maßstäben der evidenzbasierten Medizin möglich ..." (Zitate-Ende).
ll. Bedeutung der Entscheidung
Erstmals wird somit in einem obergerichtlichen Urteil (OVG Schleswig, Urt. v. 73.9.2072 - 3 LB 21.177, BeckRS 2014, 52833) - soweit ersichtlich - von einer ,,elektromagnetischen Hypersensibilität" (Elektrohypersensibilität) als ,Krankheit' ausgegangen. Und erstmals blieb dies höchstrichterlich unbeanstandet; ja, hat das BVerwG seine zum selben Fall vor drei Jahren ablehnende Haltung aufgegeben ... An diesem gewaltigen Fortschritt ändert es nichts, dass es sich um den nur scheinbaren Sonderfall einer ,,offenen Berufskrankheit" handelt (was lediglich beweiserleichternd wirkt) und dass die Revisionsinstanz selbst vorsichtig nur von dem ,,beim Kläger aufgetretenen Krankheitsbild“ spricht. Denn dass es sich um ,,elektromagnetische Hypersensibilität" handelt, ist klar und wird vom BVerwG auch bei den (erfolgreich auf deren Anerkennung gerichteten) Anträgen des vorinstanzlichen Verfahrens wörtlich wiederholt. Das belegt weiter seine Beschreibung dieses Krankheitsbildes, welches - beginnend mit Befindlichkeitsstörungen - in einem allgemeinen (hier zur 100 %igen Berufsunfähigkeit führenden) Erschöpfungssyndrom endet. Diese für die elektromagnetische Hypersensibilität typische, obgleich knappe, Beschreibung macht diese nun zu einer prinzipiell höchstrichterlich anerkannten Krankheit. Das hat eine nicht zu unterschätzende allgemeine Bedeutung; auch für viele andere durch elektromagnetische Strahlung Geschädigte, beispielsweise im Zusammenhang mit dem Mobilfunk, obwohl dessen Strahlung nicht-ionisierend ist."
Quelle: NVwZ, 33. Jahrgang 2014, S. 1325-1327, >>> ganzer Artikel s. Downloads
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Der Wirtschafts- und Sozialausschuss der Europäischen Union (EWSA) schreibt zu Elektrosensibilität in seiner Stellungnahme im Amtsblatt der EU vom 04.03.2022:
- „Das Europäische Parlament, der EWSA und der Europarat haben anerkannt, dass Elektrosensibilität bzw. Elektrosensitivität eine Krankheit ist. Hiervon sind eine Reihe von Menschen betroffen, und mit der Einführung von 5G, für das eine viel höhere Dichte elektronischer Anlagen benötigt wird, könnte dieses Krankheitsbild häufiger auftreten.“
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