Autor: Dr.-Ing. Hans Schmidt (diagnose:funk)
Das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) lässt als einzige Begründung für eine Wirkung von hochfrequenten elektromagnetischen Wellen die Wärmewirkung zu (1), weil diese Strahlung (genauer: die Quantenenergie dieser Strahlung) zu schwach ist, um Moleküle zu zerstören (sog. thermisches Paradigma). Nach diesem Paradigma können unterhalb der Grenzwerte der 26. Bundesimmissionsschutzverordnung keinerlei Effekte auftreten, d.h. weder ein positiver (z.B. längere Lebensdauer) noch ein negativer (z.B. Zellschäden).
Im Jahr 2010 wurde von Tilmann et al. eine Studie veröffentlicht, in der mit Krebs vorbelastete Mäuse mit UMTS unterschiedlicher Stärke lebenslang bestrahlt wurden (2). Es stellte sich heraus, dass auch unterhalb der bestehenden Grenzwerte diese Bestrahlung Krebs promoviert (Grenzwert für Ganzkörperbestrahlung: SAR = 0,08 W/kg, niedrigster in der Studie verwendeter Wert 0,04 W/kg), d.h. dass die bestrahlten Tiere vermehrt Krebs aufwiesen im Vergleich zu Kontrollen, die nicht bestrahlt wurden.
Das BfS vergab daraufhin eine Vergleichsstudie an Prof. Lerchl, deren Ziel es war, diese Vorstudie zu replizieren. Besonderes Augenmerk lag auf den Effekten unterhalb der Grenzwerte. Lerchl et al. veröffentlichten 2015 das Ergebnis dieser Replikationsstudie (3), die die Studienergebnisse von Tilmann et al. bestätigte. Damit war nachgewiesen, dass unterhalb der Grenzwerte ein schädlicher Effekt auftrat.
Der Kommentar des BfS zu diesen Studien: „Die tumorfördernde Wirkung von HF-EMF entfaltet sich zu einem späteren Zeitpunkt, wenn der Krebs bereits entstanden ist.“ (4) Damit bestätigt das BfS selbst den Nachweis, dass unterhalb der bestehenden Grenzwerte Effekte auftreten, die es nach dem zugrunde liegenden thermischen Modell nicht geben dürfte, also als nicht-thermische Effekte gewertet werden müssten. Die Existenz solcher Effekte wird aber vehement bestritten! Da nicht untersucht wurde, ob der Effekt nicht auch bei niedrigeren Bestrahlungswerten auftritt, besteht allerdings keine Sicherheit, dass der untersuchte Wert der Minimalwert ist, bei dem krebspromovierende Effekte auftreten.
Wenn das thermische Modell weiterhin gelten soll, müssen die krebspromovierenden Effekte als thermisch bedingt angesehen werden. Dann muss aber konsequenterweise die in diesen Studien gefundene neue Untergrenze von SAR = 0,04 W/kg die Basis für die Grenzwertfestsetzung sein.
Bisher wurde als Wirkungsschwelle für thermische Schäden ein Wert von SAR = 4 W/kg angenommen, der ebenfalls aus Tierexperimenten stammt. Daraus wurde für die Allgemeinbevölkerung ein Grenzwert definiert, der 1/50 des Schwellenwertes ausmacht, was den bisher geltenden Grenzwert von SAR = 0,08 W/kg ergibt. Wenn nun die Vorgehensweise des BfS zur Ermittlung der Grenzwerte auf diesen neuen Schwellenwert von 0,04 W/kg mit Sicherheitsfaktor 1/50 übertragen wird, so beträgt der revidierte Grenzwert 0,04/50 W/kg = 0,0008 W/kg, d. h. 1/100 des bisherigen Grenzwertes.
Angewandt auf die Sicherheitsabstände bei Mobilfunk-Sendeanlagen, bedeutet dies eine zehnfache Vergrößerung des Sicherheitsabstandes: Denn da die Leistungsflussdichte mit dem Quadrat des Abstands abnimmt, bedeutet eine Vergrößerung des bisher geltenden Sicherheitsabstands um den Faktor 10 eine Abnahme der Leistungsflussdichte auf 1/100. Umgerechnet in die gebräuchliche Einheit Mikrowatt pro Quadratmeter führt dies zu Grenzwerten von 45.000 µW/m² (bisher: 4.500.000 µW/m²) bei einer Frequenz von 900 MHz, und von 90.000 µW/m² (bisher: 9.000.000 µW/m²) bei der Frequenz von 1800 MHz und maximal von 100.000 µW/m² bei höheren Frequenzen ab 2000 MHz, bezogen auf den Menschen (bei Ganzkörperbestrahlung). Da die Umrechnung vom betrachteten Körper abhängt, sind dies nur Näherungswerte, veranschaulichen aber die Dimension der Auswirkung dieser Grenzwertabsenkung.
Viele Sendeanlagen weisen horizontale Sicherheitsabstände von 10 - 20 m und vertikale von 3 - 5 m auf. Eine Vergrößerung der Sicherheitsabstände um den Faktor 10 würde also für viele Sendeanlagen in Siedlungsgebieten dazu führen, dass diese ihre Genehmigung verlieren, weil im Umkreis von 100 - 200 m Wohnbebauung vorliegt.
Und auch für Mobiltelefone müsste diese Überlegung gelten: der „Teilkörpergrenzwert“ im Kopfbereich beträgt 2 W/Kg; er müsste aber mit dem Nachweis, dass schon bei 0,04 W/kg irgendetwas geschieht, ebenfalls um 1/100, also auf 0,02 W/kg abgesenkt werden – die Folgen für die Mobilfunkindustrie wären dramatisch, ihr Geschäftsmodell nicht mehr haltbar.
Kein Wunder, dass diese Industrie in Verbund mit dem Bundesamt für Strahlenschutz alle Hebel in Bewegung setzt, um solche „gefährlichen“ Überlegungen, die an den gesunden Menschenverstand appellieren, zu ersticken.
Quellen:
(1): https://www.bfs.de/DE/themen/emf/hff/schutz/grenzwerte/grenzwerte.html
(2): Tillmann T, Ernst H, Streckert J, Zhou Y, Taugner F, Hansen V, Dasenbrock C (2010). Indication of cocarcinogenic potential of chronic UMTS-modulated radiofrequency exposure in an ethylnitrosourea mouse model. Int J Radiat Biol 86(7): 529-541.
http://www.emf-portal.de/viewer.php?aid=18344&sid=776ffe487d27dccae136b8963dd367f9&sform=8&pag_idx=0&l=g
(3): Lerchl A, Klose M, Grote K, Wilhelm AF, Spathmann O, Fiedler T, Streckert J, Hansen V, Clemens M (2015). Tumor promotion by exposure to radiofrequency electromagnetic fields below exposure limits for humans. Biochem Biophys Res Commun 459(4): 585-590.
https://www.emf-portal.org/de/article/26622
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